transfer Ausgabe 01 | 2020

Zusammenschluss mit Weitblick

Langfristig geplante Energieversorgung bei den tb.glarus

Mit der Gemeindestrukturreform im Kanton Glarus wurden gegen 50 Wasser- und Stromversorgungsunternehmen zu deren drei fusioniert. Martin Zopfi gibt Einblicke in die technischen und organisatorischen Herausforderungen, welche die Technischen Betriebe Glarus (tb.glarus), einer der drei neuen Versorger, während des Prozesses begleitet haben.

Es war im Jahr 2006, als im Kanton Glarus die Entscheidung getroffen wurde, dessen bislang 25 Gemeinden auf nunmehr drei zu reduzieren: Glarus Nord, Glarus Süd und Glarus. «Mit diesem Schritt war auch besiegelt, dass es ab 2011 nur noch drei Energieversorgungsunternehmen im Kanton geben wird», so Martin Zopfi, Geschäftsführer bei den tb.glarus (siehe dazu den Beitrag «Chance Gemeindefusion» mit Regierungsrat Röbi Marti, erschienen in transfer 01|2017).

Die tb.glarus erkannten die Chancen der Fusion. Sie investierten in ein gemeinsames Leitsystem für Wasser-, Strom- und Gasversorgung sowie Fernwärme, Wasserkraft und Kommunikationsdienstleistungen.

«Am Ende war es eine wirtschaftliche Frage: Will ich fünf eigenständige Systeme betreiben und pflegen, oder doch nur eines?»

Martin Zopfi, Geschäftsführer bei den tb.glarus

«Bisher hatten alle Versorger ihr eigenes Leitsystem. Die Unterschiede waren immens», erzählt Zopfi. Das älteste System, welches die neu formierten tb.glarus zu übernehmen hatten, war zu diesem Zeitpunkt bereits 100 Jahre alt. Es bestand aus einer Zweidraht-Leitung zur Übertragung des Zuflusses einer Quelle. Aber selbst das jüngste übergebene System war damals bereits 18 Jahre in Betrieb.

Ein langer Prozess

Einfach sei der Zusammenschluss nicht gewesen, so der Geschäftsführer: «Nicht alle standen hinter der Fusion. Dementsprechend mussten wir teilweise äusserst schlecht dokumentierte Anlagen übernehmen.» Einige davon wurden in den Jahren vor der Fusionierung immer wieder aufwändig saniert, anstelle diese im Rahmen einer kontinuierlichen Werterhaltung weiterzuentwickeln. Entsprechend war ein Teil der in die Fusion eingebrachten Infrastrukturen nicht auf dem aktuellen Stand der Technik.

«Zum Start war erst mal Krisenmanagement angesagt.»

Martin Zopfi selbst stiess kurz nach der Fusionierung zu den tb.glarus: «Als ich mit meiner Arbeit begann, war ein Teilersatz des Leitsystems ‹Wasser› geplant, um möglichst kurzfristig dessen Funktionsfähigkeit erhalten zu können.» Zopfi fand daran aber keinen Gefallen. Vom Prozess her gedacht sah er die einzig zukunftsfähige Chance darin, ein fundamental neues Leitsystem aufzubauen, welches alle Sparten umfasst. Die zentrale Frage war zu jenem Zeitpunkt dann aber, ob die Versorgung mit gezielt gesetzten Sofortmassnahmen weitere zwei bis drei Jahre lang sichergestellt werden kann. Denn dieser Zeitraum war für die fundierte Planung und Ausschreibung des Systems veranschlagt. Das habe glücklicherweise funktioniert, so der Geschäftsführer: «Schlussendlich haben wir in der Submission rund 700 Anforderungen formuliert, die für uns relevant waren.»

«Wir haben uns im Prozess der Ausschreibung sehr viel Zeit genommen, um detailliert zu beschreiben, was wir eigentlich wollen.»

Zeitgleich zur Leittechnik schrieben die tb.glarus das Smart-Metering-System aus. Das Unternehmen legte bereits zu diesem Zeitpunkt Wert darauf, dass die Konvergenz der Energieversorgungsnetze zukünftig gelingen kann. Ihnen war bewusst, dass dafür einerseits ein Leitsystem mit Unterstützung für aktives Lastmanagement, und andererseits ein Smart-Grid-taugliches Smart-Metering benötigt wird. «Zielführend ist nur, wenn diese beiden Systeme perfekt interagieren, weshalb wir Standard-Protokolle für den Datenaustausch vorgaben und die Schnittstellen klar definierten», erzählt Zopfi. «Mit einer solchen Basis können wir auch in Zukunft technologieoffen und herstellerunabhängig die weitere Entwicklung unserer Netze und Angebote vorantreiben.»

Die Qual der Wahl

Die geforderte Integration des Smart Meterings schränkte die Anbieter-Auswahl für das Leitsystem ein, suchten die Technischen Betriebe doch einen Partner, der bereit war, ihren integrativen Ansatz mitzutragen. Die Submission konnte schliesslich Rittmeyer für sich entscheiden: «Ausschlaggebend hierfür war vor allem ihre Bereitschaft, Entwicklungsarbeit zu investieren, um eine Lösung genau nach unseren Anforderungen zu schaffen», so der Dipl. Wirtschaftsinformatiker. Im Fokus stand dabei ein hochverfügbares System, das bestimmte Grundfunktionen sicher beherrscht. «Verspielte Details und andere Nice-to-Haves waren zweitrangig für unsere Entscheidung», bringt es der Geschäftsführer auf den Punkt.

