transfer Ausgabe 01 | 2018

Mehr Aufmerksamkeit fürs Regenbecken

Neue Anforderungen in Baden-Württemberg

Die Reinigungsleistung von Kläranlagen wurde in den vergangenen Jahrzehnten stetig verbessert. Den Regenüberlaufbecken (RÜB) blieb jedoch oftmals eine vergleichbare Aufmerksamkeit verwehrt, obwohl deren ordnungsgemässer Betrieb ein wichtiger Baustein für den Gewässerschutz ist. Wir haben mit Dr.-Ing. Ulrich Dittmer, Arbeitsbereichsleiter Siedlungsentwässerung am Institut für Siedlungswasserbau, Wassergüte- und Abfallwirtschaft an der Universität Stuttgart, über den aktuellen Stand der Diskussion hierzu in Baden-Württemberg gesprochen. Vieles davon ist auf den gesamten deutschsprachigen Raum übertragbar.

Herr Dr. Dittmer, das Umwelt­ministerium von Baden-Württem­berg hat kürzlich über erste Eckdaten einer Verordnung zum Betrieb von Regenüberlauf­becken berichtet. Was bedeutet das für die ­Betreiber?

Die Betreiber von Regenüberlaufbecken müssen im Rahmen der Eigenkontrolle deren ordnungsgemässen Betrieb sicherstellen. Soviel gilt schon heute. Für die Verantwortlichen stellt dies jedoch eine grosse Herausforderung dar, denn viele Becken – die ersten wurden in den 1970er-Jahren gebaut – entsprechen nicht mehr den heutigen konstruktiven und technischen Anforderungen. Dazu hat nun das Umweltministerium im Februar 2018 einen Erlass angekündigt, der festschreiben soll, dass bis Ende 2024 alle Regenüberlaufbecken mit Messtechnik ausgestattet werden sollen. Damit soll es möglich werden, Häufigkeit und Dauer von Einstau und Entlastung zu erfassen. Die Betreiber müssen nun zeitnah Konzepte für die Umsetzung vorlegen.

Das ist ein Schritt in die richtige Richtung, denn in Baden-Württemberg werden Entlastungsabflüsse oft in empfindliche Gewässer abgeleitet. Und im Hinblick auf den Gewässerschutz reicht es einfach nicht aus, die Reinigungsqualität der Kläranlagen isoliert zu betrachten. Vielmehr müssen Kanäle und Rückhalteräume ebenso in die Überlegungen miteinbezogen werden. Geschickt wäre es noch, wenn auch die Verantwortung für die Infrastrukturen oberhalb der Kläranlage, welche heute in vielen Fällen den Kommunen zugeordnet sind, an die Kläranlagenbetreiber übergeben würden. Dann hätten diese die Möglichkeit, ein Gesamtkonzept zu entwickeln, wie der Gewässerschutz so effizient wie möglich umgesetzt werden kann.

Wird derzeit an Überlaufbecken nicht gemessen?

Von den rund 7000 Regenüberlaufbecken, die in Baden-Württemberg in Betrieb sind, sind heute nur knapp die Hälfte überhaupt mit entsprechender Messtechnik ausgerüstet. Für alle anderen muss nun ein konstruktives Vorgehen geplant werden. Aber selbst dort, wo heute schon gemessen wird, sind die Daten oft kaum brauchbar. ‹Knackpunkt› sind meist falsch eingestellte Grenzwerte. Die Grössen zur Erfassung von Dauer und Häufigkeit der Einstau- und Entlastungsaktivitäten lassen sich recht einfach messen, das muss nicht hochgenau sein. Aussagekraft haben diese Werte jedoch nur dann, wenn die Grenzen richtig eingestellt sind. Indem man die Ganglinien regelmässig prüft, und die richtigen Schlüsse daraus zieht, lassen sich diese jedoch gut ermitteln.

«Mit relativ einfachen Messungen kann man viel über das System lernen. Das A und O ist aber eine vernünftige Visualisierung der Daten.»

Der Betreiber sollte anhand der Ganglinien ohnehin täglich prüfen, ob die Regenüberlaufbecken ordnungsgemäss funktionieren. Diese Kontrolle ist bei Trockenwetter mit einem kurzen Blick zu erledigen, bei Regenwetter innerhalb weniger Minuten – sofern keine Betriebsstörung vorliegt. Wenn diese Routinekontrolle gewissenhaft durchgeführt wird, sind die Protokolle der Einstau- und Entlastungsaktivität ein Nebenprodukt.

