transfer Ausgabe 01 | 2022

Raus aus der Deckung

Wie junge Berufsleute ein Dilemma der Wasserwirtschaft lösen wollen

Viele Ver- und Entsorgungsbetriebe stehen vor einem Generationenwechsel ihres Personals. Erfahrene Mitarbeitende werden pensioniert, jahrzehntelang aufgebautes Know-how droht verloren zu gehen. Bereits heute fehlen Ingenieur- und Planungsbüros qualifizierte Fachkräfte. Wie beurteilen junge Berufsleute diese Situation? Wo sehen sie Ursachen, wo Lösungen? Wir führten ein angeregtes Gespräch mit einer Gruppe der ‹Young Professionals› aus dem Verband der Schweizer Abwasser- und Gewässerschutzfachleute (VSA).

Eine nachhaltige Wasserwirtschaft ist Lebensgrundlage. Sie trägt wesentlich zur Gesundheit und Lebensqualität der Menschen, zum Umweltschutz, aber auch zur Wettbewerbsfähigkeit von Industrie und Gewerbe bei. Ihr verdanken wir die jederzeitige Verfügbarkeit von Wasser in hervorragender Qualität, was alles andere als eine Selbstverständlichkeit ist. Und die Herausforderungen steigen: zunehmende Extremwetterereignisse, komplexe Verunreinigungsszenarien, lokaler Wassermangel – die Liste liesse sich fast beliebig verlängern.

Von deren nachhaltiger Lösung hängt die Zukunft der kommenden Generationen ab. Dabei gehören zu den sinnhaftesten Aufgaben in unserer Gesellschaft wohl jene dieser Branche. Die jedoch stöhnt unter Nachwuchsmangel und fehlenden Fachkräften.

Drängendste Frage damit in die Runde: Woran könnte es eurer Meinung nach liegen, dass junge Menschen den Weg in die Wasserwirtschaft nicht finden?

Reto Keller: Ich bin im Grunde durch eine Reihe von Zufällen vom Ausbildungsberuf Schreiner über die Haustechnik zu meiner heutigen Stelle als Klärwärter gelangt. In der Schweiz sind Klärwerkfachmann bzw. -fachfrau, Brunnenmeister:in oder Rohrnetzmonteur:in eben keine Lehrberufe. Dazu kommt, dass die Berufsbilder wenig bekannt sind.

Philipp Beutler: Das hat mich überrascht. In Deutschland kann man direkt mit einer Lehre als Fachkraft für Abwassertechnik oder Fachkraft für Wasserwirtschaft einsteigen. Das ist eine dreijährige Lehre. Trotzdem gibt es auch hier einen zunehmenden Fachkräftemangel. Übrigens war es bei mir ähnlich wie bei Reto: Ich bin zufällig und erst in meiner Bewerbungsphase für verschiedene Unis über die Wasserwirtschaft gestolpert.

Sabine Niebel: Ich denke, dass das grösste Problem die fehlende Sichtbarkeit unserer Berufe ist. Das Umweltingenieurwesen ist nicht so bekannt, und als Schülerin konnte ich mir nicht vorstellen, welche Aufgaben damit verbunden sind. Auch ich bin nur durch Zufall und mein Freiwilliges Ökologisches Jahr zu meinem Studium gekommen.

«Das grösste Problem ist die fehlende Sichtbarkeit unserer Berufe.»

 

Sabine Niebel, Umweltingenieurin, Projektleiterin bei Holinger AG

Katharina Schulthess: Das kann ich nur bestätigen. Auch bei mir war es purer Zufall. Ich war zwar an Hydrologie interessiert, aber erst als ich bei einem Praktikum in einem Ingenieurbüro eine Kollegin kennenlernte, die in der Siedlungsentwässerung tätig war, habe ich festgestellt, an welch vielfältigen und spannenden Themen man da arbeiten kann. Das sind total kreative Aufgabenstellungen. Ich habe das Gefühl, man ist sich gar nicht bewusst, wie vielseitig dieses Berufsfeld ist.

