transfer Ausgabe 01 | 2018

Neue Aufgaben, neue Heraus­forder­ungen

Die Zukunft von Prozessleitsystemen in Kläranlagen

Mit den strengeren Auflagen zum Gewässerschutz müssen in der Klärung von Abwasser immer höhere Anforderungen erfüllt werden, beispielsweise in der Entfernung von Mikroverunreinigungen. Gleichzeitig engagieren sich Betreiber von Kläranlagen in der Schonung von Ressourcen, indem zusätzliche Prozesse wie die Wertstoffrückgewinnung oder die Nutzung der Prozessabwärme für Fernheizsystemen vorangetrieben werden. Kurz: Die Komplexität auf einer Kläranlage nimmt zu. Wir haben uns gefragt, wie Prozessleitsysteme das Betriebspersonal bei diesen anspruchsvollen Aufgaben optimal unterstützen können. Michael Kasper, Geschäftsführer der Abwasserreinigung Kloten Opfikon, dessen Anlage im Moment eine umfangreiche Erweiterung und Sanierung erfährt, gab uns seine Einschätzung hierzu.

Seit Herbst 2017 wird die ARA Kloten Opfikon im Schweizer Kanton Zürich saniert. Als die Anlage 1993 nach rund dreissig Betriebsjahren erstmalig erweitert wurde, war sie für 54'500 Einwohnerwerte (EW) dimensioniert. Belastet wird sie heute im Mittel mit 86'000 EW. Mit der Sanierung wird die Kapazität gegenüber der ursprünglichen Auslegung nun mehr als verdoppelt und auf 125'000 EW ausgebaut. Die Vielfalt der unterschiedlichen Abwasser-Zulieferer ist dabei besonders interessant. «Neben den Abwassersystemen von Kloten und Opfikon ist auch der Flughafen Zürich an unsere ARA angeschlossen. Und im Jahr 2019 wird zudem das Dienstleistungszentrum ‹The Circle›, das derzeit grösste Hochbauprojekt der Schweiz mit Arbeits- und Lebensraum für tausende Menschen, in unmittelbarer Flughafennähe eröffnet», erzählt Michael Kasper.

Schwierige Rahmenbedingungen

Die für die zusätzliche Kapazität notwendigen Erweiterungen in der ARA sind alles andere als einfach umzusetzen, denn es fehlt an Fläche. In den rund 50 Jahren ihres Betriebs wurde die ARA praktisch ‹eingekesselt›: Durch die Glatt und Gewässerraum im Südwesten, eine Strasse und Bahntrasse im Südosten, eine Strasse und einen Bahntunnel im Nordosten sowie eine Brücke im Nordwesten. «Dazu kommt, dass wir auch nicht in die Höhe bauen können, denn wir liegen in der Abflugzone des Flughafens Zürich und haben deshalb strengste Auflagen», beschreibt Michael Kasper die Situation. Das Kunststück heisst also, auf engstem Raum gleichzeitig den Kapazitätsausbau und daneben den lückenlosen Weiterbetrieb bis zum geplanten Bauende 2024 zu realisieren.

Einen Schlüssel hierzu fand die ARA Kloten Opfikon im Ersatz der bisherigen biologischen Reinigungsstufe durch das ‹Nereda›-Verfahren. Das ist eine neue, noch junge Technologie der Abwasseraufbereitung, bei der das Abwasser nach der mechanischen Reinigung nicht in weitere Klärbecken entlassen, sondern in Reaktoren gepumpt wird. In diesen wird das Wasser «dank eines präzisen Zusammenspiels von Luft, Wassermenge sowie Aufenthaltsdauer von Millionen nimmersatten Mikroorganismen gereinigt», erklärt Michael Kasper das Verfahren. Wichtigster Aspekt für die ARA Kloten ist der deutlich geringere Platzbedarf und die günstige Energiebilanz, beides im Vergleich zu den bekannten biologischen Reinigungsverfahren.

Kontakt auf Augenhöhe

Rund 100 Millionen Franken wird der gesamte Ausbau der ARA kosten – mit der biologischen Reinigung im Nereda-Verfahren, einem neuen Regenbecken, der neuen mechanischen Reinigungsstufe mit Hebewerk, Rechen, Sandfang und Vorklärung, der neuen Schlammbehandlung, der Erweiterung der Filtrationsanlage sowie dem Bau der geruchsemissionsreduzierenden Halle rund um die mechanische Vorreinigung.

