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Frau Prof. Grote, wie digital ist denn unsere Welt seit Neuestem tatsächlich? (Schmunzelt) Wir ‹digitalisieren› ja schon lange, das ist doch ein kontinuierlicher Prozess. Piloten fliegen mit Autopilot, Prozessautomatisierung gibt es seit Jahrzehnten. Neu ist vielleicht, dass wir inzwischen versuchen, auch kognitive, bisher dem Menschen vorbehaltene Prozesse vollautomatisch abzubilden. Das führt zur Debatte um Künstliche Intelligenz (KI), und zur Frage, ob denn die Maschinen nun tatsächlich klüger sind als wir. Oder dazu, dass selbst die Entwickler nicht mehr genau wissen, was die Maschinen eigentlich machen, weil sie selbstgesteuert irgendwas lernen, man aber nicht genau weiss, was sie gelernt haben und wie und weshalb sie das gelernt haben. Das macht Angst. In der Realität sieht das aber bisher weit weniger dramatisch aus. Es gibt in der Arbeitswelt nach wie vor mehr Anekdoten und Pläne als tatsächliche Anwendungen. Gleichzeitig muss man aber auch sagen, dass Künstliche Intelligenz in vielen Bereichen Einzug gehalten hat, die uns gar nicht bewusst sind. Nehmen wir das Beispiel der Spracherkennung: Jedes moderne Smartphone kann das zumindest ein bisschen. Da steckt viel KI dahinter. Wir sollten uns wohl derzeit weniger als Beschäftigte, sondern eher als Privatpersonen Gedanken über unseren Umgang mit Digitalisierung machen. Dazu gehört auch, uns bewusst zu machen, wo wir überall KI begegnen, und mehr darüber zu lernen. Viele merken an, dass mit der Digitalisierung viel Fachwissen verloren ginge. Man beschäftige sich nicht mehr mit dem Prozess und verliere die Zusammenhänge, weil ja ‹die Maschine› steuert. Stimmt das? Diese Frage wird schon lange diskutiert, besonders im Hinblick auf Erfahrungswissen, das nicht aus Büchern gelernt, sondern nur im direkten Umgang mit einer Aufgabe erworben werden kann. Man sollte aber auch überlegen, ob der Mensch nicht neue Arten von Erfahrungswissen erwirbt, auf einer abstrakteren Ebene – in der Aktion mit dem System anstelle mit dem realen manuellen Prozess. Klar ist, je vernetzter Prozesse sind, umso schwieriger wird es, alles darüber zu wissen. Und natürlich sollte der Mensch möglichst gut verstehen, was er tut. Aber im Laufe technologischer Entwicklungen muss man immer wieder neu definieren, welche Art von Wissen nötig ist. → Prof. Dr. Gudela Grote Ordentliche Professorin für Arbeits- und Organisationspsychologie im Departement ‹Management, Technology, and Economics› an der ETH Zürich Prof. Dr. Gudela Grote forscht seit mehr als 30 Jahren an psychologisch basierten Grundlagen und Methoden für eine integrative Arbeits- und Organisationsgestaltung unter Berücksichtigung der sich wandelnden technologischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Möglichkeiten und Anforderungen. «Veränderungen werden besser und Technologieentwicklung nützlicher, wenn die betroffenen Menschen in Entscheide einbezogen werden.»

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