transfer Ausgabe 02 | 2021

Der Motor für die Zukunft

Mit Digitalisierung den Durchblick behalten und Fachkräfte gewinnen

Die Ansprüche an den nachhaltigen Umgang mit Abwasser und dessen Reinigung steigen. Anlagen und Projekte werden entsprechend komplexer. Gleichzeitig droht ein Mangel an Fachkräften. Purena möchte durch die Digitalisierung beide Herausforderungen lösen. Für den technischen Geschäftsführer Thomas Meyer ist klar: Eine zentrale Voraussetzung dafür wird ein in sich geschlossenes und durchgängig vernetztes System aus Datenerhebung, -auswertung und - dokumentation sein.

Herr Meyer, Sie treiben bei Purena die technischen Entwicklungen voran. Mit welchen Themen beschäftigt sich ihr Unternehmen?

Wir sind eines der grösseren wasserwirtschaftlichen Unternehmen in Niedersachsen und arbeiten mit zahlreichen Kommunen in unterschiedlichsten Geschäftsmodellen zusammen.

Rund 485 000 Einwohnerinnen und Einwohner werden von uns mit Trinkwasser versorgt, das Abwasser entsorgen wir von etwa 150 000 Menschen und Unternehmen. Über die Jahre entwickelten wir uns weiter zu einem modernen Technik-Dienstleister: Wir unterstützen Kommunen inzwischen ebenso mit flexiblen und wirtschaftlichen Services und Komplettlösungen. Dazu gehören beispielsweise die Führung von Bau- und Betriebshöfen, die Betreuung von Bäderbetrieben, die Projektierung von Kläranlagen sowie die Klärschlammverwertung.

Unsere Ingenieure arbeiten dabei nicht nur für uns, sondern auch für Dritte. Dadurch stehen unsere Spezialisten immer wieder vor neuen Herausforderungen und sich ändernden Rahmenbedingungen. Sie müssen innovativ und auf dem Laufenden bleiben. Das ist bei Purena seit jeher so, so ist auch unsere Unternehmenskultur entstanden. Und das ist enorm wichtig. Sonst sieht man sich mit einem schleichenden Know-how-Verlust konfrontiert und ist irgendwann nicht mehr in der Lage, Antworten auf die Herausforderungen der Wasserwirtschaft von morgen zu finden.

«Bei der Entwicklung nachhaltiger Konzepte sind wir auf digitale Systeme angewiesen. Sonst bekommen wir die Komplexität nicht mehr in den Griff.»
 

Thomas Meyer, technischer Geschäftsführer, Purena GmbH

Welche Herausforderungen sind das?

Allen voran müssen wir nachhaltige Lösungen entwickeln, um die natürlichen Ressourcen unseres Planeten zu erhalten. Nachhaltigkeit ist für mich nicht nur eine leere Worthülse. Für den Betrieb unserer Anlagen verwenden wir beispielsweise ausschliesslich grünen Strom aus erneuerbaren Energiequellen und leisten so einen Beitrag zum Klimaschutz und der Energiewende. Es steigen aber auch die Ansprüche von Seiten der Kommunen. Man erwartet nachhaltige Konzepte von uns. Wollen wir als Unternehmen in der Wasserwirtschaft bestehen, müssen wir uns also damit beschäftigen.

Wir werden zukünftig vermehrt aufeinanderfolgende Trockenjahre erleben, die von kurzzeitigen Starkregenereignissen geprägt sind, wie bereits in den Jahren 2018 bis 2020. Daher müssen wir Strategien entwickeln, um sinnvoller mit dem Regen- und Brauchwasser umzugehen. Überlegen, wie es mehrfach genutzt werden kann. Das betrifft nicht nur das Haus. Vielleicht lässt sich ja das Kühlwasser aus der nahegelegenen Industrie nutzen, um es in der Landwirtschaft zu verregnen. Damit stünde es dem Boden zur Verfügung und würde einen zusätzlichen Beitrag zur Grundwasserneubildung leisten. Auch Regenwasser dürfen wir nicht einfach direkt aus den Städten in die Nordsee ableiten, so wie wir das damals im Studium gelernt haben. Im Sinne der Nachhaltigkeit sollte man Ressourcen direkt dort nutzen, wo sie vorhanden sind. Das sind die zukünftigen Konzepte. Daran werden wir zukünftig gemessen und daran arbeiten wir auch. Ein Beispiel hierfür ist eine Water-Reuse-Anlage für einen Lebensmittelbetrieb, die wir gerade planen. Dort führen wir etwa 60 % des gereinigten Abwassers über Umkehrosmose wieder in den Betrieb zurück – mit Trinkwasserqualität.

Das klingt ganz schön komplex.

Genau da liegt das Problem. Die Komplexität von Projekten und Anlagen wird weiterwachsen, sodass sie ohne digitale Hilfsmittel nicht mehr vernünftig in den Griff zu kriegen ist. Und bei digitalen Lösungen haben wir in Deutschland durchaus Aufholbedarf. Da sprechen wir noch gar nicht von künstlicher Intelligenz, sondern erst mal von der reinen Vernetzung unserer Systeme. Dadurch könnten wir beispielsweise auch relativ einfach den Hochwasserschutz verbessern, der ja zunehmend wichtiger wird. Für eine Kommune arbeiten wir diesbezüglich aktuell an einem großen Konzept für ein Vorwarnsystem. Die Kapazität von Anlagen auf einen 100-Jahres-Regen auszulegen, ist keine Option. Das ist schlichtweg nicht machbar und viel zu teuer. Unsere Anlagen sind auf einen 3-Jahres-Regen ausgelegt. Die notwendigen Kanäle würden sonst aus der Straße ragen (schmunzelt). Deshalb müssen wir uns überlegen, welche Areale wir mit welchen Massnahmen gegen extreme Starkregenereignisse vernünftig schützen können. Und dafür sind wir auf digitale Technik angewiesen. Schon der ganz ordinäre Betrieb muss deshalb weiter digitalisiert werden. Das ist wirklich wichtig.

