transfer Ausgabe 02 | 2019

Technik vs. Management?

Ein Studiengang, der verbindet

Berufsbilder ändern sich. Die globale Umstellung auf regenerative Energien steigert den Bedarf an qualifiziertem Fachpersonal mit interdisziplinärem Profil. Die Anzahl der Studierenden in den technischen Studiengängen wächst jedoch nicht im gleichen Mass. Die Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW) hat sich deshalb die Frage gestellt, ob Marktanforderungen und Ausbildungsschwerpunkte noch übereinstimmen. Eine Antwort gibt der Bachelorstudiengang «Energie- und Umwelttechnik».

Bedürfnisse von Klein- und Mittelunternehmen

Unternehmen sind zunehmend an der gesamtenergetischen Optimierung von Anlagen und Gebäuden interessiert. Umwelt- und sozialverträgliche Lösungen bekommen dabei einen immer höheren Stellenwert. Fachkräfte im Maschinenbau und der Elektrotechnik müssen sich deshalb heute mit Fragen der Wirtschaftlichkeit, Nachhaltigkeit und Umwelt auseinandersetzen. Der Fokus auf die «reine Technik» reicht nicht mehr aus.

Disziplinen verbinden

Das Bachelorstudium «Energie- und Umwelttechnik» der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW) in Winterthur deckt diese Themenfelder ab. Die Schwerpunkte des Studiums: thermische Energietechnik, elektrische erneuerbare Energien, Nachhaltigkeit und Technologie. Studierende erwerben Fachkenntnisse und Methoden, um energietechnische Anlagen zu entwickeln, zu planen, zu bewerten und zu betreiben. Wesentlich ist für die ZHAW dabei die ganzheitliche und praxisrelevante Betrachtung von nachhaltigen Energiekonzepten. Neben den fachlichen Schwerpunkten vermittelt der Lehrgang deshalb auch allgemeine Kompetenzen im Kontext von Gesellschaft, Wirtschaft und Umwelt. Diese Verbindung ist einzigartig.

Das Studium dauert sechs Semester und schliesst mit einem ‹Bachelor of Science ZFH› in Energie- und Umwelttechnik ab. Im Anschluss besteht die Möglichkeit, ein weiterführendes Studium zum ‹Master of Science in Engineering› (MSE) zu absolvieren. Beide Studiengänge können auch berufsbegleitend absolviert werden.

Nahe an der Praxis

Die ZHAW arbeitet sehr eng mit der Industrie zusammen. Studentinnen und Studenten haben so die Chance, ihr Wissen in interdisziplinären Forschungs- und Entwicklungsprojekten einzubringen und zu vertiefen. Projekt- und Abschlussarbeiten sollen anwendungsorientierte Lösungen schaffen, um die anstehenden Aufgaben in der Industrie, in Ingenieurbüros oder der Verwaltung zu bewältigen. Die grosse Praxisnähe des Studiengangs eröffnet den Studierenden im Anschluss viele verschiedene Möglichkeiten, um in der Berufswelt Fuss zu fassen.

Für Gymnasialmaturanden auch ohne Praxisjahr

Der Bachelorstudiengang wird als Vollzeitstudium mit einer Dauer von drei Jahren absolviert und richtet sich grundsätzlich an Berufsleute mit Berufsmaturität. Interessierte mit einer gymnasialen Matura haben die Möglichkeit, auch ohne vorhergehendes Praxisjahr das Studium zu absolvieren. Die ZHAW bietet hierzu ein sogenanntes ‹praxisintegriertes Bachelorstudium› an. Die Studiendauer erhöht sich zwar auf vier Jahre.

Allerdings verlassen dann praxiserprobte junge Talente den Lehrgang, der mit der Verbindung von Studium und insgesamt 12 Monaten begleitenden Praktika in Partnerunternehmen ziemlich einzigartig ist. Ein optionales Austauschsemester im Ausland verbessert die beruflichen Perspektiven zusätzlich und erweitert gleichzeitig den kulturellen Horizont.

Wir haben dazu Studiengangleiter Prof. Dr. Joachim Borth interviewt. Er spricht mit uns über die Beweggründe für den Studiengang, und welche aktuellen Herausforderungen er generell in der Schweizerischen Bildungslandschaft sieht.

Herr Prof. Dr. Borth, welche Erfahrungen haben Sie inzwischen mit dem noch jungen Studiengang gemacht? Stimmt die Richtung?

