transfer Ausgabe 02 | 2018

Tempi passati

Laufende Fremdwasserbestimmung anstelle teurer Messkampagnen

Die Abwasserreinigungsanlage (ARA) des Zweckverbands Untermarch klärt das Abwasser der fünf Verbandsgemeinden Altendorf, Galgenen, Lachen, Schübelbach und Wangen am oberen Zürichsee in der Schweiz. Um die Betriebskosten gerecht verteilen zu können suchte der Zweckverband nach einer neuen Lösung zur Bestimmung des Fremdwasseranteils.

Fachartikel aus Aqua & Gas No.3 | 2020 herunterladen (PDF)

Die Betriebskosten für die ARA und die zugehörigen Aussenbauwerke werden jährlich anhand eines Kostenschlüssels unter den Verbandsgemeinden aufgeteilt. Grundlage hierfür sind die jeweils aktuell angeschlossenen Einwohnerzahlen, die Anteile der Grosswasserverbraucher sowie der Fremdwasserzufluss aus den Gemeinden.

Kostenfaktor Fremdwasser

Als Fremdwasser* bezeichnet man in der Siedlungsentwässerung stetig fliessendes, nicht verschmutztes Abwasser. Auf der ARA verursacht es Kosten und reduziert ausserdem die Reinigungsleistung: Am Austritt der ARA gelangt prozentual mehr Fracht ins Gewässer. «Sauberes Wasser wird in der Kanalisation im Prinzip ‹aufgeschmutzt›», erklärt Urs Reichmuth, Vorstandsmitglied des Zweckverbands und technisch Verantwortlicher der Betriebskommission, denn eine ARA kann nur bis zu einer bestimmten Reinigungsleistung säubern. Es macht absolut keinen Sinn, der Kläranlage Wasser zuzuführen, das sauberer ist, als das gereinigte Abwasser. Deshalb ist die Reduktion des Fremdwassers auch aus Sicht des Gewässerschutzes ein grosses Anliegen.

Verursachergerechte Kosten

Um den Anteil des Fremdwasserzuflusses zu bestimmen und gerecht auf die Gemeinden zu verteilen, musste bislang ein erheblicher Aufwand betrieben werden: «Wir haben das Fremdwasser in einer Messkampagne bestimmt, morgens zwischen 2 und 5 Uhr, wenn üblicherweise alle schlafen und praktisch kein Abwasser eingeleitet wird», erklärt Noldi Kistler, Betriebsleiter der ARA Untermarch. Da solche Messungen nur in Trockenperioden, einige Tage nach dem letzten Regenereignis durchgeführt werden, ist der Zufluss per Definition Fremdwasser. Im Fachjargon nennt man dies die Nachtminimum-Methode: Der geringste Tagesabfluss wird im Wesentlichen als Fremdwasser interpretiert. Wird jedoch während des Messfensters Abwasser gepumpt, beispielsweise aus Regenüberlaufbecken oder den Speichern bei den Pumpwerken, ist das Ergebnis verfälscht. Mit ergänzenden chemischen Untersuchungen wird schliesslich versucht, den Sauberwasseranteil zu ermitteln.

Bisher: aufwändig und kostspielig

Um zudem die Mengen den einzelnen Gemeinden zuordnen zu können, sind viele zeitgleiche Messungen an den Gebietsgrenzen notwendig. All das ist aufwändig, äusserst kostspielig, birgt aufgrund von Messungenauigkeiten an den verschiedenen Orten weitere Fehler – und spiegelt letztlich nur ein Momentanbild des Fremdwasserzuflusses wider. «Aufgrund der hohen Kosten war der Schlüssel dann üblicherweise drei bis vier Jahre gültig, was mit all den zuvor genannten Unsicherheiten wirklich unbefriedigend ist», resümiert Urs Reichmuth die Überlegungen zur Richtigkeit und Gerechtigkeit der gewählten Abrechnungsmethode.

Neues Konzept, Bestehendes nutzen

Schliesslich machte sich der Zweckverband auf die Suche nach einem neuen Messkonzept und setzte die Anwendung des bis dato geltenden Fremdwasserschlüssels aus. Ziel: Ersatz der klassischen Messkampagnen durch eine laufende Fremdwasserüberwachung an geeigneten Punkten im Netz. Eine Herausforderung stellt die Topologie im Einzugsgebiet der ARA Untermarch dar: Zur Entwässerung grösserer Teilgebiete müssen Pumpen eingesetzt werden. «Der Störfaktor der Pumpenförderung – der Zweckverband betreibt 23 Pumpwerke im Netz – ist sehr gross», fasst Adrian Sigrist, Projektleiter des beauftragten Planungsbüros Hunziker Betatech, die Ausgangslage zusammen, und ergänzt: «Neben den mit den bisherigen Nachtminimummessungen verbundenen Ungenauigkeiten sind Aufwand und Kosten für eine Erfassung der Zuflüsse bei jeder Pumpstation einfach nicht mehr verhältnismässig.»

Seitens des Zweckverbands gab es deshalb die Anforderung, dass man zur Umsetzung des neuen Konzepts die bestehenden Messstellen im Netz nutzen sollte. Messungen sollen einfach und wiederholbar sein, die Datenauswertung möglichst automatisiert erfolgen. «Der absolute Fremdwasseranteil ist dann von geringerer Bedeutung als die Überwachung der Veränderungen des Fremdwasseranfalls im Zulauf der einzelnen Gebiete», beschreibt Adrian Sigrist die Zielvorgabe. Die Reduktion des Fremdwassers und die Eruierung der Probleme im Netz sind in Folge Aufgabe der Gemeinden.

