transfer Ausgabe 01 | 2017

Wasserkraft im Blut

Wie Herzblut und Technik ein ­Kraftwerk verändern

Nach mehr als 35 Berufsjahren in der Betriebs­leitung von Wasserkraftwerken hat Pius Schwitter Ende Februar den wohlverdienten Ruhestand angetreten. Über 20 Jahre davon war er Betriebsleiter der Albula-Landwasser Kraftwerke AG (ALK). Wir haben ihn in Filisur besucht und mit ihm über seine Erfahrungen, die Veränderungen in ‹seinem Kraftwerk› und generell in der Branche gesprochen, die er in den vergangenen Jahrzehnten erlebte.


Gelernter Maschinenschlosser bei Escher-Wyss in Zürich, fasziniert von den grossen Dampf- und Wasserturbinen, viele Jahre auf Werksmontage in der ganzen Welt unterwegs und anfangs der achtziger Jahre als inzwischen studierter Maschineningenieur und Turbinenkonstrukteur schliesslich der Liebe wegen in die Ostschweiz gezogen: Pius Schwitter. Fast 15 Jahre war er in der Funktion als stellvertretender Betriebsleiter der Kraftwerke Sarganserland für deren elektrischen Bereich verantwortlich, als ihn zum Jahreswechsel 1995 der Ruf der Elektrizitätsgesellschaft Laufenburg (EGL) mit der Vakanz der Betriebsleiterstelle ihrer Albula-Landwasser Kraftwerke ereilte.

Am 1. Juni 1996 traten Sie Ihre neue Stelle bei der ALK an. ‹Ihr Kraftwerk› sah damals sicher noch anders aus?

Die Anlage, die ich übernommen habe, war prima in Schuss, der Betrieb war gut und schlank organisiert. Die Betriebs- und Geschäftsführung war noch Teil der EGL. Nachdem die Kraftwerke zu jenem Zeitpunkt bereits seit über dreissig Jahren in Betrieb waren, galt es jedoch, einen guten Plan für schrittweise Sanierungen und sanfte Erneuerungen zu entwickeln. Im Laufe der Jahre haben wir dann immer wieder die Möglichkeiten genutzt, die sich boten – und haben viel in den Ausbau gesteckt.

«Der effiziente Betrieb eines Hochdruck-Laufwasserkraftwerks in den Alpen ist eine besondere Herausforderung.»


Pius Schwitter, Betriebsleiter der Albula-Landwasser Kraftwerke AG

Was waren dabei die grossen Herausforderungen?

Nun ja, im Reigen der Wasserkraftwerke sind die Laufwasserkraftwerke halt doch immer ‹die Kleineren›. Eine Staumauer, das ist Potenz! (schmunzelt) Ich habe keine Staumauer. Aber darunter habe ich nicht gelitten. Der effiziente Betrieb stellt allerdings in einem Laufwasserkraftwerk wirklich besondere Herausforderungen, insbesondere in den Alpen. An einem Fluss hat man es einfacher, da sieht man die Wassermengen mit Vorlauf auf sich zukommen. Hier bei uns geht das von einer Stunde auf die andere, und zwar massiv. Dann muss man mit der Anlage parat sein und das Wasser nutzen, sonst fliesst es vorbei.

Deshalb gestalteten sich auch Erneuerungen in einem Kraftwerk wie dem unseren immer schwierig. Wir haben eine im Verhältnis kleine Produktionsleistung, die Platzverhältnisse sind knapp, und alles muss im laufenden Betrieb erfolgen. Wir haben eben keinen Stausee, in dem wir das Wasser zwischenspeichern können. Unsere Maschinengruppen sind täglich in Betrieb. Also haben wir alles immer nur Schritt für Schritt und im Eiltempo machen können.

Aber mitunter half diese ‹Besonderheit› sicher auch, um unsere Anlage im Detail so aufzubauen und zu optimieren, wie es eben notwendig war. Dabei waren mir gute Arbeitsbedingungen immer wichtig. Ordnung schaffen, Sauberkeit, die benötigten Vorrichtungen dort montieren, wo man sie braucht, das Unnötige entfernen. Das schafft auch Raum. Und ich denke, das fördert nicht nur die Freude am täglichen Tun, sondern ist letztlich, davon bin ich überzeugt, ein wesentlicher Teil der Betriebs- und Personensicherheit.

Sie sagen Arbeitsbedingungen und Arbeitssicherheit hängen zusammen. Was hiess und heisst das konkret für Sie, hier im Kraftwerk?

Nun ja, für mich heisst Ordnung auch mehr Sicherheit. Das sieht nicht nur schön aus, sondern wir vermeiden auch Stolperfallen. Oder ein anderes Beispiel: Einzelne Bereiche müssen aus Brandschutzgründen gegenüber anderen abgetrennt sein. Aber muss auch der einzelne Mitarbeitende, der im Kraftwerk oft alleine, hinter verschlossener Tür, arbeiten muss, abgetrennt sein? Wir meinten ‹nein›, und haben deshalb unsere Volltüren im Zuge der baulichen Gesamterneuerung durch solche aus Glas ersetzt. Ebenso brandhemmend, und erst noch kostengünstiger. Letzteres glaubte uns anfangs auch niemand, konnten wir aber nachweisen. Wir haben es jedenfalls zum Konzept gemacht. Und jetzt sieht der Mitarbeiter im einen Raum zu seinem Kollegen im anderen. Ein entscheidendes Plus in punkto Personensicherheit und die Anlage präsentiert sich offener, heller und freundlicher.

Was auffällt, ist auch ein ganz eigenes Farbkonzept im Kraftwerk?