Reto Keller: (schmunzelt) Das stimmt. Auch als Klärwärter muss man kreativ sein, und oft improvisieren.

Bei euch allen war es also eher Zufall. Aber wie könnte man diesem auf die Sprünge helfen?

Damian Hausherr: Es gibt definitiv Bedarf, mehr Werbung für die Wasserversorgung und Abwasserreinigung zu machen. Man könnte meinen, dass die Klimadebatte den Umweltwissenschaften zu einem grossen Zustrom verholfen hätte. Im Prinzip ist das auch so, doch in den Umweltwissenschaften geht es eher um Klimaforschung und Ökologie im Allgemeinen. Die umwelttechnischen Aspekte hingegen gehören zu den Ingenieurwissenschaften. Und da ist der Zustrom eher gering. Wir müssen einfach mehr aus uns herausgehen, mehr unter die Leute kommen, und unsere äusserst spannende Branche bewerben.

«Wir müssen einfach mehr aus uns herausgehen, mehr unter die Leute kommen, und unser Berufsfeld bewerben.

 

Damian Hausherr, MSc Biotechnologie, Doktorand in der Abteilung Verfahrenstechnik an der eawag

Sabine: Die Studierenden orientieren sich in diesen Studiengängen eher an den populäreren Themen, momentan wird z.B. die Energieversorgung in der Öffentlichkeit viel stärker thematisiert. Obwohl Wasser und Abwasser ein ständig aktuelles Thema sind.

Katharina: Genau deshalb fände ich es sinnvoll, wenn wir die Bevölkerung sensibilisieren würden für die vor uns liegenden Herausforderungen und wie Lösungen dafür aussehen könnten. Beispiel: Das Konzept der ‹Schwammstadt›. Wenn wir die Menschen mitnehmen, dann entsteht auch mehr Aufmerksamkeit.

«Ich fände es sinnvoll, wenn wir die Bevölkerung mehr für die vor uns liegenden Herausforderungen sensibilisieren würden, und wie Lösungen dafür aussehen könnten.

 

Katharina Schulthess, Umweltingenieurin, Projektingenieurin Siedlungsentwässerung bei Holinger AG

Philipp: Ja, das stimmt. Und es gibt viel, worüber wir berichten können, woran wir arbeiten. Aber ich denke, dass es dabei ebenso wichtig ist, dies nicht nur in Zusammenhang mit der Leistung unserer Unternehmen zu bringen, sondern das in den entsprechenden gesellschaftlichen Kontext zu setzen. Da bieten sich viele Kanäle an, auch die sozialen Medien.

«Es gibt viel, worüber wir berichten können, woran wir arbeiten. Da bieten sich diverse Kanäle an, auch die sozialen Medien.

 

Philipp Beutler, Wasserwirtschaftsingenieur, Projektleiter Siedlungsentwässerung bei Hunziker Betatech

Aber wo ist der Trigger zum Berufseinstieg? Der anspruchsvolle und gesellschaftlich höchst relevante Aspekt eurer Arbeit wird oft gar nicht mit diesen Berufen verbunden.

Damian: Eigentlich ein interessanter Gedanke, dass es anspruchsvoller ist, als es aussieht. Das sieht man auf Anhieb nicht. Schön wäre doch zu zeigen, dass die Wasserwirtschaft ein sehr breites Gebiet ist. Wir können Kräfte aus sehr vielen Fachrichtungen brauchen. Mit einer kleinen Umschulung oder etwas Arbeitserfahrung kann man sie sehr gut integrieren. Im Grunde wäre gerade die Vielseitigkeit eine Chance – auch um die Branche aufzufrischen. Aber dafür müssten wir mal an anderen Orten als den traditionellen suchen.