Ja, das Feedback aus der Industrie und von Absolventen gibt uns recht. Gerade in der Energie- und Anlagentechnik sind die Disziplinen heute oft noch stark voneinander abgegrenzt. Die Branche braucht hingegen dringend Fachkräfte, die über interdisziplinäre Fähigkeiten verfügen. Mit dem Studiengang versuchen wir, die Trennung der Gewerke aufzulösen.

Natürlich wäre es auch geschickt, diese Grenzen könnten bereits in den gewerblichen Ausbildungen aufgehoben werden. Aber ein Heizungsmonteur darf nun mal keine Elektrotechnik installieren – auch wenn er die Grundlagen kennt. Die Gesetzgebung trennt das klar voneinander.

Das Verstehen von Zusammenhängen wird immer wichtiger. Wie kann es gelingen, die Bildungslandschaft entsprechend zu verändern?

Indem wir ständig davon reden. Und uns vor allem auch stärker in den Schulen engagieren. Schüler werden meist nicht für MINT-Berufe begeistert. Das fängt schon in der Primarschule an. Das Auseinandersetzen mit Technik oder Naturwissenschaften ist nicht Teil des «Pflichtprogramms».

Die Sekundarschule bereitet ihrerseits gut auf die Berufswahl vor. Sie vermittelt bislang jedoch eher wenig Informationen zu den weiterführenden Ausbildungen, die auf eine berufliche Ausbildung aufbauen. Deshalb entwickelte sich in der Vergangenheit oft erst während der Berufslehre der Wunsch, eine Berufsmaturität zu erwerben. Ich denke, die Weiterbildungsmöglichkeiten in den technischen Berufen müssten deshalb schon in der Sekundarstufe stärker propagiert werden. Ganz generell sollten wir versuchen, die Technik allgemein spannend zu machen. Und es sollte auch besser gelingen, Frauen für eine technische Ausbildung zu begeistern.

«Ohne Verständnis der Umwelttechnik kann man heute keine Anlage zur Energieversorgung mehr betreuen.»

Prof. Dr. Joachim Borth, Studiengangleiter «Energie- und Umwelttechnik»

Wie schaffen Sie es, die Inhalte auch für junge Erwachsene ohne technische Ausbildung verständlich zu vermitteln, und gleichzeitig die Attraktivität als akademische Ausbildung zu wahren?

Die Ausbildung findet sehr praxisnah statt. Dadurch tun sich die Studierenden deutlich leichter, die Inhalte zu begreifen. Unsere Absolventen verkabeln bei Forschungsprojekten selbst die Schaltschränke. Aber sie konzipieren auch Messwerterfassungen, kümmern sich um die Auswertung und programmieren das User Interface.

Programmieren sollten die Studierenden also können?

In Gesprächen mit Unternehmen fiel auf, dass dringend auch Umweltingenieure mit Programmierskills benötigt werden. Je weniger Schnittstellen es innerhalb der Entwicklung von Lösungen gibt, umso zielgerichteter und effizienter wird sie gelingen. Deshalb ist die Programmierung mit ‹Python› auch Teil unserer Ausbildung. Damit ausgestattet verlassen wirklich berufsfähige Leute unseren Studiengang.

«Unternehmen suchen den 30-Jährigen mit 10 Jahren Berufserfahrung als Ingenieur. Das erschwert Absolventen den Einstieg.»

Wie leicht gelingt der Berufseinstieg? Wie wichtig ist der Faktor ‹Berufserfahrung›?

Berufserfahrung ist erwünscht wie eh und je. Vor allem unser praxisorientiertes Studium ist aber ein guter Ansatz, um bereits einen prall gefüllten ‹Wissensrucksack› mitzubringen. Die meisten unserer Studierenden bringen Berufserfahrung aus ihrer Lehre mit, die sie im Studium mit theoretischem Wissen erweitert haben. So starten sie als Absolventen direkt in der Wirtschaft und machen einen super Job. Aber natürlich gilt es auch weiterhin, junge Berufsleute im Unternehmen auf die spezifischen Tätigkeiten vorzubereiten.

Herzlichen Dank für das Gespräch.

Bildnachweis: iStock/hh5800 (Titelbild)

Weiterführende Informationen

Der Studiengang «Energie- und Umwelttechnik» wird an der ZHAW School of Engineering angeboten, die zur Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW) gehört.