(schmunzelt) Mit Farben lässt sich gestalten, aber sie sorgen ja auch für Orientierung. Nun ja, sagen wir mal, wir hatten dazu verschiedene Vorstellungen im Team. Letztlich hat uns, ein bisschen aussergewöhnlich vielleicht, eine Innenarchitektin geholfen und mit uns ein Farbkonzept entwickelt. Wahrscheinlich waren wir die ersten, die dann so auch zu schwarzen Schaltschränken kamen. Damals haben sich alle an den Kopf gegriffen. Dieses Farbkonzept wurde jedoch dann festgeschrieben und hilft uns bis heute, auch Ordnung zu schaffen.

Auch in punkto Leittechnik hat sich sicherlich einiges verändert?

In den 90er-Jahren war die Steuerung der Anlage praktisch noch komplett in Relaistechnik realisiert. Heute wäre das nicht mehr denkbar. Ohne moderne Leittechnik, wie wir sie jetzt von Rittmeyer haben, kämen wir nicht weit. Nach der Erneuerung der Technik im älteren Kraftwerk Filisur bestand die Herausforderung im Anschluss beispielsweise darin, das tiefer gelegene Kraftwerk Tiefencastel möglichst optimal einzubinden. Die Anlage dort lief per dato in Lokalsteuerung, die Netzsteuerung war völlig autonom. Nur: Wollen wir wirklich das Wasser optimal nutzen und die Gesamteffizienz der Anlage steigern, dann muss das zusammenpassen.

Ich mache das mal nur am Beispiel der geplanten Stromlieferung fest: Heute liefert jedes Kraftwerk dem Netzbetreiber einen Fahrplan, der jeweils am Vortag als Prognose der Stromlieferung für den Folgetag festgeschrieben wird. Stimmt die Prognose nicht mit der effektiven Produktion überein, dann muss der Kraftwerksbetreiber sog. Ausgleichsenergie bezahlen, und die ist nicht ohne. Nun betreiben wir zwei Kraftwerke in Kaskade, Tiefencastel nutzt das bereits in Filisur einmal turbinierte Wasser mit. Mit dem von Rittmeyer entwickelten Head-Regler gelingt es jetzt, das Anfahren der Maschinen der beiden Kraftwerke optimal zu staffeln, sodass wir diesen Fahrplan punktgenau einhalten können. Haben wir früher noch rund 400 000 Franken Ausgleichsenergiekosten pro Jahr bezahlt, ist es jetzt vielleicht noch ein Zehntel davon. Die immer feinere Optimierung ist jetzt fast zum Steckenpferd geworden – und wäre ohne moderne Leittechnik undenkbar.

«Die immer feinere Optimierung ist jetzt fast zum Steckenpferd geworden – und wäre ohne moderne Leittechnik undenkbar.»

Und wie veränderte sich die Aufgabe der Betriebsleitung?

Die allgemeinen Stellenpensen wurden kleiner und die Aufgaben des Betriebsleiters haben sich sehr stark vom technischen in den kaufmännischen, administrativen Bereich verlagert. Nur funktioniert betriebswirtschaftliche Optimierung ohne technische Optimierung in einem Kraftwerk nicht. Ich denke da beispielsweise an die Berechnung des Wasserverbrauchs, anhand derer wir unseren Wasserzins an die Konzessionäre bezahlen. Früher hatten wir die Wassermenge mit einer einfachen Venturi-Messung bestimmt. Im Herbst, wenn viel Laub eingespült wurde, stimmte das natürlich nie. Und wir hatten viel zu viel bezahlt. Rittmeyer hat dann für uns ein Ultraschallmesssystem im Stollen aufgebaut. Ein sehr aufwändiges und deshalb auch teures System – dessen Kosten wir aber bereits in nur einem Jahr amortisierten. Das Ganze ist mittlerweile so ausgefeilt, dass wir bis anhin als einziges Kraftwerk im Kanton Graubünden die Wasserwerksteuer direkt über das bezogene Wasser abrechnen.

«Dank höchstpräziser Messtechnik können wir den Wasserzins für die genutzte Wassermenge ganz genau abrechnen.»

Wie sehen Sie die Zukunft der Wasserkraft – und ‹Ihres Kraftwerks›?

Für die Stabilisierung der Stromversorgung hat die Wasserkraft eine grosse Bedeutung, denn um die Netzfrequenz zu halten braucht es rotierende Masse. Nur dreht sich Vieles immer um die Profitabilität, und die wird halt stark vom Strommarkt beeinflusst. Wenn es billigen Strom aus dem Ausland gibt, dann ist die Wasserkraft unter Druck. Da stimmt dann doch so Manches nicht, wenn wir in der Schweiz sagen ‹Wasserkraft ist unsere Energie›. Aber wer steht denn dazu? Ich denke mir oft, das ganzheitliche Denken ist verloren gegangen. Heute verlieren wir uns und vor allem die behördlichen Regulatoren sich oft im Detail.

Die ALK sind jedenfalls technisch auf dem neuesten Stand, die Kosten sind stabil. Dennoch suchen wir immer noch nach Optimierungen. Beispielsweise immer mehr auch im Unterhalt, Stichwort: Zustandsbasierte Wartung. Wir sind beispielsweise die ersten in der Schweiz, die eine thermodynamische Online-Wirkungsgradmessung an unseren Turbinen installiert haben. In Verbindung mit einer modernen Leittechnik wie der unseren erhalte ich daraus praktisch in Echtzeit den Status, wo das Laufrad gegenüber der Null-Linie im Wirkungsgrad steht. Beginnende Schädigungen lassen sich aus entsprechenden Trenddarstellungen erkennen. So können wir Revisionen hinaus­zögern, bis es wirklich notwendig ist und zeitgerecht dort investieren und planen, wo es Sinn macht und wirtschaftlich ist. Und damit so Kosten sparen.

Herzlichen Dank für das Gespräch.