transfer Ausgabe 01 | 2020

Gesamthaft effizient

Stromproduktion durch Trinkwasser in Sarnen

Die Wasserversorgung der Energiegemeinde Sarnen nutzt auf einem fast 1'000 Meter hohen Gefälle Trinkwasser zur Stromproduktion. Zusammen mit Solaranlagen auf den Reservoir-Dächern erzeugt sie so ab 2023 3 MWh Strom aus erneuerbaren Energien pro Jahr – genug für ein Fünftel der Sarner Bevölkerung. Für die energieeffiziente Ressourcennutzung erhielt die Wasserversorgung im März 2019 den InfraWatt-Innovationspreis.

Ganz schön komplex

Die Trinkwasserversorgung Sarnen ist speziell. Rund 9'300 Einwohner im Einzugsgebiet erhalten ihr Wasser aus 17 Quellfassungen, 15 Reservoiren und einem Grundwasserpumpwerk, die zusammen eine Höhendifferenz von fast 1'000 m umfassen. Die Streusiedlung entlang des Gefälles macht die Verteilung komplex: Das Leitungsnetz umfasst nahezu 50 Zonen auf einer Länge von knapp 200 km.

Viele kleine Wasserversorgungen im Einzugsgebiet wurden in der Vergangenheit nach und nach in den Werken Sarnen zusammengefasst. Die dabei entstandene Komplexität war ausschlaggebend dafür, dass sich Sarnen 2008 für eine umfassende Sanierung entschied. «Hydraulisch und versorgungstechnisch war die Situation nicht mehr optimal», schildert Leo Zberg, Brunnenmeister bei der Wasserversorgung Sarnen, die Motivation für das Projekt. Es sei zwar genügend Wasser aus den höhergelegenen Quellen vorhanden gewesen, dieses konnte jedoch nicht vollumfänglich an die benötigten Netzteile abgegeben werden, und die Grundwasserpumpe musste des Öfteren einspringen.

Ideale Voraussetzungen für Trinkwasserkraft

Mit dem Projekt wollte Zberg das gesamte Netz energetisch optimieren – nicht zuletzt deshalb, weil Sarnen eine zertifizierte Energiegemeinde ist. «Durch die Sanierung benötigen wir beispielsweise unsere Grundwasserpumpe nur noch zum Überbrücken, falls wir bei schlechtem Wetter Trübungen im Zufluss haben», freut sich Zberg.

Die Topografie in Kombination mit der hohen Wassermenge aus den Quellen bot zudem ideale Bedingungen für die Turbinierung des Trinkwassers. «Durch die grosse Höhendifferenz musste der Wasserdruck ohnehin mehrfach reduziert werden. Dort, wo bauliche Massnahmen notwendig waren, haben wir deshalb geprüft, ob zur Druckreduktion Turbinen eingebaut werden könnten», erklärt Zberg die Überlegungen in der Anfangsphase des Projektes. Entscheidender Vorteil der Turbinen: Druckreduzierschächte können eingespart werden.

«Den Wasserdruck müssen wir ohnehin brechen. Und da war es eben sinnvoll, dabei Strom zu erzeugen.»

Im Zuge des Projektes entschied man sich dazu, auch die beim Neubau der Reservoire entstandenen Dachflächen sinnvoll zu nutzen. Die Solaranlagen auf vier Reservoiren erzeugen 25'000 kWh Strom pro Jahr. «Dank der schwarzen Photovoltaik-Paneele integrieren sich die Reservoire so zudem deutlich unauffälliger in die Landschaft als der reine Beton», ist Leo Zberg von den Anlagen angetan.

Ganz ohne Hürden?

Das Projekt läuft seit 2010, etwa zwei Drittel sind umgesetzt. Mit der Fertigstellung rechnet der Brunnenmeister im Jahr 2023. Die zehn Turbinen und vier Photovoltaikanlagen sollen dann den Strombedarf von 600 Sarner Haushalten decken.

Ein Projekt dieser Grössenordnung birgt die eine oder andere Herausforderung beim Leitungsbau. «Für eine Turbine mussten wir 3 km Leitung verlegen, auf einer Höhendifferenz von 450 m. Das ging nur noch mit dem Helikopter», erinnert sich Zberg zurück.

