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FACHTHEMA teilen vor allen Dingen auch keine Unklarheiten oder Unsicherheiten. So können Wissen, aber auch Wissensdefizite nicht an die Oberfläche gelangen. Eine solche Kultur kann man aber nicht von heute auf morgen verordnen. Das ist ein Entwicklungsprozess, der sich über Jahrzehnte erstreckt. Oft führen Ereignisse dazu, dass in diesem Bereich etwas vorangeht. Deshalb sind Branchen, die im öffentlichen Fokus stehen, dort oft schon etwas weiter als jene, die von der Öffentlichkeit weniger beachtet werden. In den Schweizer Kernkraftwerken oder auch in der Luftfahrtbranche haben wir beispielsweise eine ausgesprochen gute Fehlerkultur beobachtet. Hier waren es zwar in der Vergangenheit tragische negative Ereignisse, die diese Entwicklungen getrieben haben. Dennoch muss man sagen, sie haben die Kultur vorangebracht. Unabhängig von solchen Ereignissen haben wir – wie beim Wissensmanagement allgemein – auch bei der Fehlerkultur die Erfahrung gemacht, dass man diese nur dann nachhaltig in Gang bekommt, wenn das Bewusstsein in der Management- Ebene dafür vorhanden ist. Das heisst also, schlussendlich hängt alles an den Führungskräften? Vielleicht nicht alles, aber sehr viel. Als Chef oder Chefin muss ich mir früh genug Gedanken über die Nachfolgeplanung und eine gut entwickelte Fehlerkultur machen. Und auch die passenden Methoden für die Wissensweitergabe in meinem Unternehmen finden. Ich glaube, das geht in dem Alltagsstress, der heute in den Unternehmen oft herrscht, gerne verloren. Man tut sich aber keinen Gefallen damit, wenn man die Themen nicht angeht. Es gibt auch nicht die eine Lösung, die für alle gleichermassen passt, um Wissen zu explizieren und weiterzugeben. Die Methoden müssen zum Unternehmen und den Menschen passen. Vielleicht besteht die Lösung darin, einfach kurze Videos der einzelnen Arbeitsprozesse zu machen und diese gleichzeitig zu kommentieren. Das ist viel einfacher als alles aufzuschreiben. In Kraftwerksstollen, in denen man keine Internetverbindung hat, könnte es hingegen sinnvoll sein, scheckkartengrosse Anleitungen mit Fotos zu gestalten, anstatt auf einen Sharepoint Server zu setzen. Oder man könnte eine SeniorAcademy ins Leben rufen, für die erfahrene Mitarbeitende zehn Prozent ihrer Zeit investieren, um gezielt ihr Wissen weiterzugeben. Mit welcher Methode haben Sie gute Erfahrungen gemacht? Wir haben mit der StoryTelling Methode sehr gute Ergebnisse erzielt. In einem Kernkraftwerk moderierten wir beispielsweise Workshops, in denen wir uns gemeinsam den Prozess des Abtransports der nuklearen Brennelemente angesehen haben. Die Beteiligten waren total überrascht, welche unglaubliche Menge an implizitem Wissen aus diesen Abstimmungen hervorkam. Und dabei wollten sie eigentlich erst einen anderen Prozess thematisieren, weil sie dachten, beim Abtransport der Brennelemente wäre alles dokumentiert und vollkommen klar. Die Ergebnisse hielten wir auf Formblättern fest, die das Kraftwerk bei den Dokumentationen des jeweiligen Prozesses abgelegt hat. So kann das Wissen beim nächsten Mal genutzt werden, wenn der Prozess ansteht. Ich habe zudem die Erfahrung gemacht, dass sich Mitarbeitende in einem Unternehmen eigentlich immer freuen, wenn man ihnen zuhört und sie ausführlich über ihre Arbeit berichten lässt. Sie fühlen sich wertgeschätzt, weil ihre Expertise und ihr Wissen für das Unternehmen wichtig sind. Oft erzählen sie zu Beginn darüber, wie es nach Betriebshandbuch laufen sollte, und nach einiger Zeit heisst es dann: «Ach weisst du – ich sag dir mal, wie’s wirklich läuft.» Und genau das ist das wichtige Wissen, das es zu bewahren gilt. Herzlichen Dank für das Gespräch. «Es ist nicht verboten, Fehler zu machen. Aber es ist verboten, nicht daraus zu lernen.» 01| 2022 10 | 11

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