transfer Ausgabe 01 | 2020

Tandems für die Zukunft

Sektorkopplung für eine dekarbonisierte Schweiz

Die Schweizer Stimmbevölkerung sagte 2017 ‹Ja› zur Energiestrategie 2050 des Bundes. Damit entschied sie sich für den vermehrten Einsatz erneuerbarer Energien und eine Steigerung der Energieeffizienz. Mit der Unterzeichnung des Pariser Klimaschutz-Abkommens hat sich die Schweiz dazu verpflichtet, den CO2-Ausstoss zu reduzieren. Nadine Brauchli vom Verband Schweizerischer Elektrizitätsunternehmen (VSE) zeigt auf, wie diese Ziele erreicht werden können. Ein Schlüsselelement ist die ‹Sektorkopplung›.

Netto-Null

Die Schweiz strebt bis 2050 CO2-Neutralität an. Dazu ist es nötig, den Energieverbrauch zu dekarbonisieren und den Fokus auf erneuerbare Energien zu legen. Auch die Nutzung aller vorhandenen Flexibilitäten spielt dafür eine zentrale Rolle, ist sich Nadine Brauchli vom VSE sicher. «Strom, Gas, Wärme, Verkehr, aber ebenso industrielle Prozesse müssen technisch und energiewirtschaftlich miteinander verknüpft werden, um so die Ressource Energie optimal zu nutzen», so die Bereichsleiterin Energie.

Die Sektorkopplung leistet einen Beitrag, um erneuerbare Energien wie Wind oder Photovoltaik im Energiesystem zu integrieren. Sie ermöglicht es, kurzfristig überschüssige Energie zu absorbieren, umzuwandeln und in anderen Sektoren, z.B. in Form von erneuerbarem Gas, nutzbar zu machen.

Strom sucht Speicher

Bei zunehmender Elektrifizierung wird sich zwangsläufig auch der Stromverbrauch erhöhen – beispielsweise durch den vermehrten Einsatz von Wärmepumpen und die Elektromobilität. Dies wird sich durch eine verbesserte Energieeffizienz nicht ausgleichen lassen. Strebt man CO2-Neutralität an, steigt der Strombedarf bis 2035 aktuellen Studien zufolge europaweit deshalb um etwa 20–50% an. Um die zunehmende Nachfrage zu bewältigen und den schrittweisen Ausstieg aus der Kernenergie aufzuwiegen, ist ein deutlicher Ausbau der Inlandstromproduktion aus erneuerbaren Energien notwendig.

«Der Ausbau von erneuerbaren Energien wie Photovoltaik und Wind ist eine wichtige Voraussetzung für die Sektorkopplung.»

Nadine Brauchli Bereichsleiterin Energie, Verband Schweizerischer Elektrizitätsunternehmen (VSE)

Der fortschreitende und gewünschte Ersatz fossiler Energieträger in der Stromproduktion macht jedoch die zuverlässige Bereitstellung von Strom immer herausfordernder, vor allem im Winter. Um die Versorgung sicherzustellen braucht es deshalb einerseits garantierte Importe sowie Energiesparmassnahmen. «Um die stark schwankende Produktion zwischen Sommer und Winter auszugleichen, werden künftig auch mehr Speichermöglichkeiten benötigt werden. Genau dazu könnte langfristig das Gasnetz vermehrt beitragen», ist Nadine Brauchli überzeugt. Es bietet die Möglichkeit, Gas zu speichern, welches durch Elektrolyse von überschüssigem Solar- und Windstrom produziert wurde (‹Power-to-Gas›). Dieses ‹erneuerbare Gas› kann in der Mobilität und in der Industrie direkt genutzt werden. Entsprechend grosse Saisonspeicher vorausgesetzt, lässt sich damit künftig im Winter sogar wieder Strom produzieren. «‹Power-to-Gas-to-Power› ist derzeit jedoch leider noch nicht wirtschaftlich», klärt Nadine Brauchli auf.

«Gas ist auch aus Sicht der Elektrizitätsunternehmen ein wichtiger Bestandteil in der Gesamtstrategie. In Zukunft wird es vermehrt erneuerbares Gas oder Biogas sein müssen.»

