transfer Ausgabe 02 | 2019

Als man zu ‹Programmieren› noch ‹Löten› sagte

Was sich in vier Jahrzehnten so alles (nicht) ändert

Vierzig Jahre sind es inzwischen. So lange arbeitet Josef Stocker bereits für Rittmeyer. Und für die Wasserkraft. Was hat den Projektingenieur bewegt, Unternehmen und Branche die Treue zu halten? Und was hat sich in dieser Zeit verändert? Bei einem Kaffee hat er uns davon erzählt.

Baar, Inwilerriedstrasse 57, das Rittmeyer-Hauptgebäude. Josef Stocker holt uns am Empfang ab. Fröhlich begrüsst er uns. Wir gehen Richtung Besprechungszimmer im ersten Stock. Vorbei an einem grossen, offen gestalteten Raum mit vielen bunten Stühlen. Gemütliche Sitzgruppen, ein Tischfussballspiel. Da und dort trinkt eine kleine Gruppe Kaffee, lacht, bespricht bestimmt eine neue Projektidee. Man sieht, hier darf man kreativ sein. Fast ein bisschen wie im Silicon Valley fühlt man sich.

Oben angekommen dann doch etwas klassischer. Tastaturgeräusche werden lauter, Ingenieure diskutieren an ihren Schreibtischen über ihre Projekte. Daneben nehmen wir im ruhigen Besprechungszimmer Platz. Kurze Pause, sein Hemd in hellem Türkis fällt auf – passend zur Unternehmensfarbe, könnte man meinen. Eines spürt man jedenfalls sofort: Josef Stocker macht das gerne, was er macht.

Los geht’s, am besten fangen wir beim Anfang seiner Laufbahn an, sagen wir. Der 62-jährige Projektingenieur ist erstaunt über das Interesse an seiner Person, dachte wir sprechen über Technik. Den Zettel in der Hand – darauf ein technisches Schema – legt er dann erstmal beiseite.

Quereinsteiger

Auf die Frage, wie man zu so einem Beruf kommt erzählt uns Josef Stocker über seine Lehre als Elektriker beim ehemaligen Elektrizitätswerk Baar, und dass ihn Elektronik schon immer interessiert hat. Nach der Lehre kam er als Elektroschemazeichner zu Rittmeyer. «Die Pläne zeichneten wir damals noch von Hand mit Tusche, an riesigen Reissbrettern», erinnert er sich an seine Anfänge zurück.

Einige Jahre später wechselte er in eine der neu gebildeten Projektgruppen. Und seither beschäftigt er sich mit der Projektierung und Inbetriebnahme von Wasserkraftwerk-Leittechnik.

Hoher Puls

Als wäre es gestern gewesen erzählt er von seiner ersten Inbetriebnahme: «Das war in Interlaken. Ich nahm eine Pegelregelung in Betrieb, die unter anderem dafür sorgen sollte, dass bei einem Störungsfall das Maschinenhaus nicht überflutet wird.» Die Verantwortung seiner Tätigkeit war dem jungen Techniker damals so bewusst, dass er vor dem Schlafengehen nochmal die ordnungsgemässe Funktion des Reglers kontrollieren wollte. «Ich ging hinüber zum Kraftwerk, und da rutschte mir das Herz fast in die Hose: Blaulicht, Feuerwehr und eine hell beleuchtete Wehrbrücke.» Solche Situationen vergesse man nicht so schnell, muss er lachend gestehen. Grund für den Aufruhr war aber ‹nur› ein kaputter Hydraulikschlauch. Der konfigurierte Regler verrichtete seinen Dienst ordnungsgemäss.

Für Alt und Jung

Seine Augen glänzen, als er davon erzählt, wie fasziniert er damals wie heute von den Dimensionen der Kraftwerkstechnik ist: davon, die Grösse der Maschinen zu ‹spüren› oder das Rauschen des Wassers zu erleben, wenn bei einem Hochwasser einige Hundert Kubikmeter Wasser pro Sekunde über ein Wehr fliessen. «Da wird dir rasch klar, dass du eine grosse Verantwortung hast und dir im Klaren sein musst, was du tust.»