Das neue Fremdwassermesskonzept sieht eine Unterteilung des Einzugsgebietes in 12 Zonen vor. Der Abfluss wird dabei rund um die Uhr an den Gebietsgrenzen erfasst. «Die benötigten Messwerte haben wir heute bereits fast alle auf dem Prozessleitsystem», erwähnt Noldi Kistler. «Völlig unmöglich ist es hierbei jedoch, diese Werte durch die Mitarbeiter der Kläranlage laufend zu beobachten, zueinander in Bezug zu setzen und so Trends zu erkennen – etwa, wenn eine Pumpe über einen gewissen Zeitraum häufiger anspringt als sonst.»

RITUNE® zeigt Trends

Seit mehr als einem Jahr setzt die ARA Untermarch bereits RITUNE zur Prozessoptimierung ein. «Auf Basis von Trenddarstellungen erkennen wir dort viele Potenziale», sagt Noldi Kistler. «Da gingen wir davon aus, dass uns RITUNE auch für die Fremdwassersuche einen guten Dienst leisten könnte, und auf Basis definierter Parameter Abweichungen feststellt und meldet.»

Gemeinsam mit Rittmeyer wurde RITUNE parametriert und überwacht seit einigen Monaten vier Pilot-Gebiete. In einer definierten Zeitperiode werden an allen Messstellen Niveau und Abfluss gemessen. Die Auswahl des Zeitfensters zur Messung wird über die Randbedingung ‹Wetter› gesetzt: Die Niederschlagssumme muss in den letzten 72 Stunden vor Ende der Messung kleiner als 1 mm sein.

Ausserdem wird das Zeitfenster in Abhängigkeit der Fliesszeiten gewählt. «Dies ist besonders für die korrekte Bilanzierung bei Teilgebieten mit oberhalb liegenden Pumpwerken wichtig, da hier das Fremdwasser ‹stossweise› anfällt», beschreibt Adrian Sigrist ein wichtiges Detail. In einer späteren Ausbaustufe sollen während der Messungen die Pumpen über das PLS aktiv beeinflusst werden, «und in einem ‹Fremdwasserprogramm› vor der Messkampagne der Pumpen­sumpf entleert und die Pumpen dann abgeschaltet werden», skizziert Sigrist. So liesse sich diese Fehlerquelle praktisch zur Gänze eliminieren.

Plus: Transparenz

«Mit diesem Konzept haben wir auch andere Probleme identifizieren können», freut sich Noldi Kistler. Beispielsweise eine bauliche Schwachstelle an einem Regenbecken, in das Grundwasser drückte: «Obwohl das Becken nach einer langen Trockenperiode leer sein sollte, sprang immer wieder die Pumpe an und entleerte.» Ohne die geeignete Visualisierung in RITUNE wäre das nicht erkennbar gewesen. «Davor hätten wir so etwas im besten Fall durch einen Zufallsbefund festgestellt», schmunzelt der Betriebsleiter, und fügt an: «Wir haben in der Vergangenheit viele Daten gesammelt, oft mehr, als wir genutzt haben. Mit den Trenddarstellungen aus RITUNE beginnt man, mit diesen Daten zu arbeiten.»

«Mit den Trenddarstellungen aus RITUNE lernt man die Anlage besser kennen und kann sie viel gezielter betreuen.»


Noldi Kistler, Betriebsleiter, ARA Untermarch

Kostengünstig

Das Konzept wird nun weiter optimiert: «Wir sammeln noch Erfahrungen, sehen aber schon, dass die vorhandenen Daten grundsätzlich genügen. In Diskussion sind noch kleinere Anpassungen an den Messstellen, beispielsweise sie mit präziseren Messsystemen auszurüsten. So könnten wir an bestimmten Gebietsgrenzen noch genauere Aussagen machen», gibt Adrian Sigrist einen Ausblick.

Sehr zufrieden ist auch der Zweckverband: «Im Vergleich zu unserem bisherigen Vorgehen haben wir eine sehr kostengünstige Lösung gefunden. Die Fremdwasserbestimmung mit RITUNE ist ja ein ‹Nebenprodukt› aus der Prozessoptimierung auf der Kläranlage», bestätigt Urs Reichmuth.

Gerechte Kostenzuteilung

Der bisherige Verteilschlüssel für das Fremdwasser wird im Moment nicht berücksichtigt. «Für die Zukunft wollen wir das so handhaben, dass wir Gemeinden zunächst darauf aufmerksam machen, sobald wir Abweichungen feststellen», erklärt Urs Reichmuth. «Sie sind dann aufgefordert, beispielsweise innerhalb eines Jahres, entsprechende Sanierungsmassnahmen einzuleiten. Und falls dies nicht geschieht, müssten sie für das anfallende Fremdwasser bezahlen.» Die Rechnung der Gemeinden, die ihr Netz in Schuss halten und wenig Fremdwasser liefern, würde so entlastet. Das ist richtigerweise in den Statuten des Zweckverbands ARA Untermarch bereits so deklariert. Ein Passus, der bei anderen Verbänden wohl oft noch fehlt. Das ist jedoch eine wichtige Voraussetzung, um eine Kostenbeteiligung für Fremdwasser einfordern zu können bzw. die betroffenen Gemeinden damit anzuhalten, ihre Netze zu sanieren und das Fremdwasser soweit möglich zu eliminieren.

* Fremdwasser: Sauberes Grundwasser gelangt beispielsweise über undichte Kanäle, Hausanschlüsse, Sicker- oder Drainageleitungen als Fremdwasser auf die ARA. Auch wenn Baugruben in die Kanalisation entwässert werden, kann der Anteil des Fremdwassers ansteigen. Ebenso verursachen Überläufe von Brunnen, Kondenswasser von Wärmepumpenanlagen, Reservoirüberläufe und streng genommen sogar der tropfende Wasserhahn im Haushalt Fremdwasser.