transfer Ausgabe 01 | 2018

Zukunft Wasserkraft?!

Ja, aber … Ja, und!

Die Energiestrategie 2050, Diskussionen über Gestehungs- versus Marktpreise für Strom aus erneuerbaren Energien oder die Verhandlungen über den Zugang zum europäischen Energiemarkt beschäftigen die Stromversorger in der Schweiz. In diesem Kontext haben wir uns gefragt, welche Zukunftsaussichten Strom aus Wasserkraft in der Schweiz hat. Darüber sprachen wir mit Jörg Huwyler, Leiter Division Hydroenergie der Axpo Power AG.

Herr Huwyler, wo steht die Wasserkraft heute und welche Zukunft sehen Sie?

Heute produzieren in der Schweiz insgesamt rund 1350 Wasserkraftwerke durchschnittlich 39000GWh Strom pro Jahr. Das sind 60 Prozent des hierzulande erzeugten Stroms. Betriebswirtschaftlich betrachtet ist die Situation für die Wasserkraft schwierig, und das sicher noch für die nächsten zwei oder drei Jahre. Die Stromerzeuger machen natürlich Termingeschäfte und haben grosse Teile ihrer Produktion schon vor ein, zwei Jahren verkauft. Unter dem Druck der tiefen Preise für die fossilen Energieträger Kohle, Öl und Gas und zusammen mit dem Zerfall des Wechselkurses Euro/Franken erfolgte dies zum grössten Teil unter den Gestehungskosten. Wir werden also mit der Wasserkraft noch rote Zahlen schreiben, aber die Situation entspannt sich glücklicherweise.

Mittel- bis langfristig betrachtet, spätestens 2050, ist die Kernkraft in der Schweiz Geschichte und die Wasserkraft ohnehin die einzige Produktionsmöglichkeit in unserem Land, mit der es gelingt, grossflächig, rund um die Uhr und noch dazu CO2-frei die Stromversorgung aufrechtzuerhalten. Wasserkraft wird also wieder eine grosse ­Bedeutung haben.

«Wasserkraft wird wieder eine grosse Bedeutung haben.»

Bietet die Wasserkraft auch die Versorgungssicherheit?

Aufgrund ihrer hohen Flexibilität gilt die Wasserkraft als Rückgrat der derzeit hohen Versorgungssicherheit der Schweiz. Ein Ausbauziel für die Wasserkraft wurde in der Energiestrategie 2050 schon formuliert. Aber da gibt es ja streng genommen fast kein Potenzial, ein energiemässiger Ausbau zu vernünftigen Kosten ist kaum mehr möglich. Neues Wasser zu fassen ist schwierig, und natürlich ohnehin sehr umstritten.

Die nach dem Abschalten der Kernkraftwerke fehlenden 35 Prozent des inländischen Strombedarfs kann die Wasserkraft also nicht auffüllen, und wir erhalten diese auch kaum aus Wind- oder Solarenergie. Auch wenn manche dies meinen: Autarkie, ausschliesslich mit Strom aus erneuerbaren Energien, ist in der Schweiz schwerlich möglich. Energie zur Stromerzeugung lässt sich eben nur begrenzt ‹bevorraten›. Das geht zwar in unseren Speicherseen, aber deren Kapazität ist irgendwann endlich. Was leider immer wieder übersehen wird, ist, dass es nun einmal einen Unterschied zwischen Verfügbarkeit der Energie und Verfügbarkeit von Leistung gibt. Letzteres ist das, was zählt. Nämlich, dass zu jeder Zeit genau die Leistung im Netz zur Verfügung steht, die benötigt wird. Und auch wenn die Energiebilanz mit den neuen erneuerbaren Energien rechnerisch ausgeglichen werden kann – nachts scheint die Sonne nicht. Und windstille Zeiten gibt es leider auch. Zum Aufrechterhalten der Versorgungssicherheit braucht es also immer Reserven. In Deutschland sind dies im Moment die Kohlekraftwerke.

In der Schweiz liessen sich die dannzumal stillgelegten Kapazitäten der Kernkraftwerke im Grunde in der gleichen Qualität betreffend Verfügbarkeit nur mit Gaskraftwerken schaffen. Oder eben über einen Strom­import aus dem Ausland decken. Letzteres würde voraussetzen, dass die Schweiz auch am europäischen Stromabkommen partizipiert. Das ist politisch aber noch nicht abschliessend geklärt, da gilt es, noch ein paar Hürden zu nehmen. Unter anderem die vollständige Öffnung des Schweizer Strommarktes, welche die EU als eine Voraussetzung zur Teilnahme verlangt.

«In punkto ­Versorgungs­sicherheit sind Wasser­kraftwerke ­unersetzlich.»

 

Die grösste Herausforderung sind also nicht die Kosten?

In punkto Versorgungssicherheit sind Wasserkraftwerke unersetzlich, ich denke auch in 30, 40 Jahren. Und mit Produktionskosten von 4–6 Rappen pro Kilowattstunde gelingt die Stromerzeugung auch zu konkurrenzfähigen Preisen in hoher Qualität, sprich: rund um die Uhr. Aber ich zweifle daran, dass es einen ‹echten› Markt geben wird, in dem der tatsächliche Wert des Stroms vergütet wird.

