transfer Ausgabe 02 | 2019

Veränderung braucht Begleitung

Führung im Wandel

Neue Energieträger, neue regulatorische Vorgaben, neue Geschäftsmodelle – die Energieversorgung erfindet sich derzeit neu. Kein leichtes Unterfangen für die Branche und die dort tätigen Menschen. Wie lassen sich die neuen Herausforderungen bewältigen? Wir haben Eugen Pfiffner, CEO der IBB Energie AG, gefragt.

Herr Pfiffner, neue Technologien konfrontieren Ihr Unternehmen und Ihre Mitarbeitenden mit vielfältigen Herausforderungen: Wie geht es Ihnen damit?

Ohne die neuen Technologien könnten wir nicht da sein, wo wir jetzt stehen. Sie ermöglichen es uns beispielsweise, den kompletten Beschaffungsprozess am Strom- und Gasmarkt in Eigenverantwortung abzuwickeln. Für ein Werk in der Grösse der IBB war das früher unmöglich und völlig unrentabel. Heute ist das einer unserer zentralen Prozesse und es ist wichtig, dass wir ihn beherrschen. So können wir unsere Dienstleistungen auch in einem freien Markt direkt den Kunden anbieten.

Neue Kommunikationssysteme schaffen uns auch an anderer Stelle neue Freiheiten, beispielsweise indem wir durch sie jederzeit Informationen abrufen können, die wir früher nur vor Ort, lokal bei den Maschinen hatten. Das ist eine ganz neue Dimension.

Aber Technologie ist ja nicht das Allheilmittel. Wir müssen uns vor allem fragen, welche Kompetenzen und Fähigkeiten benötigen wir als Organisation darüber hinaus, um unsere Aufgaben möglichst effizient zu erfüllen. Und zwar so, dass die daran beteiligten Menschen auch begeistert und motiviert sind. Die Veränderungen geschehen doch nicht von allein. Das müssen die Menschen in unserem Betrieb schaffen und bewältigen. An allen Ecken und Enden wird geändert, und schneller als wir das je gewohnt waren.

Was bedeutet das konkret für Ihre Mitarbeitenden? Benötigen sie neue Qualifikationen und Kompetenzen? Wie bereiten Sie sie darauf vor?

Stellenprofile verändern sich, die Aufgabenfelder werden wesentlich breiter, und noch dazu anspruchsvoller. Wo früher vor allem das Verstehen und Beherrschen der eingesetzten Technologien als wichtigste Kompetenzen zählten, spielt heute die Persönlichkeit des oder der Einzelnen eine sehr viel grössere Rolle. Verfügen die Menschen über methodische Kompetenzen? Wie können sie damit umgehen, sich in einem Gebiet zu bewegen, das eher Treibsand als stabiler Fels ist, wo Grenzen eher unscharf gezogen sind? Und wie gehen sie damit um, dass sie nicht alles wissen und auch nicht wissen können?

Nun müssen wir uns überlegen, wie wir die Menschen mit auf den Weg nehmen können. Dazu müssen wir uns mit ihnen auseinandersetzen, ihnen die Angst nehmen, sich zu melden, wenn sie Defizite bei sich feststellen. Sie dürfen wissen, dass dies nicht tragisch ist. Tragisch ist vielmehr, wenn sie sich nicht zu erkennen geben. Nur wenn man da offen miteinander umgeht, kann die Organisation helfen und unterstützen, Lösungen für eine Aufgabe zu finden. Wir machen klar, dass es kein Makel ist, wenn man etwas nicht weiss.

Und neu ist sicher auch, dass die Führungskraft nicht mehr alles wissen kann und muss, dass das Team die Komplexität lösen wird. Das führt definitiv zu einem neuen Führungsverständnis. Und auch zu einem neuen Entscheidungsverhalten. Was früher hierarchisch ‹oben› entschieden wurde, geschieht mehr und mehr auf der Arbeitsebene. Dort liegt die fachliche Kompetenz, um in der Sache das Richtige zu tun. Das bedeutet, dass die Teams in einer hohen Eigenkompetenz entscheiden können, dürfen und sollen. Entsprechend haben wir auch ‹unser Führungssystem› angepasst und die Entscheidungskompetenzen ‹an die Front› verlagert.

