transfer Ausgabe 02 | 2019

Die wichtigen Unbekannten

Oder: Die kaum beachtete Arbeit der Klärwerkfachleute

Die Arbeit auf einer Kläranlage wird immer anspruchsvoller: Neue Verunreinigungen erfordern neue Verfahren und Prozesse. Aber auch aus Sicht des Gewässerschutzes entstehen immer höhere Anforderungen, die sich in strengeren Auflagen und Gesetzen ausdrücken. Demgegenüber steht die Rolle des Klärmeisters, der die gesamte Verantwortung hierfür trägt – in einem Job, den kaum einer kennt und der mancherorts kein sonderlich hohes Ansehen geniesst. Der Verband Schweizer Abwasser- und Gewässerschutzfachleute (VSA) bildet Menschen für diese Aufgabe aus. Wir haben mit Ruedi Moser über einen Beruf und eine Ausbildung ‹in Bewegung› gesprochen.

Herr Moser, Sie haben 15 Jahre lang die Grundkurse A1 und A2 zum Klärwärter bzw. zur Klärwärterin beim VSA verantwortet – eine Aufgabe im ‹Nebenamt›. Was hat sie ganz persönlich motiviert?

Der Gewässerschutz hat für mich eine zentrale Bedeutung. Damit dieser gelingt, müssen alle Beteiligten ihre Rolle wahrnehmen: Es gilt, Anlagen so bauen, dass das Klärwerkpersonal seine Aufgaben erfüllen kann. Wir brauchen auch eine Automatisierung, die dem Personal eine faire Chance gibt, die Prozesse zu überwachen und einzugreifen. Aber letztlich sind es die Klärwärter und Klärwärterinnen, die die Anlagen betreiben und warten. Sie entscheiden, wie gut Gewässerschutz gelingt.

Deshalb lohnt es sich, in diese Ausbildung zu investieren. Ich finde es sehr schade, dass dieser anspruchsvolle und vielseitige Beruf so wenig bekannt ist. Und ich wage zu behaupten, dass die meisten Menschen in der Schweiz nicht einmal genau wissen, wo sich die Kläranlage ihrer Gemeinde oder Stadt befindet. Sie haben ein fast grenzenloses Vertrauen, dass sich schon ‹irgendwer› um das Abwasser kümmert. Und zwar zuverlässig. Sie kommen erst gar nicht auf die Idee, dass das nicht so sein könnte. Und so haben sie auch keinerlei Interesse daran, wer das ist, wo das ist, was die Leute tun. Das ist doch schräg.

Kann man angehende Klärwerkfachleute in der Ausbildung auf die zukünftige Verantwortung vorbereiten, und sie in ihrer Aufgabe stärken?

Verantwortung ist ein anspruchsvolles Thema. Auch sie zu vermitteln ist schwierig. Aber das ist ein wichtiger Teil der Ausbildung. Gewässerverschmutzung ist letztlich ein Offizialdelikt. Das hat Brisanz. Meine Botschaft ist immer: Es geht um Transparenz und ums Informieren. Ich versuche den Schulungsteilnehmenden die Angst zu nehmen, im Falle des Falles ihrer Erfahrung zu vertrauen und ermutige sie zu handeln, Vorfälle rasch zu melden, nichts unter dem Deckel zu halten. Jüngere können damit eher besser umgehen als die Altgestandenen.

Ich denke, da kann man mit der Ausbildung schon etwas bewegen, und Hemmungen nehmen, Fehler zuzugeben. Natürlich ist der Kanton einerseits der Regulator, andererseits kann und will er aber ebenso helfen. Da stehen ausgezeichnete Fachpersonen zur Verfügung. Nur: Das ist ja alles vom Faktor Mensch abhängig, auf beiden Seiten. Letztlich melde ich es nicht dem Kanton, sondern einer Person. Da muss man sich eben mal treffen, persönlich kennenlernen. Und wenn das in guten Zeiten funktioniert, dann funktioniert es auch, wenn es mal eine Panne gibt. Ungut ist, wenn diese gegenseitige Akzeptanz nicht da ist. Das ist gefährlich.

Trotz ihrer grossen Verantwortung für unsere Gewässer und die Umwelt geniessen Klärwerkfachleute nicht wirklich ein hohes Ansehen und es fehlt die gesellschaftliche Anerkennung. Wie lässt es sich damit umgehen?

Das sind manchmal schon schwierige, mitunter fast schon ignorante Situationen. Da bin ich schon zuständigen Gemeinderäten begegnet, die nie einen Fuss in ihre ARA gesetzt haben. Das muss man dann vielleicht mal steuern und die nächste Sitzung auf der Kläranlage ansetzen (schmunzelt). Letztlich geht es doch um Wertschätzung. Die finden die Betriebsleute oft zunächst untereinander, bei Berufskollegen in ihrer Region. Ein wichtiges Ziel der Ausbildung ist deshalb die Vernetzung. Ich sage immer, wir Gewässerschutz-Fachleute müssen uns und unsere Erfolge auch mal selbst feiern.