Schritt für Schritt

Die tb.glarus bauten ein eigenes Glasfasernetz auf, um den erwarteten hohen Kommunikationsaufwand im System bewältigen zu können. Dieses führt die zahlreichen Datenpunkte mit dem Leitsystem zusammen und deckt die Anforderungen ab, die sich aus dem Smart Metering ergeben und die zur Sicherung der Versorgungsqualität sowie des Netzschutzes notwendig sind. Inzwischen agieren die Technischen Betriebe sogar als Provider und stellen ihren Geschäftskunden über diese Glasfaser-Infrastruktur Internet-, Telefonie- und Fernseh-Dienstleistungen zur Verfügung. Ergänzt wird das Kommunikationsnetz durch kabellose Punkt-zu-Punkt-Verbindungen.

Nach der Inbetriebnahme des Hauptsystems setzten die tb.glarus das Projekt bereichsweise um: angefangen bei der Wasserversorgung, gefolgt von Gasversorgung, Fernwärme und Kraftwerke. Das Teilprojekt ‹Strom› wurde unlängst ebenfalls erfolgreich abgeschlossen. Parallel läuft die Installation der Smart Meter. Etwa die Hälfte davon ist bereits in Betrieb, in zwei Jahren sollen alle Messgeräte installiert sein.

Und die Mitarbeitenden?

Trotz der Vorteile eines gemeinsamen Leitsystems lief anfangs nicht alles rund, muss Martin Zopfi eingestehen: «Im ersten Jahr des Betriebs benötigten wir für die Einarbeitung deutlich mehr Ressourcen als geplant. Wir haben dabei festgestellt, dass wir als Querverbundunternehmen unser Rollenkonzept anpassen mussten. Wir haben definiert, wer an welcher Stelle am effizientesten für die Betriebsbereitschaft einzelner Anlagenteile zuständig ist.» Das sei ein teilweise harter Lernprozess gewesen, letztlich jedoch auch dank der Unterstützung von Rittmeyer gut gelungen.

Zunehmende Digitalisierung und Vernetzung bedinge zudem andere Qualifikationen. Die tb.glarus investierten deshalb stark in die Weiterbildung ihrer Mitarbeitenden, stellten aber auch neue Disziplinen bei den Fachkräften ein. Insbesondere für den Betrieb von Leitsystem und Smart Metering galt es, sich Know-how anzueignen, um mit externen Fachleuten auf Augenhöhe kommunizieren zu können. «Heute haben wir Informatiker, Elektrotechniker, Brunnenmeister, Systemingenieure und weitere Spezialisten im Haus. Wir führen sie aktiv zusammen, um ein grösstmögliches Verständnis für die verschiedenen Teilaufgaben zu schaffen», erklärt Zopfi die Änderungen bei der Belegschaft. Er ist überzeugt, dass sich damit ebenso die Risiken im Bereich von Social Engineering entscheidend reduzieren lassen.

«Unser Unternehmen hat einen enormen Kulturwandel erlebt.»

Eine weitere Herausforderung im Projekt war es, die Mitarbeitenden auf den Weg des Zusammenschlusses mitzunehmen. Der Geschäftsführer würde sein Team rückwirkend betrachtet vielleicht noch unterstützender in den Prozess einbinden: «Die Menschen sorgfältig und schrittweise an neue Aufgaben und eine neue Technik heranzuführen schafft Akzeptanz. Gleichzeitig muss man aber darauf achten, den dabei entstehenden Sonderwünschen nicht zu viel Raum zu geben», resümiert Martin Zopfi. Der Wunsch nach Selbstverwirklichung sei in einem solchen Projekt eben gross, und manchmal müsse man das über Budgetgrenzen steuern. Aber am Ende bedeute eine reduzierte Komplexität auch immer mehr Betriebssicherheit.

Zusammengefasst – und was noch ansteht

Innerhalb von zwei Jahren wurden die Anlagen der ehemaligen Versorgungsbetriebe des Kantonshauptorts sowie der Gemeinden Netstal, Riederen und Ennenda in einem gemeinsamen Leitsystem zusammengeführt.

«Mit dem neuen System können wir den Anforderungen unserer Kunden nach mehr Effizienz und Transparenz nachkommen. Das ist sehr wichtig.»

Die sorgfältige Planung und das schrittweise Umsetzen, Sparte für Sparte, war für Zopfi ausschlaggebend für den Erfolg. Das Aufschalten der Stromversorgung im neuen System im Dezember 2019 bildete einen vorläufigen Abschluss des Grossprojekts. Die nächste Aufgabe steht aber schon an: Das nächste Fernwärme-Projekt wird in den kommenden Monaten eingebunden werden.

Die zentrale Leittechnik eröffnet noch weitere Anwendungsfelder: So soll die Steuerung der öffentlichen Beleuchtung in das Leitsystem integriert und bereits Teil des aktiven Lastmanagements werden. Und auch für neue Dienstleistungen gibt es bereits Ansätze: Im Sommer 2020 starten die tb.glarus eine erste Solargemeinschaft. Kunden können über zwei Jahrzehnte Anteile an von den Technischen Betrieben gebauten Solaranlagen pachten und bekommen dafür eine jährliche Gutschrift auf ihrer Stromrechnung. Eine Vorleistung, die sich dann für alle – Energieversorger, Verbraucher und die Umwelt – auszahlt.

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