transfer Ausgabe 01 | 2020

Willkommen im Energiepark!

Wie eine Kläranlage zum Versorger wird

Die Kernaufgaben einer Abwasserreinigungsanlage (ARA) sind das gesetzeskonforme Reinigen von Abwässern sowie die Siedlungsentwässerung. Im schweizerischen Morgental nahe des Bodensees geht Roland Boller mit seiner Anlage einen Schritt weiter. Der Geschäftsführer des Abwasserverbandes Morgental (AVM) betreibt im Verbund mit Partnern auf seinem Gelände inzwischen einen ganzen Energiepark. Dieser versorgt die Umgebung mit erneuerbarem Strom und Wärme.

Für insgesamt acht Gemeinden der Kantone Thurgau und St. Gallen stellt der AVM die Abwasserreinigung sicher. Dem Verband ist es jedoch zudem ein Anliegen, erneuerbare Energieformen intelligent zu nutzen. Er setzt sich deshalb aktiv für mehr Energieeffizienz ein: «Wir nutzen die Ressourcen Abwasser, flüssige Reststoffe sowie Partnerschaften zur Gewinnung erneuerbarer Energien», formuliert Roland Boller einen Kernsatz aus dem Leitbild des AVM.

Im Jahr 2009 begann der AVM damit, auf seinem Gelände einen Energiepark zu entwickeln. Seither ist der ‹Energiepark Morgental› kontinuierlich gewachsen. Neben dem AVM betreiben Partner, wie die Primeo Wärme AG und die Entsorgung St. Gallen, eigene Anlagen auf dem Areal. «Einen Park mit der heutigen Dimension habe ich zu Beginn in der Form nicht erwartet», erinnert sich der Geschäftsführer. Mit seinem Energiepark gehört der AVM schweizweit zu den Vorreitern in Sachen Nutzung alternativer Energien und Energieeffizienz bei Abwasserreinigungsanlagen.

Buntes Energieportfolio

Das Areal des AVM umspannt eine Fläche von mehr als fünf Hektar. Auf dieser gewinnt der Abwasserverband aus verschiedensten Quellen Strom und Wärme. Photovoltaik-Anlagen auf Dächern und Fassaden erzeugen ebenso wie ein Abwasserkraftwerk erneuerbaren Strom. Das Kraftwerk turbiniert das gereinigte Abwasser der Stadt St. Gallen von der 190 m höher gelegenen ARA Hofen.

Ein Blockheizkraftwerk verwertet zusammen mit vier Mikrogasturbinen das anfallende Klärgas. Gemeinsam erzeugen sie etwa 4,5 GWh elektrische und 5 GWh thermische Energie pro Jahr. Über Wärmepumpen wird die im Abwasser enthaltene Restwärme dem Fernwärmenetz zugeführt. Schlussendlich trägt die Verwertung von Altholz in der Holzwärmezentrale zur Wärmeerzeugung bei.

Sogar eine kleine Windturbine hat den Weg auf die Flächen der ARA gefunden. «Das ist ein Überbleibsel aus einem Forschungsprojekt für Entwicklungsländer, für das wir unsere Fläche bereitgestellt haben.» Mit einer Leistung von 5–10 kWh im Jahr habe das Rad aber eher symbolischen Charakter, muss der Geschäftsführer schmunzeln.

Diversität in jeder Hinsicht

Die nach und nach errichteten Anlagen auf dem Areal sind im Besitz unterschiedlicher Eigentümer. Seine eigenen Anlagen nutzt der AVM primär für den Eigenbedarf, der Überschuss wird dem Netz zur Verfügung gestellt. Der Energiepark Morgental produziert inzwischen jährlich 31 GWh erneuerbare Energie: 9 GWh Strom und 22 GWh Wärme. Das entspricht dem Bedarf einer Stadt mit etwa 15'000 Einwohnern.

Beim Bau stehen für den AVM Umwelt und Artenvielfalt stets im Zentrum des Handelns: Für die naturnahe Gestaltung des Areals wurde der Verband im Jahr 2018 sogar mit dem Label der Stiftung Natur & Wirtschaft ausgezeichnet. Stolz ist Roland Boller auch auf die CO2-Bilanz: «Pro Jahr sparen wir mit unserem Park momentan etwa 7'000 Tonnen Kohlendioxid. Seit 2013 haben wir bereits 32'000 Tonnen substituiert.»

In einem Verbund mit drei weiteren ARA stellt der AVM gemeinsam rund 1 MW Flexibilität an einen Regelenergie-Pool bereit, um die Last des Stromnetzes auszugleichen. Dieser wurde im Rahmen eines Pilotprojekts des Bundesamts für Energie BFE etabliert. Massgeblich zum Regelpooling trägt das Blockheizkraftwerk bei, das der ARA zusätzlich als Notstromversorgung dient. Es bietet innerhalb von 30 Sekunden eine sichere Einsatzflexibilität von rund 260 kW. Das entspricht 50% der installierten Leistung. Damit erfüllt es die Anforderungen der Swissgrid für die Erbringung von Sekundärregelleistung.

Auf gute Partnerschaft

Neben den bereits verbauten Flächen befinden sich auf dem Gelände noch Freiflächen für zukünftige Entwicklungen. «Energiestreifen» nennt Roland Boller diese Zone, und ist sich durchaus bewusst: «Gemeinsam mit den vielen Basisinfrastrukturen, die inzwischen auf unserem Gelände vorhanden sind, sind diese Flächen äusserst interessant für Investoren.»

