transfer Ausgabe 01 | 2019

Zeitbombe Antibiotika?

Resistenzen auf dem Vormarsch

Antibiotika sind aus der modernen Medizin nicht mehr wegzudenken. Sie erlauben die Behandlung bakterieller Infektionen. Sie sorgen für sichere chirurgische Eingriffe und ermöglichen Organtransplantationen. Und sie sind lebenswichtig für Patienten mit einem krankheitsbedingt geschwächten Immunsystem. Was also tun, wenn immer mehr ­Bakterien Antibiotika widerstehen?

Weltweit passen sich immer mehr Bakterien an die Wirkung von Antibiotika an. Dafür gibt es verschiedene Gründe, aber entscheidend ist der häufige Einsatz der Antibiotika. Dadurch hat der Mensch selbst die Resistenzentwicklung entsprechend stark vorangetrieben. Bei jeder Einnahme erhöht sich nämlich die Wahrscheinlichkeit, dass die Anzahl antibiotikaresistenter ­Bakterien im Körper zunimmt.

«Der heute oftmals unbedachte Einsatz von Antibiotika ist mitverantwortlich für die Ausbreitung von Resistenzen.»

Dr. Helmut Bürgmann, Leiter der Forschungsgruppe Mikrobielle Ökologie, Abteilung Oberflächengewässer bei der Eawag


Resistente Bakterien überleben und vermehren sich, weil sie den Platz der beseitigten anfälligen Bakterien einnehmen können. «Ausserdem handelt es sich zunehmend um Mehrfachresistenzen, die eine Behandlung noch schwerer machen. Gleichzeitig werden immer weniger neue Antibiotika auf den Markt gebracht. Das ist ein besorgniserregendes Phänomen», sagt Dr. Helmut Bürgmann, Leiter der Forschungsgruppe Mikrobielle Ökologie bei der Eawag. Die Folgen: Bakterielle Infektionen sind schwierig bis gar nicht behandelbar, Spitalaufenthalte werden länger, die Kosten im Gesundheitswesen höher.

«Die meisten Resistenzen machen uns nicht krank. Aber wenn alles zusammenkommt, kann eben doch was passieren. Das macht die Thematik schwierig.»

Zahlreiche Quellen

Antibiotikaresistente Bakterien sowie Rückstände von Antibiotika gelangen über Ausscheidungen, konventionelle Tierproduktion und die Landwirtschaft in Gewässer, Trinkwasser und Grundwasser – und wieder zurück zum Menschen. Auch die Abwässer aus pharmazeutischer Industrie und Spitälern tragen zur Belastung bei.

«Antibiotikaresistenz ist ursprünglich ein medizinisches Problem. Aber es hört nicht an der Kliniktür auf.»

Um eine Ausbreitung der resistenten Bakterien zu verhindern, spielt die Abwasserreinigung eine wichtige Rolle: «Was der Mensch einnimmt, kommt letztlich wieder bei den Kläranlagen an», klärt Dr. Bürgmann auf, «dazu gehören neben den Antibiotika auch die resistenten Bakterien, die sich bei uns im Darm entwickeln.» Die Nachklärung in konventionellen Abwasserreinigungsanlagen (ARA) reduziert die bakterielle Fracht zwar meist um über 95%. Resistente Bakterien werden jedoch nicht vollständig eliminiert.

Bakterien haben die Fähigkeit, Resistenzen durch Gentransfer untereinander weiterzugeben. So können sich Resistenzen in Gewässern weiter anreichern. Selbst an sich harmlose Umweltbakterien haben dadurch das Potenzial, zur Vermehrung und Verbreitung der Resistenzen beizutragen. «Antibiotikaresistenzen verändern sich auch schon innerhalb von Kläranlagen sehr stark. Wir vermuten, dass es aufgrund der Lebensbedingungen in der Abwasserreinigung Anreicherungsmechanismen gibt, sprich: dass resistente Bakterien einen Überlebensvorteil haben. Die absolute Zahl an Bakterien nimmt zwar bei der Abwasserreinigung ab. Im Auslauf trägt jedoch ein eher höherer Prozentsatz einer Bakterienpopulation eine bestimmte Resistenz als im Einlauf», erläutert Dr. Bürgmann bisherige Untersuchungsergebnisse.

«Typischerweise ist die Konzentration von antibiotika­resistenten Bakterien im gereinigten Abwasser um einen Faktor zwischen 10 und 1'000 mal höher als die Hintergrund­­konzentration in der Umwelt.»

Besonders bei ARAs, die Industrie- oder Spitalabwasser reinigen, ist dieser Effekt auffällig. «Bei solchen Anlagen sollten wir weitere Untersuchungen durchführen, um eine Risikobewertung vornehmen zu können und eventuell entsprechende Massnahmen vorschlagen zu können», gibt Dr. Bürgmann zu bedenken. Ein weiterer Grund für die Ausbreitung neuer antibiotikaresistenter Bakterienstämme ist die Einschleppung aus anderen Ländern – speziell nach Behandlungen in ausländischen Spitälern. Diese gelangen ebenfalls über Ausscheidungen in das Abwasser.

