transfer Ausgabe 02 | 2017

Neue Prozess­transparenz, neue Sicherheit

Radolfzell ersetzt Leitsystem ihrer Kläranlage

Radolfzell (D) ist die drittgrösste Stadt am Bodensee. Ihre Kläranlage liegt unmittelbar am Seeufer und reinigt das Abwasser der über 30'000 Einwohner sowie von Gewerbe und Industrie. Neue gesetzliche Anforderungen, fehlende Funktionalität und vor allem technologiebedingte Sicherheitslücken machten den Ersatz des Prozessleitsystems (PLS) notwendig. Die städtischen IT-Experten waren bereits bei den ersten Konzepten involviert.

In einem etappenweisen Umbau wird das alte Prozessleitsystem durch RITOP® ersetzt. Dem Betriebspersonal werden damit Zug um Zug neue Funktionalitäten erschlossen, welche eine neue Prozesstransparenz schaffen und vor allem entscheidende Verbesserungen der betrieblichen Abläufe ermöglichen.

Neue (und höhere) Anforderungen

Der Betrieb einer Kläranlage unterliegt vielfältigen Dokumentations- und Meldepflichten. Der Aufwand hierfür hat sich aufgrund strengerer Richtlinien in den letzten Jahren vervielfacht. «Wir müssen mehr Daten liefern, detailliertere Betriebsnachweise führen, die auch Aussenbauwerke wie die Regenbecken umfassen, und zudem die Rückverfolgbarkeit, beispielsweise von Prozesseingriffen, sicherstellen», schildert Paul Merk, Betriebsleiter des Klärwerks Radolfzell einige der zentralen Anforderungen seitens der beaufsichtigenden Behörden. Gerade letzteres sieht Paul Merk aber genauso als wichtige Hilfe für den Betrieb: «Die Rückverfolgbarkeit einzelner Handlungen ist sehr wichtig, denn sie kann uns beispielsweise in einem Störungsfall schneller ans Ziel führen.»

«Die Rückverfolgbarkeit einzelner Handlungen führt uns auch in einem Störungsfall schneller ans Ziel.»

Paul Merk, Betriebsleiter, Kläranlage Radolfzell am Bodensee

Daten – und Trends

Zukünftig bleiben dem Betriebspersonal zudem viele manuelle Eingaben ins Betriebstagebuch erspart: Mit der neuen Prozessleittechnik werden mehr Messdaten im System verfügbar gemacht, die dann automatisch ins Protokoll übernommen werden können.

Eine entscheidende Verbesserung erhält der Betriebsleiter auch in der Datenaufbereitung. Die Verfügbarkeit von Trenddarstellungen ist dabei ein wichtiger Aspekt für Paul Merk: «Bislang fehlten uns diese, waren träge oder mussten für einzelne Aktoren oder Sensoren mühsam manuell angelegt werden.» Mit dem neuen Prozessleitsystem erwartet ihn eine neue Qualität. Auf Mausklick lassen sich Daten in Trendkurven visualisieren und verschaffen dem Betriebspersonal einen detaillierten Einblick in die Anlage: «Um die Prozesse besser optimieren zu können, oder um Störungen rasch zu beheben, sind wir auf diese Werte angewiesen», bestätigt Paul Merk.

Komfortabler Fernzugriff

Ein weiterer wichtiger Aspekt beim Entscheid für das neue Prozessleitsystem war Paul Merk der sichere, schnelle und unkomplizierte Zugriff auf die Anlage – auch von ausserhalb, und möglichst intuitiv. Damit kann die Anlage von jedem Arbeitsplatz oder via Tablet-Computer oder Smartphone von zuhause überwacht und etwaige Alarme gegebenenfalls rasch geprüft oder gar behoben werden. «Bisher konnten wir von aussen nur auf einen kleinen Teil der Anlage zugreifen», erzählt Paul Merk. «In Zukunft wird das für die gesamte Anlage, inklusive aller Aussenbauwerke, möglich sein. Das entlastet dann auch den Bereitschaftsdienst, der ausserhalb der Arbeitszeiten vielleicht gar nicht mehr zwingend vor Ort kommen muss, um den Anlagenzustand zu kontrollieren.»

Sicherheit zuerst

Einen grossen Raum in der Planungsphase nahmen die Überlegungen zur Betriebssicherheit ein: «Trotzdem das Prozessleitsystem viele manuelle Eingriffe zukünftig überflüssig machen wird, haben wir gefordert, dass wir die Anlage zu jedem Zeitpunkt auch von Hand fahren können», erklärt Paul Merk. Kritische Anlagenteile wie Pumpen oder wichtige Messsonden wurden zudem redundant aufgebaut.

Doch Sicherheit für Prozessleitsysteme in Kläranlagen bedeutet ebenso, dass die IT-Infrastruktur entsprechend geschützt ist. Kläranlagen gehören zu den kritischen Infrastrukturen. Die zunehmend IP-basierte Kommunikation innerhalb der Anlage und an den Schnittstellen zu den Aussenbauwerken bietet eine potenzielle Angriffsfläche für unberechtigte Dritte. Die mit dem alten Prozessleitsystem vorhandene Installation entsprach nicht mehr dem Stand der Technik und musste damit ebenfalls zwingend abgelöst werden. «Hierzu wurde die städtische Abteilung für Informations- und Kommunikationstechnik ins Projekt eingebunden», so der Betriebsleiter (mehr dazu im Interview mit dem Abteilungsleiter).

Mit diesem Know-how ging dann der Blick weiter über die reine Prozesssteuerung hinaus: «Wenn dann bis Ende 2018 alle Anlagenteile in das PLS eingebunden sind, dann haben wir ein System, das unseren und den sicherheitstechnischen Anforderungen entspricht», so Paul Merk abschliessend.

Bildnachweis: Stadt Radolfzell am Bodensee