Die Volatilität von Stromverbrauch und Ressourcenverfügbarkeit zu beherrschen, das wird die grösste Herausforderung mit den neuen erneuerbaren Energien werden. Speicherkraftwerke sind diesbezüglich flexibel einsetzbar, das ist ein grosser Pluspunkt in der Schweiz. Tatsache ist aber, dass es seitens des Gesetzgebers keine Auflagen und Entschädigungen für Wasserkraftwerke zur ‹Vorratshaltung› gibt. Die Versorgungssicherheit zu gewährleisten ist nicht die explizite Aufgabe der Wasserkraftbetreiber.

Bleibt es dabei, dass Strom aus dem Ausland billiger ist?

Ja vielleicht, jedoch nicht der Strom aus Wasserkraft. Entweder beziehen wir subventionierten Strom aus Wind oder Sonne, für den man mitunter sogar Geld bekommt, wenn man ihn abnimmt. Oder es ist eben Strom aus Kohle, und damit der Kohlepreis, der auch unterstützt wird, und der den Takt vorgibt. Bei einem Engpass wird im Moment jede zusätzliche Kilowattstunde aus Kohle produziert.

Damit gibt es in Deutschland Werttreiber, die sich nicht mit der Schweizer Situation decken. Die Treiber der Produktionskosten in der Schweiz sind die Kapitalkosten der Anlagen. Und vor allem plagt uns natürlich der Wasserzins. Das ist die in der Schweiz für die Ressource Wasser erhobene Abgabe für die Nutzung der Wasserkraft zur Stromerzeugung. Sie beträgt aktuell 110 CHF/kW, bezogen auf das Jahresmittel der Bruttoleistung. Die durchschnittliche Belastung der Stromgestehungskosten alleine durch den Wasserzins beträgt damit knapp 1,5 Rp/kWh. In anderen Ländern entspricht dies den gesamten Produktionskosten.

Konzessionsgeber sind Gemeinden, die mitunter über 50 Prozent ihrer Einnahmen aus dem Wasserzins erzielen. Da gibt es nicht viel Handlungsspielraum, denn deren Ausgaben im Gemeinwesen sind auch fix. Um den Wasserzins zu senken wird man in einer solchen Konstellation kaum Mehrheiten finden.

«Wollte man ein markt­taug­liches System erreichen, müsste man den Wasser­zins am Marktpreis für Strom ­orientieren.»

Der Wasserzins ist demnach nur eine Umverteilung?

Auf den ersten Blick mag das so erscheinen und kann verglichen werden mit dem nationalen Finanzausgleich zwischen strukturschwachen und -starken Regionen. Mit der internationalen Vernetzung und der Marktöffnung lässt sich solches dagegen nicht vereinbaren. Als Ende der 90er-Jahre, anfangs dieses Jahrhunderts Strom zu hohen Preisen gehandelt wurde, trieb dies auch den Wasserzins in die Höhe. Die Konzessionsgeber wollten zu Recht ebenfalls von dieser günstigen Konstellation profitieren. Was fehlt, ist eine Vereinbarung darüber, was geschieht, wenn sich die Strompreise in die andere Richtung entwickeln. Diese Situation entstand mit der Marktöffnung für Grosskunden. Grossverbraucher und die Elektrizitätswerke der Kantone beschafften den Strom auf dem ‹freien Markt›. Da hatten wir plötzlich Preise, die unsere Kosten nicht mehr gedeckt haben.

Auf den ersten Blick mag das so erscheinen und kann verglichen werden mit dem nationalen Finanzausgleich zwischen strukturschwachen und -starken Regionen. Mit der internationalen Vernetzung und der Marktöffnung lässt sich solches dagegen nicht vereinbaren. Als Ende der 90er-Jahre, anfangs dieses Jahrhunderts Strom zu hohen Preisen gehandelt wurde, trieb dies auch den Wasserzins in die Höhe. Die Konzessionsgeber wollten zu Recht ebenfalls von dieser günstigen Konstellation profitieren. Was fehlt, ist eine Vereinbarung darüber, was geschieht, wenn sich die Strompreise in die andere Richtung entwickeln. Diese Situation entstand mit der Marktöffnung für Grosskunden. Grossverbraucher und die Elektrizitätswerke der Kantone beschafften den Strom auf dem ‹freien Markt›. Da hatten wir plötzlich Preise, die unsere Kosten nicht mehr gedeckt haben.

Also muss die Politik eingreifen?

Die Hoffnung der Politik ist, dass der Strompreis wieder steigt. Ein ‹politischer› Eingriff in den Strommarkt, beispielsweise dass der gesamte Strom aus der Wasserkraft zu Gestehungskosten verteilt werden muss, das ist nicht europatauglich.

Aber wir wollen auch keine ‹­zweite Landwirtschaft› werden. Es ist uns allen bewusst, dass wir ohne Subventionen einen grossen Teil unserer heutigen landwirtschaftlichen Produktion aufgeben würden. Natürlich fragt man sich, weshalb uns dies bei der Landwirtschaft wichtig ist, beim Strom aus Wasserkraft jedoch nicht. Das ist sicher ein emotionales Thema, es gibt eine andere Verbindung zur Landwirtschaft. Und dazu kommt: Lebensmittelknappheit hat man erlebt, Stromknappheit kennt man in der Schweiz nicht. Müssten die Bürger dies erfahren, dann gäbe es einen anderen politischen Druck.

Und zusammengefasst?

Ich habe keine Angst um die Zukunft der Wasserkraft, und davor, dass sie langfristig nicht konkurrenzfähig sein könnte. Wind- und Solaranlagen müssen eine vergleichbare Qualität liefern. Auf dem Preisniveau der Wasserkraft wird ihnen dies meiner Ansicht nach schwerlich gelingen.

Herr Huwyler, herzlichen Dank für dieses Gespräch.