transfer Ausgabe 01 | 2019

Sauberer bauen tut Not

Schadstoffeintrag in Gewässer an der Quelle reduzieren

In Farben und Putzen werden antimikrobielle Mittel eingesetzt, welche die Hausfassade gegen Algen- und Pilz­befall schützen sollen. Die wetterbedingte Auslaugung solcher Stoffe führt jedoch zu einer Belastung von Boden, Grund­wasser und Oberflächengewässer. Wir haben mit Prof. Dr. ­Michael Burkhardt, Leiter des Instituts für Umwelt- und Verfahrenstechnik an der HSR Hochschule für Technik Rapperswil, über Möglichkeiten gesprochen, das Problem «sichtbar» zu machen und gebäudebezogene ­Belastungen zu reduzieren.

Einige Hundert Tonnen Zusatzmittel werden in der Schweiz pro Jahr in Baumaterialien eingebracht, darunter schätzungsweise 30 bis 50 Tonnen Biozide in Gebäudehüllen. Regen und Witterung waschen diese aus. Wird das Drainagewasser getrennt abgeführt (‹Trennsystem›), dann gelangen sie direkt in Fliess­gewässer oder Seen. Bereits 2008 löste ein entsprechender Beitrag von Michael Burkhardt in den Schweizer Medien ein enormes Echo aus. Andere Themen rund um das Bauen stehen aber viel stärker im Fokus: «Es gibt ja keine sichtbaren ­Schäden, ausser einer verschmutzen Fassade. Und das führt man eher auf andere Ursachen als die ausgewaschene Chemie zurück», bedauert der Wissenschaftler, dessen besonderes Interesse der ökologischen Nachhaltigkeit beim Bauen im urbanen Raum gilt. Die ökologische Verträglichkeit von Baumaterialien erforscht er seit 15 ­Jahren.

Schwarz-Weiss-Denken

Gewässermonitoring im urbanen Raum findet zumeist weit entfernt von den Quellen statt. Werden dabei bedenkliche Stoffe entdeckt, weiss man noch immer selten genau, woher sie stammen oder wo sie eingebracht wurden. Der richtige Ansatz wäre, nach Lösungen zu suchen, um bereits an der Quelle, also beispielsweise an der Hausfassade, die Schadstoffbelastung für die Umwelt zu reduzieren. Hier sieht Burkhardt vor allem die Hersteller und Kunden in der Pflicht. Das Dilemma: Den Nutzen, sprich: die Farbe und den Schutz, den will jeder. Und der muss bezahlbar sein. Auf der anderen Seite sollen die Umweltkriterien, für die viele Verbraucher nur ungern etwas bezahlen möchten, erfüllt werden.

«Häufig wird von Verbrauchern wie auch Verarbeitern die Frage reduziert auf: Ist die Farbe giftig, oder ist sie es nicht?», stellt Michael Burkhardt fest. «Diese Schwarz-Weiss-Betrachtung ist sehr undifferenziert und hilft kaum. Eine ganzheitliche Sicht, zum Beispiel welche Umweltrisiken durch gewisse Inhaltsstoffe in den jeweiligen Produkten entstehen können, aber auch welchen Nutzen sie haben, fehlt uns.»

Genauer hinschauen – und abwägen

Der Begriff ‹Biozid› ist meist negativ besetzt. «Produkte mit bioziden Wirkstoffen heissen eigentlich Filmschutz-, Konservierungs- oder Desinfektionsmittel, und das klingt ja schon fast wieder gut», erklärt Burkhardt. Wo Wasser im Spiel ist, muss man diese ­Stoffe einsetzen: Zum Beispiel im Schwimmbad, in Flüssigseife, bei Bootsanstrichen, im Holzschutz oder in der Stallhygiene. Früher konservierten Lösungsmittel Farben. Als diese verbannt und durch Wasser ersetzt wurden, musste man Biozide einsetzen. Es gibt auch Hersteller, welche als Alternative Farben mit hohen alkalischen pH-Werten produzieren, was gesundheitsgefährdend für den Verarbeiter sein kann. «Wichtig ist, dass wir einen gesellschaftlichen Konsens zu einem möglichst optimalen Weg finden», wünscht ­Burkhardt. «Wir können nicht immer das Maximum erwarten – ­lange Haltbarkeit, bester Schutz, einfachste Verarbeitung, tiefer Preis, null Schadstoffe. Viele kleine Verbesserungsschritte sind meiner Meinung nach das Erfolg­versprechende. Ich bin auch davon überzeugt, dass 80% Wirkungsgrad, schnell umgesetzt, besser sind als 99%, die ich niemals erreiche.»

«80% Wirkungsgrad, schnell umgesetzt, sind besser als 99%, die man niemals erreicht.»

Grün? Oder Rot?

