transfer Ausgabe 01 | 2019

Wie (umwelt-)­ver­träglich ist die Wasser­kraft?

Gewässerschutz stellt hohe Anforderungen

Im Jahr 2011 trat das revidierte Gewässerschutzgesetz (GSchG) in Kraft. Die Zielsetzungen sind hoch: Wesentliche Beeinträchtigungen des Ökosystems, welche sich aus der Nutzung der Wasserkraft ergeben, sind zu beseitigen. Wir haben mit Roger ­Pfammatter, Geschäftsführer des Schweizerischen Wasser­wirtschafts­verbands SWV, über den aktuellen Stand und die grössten Herausforderungen in der Umsetzung gesprochen.

Herr Pfammatter, mit der Revision des Gewässerschutzgesetzes im Jahr 2011 ­wurden die Zielvorgaben des Gewässerschutzes deutlich verschärft. Wie betreffen diese die Wasserkraft?

Es scheint mir wichtig vorweg festzuhalten, dass die Wasserkraft nachweislich die beste Gesamtökobilanz aller Technologien zur Stromproduktion aufweist und am wenigsten klimarelevante Treibhausgase verursacht. Aber natürlich hat auch die Wasserkraftnutzung Auswirkungen auf die Umwelt, insbesondere auf die Gewässerlebensräume. Die Revision des Gewässerschutzgesetzes sieht deshalb vor, dass die «wesentlichen» Beeinträchtigungen zu beseitigen sind. Vor allem die Bundesverwaltung war in den vergangenen Jahren stark gefordert, mit Verordnungen und Vollzugshilfen diesbezüglich grössere Klarheit zu schaffen.

«Es gab und gibt naturgemäss unterschiedliche Auffassungen darüber, was unter ‹wesentlichen Beeinträchtigungen› zu verstehen ist.»

Roger ­Pfammatter, Geschäftsführer des Schweizerischen Wasserwirtschaftsverbands (SWV)

Welche Themen betrifft dies vor allem? Und wo stehen wir?

Es sind drei Themen, die fachlich sehr herausfordernd sind: Das Reaktivieren des Geschiebehaushalts der Fliessgewässer, das Sicherstellen der Fischwanderung flussaufwärts und flussabwärts und die Reduktion der Abflussschwankungen (‹Schwall-Sunk›). Die Kantone haben dazu inzwischen strategische Planungen erarbeitet, den notwendigen Sanierungsbedarf festgestellt und Schwerpunkte gesetzt. Aktuell werden die betroffenen Anlagen verfügt und die Betreiber damit aufgefordert, entsprechende Variantenstudien zu erarbeiten und Massnahmen vorzuschlagen, welche die Defizite beseitigen.

Auf Basis der strategischen Planungen der Kantone weiss man nun, dass etwa 1'000 Hindernisse in Bezug auf die Fischdurchgängigkeit zu sanieren sind, 150 Kraftwerke benötigen Lösungen zur Wiederherstellung des Geschiebehaushalts und bei etwa 100 grossen Speicherkraftwerken gilt es die Auswirkungen aus Abflussschwankungen zu reduzieren.

«Was sich nachteilig auf die Umwelt auswirkt, ist nach Möglichkeit zu verbessern.»

Wie beurteilen Sie die Fortschritte?

Ich habe den Eindruck, dass alle Beteiligten sehr engagiert sind – Bund, Kantone und Wasserkraftbetreiber sind unter engem Einbezug der Umwelt- und Fischereiverbände mit Volldampf an der Umsetzung. Alle tragen etwas dazu bei, dass wir vorwärtskommen. Von grossem Vorteil ist, dass der Gesetzgeber die Finanzierung gesichert hat und die Sanierungskosten vollständig entschädigt werden müssen. Die notwendigen Mittel, man geht von rund einer Milliarde Franken bis zum Jahr 2030 aus, werden aus einer Abgabe von 0,1 ­Rappen pro Kilowattstunde auf das Netzentgelt vom Stromkonsumenten finanziert. Das fördert den Sanierungswillen.

Wie weit sind die Lösungen zur ­Fischwanderung?