Das müsse man einfach mal gesehen haben, meint er. Junge Menschen in die Kraftwerke mitzunehmen und so deren Begeisterung zu wecken, würde seiner Ansicht nach vielleicht auch das Nachwuchsproblem lösen helfen. Dazu komme, dass man sich mit verschiedenen Kraftwerkstypen, Messprinzipien, Druckleitungen, usw. beschäftige. So etwas, sagt Stocker überzeugt, sei ausgesprochen reizvoll und vor allem abwechslungsreich. Aber gewissenhaft sein, Durchhaltevermögen haben und auch mal Druck standhalten können, das wäre eine wichtige Voraussetzung.

«Die Grösse der Maschinen – das musst du einfach mal spüren.»

Josef Stocker, Projektingenieur Wasserkraftwerke, Rittmeyer

Viel Neues

Heute ist das Ziel der Wasserkraft noch genau dasselbe wie vor 40 Jahren: das Turbinieren von Wasser. Die Digitalisierung macht jedoch vor der Wasserkraft nicht Halt, musste der Techniker lernen. Relaissteuerungen wichen programmierbaren Speicherbausteinen und schliesslich volldigitalen und automatisierten Systemen. Ebenso hat sich das Erstellen von Schemata stark verändert, die Reissbretter verschwanden und machten Platz für Simulations- und Zeichnungssoftware auf dem Computer. «Anspruchsvolle Regelungsaufgaben lösten wir früher durch händisches Zusammenlöten von Funktionsbaugruppen», lacht er. «Programmieren würde man das heute wohl eher nicht mehr nennen. Aber früher wurden Maschinen ja auch noch von Hand gestartet und gestoppt, synchronisiert, ans Netz gebracht. Und Tag und Nacht betreut.»

Verschiedene Weiterbildungen hielten den Projektingenieur auf dem Laufenden. «Die meisten fanden intern statt. Entwicklungsspezialisten haben wir im Haus – und dazu ein super Betriebsklima.» Entsprechend gerne habe man die Kollegen gefragt, erinnert er sich. Am Ball zu bleiben werde genauso für den Nachwuchs zentral sein. Da ist er sich ganz sicher.

«Jede Anlage ist anders, jeder Kunde hat andere Anforderungen und Ideen. Das ist wirklich spannend.»

Immer dasselbe?

Das Umsetzen von Kundenwünschen war für Josef Stocker stets der grösste Anreiz bei seiner Arbeit. «Das Vertrauen, das man dir dabei entgegenbringt», sagt er zufrieden, «das ist herausfordernd aber einfach auch ein gutes Gefühl.» Und eine solche Aufgabe werde selbst in vier Jahrzehnten nicht eintönig: «Jede Anlage ist in gewisser Weise ein Einzelstück. Keine ist wie die andere, jeder Kunde hat andere Anforderungen und Ideen. Das ist wirklich spannend. So gesehen habe ich 40 Jahre dasselbe und doch nie dasselbe gemacht.»

An was er heute konkret arbeite, fragen wir. Das erzählt er uns nach einem kurzen Gang zu seinem Schreibtisch. Darauf zwei Bildschirme für die grossen Pläne, die Maus in der linken Hand. Die körperlich oft anstrengende Inbetriebnahme vor Ort darf er heute seinen Kollegen überlassen, erzählt er uns, während er uns ein aktuelles Kraftwerksprojekt zeigt. Auffallend der Desktophintergrund auf seinem PC: eine Biene. Und so erfahren wir, dass er in seiner Freizeit Hobby-Imker ist. Würde er seine Berufswahl erneut treffen? «Die Entscheidung für die Wasserkraft war mit Sicherheit die richtige», bestätigt er, ohne eine Sekunde zu überlegen. «Sie ist ökologisch und sinnvoll. Deshalb ging ich auch 40 Jahre lang immer gerne zur Arbeit.» Und muss dabei etwas schmunzeln, denn der Weg bis zur Pensionierung ist nicht mehr sehr weit: «Aber auf die zusätzliche Zeit mit meinem Enkelkind und meinen Bienen freue ich mich doch sehr.»

Bildnachweis: iStock/Arndt_Vladimir, iStock/12875116 (Titelbild)