Die Abstimmung der heute schon vielfältigen Prozesse auf der Kläranlage wird damit zukünftig gewiss nicht einfacher. «Wir produzieren Dünger, montieren zukünftig auf unseren Flachdächern Solaranlagen, betreiben mehrere Wärmerückgewinnungen für unser Heizsystem sowie als Prozesswärme, und auch eine Abwasserwärmenutzung für die Wärmeversorgung des angrenzenden Stadtgebietes ist im Gespräch», zählt Michael Kasper einige Beispiele auf. «Das sind alles Prozesse, die nicht zu unserem Kerngeschäft gehören, aber alle in unser RITOP-Prozessleitsystem (PLS) eingebunden sein müssen, denn sie beeinflussen sich zum Teil.» Mit dem Nereda-Verfahren kommt nun eine neue ‹Black Box› hinzu, denn das Verfahren ist patentrechtlich geschützt und der genaue Prozessablauf nicht offengelegt. Wie auch bei den Nicht-Kernprozessen gibt es für den ARA-Geschäftsführer nur eine Möglichkeit: «Wir geben die Black Box mit den Schnittstellen des Systems an die Firma Rittmeyer, die es so in das PLS einbinden muss, dass es schlussendlich funktioniert», schmunzelt Michael Kasper. Aus seiner Sicht stellt eine solche Leistung aber eine klare Anforderung – viel weniger an die ‹Leittechnik der Zukunft›, als vielmehr an den Leittechniklieferanten. «Flexibilität ist vielleicht das eine. Aber ich denke mir, dass es vor allem ohne tiefe Kenntnisse der komplexen Abwasserreinigungsverfahren nicht mehr gehen wird», skizziert Michael Kasper eine wichtige Anforderung.

«Programmieren, ohne dass der Programmierer unsere Probleme, unsere Prozesse und unsere Sprache versteht, das klappt einfach nicht. Es braucht wirklich Kontakt auf Augenhöhe.»

Michael Kasper, Geschäftsführer ARA Kloten Opfikon

Der Mensch bleibt in der Verantwortung

Insgesamt gibt es also viele teilautonome Prozesse in der ARA, die über klar definierte Schnittstellen mit dem Prozessleitsystem kommunizieren. Und dabei eine riesige, teils wirklich isolierte Datenflut erzeugen. Darin sieht Michael Kasper eine der grössten Herausforderungen für seine Betriebsmannschaft: «Für uns ist es wichtig, dass der Mensch auf der Anlage trotz steigender Komplexität immer den Überblick hat. Wir können nicht alles ‹einem System› übergeben und anschliessend nicht mehr wissen, wie unsere Prozesse ablaufen – und wie wir diese konkret beeinflussen können.»

Nur: Wie könnte eine Lösung hierfür aussehen? Neben dem Leitsystem, das die Prozesse in allen technischen Detailfunktionen abbildet, sieht Michael Kasper die Notwendigkeit einer übergeordneten Instanz, welche hilft, Zusammenhänge zu erkennen: «Die einzelnen Prozesse beeinflussen sich gegenseitig. Wenn ich den Betrieb gesamthaft optimieren will, dann muss ich sie miteinander betrachten können – und zwar so, dass ich daraus die richtigen Schlüsse ziehen kann.»

Software ist wichtig. Und Engagement.

Ein Weg in die richtige Richtung ist für ihn die Softwareplattform RITUNE®: «Damit sind wir einen grossen Schritt weiter gekommen, alleine indem wir die Unmenge unserer vorhandenen Daten zueinander in Beziehung setzen und visualisieren können.» Je nach Interesse, Arbeitsbereich und persönlichen Vorlieben setzt sich jeder Mitarbeitende eine Bedienoberfläche zusammen, die ihn in der täglichen Arbeit optimal unterstützt. «Ich denke, wie überall anders auch: Hier ist das Engagement der Mitarbeitenden gefordert. Für die einen ist alles gut, wenn der Betrieb läuft, alles ‹auf Grün› ist, andere wollen sich in die Tiefe hineingraben, Prozesse verstehen, Zusammenhänge herstellen und so Verbesserungsmöglichkeiten erkennen.»

«Mit RITUNE kann ich mir ganz nach Interesse, Arbeitsbereich und persönlichen Vorlieben eine Oberfläche zusammensetzen, die mich in meiner täglichen Arbeit unterstützt.»

Diese Flexibilität muss aus seiner Sicht das ‹Leitsystem der Zukunft› haben: Es muss modular sein, und individuell auf die Bedürfnisse des einzelnen Benutzers abstimmbare Funktionalitäten aufweisen. Und auch die Darstellung der für den einzelnen Anwendungsfall relevanten Daten muss individualisierbar sein, sodass Prozesse genau dort transparent gemacht werden, wo gewünscht und notwendig. Eines ist Michael Kasper bei allen technischen Möglichkeiten jedoch abschliessend wichtig: «Auch ein noch so tolles System würde ohne die Menschen dahinter nicht helfen. Damit steht und fällt alles.»