Sabine: Aber es ist auch so, dass die Sichtbarkeit unserer Berufe fehlt. Wir planen eine grösstenteils unterirdische Infrastruktur und die Abwasserreinigungsanlagen stehen meist weit ausserhalb. Die Öffentlichkeit bemerkt oft nur, wenn etwas nicht funktioniert, z. B. Gerüche entstehen. Das kann frustrierend sein. Wer nicht gerade im technischen Bereich arbeitet, der kennt unsere Herausforderungen nicht. So erhalten wir kein Verständnis für unsere Arbeit.

Philipp: Die Initiativen zur Schwammstadt1 sind doch etwas, womit wir Sichtbarkeit erlangen könnten.

Katharina: Wobei es wichtig ist, die Menschen mitzunehmen. Solche Konzepte müssen in die öffentliche Diskussion, sodass wir nicht bei jeder Retentionsanlage und jedem Spielplatz, der während Starkregen geflutet wird, Informationstafeln aufstellen müssen.

Philipp: Im Grunde sind wir vielleicht einfach auch Opfer des eigenen Erfolgs. Die Abwasserentsorgung funktioniert, unsere Gewässer sind ziemlich sauber, die Versorgung mit Trinkwasser ist sicher. Und für den Einzelnen ist das alles ganz einfach: Er oder sie bezahlt irgendwelche Gebühren über die Nebenkostenabrechnung an den Vermieter, die vergleichsweise marginal sind. Im Alltag hat man damit nichts weiter zu tun. Das ist ein absoluter Luxus. Aber genau das ist das Problem: Man weiss gar nicht, dass das nur deshalb so reibungslos funktioniert, weil da eine riesige Infrastruktur dahintersteckt, die ständig komplexer wird.

Wenn die Wertschätzung von aussen fehlt – woher holt ihr dann eure Motivation?

Philipp: Ich mache das, weil ich das Arbeitsfeld spannend finde. Da bin ich auf die Wertschätzung von aussen gar nicht wirklich angewiesen. Die Wasserwirtschaft hat so viele Schnittstellen, das macht sie so interessant. Und sie ist vergleichsweise krisensicher. Irgendeine Form von Wasserver- und Abwasserentsorgung muss funktionieren, überall auf der Welt.

Sabine: Ich finde es wichtig, dass man den Kontakt mit Menschen sucht, die am selben arbeiten. Dass man sich austauschen kann, egal ob im Büro oder in den Verbänden wie dem VSA, den Young Professionals oder dem Netzwerk der Wasseringenieurinnen.

Das heisst, ihr holt euch die Wertschätzung über den Austausch «von innen»?

Damian: Das ist definitiv eine Grundidee des VSA: Mit den Young Professionals ein Netzwerk zu haben, welches Berufseinsteiger:innen Anknüpfungspunkte liefert, und wo man sich austauschen kann. Es geht darum, den Einstieg zu erleichtern. Studierende erhalten die Möglichkeit, den Berufsalltag kennenzulernen. Dazu organisieren wir verschiedene Anlässe übers Jahr, mit Vorträgen und Exkursionen. Wir versuchen derzeit eine Online-Plattform aufzubauen und so ein Netzwerk ins Leben zu rufen, wo man rasch jemanden anschreiben kann, wenn man Fragen hat.

Philipp: Bei der Jungen DWA haben wir einen eigenen Messenger eingerichtet, der auch als Forum funktioniert. Damit geben wir denen, die sich an einem Präsenzanlass kennengelernt haben, eine Möglichkeit, sich auch online weiter auszutauschen und Fragen an alle zu stellen.

Reto: Es braucht definitiv auch die Unterstützung der Erfahrenen. Wenn man nach der Ausbildung auf eine Anlage kommt, dann hat man erstmal null Ahnung. Ich erinnere mich, im ersten Monat hatte ich wirklich einen dicken Kopf nach der Arbeit, so viel Inputs sind da täglich gekommen. Aber meine Kollegen hatten Freude daran, mir das Wissen zu vermitteln. Und es war mir persönlich wichtig, selbstständig Dinge zu erledigen, Maschinen in Betrieb zu setzen. Für mich ist es toll, dass die erfahrenen Kollegen da sind, und ich immer auf sie zurückgreifen kann. Bei uns im Betrieb ist es so, dass die als Nachfolger vorgesehenen Personen als Stellvertretungen eingesetzt werden. Sie erledigen dann Dinge gemeinsam und können so voneinander profitieren. Der Jüngere ist vielleicht am PC viel besser, die Organisation kennt der Ältere besser. Er bringt die Facherfahrungen ein. Zusammen sind sie ein gutes Team und so entsteht eine ganz neue Dynamik. Dabei ist es schön, dass die Jungen die Chance erhalten, Neues umzusetzen.