Die ARA Morgental strebt nach Partnerschaften, um Synergien zu gewinnen. «Wir delegieren Fachkompetenzen an unsere spezialisierten Partner und überlassen ihnen auch die Vermarktung. Sie können das besser als wir. Und wir reduzieren auch unser Risiko», gibt Boller Aufschluss. Der AVM kann sich dadurch auf seinen Kern-Auftrag, die Abwasserreinigung und Siedlungsentwässerung, fokussieren. «Jeder soll das tun, worin er richtig gut ist», bringt es der Visionär auf den Punkt.

«Partnerschaften sind sehr hilfreich. Man muss nicht immer alles selbst machen.»

Roland Boller, Dipl. Ing. ETH, Geschäftsführer der ARA Morgental

Finanzierung leicht gemacht?

Durch die lokalen Partnerschaften kann gemeinsam in neue Infrastrukturen investiert werden. Projekte lassen sich so leichter finanzieren und Ressourcen bestmöglich nutzen. «Die Investitionen sollten in einigen wenigen Jahren amortisiert werden können», meint Roland Boller.

Dank der Partnerschaft mit der Primeo Wärme AG, einem regional tätigen Wärmecontractor, ist die Abnahme der gesamten produzierten Wärmeleistung gesichert. Den Eigenbedarf an Wärme kauft die ARA zum selben Preis zurück, wie er an den Vertragspartner geliefert wurde. «Wir haben vertraglich eine klare Aufgaben- und Kostentrennung definiert», stellt Boller klar, relativiert jedoch: «Natürlich muss man in einer Partnerschaft auch mal ein Auge zudrücken, man kann nicht immer nur für sich das Beste herausholen.» Der Geschäftsführer ist überzeugt, dass sich solche Partnerschaften schlussendlich für alle Beteiligten rentieren.

«Mit Konzepten wie dem Energiepark wird man fit für den Markt.»

Roland Boller versucht daher stets, Aufbruchstimmung zu verbreiten, aktiv den Mehrwert durch das Miteinander zu kommunizieren. Er sieht sich dabei als Vermittler: «Mitbewerber tendieren gerne dazu, sich zu bekämpfen. Einfach aus der Angst sich gegenseitig Arbeit wegzunehmen.» So könne man sich nicht entwickeln, man benötige viel Energie, um vom Fleck zu kommen. Der ETH-Ingenieur hat deshalb verschiedene Mitbewerber im Umfeld an einen Tisch gebracht, um diese Ängste zu reduzieren. «Seither haben alle ein gutes Miteinander gefunden», freut er sich.

«Solange Ängste vorhanden sind, ist es schwierig, sich zu entwickeln. Wir haben Mitbewerber zusammengebracht. Das hat viele dieser Ängste genommen.»

Im Austausch mit dem Umfeld

Auch auf die umliegenden Industriebetriebe, Gewerbe und Gemeinden geht der AVM aktiv zu. Neben seinen Kernaufgaben unterstützt der Verband u.a. bei fachgerechter, den gesetzlichen Vorgaben entsprechender Verwertung und Entsorgung. Das Spektrum reicht dabei von der Organisation von Betriebsabläufen über die Unterstützung bei Abwasserprozessen bis hin zur Kontrolle von Abwasseranlagen und Einleitstellen in öffentliche Gewässer. «Wir bieten unsere Unterstützung allerdings nur dort an, wo wir niemanden konkurrenzieren. Das ist ein Grundsatz für uns», stellt der Geschäftsführer klar.

Aus der nahegelegenen Industrie erhält der AVM im Gegenzug wertvolle Co-Substrate in Form von Restdestillaten und Fett, die er zum Klärschlamm beimischt. So gewinnt der Betreiber zusätzliches Faulgas.

Wo hört’s auf?

Der Verband errichtet auf seinem Gelände derzeit eine Stufe zur Elimination von Mikroverunreinigungen (EMV) mittels Ozonierung und nachgeschaltetem 1-Schicht-Sandfilter. Schweizweit einzigartig ist dabei die gemeinsame Beseitigung von Verunreinigungen zweier Kläranlagen – der ARA Morgental sowie der ARA Hofen. «Wir arbeiten bereits heute mit der ARA Hofen zusammen. Neben dem Kraftwerk auf unserem Gelände verbindet uns auch die gemeinsame 1'270 m lange Tiefeneinleitung, durch die das gereinigte Abwasser beider ARA in den Bodensee fliesst.»

Die EMV-Stufe soll 2021 ihren Betrieb aufnehmen. Auf dem Dach der Stufe ist eine grosse Photovoltaik-Anlage geplant. Dadurch soll die auf dem Areal des AVM verfügbare Spitzenleistung auf 1 MWp angehoben werden. «Das ist hilfreich, denn durch die EMV werden wir total etwa 3,5 GWh Strom pro Jahr benötigen», so der Geschäftsführer. Heute sind es rund 1,8 GWh.

Parallel sind bereits Sanierungen einiger Bauwerke wie der Co-Substratanlagen, dem Gasballon und der Biologie geplant. Auch für den noch freien «Energiestreifen» am Areal gibt es bereits Pläne: Der Betreiber prüft die Errichtung von Batteriespeichern und Power-to-Gas-Anlagen.

Eine Herausforderung wird es für den AVM sein, bei künftig immer komplexeren Prozessen, die aus der Erweiterung des Parks resultieren, den Überblick zu behalten. Aber diesbezüglich ist der Geschäftsführer ganz beruhigt: «Mit unserem Cyber-Klärmeister RITUNE® sehe ich da kein grosses Problem.»

Bildnachweis: Abwasserverband Morgental (Titelbild, Bilder 1–4)