Über den Tellerrand

Gerade in letzter Zeit wird erkennbar, wohin die Reise in der Energiewirtschaft führt – erwähnt sei hier beispielsweise der mit den Klimazielen einhergehende Kohleausstieg in Deutschland.

Energiewirtschaftlich sei das eine grosse Aufgabe. Dessen ist sich Brauchli bewusst. Die Expertin ist daher überzeugt, dass die Sektorkopplung zeitnah ermöglicht werden muss. Allerdings fehle in der Energiepolitik eine gemeinsame Betrachtung aller Sektoren, bedauert sie. «Das erschwert ökonomisch und ökologisch sinnvolle Ansätze, um über Energieträger und -netze hinweg optimale Lösungen anzubieten.» In den verschiedenen Sektoren gelten historisch bedingt unterschiedliche Rahmenbedingungen, diese gelte es zeitnah aufeinander abzustimmen. Dabei wäre für die Expertin gerade jetzt der passende Zeitpunkt, die Gesamtbetrachtung in die Regulierungen einfliessen zu lassen, da momentan zahlreiche Gesetze und Verordnungen überarbeitet werden (wie CO2-Gesetzgebung, GasVG, Revision StromVG, Revision EnG). Heterogene Gesetzgebungen von Bund und Kantonen erschweren jedoch mitunter eine raschere Entwicklung.

«Für uns ist wichtig, dass wir Energie als Gesamtes sehen. Energie heisst nicht nur ‹Strom›.»

Was ist zu tun?

Nadine Brauchli findet hierzu deutliche Worte: «Die Regelungen sind so auszugestalten, dass sie der Optimierung des Gesamtsystems, sowohl energetisch als auch volkswirtschaftlich, und der Versorgungssicherheit dienen. Der Wettbewerb zwischen den Energieträgern ist weder zu behindern noch zu verzerren.»

Dazu benötigten die Akteure einerseits einen diskriminierungsfreien Netzzugang bei Strom und Gas, gibt die Expertin Aufschluss über die Voraussetzungen, und bedauert: «In einzelnen Kantonen werden Gasanwendungen aufgrund der energiepolitischen und regulatorischen Vorgaben unmöglich gemacht. Dabei sehen wir in erneuerbarem Gas durchaus Potenzial. Ein Technologieverbot verhindert neue Lösungen.»

Analoge Rahmenbedingungen für die verschiedenen Energieträger würden einen Wettbewerb bei der Vermeidung von Treibhausgasen etablieren, ist Brauchli überzeugt. Ein einheitlicher, wirksamer CO2-Preis könnte hierbei ein zentrales Steuerungselement sein. Auch wenn sich der VSE ein marktnahes Lenkungssystem wünschen würde, in der Politik herrscht Zurückhaltung.

«Technologieverbote machen technische Möglichkeiten zunichte, die sich ergeben könnten. Wir bevorzugen eine Lenkung über CO2-Abgaben.»

Akzeptanz schaffen. Und neue Ausbildungsangebote.

Nicht zuletzt sieht Brauchli eine Hürde in der fehlenden Akzeptanz beim Ausbau der erneuerbaren Energien. Man beobachte zwar derzeit eine grüne Welle. «Ob man aber wirklich bereit ist, die Energiewende mitzutragen, zeigt sich meist erst am konkreten Objekt. Die meisten wollen Windenergie, aber nicht vor der eigenen Haustüre.» Das Resultat sei bei fast jedem Vorhaben ein Einsprachemarathon, unterstreicht Brauchli, und gibt zu bedenken: «So kann es mit dem Umbau der Energieversorgung nicht vorwärtsgehen.»

Ohne Fachkräfte keine Energiewende und keine Sektorkopplung. Der VSE setzt deshalb stark auf die Aus- und Weiterbildung, um Fachkräfte von morgen bereits heute auf die Herausforderungen der Zukunft vorzubereiten. Deshalb legt der Verband in seinen Aus- und Weiterbildungen auch mehr Gewicht auf die Vernetzung der Sektoren und auf das Vermitteln von Gesamtzusammenhängen.

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