«Die Jüngeren sind vielleicht am PC viel besser, die Organisation kennen die Älteren besser. Zusammen sind sie ein gutes Team.»

 

Reto Keller, Klärwärter auf der Kläranlage Horgen, derzeit in Ausbildung zum Klärwerkfachmann mit eidgenössischem Fachausweis 

Fazit

Die Einschätzung, dass es schwierig bleiben wird, Nachwuchs zu finden und Stellen nachzubesetzen, überwiegt. Auch wenn der Mangel an Fachkräften in der Wasserwirtschaft schwer bezifferbar ist, weil konkrete Studien dazu fehlen. Ein Ausweg aus diesem Dilemma könnte nach Meinung der Diskussionsrunde gelingen, wenn die Berufsbilder mehr Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit erlangen und ihre Aufgaben und gesellschaftliche Verantwortung sichtbarer würden. Ebenso liesse sich damit eine höhere Wertschätzung dieser Berufsgruppen erreichen.

Es könnte sich also beispielsweise lohnen, auf Berufs- und Hochschulmessen oder zum Ende der Berufslehren in den Berufsschulen präsenter zu sein. Und hier Anknüpfungspunkte sowohl für die Erstausbildung als auch für konkrete Weiterbildungs- und damit Weiterentwicklungsmöglichkeiten in der Wasser- und Abwasserbranche zu liefern. Je früher auf dem Ausbildungsweg, desto besser.

Die Klimawandelfolgen und dafür ganz konkret die notwendigen Anpassungen der Infrastrukturen in der Wasserwirtschaft stellen eine grosse gesellschaftliche Herausforderung dar. Gerade junge Menschen suchen nach Sinn. Und dafür gäbe es sehr viel Potenzial in diesem Berufsfeld. Darüber sind sich alle einig.

1 ‹Schwammstadt› bezeichnet ein Konzept zu Rückhalt, Speicherung und Nutzung von Regenwasser und die Schliessung des lokalen Wasserkreislaufs anstelle des konventionellen, schnellen Abflusses von Regenwasser und dessen Ableiten in die Kanalisation.

Bildnachweis: iStock/Ponomariova_Maria

VSA Young Professionals

Der VSA will die jungen Berufstätigen in der Wasserwirtschaft fördern und den Austausch zwischen jungen und erfahrenen Wasserwirtschafter:innen stärken. Gleichzeitig erhofft sich der Verband, dass die Jungen mit ihrer Dynamik den Verband und die Branche beleben. VSA Young Professionals steht allen bis 35 Jahren offen.

www.vsa.ch/yp

Bundesbeiträge für eidgenössische Prüfungen

Die Kosten für eine Zusatzausbildung stellen für Interessierte oftmals eine Hürde dar. Seit Anfang 2018 können jedoch in der Schweiz Personen, die einen vorbereitenden Kurs für eine eidgenössische Berufsprüfung (‹mit eidgenössischem Fachausweis›) absolvieren, Bundesbeiträge beantragen. Dazu gehören auch die Ausbildungen zu Klärwerkfachfrau/-fachmann, Brunnenmeister:in oder Rohrnetzmonteur:in. Der Bund (Staatssekretariat für Bildung, Forschung und Innovation SBFI) übernimmt die Hälfte der anrechenbaren Kursgebühren (maximal Fr. 9'500).

Detaillierte Informationen unter www.sbfi.admin.ch