«Wir müssen uns überlegen, wie wir die Menschen mit auf den Weg nehmen können.»

Eugen Pfiffner, CEO, IBB Energie AG, Brugg

Wie gelingen diese Veränderungen?

Sicherlich ist nicht jeder so entscheidungsfreudig und handelt selbstständig. Wichtig ist in jedem Fall, dass man den Mitarbeitenden auch die Möglichkeiten, sprich: die Informationen, an die Hand gibt, die sie benötigen, um zu entscheiden. Deshalb nutzen wir Hilfsmittel, Handys, Tablets, Möglichkeiten zur Visualisierung. Aber eines bleibt: das Vieraugen-Prinzip. Es soll und es muss niemand allein entscheiden. Das sorgt für Sicherheit für alle!

Selbstverständlich gibt es immer Defizite, wenn man sich in einer Umgebung mit solcher Veränderungsgeschwindigkeit bewegt. Da kann man nie alles grad sofort beherrschen. Wichtig ist, dass man ‹dranbleibt›. Es braucht einfach Zeit, auch für den einzelnen Menschen, um sich mit den neuen Anforderungen auseinanderzusetzen. Dazu müssen sich ja auch Denkweisen ändern. Und natürlich findet man immer beides: Veränderungsbereite und weniger veränderungsbereite Menschen. Solche, die die Möglichkeiten für sich entdecken und nutzen, und andere, die eher verhalten agieren.

Letztlich ist das vielleicht sogar die zentrale Frage, die sich die oder der Einzelne stellen muss: Bin ich bereit, mich mit den neuen Anforderungen auseinanderzusetzen, und bin ich in der Lage, herauszufinden, was für mich gut ist, und was fürs Unternehmen gut ist. Und dies so abzugleichen, dass es für beide stimmt. Dazu müssen wir als Unternehmen den Mitarbeitenden Hilfestellungen bieten. Etwas ganz Wichtiges dabei ist, dass man die Offenheit hat, diese Themen anzusprechen.

«Menschen in etwas hineintreiben, das geht einfach nicht.»

Was bedeutet das letztlich fürs Unternehmen IBB?

Ich denke, es entsteht eine ganz andere Dynamik. Und das ist doch das, was der Kunde von uns verlangt. Natürlich geht es am Ende auch darum, dass wir damit unsere Prozesse im Griff haben, und damit auch die Kosten. Der Bund erwartet, dass man in andere Technologien und Geschäftsmodelle investiert, und selbstverständlich regelkonform und unter Beibehaltung der Versorgungssicherheit. Für die Kunden muss es möglichst günstig sein. Der Druck wird noch weiter erhöht, indem man liberalisiert. Und auch der Eigentümer hat ein berechtigtes Interesse, dass Gewinn erwirtschaftet wird. Diese Anforderungen muss man gut austarieren, und das müssen wir auf der strategischen und auf der Geschäftsführungsebene beherrschen.

Für Entscheide auf dieser Ebene ist der einzelne Mitarbeitende freilich nicht verantwortlich, aber gerade er muss sie verstehen. Dazu nutzen wir verschiedene Informationsgefässe. Wir diskutieren das ausserdem regelmässig in den Führungsbesprechungen, und überlegen uns, wie wir das bis zum einzelnen Mitarbeiter bringen. Aus meiner Sicht müssen die Menschen die wichtigsten Dinge gehört und verstanden haben. Was nicht heisst, dass jeder und jede Einzelne an allen Themen arbeitet, oder sich übergeordnet Gedanken machen muss. Aber sie sollen wissen, auf welchem Pfad wir unterwegs sind. Dass dies ein Weg ist, der uns alle betrifft, und der auch Perspektiven eröffnet. Das ist ganz wichtig. Denn wenn man heute weiss, dass eine Veränderung auf einen zukommt, dann kann man sich auch Gedanken machen, wie diese in etwa aussehen wird. Und man kann sich dann auch vorstellen, wie das zu einem passt. In einen solchen Prozess gehen die Mitarbeitenden dann mit grossem Engagement. Und mit Freude und der Gewissheit, sich weiterzuentwickeln.