So kann man im Grunde mit relativ einfach zu erhebenden Daten viel über das System lernen. Nützlich wäre in diesem Zusammenhang sicher eine Softwarelösung, welche mit einfachen Korrekturalgorithmen messtechnische Ausreisser eliminiert und so die Auswertung unterstützt. Das A und O wäre dann schliesslich noch eine vernünftige Visualisierung des Systemzusammenhangs, eben wie sich die RÜB gegenseitig beeinflussen. So würden einem Auffälligkeiten direkt ins Auge springen.

Welche, vielleicht sogar betriebswirtschaftliche, Vorteile hat ein Betreiber, wenn er Messtechnik installiert?

Die Kosten für die Installation geeigneter Messtechnik ist im Vergleich zum Aufwand, welcher im Rahmen der gesetzlich verpflichtenden Eigenkontrollen entsteht, sehr gering. Messtechnik in Kombination mit Fernüberwachung bietet ihm dazu die Möglichkeit, diese Kontrollen aus der Ferne durchzuführen. Die allermeisten zeit- und kostenaufwändigeren Vor-Ort-Überprüfungen könnte er sich damit ersparen.

Ein grosses Einsparpotential liegt aber eigentlich noch woanders: Wir haben vorhandene Messdaten von Becken mit den Planungsgrundlagen verglichen und festgestellt, dass die Daten teilweise überhaupt nicht zueinander passen. Es liess sich beispielsweise erkennen, dass RÜB in Baden-Württemberg im Mittel etwa halb so oft entlasten, wie dies nach den Planungsunterlagen zu erwarten wäre. In der Planung werden oft Flächen und ihre Abflusswirksamkeit überschätzt, der Rückhalt durch den Einstau von Kanalvolumen wird dagegen unterschätzt. Auf Basis realer Messdaten könnte der ­Betreiber seine gesamte Infrastruktur zielgerichteter optimieren, denn nur das tatsächliche Verhalten zeigt die ungenutzten Reserven im System. In Konsequenz liessen sich so möglicherweise Kosten für den Neubau von RÜB sparen.

Zum Dritten helfen Messdaten dabei, möglicherweise entstandene Defizite im Gewässerzustand besser zuzuordnen. Mit Messdaten liesse sich Klarheit schaffen, dass fallweise nicht das RÜB zu stark entlastet, sondern vielleicht die Siedlung, die Landwirtschaft oder die Strasse. Unter Umständen besteht aber auch die Befürchtung, dass Messdaten offenlegen könnten, dass manches nicht so funktioniert, wie es eigentlich sollte. Darauf will man lieber nicht den Blick lenken. Unsere Erfahrung zeigt aber, dass die grosse Mehrheit der Betreiber davon profitieren würde und sich eigentlich umsonst vor Transparenz scheut.

«Im Hinblick auf den Gewässerschutz reicht es einfach nicht aus, die Reinigungsqualität der ­Kläranlagen isoliert zu betrachten.»

Alles in allem wäre die Installation von Messtechnik jedenfalls eine grosse Chance für den Gewässerschutz, denn das ist unser eigentliches Anliegen. Und: Wir haben schon oft festgestellt, dass die Betreiber und das Personal sehr interessiert sind, wenn wir zeigen, wofür wir gewisse Massnahmen empfehlen und wie diese dem ­Gewässer dienen.

Herzlichen Dank für das Gespräch.

DWA

Der Landesverband Baden-Württemberg der Deutschen Vereinigung für Wasserwirtschaft, Abwasser und Abfall e. V. (DWA) hat, gefördert durch das Umweltministerium Baden-Württemberg, die Initiative RÜB BW in Leben gerufen. Kern der Initiative sind die ‹Sonder-Nachbarschaften RÜB›, die Betreibern eine Plattform für den regelmässigen Wissens- und Erfahrungsaustausch bieten. Das Ziel ist dabei eine Verbesserung der Regenwasserbehandlung im Sinne eines nachhaltigen Gewässerschutzes in Baden-Württemberg. Dr.-Ing. Ulrich Dittmer ist Sprecher des Netzwerks und leitet eine der acht RÜB-­Nachbarschaften in Baden-Württemberg.

Mehr Informationen: www.rueb-bw.de