transfer Ausgabe 01 | 2019

2100: Zukunft der Wasser­kraft

Klimawandel birgt Herausforderungen und Chancen

Betreiber von Wasserkraftwerken benötigen für die Planung ­ihrer Einrichtungen und deren Betrieb Angaben über mittel- und langfristige Entwicklungen des verfügbaren Wassers. Allerdings reagiert der Wasserkreislauf im Alpengebiet besonders sensibel auf die Klimaerwärmung. Im Synthesebericht ‹Auswirkungen der Klimaänderung auf die Wasserkraftnutzung› wird für die Schweiz ein Ausblick bis ins Jahr 2100 gegeben.

Bis zum Ende dieses Jahrhunderts wird sich das Klima in der Schweiz spürbar verändern. Temperaturen werden ansteigen, Niederschlagsmengen sich regional verändern und der Abfluss wird sich jahreszeitlich verschieben. Diese Faktoren sind auch unmittelbar im Wasserkreislauf zu spüren. Insbesondere der Alpenbogen wird mit einer Erwärmung um 3 bis 4,5 °C besonders stark betroffen sein. Gleichzeitig nimmt der Jahresniederschlag zu. Auffallend ist, dass Gebiete mit heute grosser Niederschlagsmenge einen deutlichen Rückgang spüren werden, während in niederschlagsarmen Regionen mehr Regen und Schnee fallen wird. Als Konsequenz wird es im Winter mehr Abfluss geben, während im Spätsommer oder Herbst mit deutlich weniger ­Abfluss zu rechnen ist.

Rückgang von Eis und Schnee

Besonders deutlich sichtbar wird die Klimaänderung am Rückgang der Gletscher und des Schneefalls. Heute speichert die Schneedecke abhängig von der Witterung im Winter bis zu 20 Milliarden Kubikmeter Wasser. Die Gletscher verfügen heute über eine Reserve von rund 60 Milliarden Kubikmeter Wasser, was dem durchschnittlichen Jahresniederschlag der Schweiz entspricht. In Zukunft wird der Winter um bis zu acht Wochen kürzer werden und selbst hochgelegene Gebiete im Sommer schneefrei sein. Die Ausdehnung der Gletscher wird bis 2100 nur noch 15% betragen und ­deren Schneereserven-­Maximum um 70% abnehmen. Durch das Abschmelzen werden jedoch bis zu 500 neue Seen mit einem ­Volumen von zwei Kubikkilometern (Stauseen heute: vier Kubikkilometer) entstehen. Neue Seen bedeuten möglicherweise auch neue Chancen für die Wasserkraft. Sie bergen aber auch ein Risiko: Da die Bergflanken durch die Gletscherschmelze destabilisiert werden, ergiessen sich ­diese möglicherweise als Bergstürze und Hangrutschungen in die neu entstandenen Seen. Die Gefahr von Flutwellen, die bis ins Tal vordringen ­können, steigt.

Stärkere Erosion führt zu mehr Geschiebe

Die durch den Gletscherrückgang freigelegten Sedimente werden als Geschiebe abtransportiert werden. Zwar können die neu entstehenden Seen dieses an manchen Orten sicher zurückhalten, an anderen Stellen wird es jedoch zu Problemen führen. So kann der Feststofftransport aus den Einzugsgebieten der Wasserkraftanlagen zur Verlandung von Stauseen, zur Abnutzung von Turbinen und zu Beschädigungen an den Wasserfassungen führen. Dies bringt hohe Betriebs- und Unterhaltskosten für die Betreiberfirmen mit sich. Insbesondere unbewachsene und steile Bereiche von Gletschermoränen, die durch das Auftauen des Permafrostes instabil werden, sind anfällig für Erosion. Da die Abflussmenge des Gerinnes dessen Transportkapazität bestimmt, sind Starkniederschlagereignisse besonders kritisch.

Betreiber vor neuen ­Herausforderungen

Pauschale Aussagen über die Zukunft der Wasserkraft in der Schweiz vor dem Hintergrund des Klimawandels lassen sich nur schwer treffen. Dafür sind die Elemente, welche die einzelnen Kraftwerke beeinflussen können, individuell zu unterschiedlich. Abhängig von der geographischen Lage, den Zubringerflüssen, der Kraftwerksart und anderen Faktoren sind unterschiedliche Chancen und Herausforderungen zu erwarten. Dies jedoch gilt als sicher: Langfristig werden die Jahresabflussmengen in den vergletscherten Gebieten abnehmen und das saisonale Abflussmaximum dürfte sich um drei bis sechs Wochen in Richtung Frühjahr verschieben. Da der Abfluss über das Jahr besser verteilt wird, können Laufkraftwerke und andere Anlagen ohne Speichermöglichkeit damit sogar mehr Strom produzieren als früher. Allerdings werden in trockenen Jahren die Abflussminima deutlich unter heutigen Werten liegen. Betreiber müssen daher frühzeitig für ihre Anlagen passende Massnahmen setzen.

Mehr zum Thema: Dominique Durot berichtet über bereits heute spürbare Auswirkungen des Klimawandels bei den Kraftwerken Hinterrhein (KHR). Zum Beitrag

Bildnachweis: iStock/kokouu

Synthesebericht ‹Auswirkungen der Klimaänderung auf die Wasserkraftnutzung›

In verschiedenen Projektgruppen wurden die Veränderungen des Kraftwerksbetriebes, des saisonalen Abflusses, des Geschiebe­triebes und der Vergletscherung in der Schweiz bis zum Jahr 2100 erarbeitet und in verschiedenen Szenarien beschrieben. Im 2011 veröffentlichten Synthesebericht sind die Ergebnisse der wahrscheinlichsten Szenarien zusammengeführt. Als Basis für die Prognosen wurde das Treibhausgas-Emissionsszenario A1B des ‹Zwischenstaatlichen Ausschusses für Klimaänderungen› (IPCC) verwendet. Demzufolge ist ein Anstieg der weltweiten Durchschnittstemperatur um 2,8 °C bis zum Ende dieses Jahrhunderts wahrscheinlich.

Den gesamten Synthesebericht können Sie auf der Website des Geographischen Instituts der Universität Bern nachlesen.