Aber es gibt ja auch Anlässe mit Öffentlichkeit. Bei Neu- oder Umbauten beispielsweise wird ein Tag der offenen Tür veranstaltet. Oder wenn ein Regenbecken gebaut wurde, das unterirdisch liegt und das man überhaupt nicht sieht. Da ist man definitiv weiter als noch vor 15 Jahren. Heute geschieht das proaktiver. Genauso kommen Schulklassen auf die Kläranlage. Oft ist das der einzige Anlass, an dem ein Mensch eine ARA von innen sieht. Und dieser Moment muss dann einfach ein Erfolg sein. Solche Schulführungen werden von Klärwerkfachpersonen oft mit viel Herzblut durchgeführt.

«Es sind die Klärwerk­fachpersonen, die entscheidend sind, wie gut Gewässerschutz gelingt.»

Ruedi Moser, Dipl. Umweltingenieur ETH; Geschäftsbereichsleiter und Partner der Hunziker Betatech AG; langjähriger Kursleiter und Fachlehrer in der Schulung für Klärwerkfachleute VSA

Öffentlichkeitsarbeit ist demnach wichtig. Ist das auch ein Ausbildungsthema?

Das ist durchaus ein Thema, ja. Und es ist eine Aufgabe, aber die ist dem Betrieb und dem Unterhalt natürlich nachgeordnet. Trotzdem muss man das machen. Im Sommerloch einen Journalisten zu ‹einem Tag auf der ARA› bitten. Oder seinen Turnverein einladen, den Arbeitsplatz zeigen, anschliessend einen Apéro spendieren. Es braucht Engagement. Allerdings stellen solche Anlässe für Klärwärter manchmal eine Herausforderung dar. Sie sind oft nicht die Extrovertierten, sie arbeiten im Hintergrund und haben das auch gern so. Das ist ja irgendwie auch kein Wunder: Jahr und Tag sind sie allein oder mit ihrem kleinen Team auf der Anlage, und niemand interessiert sich.

Stichwort: Digitalisierung. Sie macht auch vor Kläranlagen nicht halt. Wie gehen die Personen auf den Anlagen und Sie in der Ausbildung damit um?

Da trifft man ganz affine Typen, für die der Rundgang auf der ARA mit dem Tablet in der Hand Arbeitsalltag ist. Und es gibt eben solche, die doch lieber das Papier haben. Das ist dann auch in der Ausbildung so. Den Laufmeter Schulungsordner könnte man genauso elektronisch haben (schmunzelt). So gibt es Interessierte, die wirklich alles aus ihrem Leitsystem herausholen, die das förmlich zelebrieren. Und man erkennt ja den Nutzen, den beispielsweise die Sensortechnik bringt. Trotzdem: Auf der ARA braucht es auch Gefühl, Gespür, Gehör für die Anlage. Und die Fähigkeit das Equipment warten und z.B. Pumpen zerlegen zu können. Auf der ARA kann man eben nicht alles ‹dem Digitalen› überlassen. Nach dem Motto ‹im Prozessleitsystem ist alles auf Grün, da verzichte ich auf den Rundgang›. Das reicht nicht. Ich muss zum Nachklärbecken gehen, schauen, ob es Schaum hat, ob sich etwas verändert hat. Riecht es anders, sieht es anders aus, tönt es anders? Das ist sehr wichtig, und darauf legen wir auch in der Ausbildung Wert.

«In der Vergangenheit unterschätzten Gemeinden häufig die Aufgabe des Klärmeisters und liessen das jemanden noch ‹mitmachen›. Diese Situation hat sich deutlich verbessert.»

Kann man dies in einer Ausbildung vermitteln?

Das ganze Handwerk 1:1 in der Grundausbildung abzubilden gelingt kaum. Was wir deshalb fordern, ist, dass die Lehrgangsteilnehmenden vorgängig ein halbes Jahr, ein Jahr auf der Kläranlage mitgearbeitet haben. Dann kennen sie den Alltag und waren mit der einen oder anderen Fragestellung schon mal konfrontiert. So leben Schulungen vom Erfahrungsaustausch. Ohnehin basiert vieles auf der Kläranlage auf Erfahrung, deshalb ist der Austausch auch so wichtig.

Die Ausbildung wird immer umfangreicher, die Anforderungen im Betrieb der Anlagen werden immer höher. Welches Profil hat der Klärmeister von heute?