Für den Fischaufstieg mittels Fischtreppen oder Umgehungsgewässer existiert ein guter Stand der Technik. Die meisten Kraftwerke verfügen denn auch bereits seit Jahren oder Jahrzehnten über solche Aufstiegshilfen. Es gilt diese im Bedarfsfall noch zu verbessern oder auf neue und grössere Zielfischarten, wie beispielsweise den Lachs, auszulegen.

Die grosse Herausforderung ist der schonende Abstieg: Fische orientieren sich meist an der zu den Turbinen führenden Hauptströmung, was je nach Anlage, Turbinen­typ und Fischgrösse zu Verletzungen führen kann. Bei grossen, langsam drehenden Schaufelrädern, wie sie an vielen Flusskraftwerken installiert sind, ist die Turbinenpassage ein funktionierender Wanderkorridor; die tödlichen Verletzungen liegen hier im tiefen einstelligen Prozentbereich.

Anderenorts benötigt man jedoch Alternativen. Bei kleineren Kraftwerken können Fische mittels Feinrechen von den Turbinen ferngehalten und mit Bypässen ins Unterwasser geleitet werden. Man verliert so zwar Produktion, reduziert dafür aber die Verletzungsgefahr. Solche Lösungen sind an verschiedenen Anlagen bereits umgesetzt und werden nun auf ihre Wirksamkeit hin untersucht.

Bei den grösseren, direkt ­angeströmten Flusskraftwerken hingegen gibt es noch keinen brauchbaren Stand der ­Technik: Feinrechen sind wegen der starken ­Verlegungsneigung bei oftmals ­grossen Mengen Schwemmholz, Geschwemmsel und Geschiebe nicht einsetzbar und würden durch den Wasserdruck zu mehr Fischverletzungen und überdies grossen Produktionsverlusten führen. Hier fehlt noch Grundlagenwissen.

Wie kommt man weiter?

Verschiedene Forschungsprojekte ­befassen sich mit diesem Thema. So hat der SWV zusammen mit den Kraftwerksbetreibern und der ETHZ bereits im Jahre 2011 ein Forschungsprojekt ‹Fischabstieg an ­grossen Flusskraftwerken› initiiert. Die ­bisherigen Resultate für sog. ‹Verhaltensbarrieren kombiniert mit By-Pass› sind auf Stufe ­Labor recht vielversprechend. Es gilt nun aber diese und andere mögliche Lösungen, wie beispielsweise betriebliche Massnahmen, auf ihre Machbarkeit, Kostenfolgen und Auswirkungen zu untersuchen. Dies wurde aktuell an zwei Pilotstandorten an der Aare gestartet.

Ein wichtiges Element ist dabei das Verhalten der Fische, über das man noch viel zu wenig weiss. Man darf nicht vergessen, dass sich rund 80 verschiedene Fischarten in unseren Gewässern tummeln: grosse, kleine, dicke und dünne Arten, alle mit unterschiedlichem Verhalten und Ansprüchen. Es gilt Schwerpunkte zu setzen und diejenigen Fische im Fokus zu behalten, für die eine Wanderung zum Lebenszyklus gehört. Und es gilt verhältnismässige Lösungen zu finden, die den energiepolitischen Zielen der Schweiz für einen Ausbau der Wasserkraft nicht zuwiderlaufen.

«Verhaltensbarrieren, um die Richtung von Fischen im Gewässer zu beeinflussen, sind äusserst aufwändig.»

Ist das Ermöglichen der Fischwanderung gleichzeitig die grösste Herausforderung?

Das würde ich so nicht sagen. Natürlich ist der schonende Fischabstieg bei den Flusskraftwerken eine schwierige Aufgabe. Aber auch der Geschiebehaushalt ist ganz grundsätzlich ein sehr komplexes Thema. Ökologisch hat das Geschiebe unbestritten eine wichtige Funktion und vor allem im Mittelland haben wir heute sicherlich ein Defizit. Das sind aber nicht nur die Wasserkraftwerke, die Kies und Steine zurückhalten, sondern ebenso die Geschiebesammler an Wildbächen. Sie wiederum stellen einen wichtigen Baustein des Hochwasserschutzes dar. Die Frage, welches die «richtige» Fracht ist, die das Kraftwerk oder den Sammler passieren darf oder soll, ist aus wasserbaulicher Sicht schwierig zu beantworten. Zumal die Geschiebemenge auch die Morphologie beeinflusst und mitbestimmt, ob sich ein Gewässer auflandet oder eintieft.