Kann diese Form der Digitalisierung auch gleichzeitig eine Lösung für den Fachkräftemangel in Ihrer Branche einleiten? Werden Sie weniger Fachpersonal benötigen?

Digitale Systeme helfen dabei, Personal zu entlasten, indem sie einfache Aufgaben automatisiert übernehmen – klar. Sie werden aber vor allem ‹langweilige› Aufgaben abfangen. Ohne Fachkräfte wird es keine zukunftsfähigen Konzepte geben können. Ich sehe durch die Digitalisierung sogar eine Wachstumschance für Purena. Digitalisierung ist für mich einer der Motoren, um Fachkräfte zu finden.

Der Fachkräftemangel wird sich in den nächsten Jahren noch massiv verschärfen. Wir müssen deshalb nach Wegen suchen, von Fachkräften als attraktiver Arbeitgeber wahrgenommen zu werden. Digitale Systeme mit intelligenten Oberflächen, die man gerne bedient, die Freude machen, damit zu arbeiten, sind sicher ein Schlüsselelement. Damit können Nachwuchstalente dann interessante Aufgabenstellungen lösen. Die attraktivsten Arbeitgeber sind heutzutage schliesslich jene mit den interessantesten Aufgaben. Und diejenigen Unternehmen, die die besten Leute haben, werden zukünftig erfolgreich sein. Wer das übersieht, geht unter. 

Sie sagen, die Digitalisierung ist in Deutschland noch wenig weit fortgeschritten. An welchen interessanten Aufgaben arbeiten Ihre Ingenieure gerade, um etwas dagegen zu unternehmen?

Unser Team arbeitet aktuell an ‹RECYBA›. Das steht für ressourceneffiziente cyberphysikalische Abwasserbehandlungsanlagen. Das Förderprojekt umfasst eine Datendrehscheibe, sprich: sicher aufgebaute und durchgängig vernetzte Automatisierungssysteme, und eine Auswertesoftware. Damit wollen wir Erkenntnisse erlangen, um unsere Anlagen zu optimieren. An unseren Standorten wird ohnehin gerade ein neues Prozessleitsystem aufgebaut. Ein guter Zeitpunkt, um RECYBA zu integrieren.

Die Entwicklung der Anlagenleistung muss zu jeder Zeit in Echtzeit ersichtlich sein. Deshalb werden wir auch Energie-Unterzähler installieren, um den Stromverbrauch unserer Aggregate zu überwachen. Die Auswertesoftware, in die auch diese Daten fliessen, soll dann den Finger auf die Wunde legen und Potenziale aufzeigen. Wir müssen gemäss ISO 50001 Berichte abgeben und bei Auffälligkeiten plausibel Gegenmassnahmen begründen. Nur bisher habe ich noch keine Software gefunden, die das für die Wasserwirtschaft durchgängig bietet und die gleichzeitig bedienerfreundlich ist. Deshalb werden wir diese selbst entwickeln.

«Die Unternehmen mit den besten Leuten werden zukünftig erfolgreich sein. Wer das übersieht, geht unter.»

Durch Vernetzung komplexer Systeme Potenziale aufzeigen – das klingt einleuchtend. Aber wie können kleinere Kommunen mit einfacher aufgebauten Topologien profitieren?

In Zukunft wird es noch herausfordernder sein als heute, hochqualifizierte Abwassermeister zu finden. Gerade auch für die vielen kleineren Gemeinden, beispielsweise im ländlichen Raum, kann deshalb die digitale Betriebsführung eine Lösung bieten. Diese ersetzt zwar nicht komplett die Sinne des Klärmeisters, aber sie kann Anlagen bereits über einfach zu erfassende Kenngrössen gut überwachen. Sind beispielsweise Leitfähigkeit, Temperatur und pH-Wert beim Zulauf bekannt, merkt das System sofort, wenn etwas eingeleitet wird. Der Schieber geht zu, es gibt keine Folgeschäden. Nötig dafür ist natürlich ein kleines Ausgleichsbecken. Damit gewinnt man Reaktionszeit und kann falls nötig vor Ort fahren, um sich ein Bild der Situation zu machen. Aber auch in der Anlage selbst könnte man aus der Ferne beispielsweise mit Infrarotkameras einfach die Wasseroberfläche beim Belebungsbecken und beim Nachklärbecken inspizieren. 

Wie sehen Ihre konkreten Pläne für die nächste Zeit mit RECYBA aus?

Unser Plan für die erste Phase ist, dass Kunden in einer Web-Applikation einfache Betriebsparameter eingeben können. Durch das von uns integrierte Know-how sollen sie dann unmittelbar konkrete Optimierungspotenziale für bestimmte Bereiche erhalten.

Schlussendlich streben wir die Vernetzung der verschiedenen Anlagen mitsamt einem digitalen Benchmarking an. Da sprechen wir dann aber wirklich von künstlicher Intelligenz. Bis es so weit ist, liegt noch ein gutes Stück Arbeit vor uns. Aber das ist das Gute an der Sache: Mit den Anforderungen durch den Klimawandel und die Energiewende wird unseren Entwicklern in den nächsten Jahren mit Sicherheit nicht langweilig werden.

Herzlichen Dank für das Gespräch.

Bildnachweis: iStock/CHUNYIPWONG (Titelbild), PurenaGmbH