Weit(räumig)er denken
Mensch ⭢ Umwelt ⭢ Wasser ⭢ Umwelt ⭢ Mensch
Trinkwasser hat in der Schweiz eine hohe Qualität, die Versorgung gelingt reibungslos. Noch. Wir sollten uns mehr Gedanken dazu machen, wie diese wertvolle Ressource in der gewohnten Güte erhalten bleiben kann, meint Prof. Dr. Urs von Gunten. Er leitet die Gruppe ‹Trinkwasserchemie› der Abteilung ‹Wasserressourcen und Trinkwasser› bei der Eawag, ist ordentlicher Professor an der EPFL (ETH Lausanne) und Mitglied der Hauptkommission Wasser des Schweizerischen Vereins des Gas- und Wasserfaches (SVGW). Mit ihm sprachen wir darüber, wie vor allem Umweltgifte und Klimawandel, manchmal aber auch die Politik die Versorger fordern.
Der Mensch und seine Spuren
Trinkwasser ist ein Lebensmittel, für das in der Schweiz hohe Anforderungen an die hygienische und chemische Qualität gelten. Mit modernen analytischen Methoden lassen sich allerdings im Grundwasser immer häufiger Pestizide nachweisen, die mitunter die geltende Höchstkonzentration von 0,1 µg/l überschreiten. Breitere analytische Fenster förderten in der jüngeren Vergangenheit aber noch ein Zweites zu Tage: Metaboliten, also Abbauprodukte der Pestizide, liegen zum Teil ebenfalls in hohen Konzentrationen vor. Auch wenn von einzelnen die Relevanz für den menschlichen Organismus noch Inhalt aktueller Diskussionen ist, gelten Metabolite in der europäischen Trinkwasserrichtlinie ebenfalls als Pestizide, wenn sie eine ähnliche Wirkung wie die Muttersubstanz haben. Da sie zum Teil sehr polar und gegenüber Oxidation stabil sind, kann man sie weder mit Aktivkohle noch mit oxidativen Verfahren, beispielsweise einer Ozonung, genügend gut entfernen.
«Wenn man das Ökosystem an die Wand fährt, wird es sich so schnell nicht mehr erholen.»
Prof. Dr. Urs von Gunten, Leiter Gruppe «Trinkwasserchemie» der Abteilung «Wasserressourcen und Trinkwasser» bei der Eawag, Ordentlicher Professor für Wasserqualität und Wasseraufbereitung an der EPFL (ETH Lausanne)
Eine unüberschaubare Menge
Für die zunehmende Belastung des Grundwassers mit Nitrat oder den Abbauprodukten von Pflanzenschutzmitteln wird vor allem die Intensivlandwirtschaft verantwortlich gemacht. Steigender Siedlungsdruck führt zudem zu einer zusätzlichen Gefährdung der Grundwasserschutzgebiete. Bei anderen Eintragspfaden, z.B. über das Abwasser, erfolgt der Schadstoffeintrag direkt durch Produkte, welche in den Haushaltungen gebraucht werden.
In der EU sind mehr als 100 000 Chemikalien registriert, etwa 30 000 davon werden täglich eingesetzt. Durch biologische und chemische Prozesse werden diese in der Natur oder in der Abwasserbehandlung zusätzlich in unzählige Transformationsprodukte umgewandelt. Die Beurteilung des Ausmasses dieser Vielzahl von Substanzen erfordert automatisierte Methoden: «An der Eawag/EPFL werden deshalb computerbasierte Systeme entwickelt, mit denen man die Transformation von Spurenstoffen in biologischen und chemischen Prozessen voraussagen kann», unterstreicht Prof. von Gunten die Komplexität des Themas.
Wasser ist nur der eine Teil
Von vielen der Substanzen im Wasser sind die Auswirkungen auf den menschlichen Organismus noch nicht ausreichend bekannt, weshalb das Trinkwasser möglichst unbelastet sein sollte. Allerdings hält der Experte die Folgen anderer Konsumgewohnheiten für deutlich schwerwiegender als die von Spurenstoffen im Trinkwasser verursachten. Neben der Gefahr durch Rauchen oder aus Feinpartikeln in der Luft bezieht sich von Gunten dabei vor allem auf Lebensmittel: «Die Richtlinien der World Health Organization (WHO) basieren darauf, dass höchstens 10 % der Pestizide über das Trinkwasser und 90 % über Lebensmittel aufgenommen werden.» Zudem beruht die toxikologische Beurteilung von Pestiziden auf Tierexperimenten, deren Übertragung auf den Menschen mit grossen Sicherheitsmargen versehen ist. Ebenfalls noch wenig bekannt ist, wie sich Mischungen auf die Gesundheit auswirken, weshalb die Konzentration der Spurenstoffe im Trinkwasser vorsorglich möglichst tief gehalten werde sollte. Das ist auch ein Anliegen der meisten Bürger, die möglichst sauberes Trinkwasser wollen. Nach von Guntens Einschätzung ist dies auch für die aquatische Umwelt gut, da so eine grosse Bereitschaft in der Bevölkerung entsteht, die Wasserressourcen zu schützen und damit auch für die Nutzung als Trinkwasser sauber zu halten.