«Die heiss diskutierten Themen der Gesetzesrevision sind wissenschaftlich-technisch herausfordernd.»

Wie steht es um die Problematik von Schwall und Sunk?

Die Reduktion der Auswirkungen aus den Abflussschwankungen stellt eine weitere Herausforderung dar. Da Speicherkraftwerke vor allem zur Deckung der Strombedarfsspitzen genutzt werden, gibt es tageszeitbedingte Spitzen im Abfluss. Diese gilt es nach Möglichkeit auszugleichen, denn die stark schwankenden Abflussmengen führen unter anderem dazu, dass Flachwasserzonen mehrmals am Tag trockenfallen bzw. überschwemmt werden mit negativen Auswirkungen auf die Gewässerfauna. Das naheliegendste wäre der Bau von Ausgleichsbecken, die aufgrund der formulierten Zielvorgaben aber relativ grosse Volumina aufweisen müssten. Nur: Wo könnte man dazu in der Schweiz überhaupt noch Land zur ­Verfügung stellen?

Stichwort: Hitzesommer. Es gab ja Diskussionen darum, dass Fische nicht mehr genügend Ausweichwege in kühlere ­Gewässer gefunden haben.

Wenn es zukünftig vermehrt solche Trockenheitsphasen als Konsequenz des Klimawandels geben wird, wird sicher der Konflikt ums Wasser grösser. Zweifellos spielt dabei die Wasserkraft eine Rolle, aber sie wird das Problem nicht lösen können. Die Situation im Jahr 2018 war ja nicht das Ergebnis der Speichernutzung, sondern der fehlende Niederschlag. Ich habe das einmal durchgerechnet: Liesse man sämtliche Speicher Graubündens leerlaufen, würde dies die Temperatur im Bodensee gerade mal im Zehntelgrad-Bereich reduzieren. Und: Der für den Winterstrom notwendige Speicher würde uns fehlen. Das kann also nicht die Lösung sein.

Selbstverständlich gilt es, alles zu ­versuchen, um eine Fischdurchgängigkeit zu ermöglichen. Mit Renaturierungen oder den Fischaufstiegen kann man einen Beitrag leisten. Nur wenn alle Gewässer zu warm sind, dann wird es schwierig. Letztlich wird sich die Lebensgemeinschaft anpassen müssen. Vielleicht haben wir längerfristig betrachtet die falschen Fische, die mit wärmeren Gewässern nicht klarkommen. Da werden wir möglicherweise umdenken und auch die fischereiliche Nutzung anpassen müssen.

Zusammengefasst: Was kommt auf die Wasserkraft zu?

Mit den verschärften Anforderungen an den Gewässerschutz steht die Wasserkraft vor einer einmaligen Ökologisierung. Das wird die Umweltbilanz der Wasserkraft weiter verbessern und ist primär eine Chance für die Zukunft. Allerdings dürfen wir es nun auch nicht übertreiben. Denn wie erwähnt ist die Wasserkraft bereits heute die ökologische Bestleisterin unter allen Stromproduktionstechnologien. Die inländische Wasserkraft muss konkurrenzfähig bleiben mit anderen Stromproduktionstechnologien. Und bei gleich langen Spiessen – da bin ich überzeugt – muss die Wasserkraft diesen Wettbewerb nicht scheuen.

«Wasserkraft ist und bleibt der energiepolitische Trumpf der Schweiz.»

Herr Pfammatter, herzlichen Dank für das Gespräch.

 

SWV

Der Schweizerische Wasserwirtschaftsverband (SWV) wurde 1910 gegründet und pflegt als Fach- und Interessenverband im Speziellen die Themen Wasserkraftnutzung und Hochwasserschutz. Über seine Mitglieder vereint der SWV neben der Zulieferindustrie, Unternehmen der öffentlichen Hand und der wasserbaulichen und wasserwirtschaftlichen Forschung rund 90% der einheimischen Wasserkraftproduktion.

www.swv.ch