«Man muss mit den Menschen an den Lösungen arbeiten.»

Welches waren die aus Ihrer Sicht wichtigsten ‹Learnings› im Veränderungsprozess bei der IBB?

Wir haben unsere Organisation angeschaut und dabei festgestellt, dass die Breite der Aufgabe einer Führungsperson zu weit ging. Was wir aber brauchen, ist Führung in der Tiefe und Nutzung des gesamten Wissens der Mitarbeitenden. Man muss mit den Menschen an den Lösungen arbeiten können. Deshalb haben wir die übergeordneten Funktionen angepasst, sodass wir die Führungsaufgaben viel fokussierter bewältigen können. Das war nicht immer nur angenehm, weil natürlich Einzelne auch etwas abgeben mussten, und dafür Neues dazu bekamen. Die Reaktion war verständlich, aber die Anpassung war nötig. Von allein findet so ein Prozess ja nicht statt, weil niemand richtig sagen will, dass seine eigenen Ressourcen erschöpft sind.

Das Zweite war, dass wir die notwendigen Veränderungen zum frühestmöglichen Zeitpunkt initiierten. So konnten sich die Führungskräfte früh mit ihren Teams auf den Weg machen, und sich darauf konzentrieren, dass die Rucksäcke, die sie tragen mussten, noch tragbar bleiben. Das ist ja ein bekannter Effekt: Es wird immer mehr und mehr hineingepackt. Nicht von einem selbst, sondern von anderen.

Änderungen umzusetzen, ist manchmal schwierig. Es gab Gegenwind und Aussagen, wie ‹wir haben doch vor kurzer Zeit erst geändert›. Weshalb schon wieder? Die Rahmenbedingungen haben sich geändert, und darauf müssen wir reagieren. Jetzt! Die Mitarbeitenden müssen in der Lage sein, die neuen Anforderungen an ihren Job verstehen und umsetzen zu können. Deshalb ist es so wichtig, sie am Bild teilhaben zu lassen, wo wir als Unternehmen hinwollen.

Und drittens haben wir uns über den Führungsstil Gedanken gemacht, und uns mit allen Fragen auseinandergesetzt, die damit für uns in Verbindung stehen: Wie verstehen wir Führung? Verstehen wir dasselbe hinter dem Begriff? Die Interpretationsbandbreite ist ja riesig. Dabei ist uns auch klar geworden, dass wir miteinander über unsere Werte sprechen müssen. Was ist uns gemeinsam wichtig? Wie beispielsweise, miteinander erfolgreich zu sein. Wer in unserer Branche kann sich denn vorstellen, dass dies eventuell nicht so sein, dass das kippen könnte?

Last but not least: Wandel gelingt nicht in allen Punkten und nicht zu jedem Zeitpunkt. Man kann eben nicht mit dem 100-Prozent-Ansatz fahren. Es gibt Systeme, die sind und bleiben in Veränderung. Bis der Mitarbeitende dort angelangt ist, verändern sie sich schon wieder. Es ist also nicht entscheidend, dass jeder Veränderungsschritt immer in derselben Tiefe gemacht wird. Man muss einfach auf das schauen, was kommt und was bleiben wird. Da muss man dann dranbleiben. Aber Menschen in etwas hineintreiben, das geht einfach nicht.

Herr Pfiffner, herzlichen Dank für das Gespräch.

Bildnachweis: iStock/Nataly-Nete (Titelbild, Bild 3)