transfer Ausgabe 02 | 2020

Rauf und runter

Wie eine Wintertourismusgemeinde mit schwankendem Strombedarf umgeht

Die Gemeinde Arosa in Graubünden ist vom Wintertourismus geprägt. Der Strombedarf im Bergdorf am Ende des Schanfigger Tals schwankt stark: Sommer und Winter unterscheiden sich, Ferien- und Schulzeiten wirken sich aus. Auch von der Wetterlage hängen die Besucherzahlen ab. Wie geht die Gemeinde mit dem schwankenden Energiebedarf um? Tino Mongili gibt Einblicke in die Strategie der Arosa Energie.

Hoher Bedarf im Winter

Arosa verfügt über ein weitläufiges Stromnetz: Die Zuleitung aus Chur speist einen Versorgungsring mit drei Unterwerken und 110 Trafostationen. Mit 50 GWh Jahresverbrauch fällt der Strombedarf der Gemeinde im Verhältnis zum Umfang der Infrastruktur gering aus. Die eigenen Wasserkraftwerke produzieren über das Jahr hinweg zwar mehr Strom, als in Arosa konsumiert wird. Den grössten Teil erzeugen sie jedoch im Frühling und Frühsommer, wohingegen die Gemeinde im Winter den höchsten Verbrauch aufweist.

Photovoltaik-Anlagen als Ergänzung sind im Bergdorf nur bedingt sinnvoll: Ist der Bedarf hoch, sind sie häufig mit Schnee bedeckt. Von Dezember bis März muss die Arosa Energie deshalb vermehrt Strom am Markt zukaufen. Aber auch das restliche Jahr über verfolgt der Stromversorger eine klar preisorientierte Strategie: Der benötigte Strom wird möglichst günstig beschafft, der selbst produzierte Strom zu bestmöglichen Konditionen am Strommarkt verkauft. Dazu betreibt der Versorger die Kraftwerke zu den lukrativsten Stunden auf Volllast und richtet die Produktion nicht am Bedarf der Endkunden aus.

«Mit unseren Kraftwerken versuchen wir, den besten Spotmarktpreis zu erreichen. Dazu machen wir fast täglich einen Fahrplan.»

Tino Mongili, Geschäftsleiter, Arosa Energie

Bessere Prognose – günstigerer Strom

Die grössten Stromverbraucher der Gemeinde stellen die Beschneiungsanlagen in den Skigebieten dar. Spitzenbedarfe liegen bei bis zu 4,5 MW. Da sie ihren Betrieb selbstständig steuern, ist es für die Arosa Energie enorm schwierig, den kurzfristigen Strombedarf vorherzusagen. «Kühlt die Temperatur um ein halbes Grad ab, können die Schneekanonen plötzlich einschalten. Und die Temperatur ist nicht gleichmässig verteilt im ganzen Gebiet», erklärt Tino Mongili, Geschäftsleiter der Arosa Energie, die Hintergründe.

Im Gegensatz zu den Beschneiungsanlagen lassen sich die Bedarfsspitzen der Grossverbraucher wie Bergbahnen, Hotels und Gastronomie etwas besser vorhersagen. Auch der Verbrauch der privaten Wohnungen kann gut prognostiziert werden. «Wir beobachten über den Tag hinweg hohe Spitzen im Verbrauch», so der Geschäftsführer. Es sei jedoch nicht beabsichtigt, diese zu glätten. Insbesondere wolle man nicht in den Tagesablauf der Gäste und Bewohner eingreifen.

«Die leistungsintensiven Beschneiungsanlagen können wir nicht als Flexibilitäten ansehen.»

«Damit würden wir den Tourismus massiv behindern», gibt Tino Mongili Aufschluss. Flexibilitäten bestehen jedoch bei den historisch bedingt vielen Speicherheizungen und Boilern in der Gemeinde. Deren Last wird in die Nachtstunden verschoben.

Die Verbrauchsprognose übernehmen die Centralschweizerischen Kraftwerke (CKW) für die Arosa Energie, die auch ungeplanten Mehrbedarf oder eventuelle Überschussenergie ausgleichen müssen. Aufgrund einer vertraglichen Vereinbarung sind die Kosten für die Arosa Energie einfach planbar. «Die Lösung hat sich für uns gut etabliert», so der Geschäftsleiter.

Fairness gesucht

Die verbrauchergerechte Verrechnung der Energie an die Kunden ist für die Werke kein Problem: «Jeder Kunde hat ein gewisses Energieprofil. Bergbahnen laufen intensiv zu Tageszeiten mit den teuersten Strompreisen und zudem im Winter. Sie haben deshalb üblicherweise ein teureres Profil als Privathaushalte.» Die Arosa Energie sieht sich hingegen vor allem netzseitig vor einer grossen Herausforderung bei der Tarifierung. «Wir müssen das gesamte Netz auf die maximale Belastung zu Spitzenzeiten im Winter auslegen. Das wirkt sich auf die Netzkosten aus», stellt Tino Mongili klar. Mit der derzeitigen Gesetzeslage sei es schwierig, Tarife zu kreieren, die für den Versorger einfach zu handhaben und für alle Kundengruppen fair sind. Da ein grosser Anteil der Netzkosten verbrauchsabhängig sein muss, bestehe die Gefahr, ganzjährige Bewohner zu stark zu belasten und Ferienwohnungen unterdurchschnittlich an den Kosten zu beteiligen. «Netzseitig wäre für uns ein reiner Leistungstarif einfacher als die derzeitige Lösung. Mit dem StromVG ist das jedoch schwierig», gibt er zu bedenken.

Das Optimum aus dem Wasser holen

Der langfristige Verbrauch in der Gemeinde lässt sich relativ gut vorhersehen. Er schwankt über die Jahre im Bereich von 2–4 Prozent. Bei der vom Zufluss abhängigen Produktion der Wasserkraftwerke ist das jedoch anders: «2018 und 2019 waren geprägt von eher trockenen, warmen Frühsommern. Und beide Jahre hatten zuvor einen schneereichen Winter. Die Schneeschmelze verlief dennoch völlig unterschiedlich», so die Erfahrung des Geschäftsleiters.

Zum Produktionsausgleich nutzt die Arosa Energie einen 300'000 m3 Wasser fassenden Wochenspeicher. Mit einem Kraftwerks-Optimierungstool wird dieser über die Woche möglichst ideal bewirtschaftet. Am Wochenende, wenn die Marktpreise niedrig sind, wird der See wieder gefüllt. Für mehr Betriebssicherheit sorgt dabei eine vollautomatische übergeordnete Kraftwerksregelung der Plessurkraftwerke Litzirüti und Lüen. Diese wurde in enger Zusammenarbeit mit Rittmeyer entwickelt.

Im Jahr 2019 wurde für das Kraftwerk Litzirüti die Installation einer Dotiereinrichtung verfügt. Das schmälert die Energieausbeute des Kraftwerks vor allem im Winter. «Diese Entwicklungen werden uns in der Schweiz zukünftig häufiger Kopfzerbrechen bereiten – auch in Zusammenhang mit den bald auslaufenden Konzessionen», ist der Geschäftsleiter überzeugt. Schweizweit werde es allgemein schwieriger, die Wasserkraft optimal zu nutzen. Der Schutzaspekt sei im Verhältnis zum möglichen Nutzen der Wasserkraft mancherorts übergewichtet. Ein stärkerer technischer Fokus bei den Diskussionen zum angestrebten Umbau der Energieversorgung wäre für den Geschäftsleiter wünschenswert.

Bildnachweis: iStock/mladensky (Titelbild)