Der Verband der Schweizerischen Lack- und Farbenindustrie (VSLF) hat gemeinsam mit dem Bundes­amt für Umwelt und weiteren Stakeholdern eine Umwelt­etikette entwickelt, welche einen bewussten Entscheid für oder gegen ein bestimmtes Produkt erleichtern soll. Vergleichbar dem Ampel­system des «Kühlschrank­rasters» gibt es sieben Kategorien. Fassadenfarben der Klasse C beispielsweise enthalten verkapselte Biozide, um eine lange Schutzwirkung zu erzielen, und der ausgewaschene Stoffanteil ist in der Umwelt schnell abbaubar. Die Inhaltsstoffe sind damit länger im Material nutzbringend gebunden und werden über einen längeren Zeitraum gelöst als ohne Verkapselung. Rot, die schlechteste Klasse, umfasst Produkte, welche langlebige und nicht verkapselte Biozide aufweisen, und damit das grösste Risiko für die Umwelt darstellen. Es gibt noch weitere Kriterien, die dem Verbraucher Anhaltspunkte zu anderen bedenklichen Inhaltsstoffen liefern.

Belohnung bewirkt Veränderung

Verbote helfen aus Burkhardts Sicht wenig. Deshalb erscheint ihm das Belohnungs­prinzip für die Hersteller wichtig. Die grünen Kategorien A bis C werden beispielsweise im Vorgabenkatalog des Reglements ‹­Minergie-Eco› als Empfehlung genannt. Sie haben den geringsten Umwelteinfluss bei der Herstellung, in der Nutzungsphase und bei der Entsorgung: «Jeder Hersteller sollte bestrebt sein, solche Produkte zu entwickeln und bekommt durch entsprechende Nachfrage im Rahmen einer Ausschreibung den wirtschaftlichen Anreiz.»

Eine grundsätzliche Problematik sieht Burkhardt darin, dass bis heute kein verbindliches Konzept existiert, nach dem die Auswirkungen von Bauprodukten auf Boden und Grundwasser beurteilt werden müssen. Damit fehle ein verbindliches Entwicklungsziel. Zwar entwerfe seine Gruppe gegenwärtig eine derartige Methodik. Um ein solches Ziel festzulegen, brauche es jedoch mehr Anstrengungen, meint er. Eine vereinfachte Bewertungsmethodik, wie die Umweltetikette, sei deshalb nur ein erster Schritt.

Massnahmen an der Quelle nützen

Kläranlagen werden das ­Problem aus zweierlei Gründen nicht lösen können, ist Burkhardt überzeugt. «Auch wenn die vierte Reinigungsstufe in den Hundert grössten Abwasserreinigungsanlagen der Schweiz eingebaut wird, bleiben über 600 weitere, die umweltproblematische Stoffe weiterleiten. Zudem versickert Regenwasser von Gebäuden überwiegend oder wird diffus ins Oberflächen­gewässer abgeleitet», hält er fest. Zunehmende Starkregenereignisse werden ausserdem mehr Entlastungen verursachen, die an der ARA vorbei direkt ins Gewässer münden.

«Massnahmen an der Quelle, dort wo die Konzentrationen hoch und die Wassermengen noch klein sind, sind für mich die effektivsten.»

«Der Aktivkohlefilter, durch den der Malereibetrieb seine Abwässer führt, ist hochwirksam und wirtschaftlich. Und die Verwendung von Produkten für die ­Fassade, deren Inhaltsstoffe weniger stark ausgewaschen werden, die viel bessere Idee, als das einer nachgeschalteten Reinigung überlassen zu müssen.» Für die Entwicklung auswaschreduzierter Bauprodukte brauche es aber ein Konzept mit Zielgrössen, an denen sich Hersteller ­ausrichten können. Und es brauche eine stärkere Marktnachfrage.

Massnahmen an der Quelle sind für den Wissenschaftler auch längst vergessene Details der Architektur. Konstruktiver Witterungsschutz in Form von weiten Dachüberständen sei heute nicht mehr gefragt. «Die Norm verlangt nur wenige Zentimeter», stellt Burkhardt fest. Dem Witterungsschutz diene das nicht mehr, ganz im Gegenteil: Die Fassaden sind damit nicht nur der Auswaschung, sondern ebenso der Sonnen­einstrahlung, Hagel, wirklich allen physikalischen Einflüssen stark ausgesetzt.

«Die Konsequenz moderner Architektur ist, dass die Materialien schneller altern und man immer häufiger renovieren muss. Wo ist das dann ökologisch nachhaltig?»

Fehlende Lobby

Eine Herausforderung sieht der Institutsleiter vor allem für unsere Gesellschaft: Die fehlende Lobby der Umwelt. «Den Schaden, den wir durch unseren ökologischen Fussabdruck hinterlassen, spüren wir nicht immer direkt. Die Stoffe sind im Wasser, aber wir sehen sie nicht. Und die Wasserqualität unserer Seen und Flüsse ist gut, da schwimmen ja keine toten Fische oben auf», gibt Burkhardt zu bedenken. Gäbe es regelmässig grosse Schaden­fälle, dann wäre die Lobby für die Umwelt seiner Meinung nach stärker: «Diese schleichende Veränderung, und das vergleiche ich gerne mit der Diskussion um den Klimawandel, führt dazu, dass wir eigentlich kaum unser Verhalten ändern.»

Auf Dauer könne das Ökosystem jedoch nicht alles kompensieren, irgendwann wird nach Burkhardts Überzeugung das Puffervermögen erschöpft sein und Mensch und Umwelt die Leidtragenden sein. Sein Appell ist deshalb eindringlich: «Wir müssen relevante Emissionen noch stärker reduzieren. Alles, was nicht in die Umwelt geht, das ist Vorsorge. Egal, welches System man betrachtet.»

Bildnachweis: iStock/peeterv (Titelbild)