Wo ansetzen?

Seit 2016 schreibt das Gewässerschutzgesetz Massnahmen vor, um den Eintrag von Mikroschadstoffen, einschliesslich Antibiotika, zu vermeiden bzw. die Gesamtbelastung nachhaltig zu reduzieren. Ausgewählte Kläranlagen an belasteten Gewässern müssen bis spätestens zum Jahr 2035 die vierte Reinigungsstufe zur Beseitigung von Spurenstoffen bzw. Mikro­verunreinigungen installieren. Diese ARAs klären rund 50% des Abwassers in der Schweiz. Ziel ist es, die Fracht dieser Stoffe um mindestens 80% zu reduzieren. «Der Einbau zusätzlicher Barrieresysteme ist eine sinnvolle Vorsorgemassnahme, um die Verfügbarkeit von Resistenzen insgesamt zu reduzieren. Dafür eignen sich zwei unterschiedliche Verfahren: die Membrantechnologie und die Ozonung», fasst Dr. Bürgmann zusammen.

Mit Membrantechnologie – Pulveraktiv­kohle in Kombination mit einer Ultrafiltration – kann eine nahezu vollständige Entkeimung des Abwassers erreicht werden. Kleine Filterporen halten Partikel sogar bis zur Grösse von Viren zurück. «Die Membrantechnologie ist perfekt für dieses Problem. Pilotanlagen in Lausanne und Ürikon haben gezeigt, dass fast keine resistenten Bakterien aus dem Auslauf kommen», zeigt sich Dr. Bürgmann von der Wirkung überzeugt, gibt jedoch zu bedenken, dass diese Lösung energetische und ökonomische Nachteile hat.

Die Behandlung mit Ozon hingegen hat den Vorteil, dass neben der effizienten und ökonomischen Beseitigung von Mikroverunreinigungen im Abwasser auch Bakterien abgetötet werden können. «Wir sehen aber nie eine perfekte Desinfektion. Es gibt immer geringe Konzentrationen von Bakterien, die unter diesen Bedingungen überleben. Ausserdem zeigte sich, dass die Resistenzgene in der DNA der Bakterien durch das Ozon nicht zerstört werden. Wenn die DNA noch intakt ist, ist weiterhin ein Gentransfer möglich. Und schliesslich beobachteten wir, dass gelegentlich während der biologischen Nachbehandlung des ozonierten Abwassers zum Teil auch wieder resistente Bakterien wachsen», zeigt der Forschungsleiter noch bestehende Schwierigkeiten mit der Methode auf.

Einsatz überdenken

Für Dr. Bürgmann besteht das grösste Schutz-Potenzial an der Quelle: «Wir sollten versuchen, den Einsatz in der Landwirtschaft weiter zu reduzieren. Aber vor allem ­sollten wir hinterfragen, wie wir in der Medizin damit umgehen – und den sinnlosen Einsatz ­gegen virale Infektionen wie Grippe oder vielen Magen-Darm-Beschwerden vermeiden. In der ‹Strategie Antibiotikaresistenzen› (StAR) der Schweiz werden viele sinnvolle Massnahmen gebündelt.»

Keine Panik

Im Gegensatz zu Regionen der Welt mit schlechteren hygienischen Verhältnissen und geringeren Anforderungen an die Ableitung industrieller und klinischer Abwässer ist in der Schweiz kein unmittelbarer Handlungsbedarf gegeben: «Eine akute Gefährdung der Bevölkerung in der Schweiz sehen wir nicht. Die Investitionen in die hygienischen Standards im letzten Jahrhundert haben sich gelohnt. Die Hotspots der Problematik liegen unserer Einschätzung nach in Ländern wie Indien, China oder Bangladesch.»

«Die Situation in der Schweiz ist unbedenklich – direkt am Auslauf einer Kläranlage würde ich wahrscheinlich trotzdem nicht schwimmen gehen.»

In Untersuchungen des Schweizer Bade- und Trinkwassers wurden resistente Bakterien deutlich unterhalb der infektiösen Dosis nachgewiesen. Ein Infektionsrisiko mit resistenten Keimen ist somit unwahrscheinlich. Dennoch sollten die Risiken und langfristigen Entwicklungen nicht übersehen werden. «Nulltoleranz macht im Bezug aufs Wasser sicher keinen Sinn. Aber man sollte tun, was man kann, um die Belastungen weiter zu reduzieren. Und so die hohe Qualität unseres Wassers aufrechterhalten oder sogar noch weiter steigern», fasst Dr. Bürgmann abschliessend zusammen.

Bildnachweis: iStock/frithyboy (Titelbild); Nathalie Schöbitz, Eawag (Illustration)