Die vielen Naturschutzzonen und Gewässerräume sowie der geltende Moorschutz mit nationaler Bedeutung machten zahlreiche Abstimmungen mit Behörden nötig. «Diese so früh wie möglich ins Boot zu holen ist zentral für den Projekterfolg», nimmt Zberg einen Lerneffekt mit. Überhaupt sei es wichtig, in der Anfangsphase genügend Zeit in Planung und Konzept zu investieren.

«Man sollte sich am Anfang genügend Zeit nehmen, alles sauber abzuklären.»

Bei den betroffenen Grundeigentümern fehle manchmal das Verständnis für den Bau neuer Leitungen und Reservoire. «In den allermeisten Fällen konnten wir bisher jedoch gemeinsam äusserst unkomplizierte Lösungen finden», erinnert sich Leo Zberg zurück.

Karten auf den Tisch

20,75 Millionen Franken betragen die Projektkosten. Einem Investitionskredit dieser Höhe stimmt die Bürgerschaft nicht selbstverständlich zu. Die Sarner Bevölkerung stimmte 2010 dennoch mit ‹Ja› für die neue Wasserversorgung.

Der Schlüssel für diesen Erfolg ist für Zberg die gesamthafte Herangehensweise beim Projekt: «Wir haben den Stimmbürgern von vorn herein den kompletten Projektumfang mit den gesamten Kosten dargelegt.» Eine Gemeindeversammlung für jedes Teilprojekt sei ohnehin nicht zielführend, denn das Versorgungskonzept funktioniere nur als Gesamtkonstrukt.

Eine Frage der Haltung

Auch für die gewünschten Trinkwasserkraftwerke gelang eine schlüssige Argumentation: Die Turbinen waren über die Nutzungsdauer gerechnet zumindest kostenmässig neutral zu bewerten. Aufgrund zusätzlicher Baugruppen wie Transformator oder Steuerung sowie den benötigten Stromleitungen sind sie kostenseitig zwar nicht vergleichbar mit einem regulären Druckbrecher. Dank der grossen Fallhöhe des Wassers werden sie sich aber langfristig rentieren – dessen ist sich Leo Zberg sicher.

«Die Turbinen sind praktisch wartungsfrei, und der Betrieb ist wirklich unkompliziert. Davor muss man als Versorger keine Angst haben.»

Die Werke Sarnen haben sich jedoch nicht des Geldes wegen für die Turbinierung entschieden. «Den Druck müssen wir brechen. Und da ist es doch sinnvoll, dabei Strom zu erzeugen», ist Zberg überzeugt. Seiner Einschätzung nach finde bei Brunnenmeistern generell ein Umdenken statt, solche Projekte genauso mit dem Blick auf den vermehrten Einsatz erneuerbarer Energien zu realisieren, und nicht wegen der monetären Rentabilität.

«Man muss das Langfristige, das Sinnvolle darin, und nicht immer nur den Franken sehen.»

«Die Sanierung war aufwändig, deshalb war es unumgänglich zur Finanzierung die Wasserpreise zu erhöhen. Aber auch das haben wir von Beginn an klar kommuniziert.» Doch selbst jetzt liegt der Bezugspreis immer noch im Schweizer Durchschnitt. Und Zberg ist sich sicher, dass dieser dank zukünftig geringerer Investitionen sowie den Einnahmen aus der Stromproduktion mittel- bis langfristig wieder reduziert werden kann.

Optimierung der Optimierung

«Wir haben mit dem Projekt erreicht, was wir uns vorgenommen haben. Und das, was wir gemacht haben, haben wir wirklich gut gemacht», sagt ein stolzer Leo Zberg. Das sah offensichtlich auch der Verein ‹InfraWatt› so, der die Vergabe des Innovationspreises 2019 für das Projekt verkündete. Nicht zuletzt dadurch wurden andere Werke auf die Sarner Lösung aufmerksam. Erste Gespräche mit Versorgern auf der Suche nach Anreizen für ähnliche Vorhaben gab es bereits.

Inzwischen wurde noch weiteres Potenzial zur Optimierung entdeckt: Dank der Netzsanierung kann inzwischen so viel Wasser ins unterste Reservoir geleitet werden, dass dieses sogar noch auf den letzten 90 Höhenmetern turbiniert werden könnte. «Dann haben wir wirklich alles ausgenutzt», schliesst der Brunnenmeister zufrieden ab.