Basisqualifikationen sind nach wie vor die handwerklichen Berufe: Elektriker, Schlosser, Landmaschinenmechaniker beispielsweise. Daran hat sich nichts geändert. Und: Es sollte eine kommunikative Person sein. Kommunikation ist mit etwas vom Wichtigsten, gegenüber dem Kanton, aber auch in der persönlichen Umgebung, im Verein, am Stammtisch. Die Arbeit präsentieren können, Wertschätzung erreichen. Obschon das Recruiting anspruchsvoll ist und ein Arbeitgeber nicht immer von Bewerbungen überschwemmt wird: Er sollte sich nicht nur aufs Fachliche, aufs Formale konzentrieren.

In der Vergangenheit kam es schon vor, dass man seitens der Gemeinde unterschätzte, welche Aufgabe hinter der des Klärmeisters steht, was seine Arbeit bedeutet. Und dann jemanden suchte, der das eben noch ‹mitmacht›. Diese Situation hat sich stark verbessert.

Last but not least: Die Ausbildung ist aufwändig, sie ist kostspielig. Das wird mitunter kritisiert.

Die Ausbildung zum Klärwerkfachmann bzw. zur Klärwerkfachfrau mit eidgenössischem Fachausweis dauert in der Regel vier Jahre. Aber das ist kaum anders zu machen, denn die Ausbildung ist ja Teil des Jobs. Und mehr als zwei oder drei Abwesenheiten des Klärwerkmitarbeiters von jeweils einer Woche zum Besuch der Ausbildungsmodule sind für die Betreiber kleiner und mittlerer Anlagen kaum zu verkraften.

Damit sind auch erkennbare Kosten verbunden, das ist richtig. Doch die Gemeinden und Verbände sind als Betreiber in der Pflicht. Um einen sogenannten ‹fachgerechten Betrieb› ihrer Kläranlagen sicherstellen zu können, braucht es ausgebildetes Fachpersonal. Für die ganz kleinen Anlagen reicht mitunter aber die Grundausbildung zum Klärwärter bzw. zur Klärwärterin VSA. Das ist von Fall zu Fall mit der Aufsichtsbehörde zu klären.

Die Ausbildung der Klärwerkfachleute durch den VSA erfolgt durch Berufsleute im ‹Nebenamt›. Sehen Sie, auch zurückblickend, darin eher Vor- oder Nachteile?

Das Milizsystem wird mit dieser Ausbildung ziemlich stark strapaziert. Immer wieder braucht es Fachleute, die einen Teil darin übernehmen. Es ist für die Lehrpersonen eine mitunter grosse Herausforderung, dies neben ihrer eigentlichen Berufsaufgabe unterzubringen. Dazu kommt, dass eine solche Ausbildung auch organisatorisch aufwändig ist. Dafür gibt es glücklicherweise seitens der VSA-Geschäftsstelle professionelle Unterstützung. Natürlich versuchen wir, die Themen und Aufgaben auf möglichst viele Schultern zu verteilen und so das Ausbildungskonzept etwas ‹milizverträglicher› zu gestalten. Das macht die Ausbildung allerdings nicht günstiger. Zudem müssen wir ja davon ausgehen, dass in den kommenden Jahren eher mehr Personen die Ausbildung besuchen. Und dass die Ausbildung noch anspruchsvoller werden wird.

Aus meiner Sicht hat diese Form jedoch einen immensen Vorteil: Die angehenden Klärwerkfachleute begegnen den verschiedensten Referenten, jede und jeder ein Spezialist in seinem Bereich, die dazu die ganz aktuellen Fragestellungen aus ihrem Berufsalltag einbringen. Das ist eine grosse Chance.

Herr Moser, herzlichen Dank für das Gespräch.

‹Fachgerechter Betrieb› – nur mit Fachpersonal

In der ‹Vollzugshilfe für zentrale Abwasserreinigungsanlagen› des Bundesamts für Umwelt steht in Kapitel 2 zum Thema ‹Fachgerechter Betrieb›:

«(…) Die für den Betrieb verantwortlichen Personen müssen über die erforderlichen Fachkenntnisse verfügen und in der Lage sein, Unregelmässigkeiten im Betrieb rasch zu erkennen und die geeigneten Massnahmen einzuleiten. (…) Die Verantwortlichen für den Betrieb von ARA und deren Stellvertreter müssen über den eidgenössischen Fachausweis verfügen. Für kleinere und wenig komplexe Anlagen können in Absprache mit der Behörde auch weniger strenge Anforderungen an die Ausbildung des Personals gestellt werden (z.B. Fachausweis VSA/FES). (…) (Auch) Aushilfs- und Pikettpersonal, das regelmässig eingesetzt wird, muss in der Lage sein, seine Aufgaben fachgerecht zu erfüllen. (…)»

Der Verband Schweizer Abwasser- und Gewässerschutzfachleute (VSA) und die Groupe romand pour la formation des exploitants de station d’épuration (FES) bieten Blockkurse für die Grund- und Fachausbildung sowie die Weiterbildung des Klärwerkpersonals an.

Weitere Informationen können Sie auf der Webseite des VSA Schweiz nachlesen.