Spuren(stoffe) beseitigen
Wenn Spurenstoffe in die Wasserressourcen gelangen, kann man mit Trinkwasseraufbereitungsanlagen versuchen, diese aus dem Wasser zu entfernen. Geschickter wäre es natürlich, sie würden gar nicht erst ins Wasser gelangen. Die Umstellung auf Biolandwirtschaft wäre beispielsweise ein Ansatz, um den Eintrag der unerwünschten Stoffe aus der Landwirtschaft in Gewässer zu vermindern. Die Freisetzung von Spurenstoffen aus den Kläranlagen wird in der Schweiz seit 2016 durch eine weitergehende Abwasserreinigung zum Teil bereits praktiziert und soll bis 2050 weiter ausgebaut werden.
«Kleine Versorgungen haben in der Regel zu wenig Kapazitäten, um sich auf zukünftige Entwicklungen vorzubereiten.»
Das Problem mit der Grösse
Mengenmässig werde die Schweiz auch in Zukunft keine Wassersorgen haben, sagt von Gunten. Die Wasserspeicher sind gross. Um Wasser jedoch in Zukunft in der gewohnten Menge und Qualität zu erhalten, gilt es Vorsorge zu treffen. Denn die Konsequenzen des Klimawandels werden spürbar. Saisonale und regionale Verknappungen fordern vor allem die kleineren Wasserversorgungen. Rund 90 % der über 2 000 Betriebe in der Schweiz bedienen weniger als 5 000 Menschen. Deshalb werde es wesentlich sein, Verbünde einzugehen, um verschiedene Ressourcen nutzbar zu machen, meint von Gunten. Eine Vernetzung der Infrastruktur, eine Regionalisierung also. In Regionen, wo dies bereits implementiert ist, können Versorgungsprobleme in extremen Sommermonaten vermieden werden.
Auch in Bezug auf mögliche Schadstoffbelastungen im Trinkwasser würde eine regionale Vernetzung die Wasserversorgung widerstandsfähiger machen: «Es werden immer wieder Höchstkonzentrationen diskutiert, bei deren Überschreiten Wasserfassungen geschlossen werden müssen. In einem Verbund liesse sich, unabhängige Grundwasserleiter vorausgesetzt, Wasser aus mehr und weniger belasteten Wasserfassungen mischen und so diese erhalten», gibt Urs von Gunten zu bedenken. «Allerdings sollte das nur eine kurzfristige Lösung sein, denn das Problem muss durch die Verminderung des Eintrags der problematischen Substanzen gelöst werden.»
Oft fehlt es in kleinen Betrieben an Kapazität, um Know-how aufzubauen, wie man den neuen Herausforderungen in der Wasserversorgung Rechnung tragen kann, und an entsprechender Ausstattung für die immer herausforderndere Analytik. Und schliesslich könnte durch Zusammenschlüsse von Versorgungssystemen die Infrastruktur leichter aufrechterhalten werden: «Kleine Versorgungen haben meist zu wenig Kapazität, um zukünftige Probleme zu antizipieren. Durch einen Zusammenschluss könnten im Verbund Fachleute angestellt werden, die eine langfristige Vision für grössere Systeme entwickeln könnten», meint der Experte. «Da steht jedoch manches Mal der Schweizer Unabhängigkeitsgedanke im Weg, und damit der fehlende Wille, überregionale Lösungen zu suchen», bedauert Urs von Gunten.
Ein emotionales Thema. Und hochpolitisch
Neben den Mitteln für die nötigen Investitionen in die Anlagen fehlt es an manchen Stellen auch an Geld für den Unterhalt des beinahe 90 000 km langen Schweizer Leitungsnetzes. Auch für den Grundwasserschutz wäre eine gemeindeübergreifende Raumplanung und damit eine Koordination der Landnutzung seiner Ansicht nach ein wirkungsvolles Instrument. Vielleicht würden finanzielle Anreize dazu beitragen, die häufig emotional geführten Diskussionen zur Regionalisierung von Wasserversorgungen zu entkräften. Wie beispielsweise in Bern, wo der Kanton lokale Versorgungen teilweise subventioniert und so die überregionale Betrachtung der Interessen initiiert hat.
Überhaupt würde sich der Experte wünschen, das Thema der Umweltbelastung durch Spurenstoffe stärker mit dem Blick aufs Ganze zu betrachten. Neben der aktuellen Aufrüstung der Kläranlagen zur Entfernung von Spurenstoffen, sollten seiner Ansicht nach ebenso bei Landwirtschaft und Industrie entsprechende Massnahmen ergriffen werden. So liesse sich die Gesamtbelastung langfristig reduzieren.
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0,1 µg/l: Die Pestizid-Höchstkonzentration im Grundwasser in der Schweiz wird immer häufiger überschritten.
> 100 000 Chemikalien sind in der EU registriert. Davon werden rund 30 000 täglich eingesetzt.
Die Richtlinien der WHO basieren darauf, dass höchstens 10 % der Pestizide über das Trinkwasser und 90 % über Lebensmittel aufgenommen werden.