transfer Ausgabe 02 | 2016

Klein­wasser­kraft im Fokus

Potenzial für zukünftige Energieversorgung

Kleinwasserkraftwerke haben in der Schweiz eine lange Tradition. Martin Bölli ist Geschäftsführer des Schweizer Verbands der Kleinwasserkraft. Neben der Unterstützung und Beratung der Mitglieder leistet er vor allem auch wichtige Aufklärungsarbeit für mehr Anerkennung der Kleinwasserkraft bei der Umsetzung der Energiewende. In unserem Gespräch erklärt er, weshalb der Betrieb von Kleinwasserkraftwerken wieder verstärkt in den Fokus rücken und an Bedeutung gewinnen wird.

Martin Bölli ist Geschäftsleiter von Swiss Small Hydro, dem Schweizer Verband der Kleinwasserkraft und arbeitet als Elektro- und Umwelt­ingenieur für die Skat, eine unabhängige Beratungsfirma für nachhaltige Entwicklung.

Herr Bölli, Kleinwasserkraftwerke leisten in der Schweiz schon lange ihren Beitrag zur Energieversorgung. Welche Entwicklungen gab es in den letzten Jahren und wo sehen sie Potentiale für die Zukunft?

Die Kleinwasserkraft hat ihren Ursprung in kleinen Gewerbebetrieben, wie Mühlen, Spinnereien und Sägereien, wo sie zur dezentralen Elektrizitätserzeugung oder zur mechanischen Nutzung diente. Mit dem Ausbau des Verbundnetzes wurden in der Vergangenheit viele Kraftwerke stillgelegt und die Anzahl deutlich verringert. In den 1980er-Jahren haben die erneuerbaren Energien, auch bedingt durch den Klimawandel oder die Tschernobyl­Katastrophe, generell stark an Bedeutung gewonnen. Dennoch merkt man, dass es in den Diskussionen meist nur um Solarenergie und Windkraft geht und weniger um die Kleinwasserkraft oder Biomasse, obwohl sie natürlich genauso dazuzählen.

Welchen Einfluss hat und hatte die 2006 eingeführte Kostendeckende Einspeisevergütung (KEV) auf die Entwicklung der erneuerbaren Energien?

Die Förderung wurde sehr gut angenommen und hat in den letzten 10 bis 15 Jahren zur Umsetzung zahlreicher Projekte, insbesondere auch zu Neubauten, geführt. Zudem wurden viele ältere Anlagen saniert und reaktiviert. In den letzten fünf bis sechs Jahren ist es aber schwieriger geworden, Projekte umzusetzen. Die grosse Anzahl an Bewilligungen von Kleinwasserkraftwerken hat zu einer Gegenreaktion der Umweltverbände geführt. Gegen viele Projekte wird Einspruch erhoben, oft auch unbegründet, um es zu verzögern.  

Damit ist der Aufwand für Projektentwickler in den letzten Jahren deutlich grösser geworden. Hinzu kommt, dass die Mittel der KEV ausgeschöpft sind, was dazu führt, dass mit der angestrebten Umsetzung der Energiestrategie 2050 wohl nur noch Kleinwasserkraftwerke mit einer Leistung über 1'000 kW gefördert werden. Bei einer Reaktivierung bestehender KWKW-Anlagen liegt die Grenze tiefer, bei 300 kW. Nebennutzungsanlagen, wie Trinkwasser- und Abwasserkraftwerke, wo bestehende Infrastruktur genutzt werden kann, sind aber von der Untergrenze ausgenommen.

Woher kommen diese Vorbehalte und wie werden sie argumentiert?

Das liegt vor allem daran, dass vor 50 Jahren Umweltaspekte weniger beachtet wurden und einige ökologische Zusammenhänge noch gar nicht bekannt waren. Früher waren Kleinwasserkraftwerke meist auf die Produktion ausgerichtet. Heute ist das aber völlig anders, da der Umwelt- und Landschaftsschutz eine grosse Rolle spielen.  

Drei Argumente werden besonders häufig gegen Kleinwasserkraftwerke vorgebracht: dass sie zu teuer sind, fast nichts produzieren und zudem viele negative Auswirkungen auf die Umwelt hätten. Diese Behauptungen sind schlichtweg falsch, hielten sich aber bis dato hartnäckig während der gesamten politischen Verhandlungen zur Energiestrategie 2050. Im Vergleich zu sämtlichen geförderten KEV-Technologien produziert die Kleinwasserkraft nachweislich am Günstigsten und am Meisten. Der wahre Grund für die Ablehnung ist wohl, dass die Umweltverbände durch die grosse Anzahl von Projekten nicht mehr in der Lage waren, alles so zu kontrollieren und zu prüfen, wie sie das gerne gemacht hätten.

»Drei Argumente werden besonders häufig gegen KWKWs vorgebracht: dass sie zu teuer sind, fast nichts produzieren und zudem viele negative Auswirkungen auf die Umwelt hätten. Diese Behauptungen sind schlichtweg falsch.«

Für einen KWKW-­Interessenten klingt das Ganze aber nicht wirklich attraktiv. Welche Aspekte sprechen dennoch dafür?

Potenzial für Kleinwasserkraftwerke besteht natürlich immer noch. Umstritten ist ja vor allem die Bewilligung von Neubauten an Fliessgewässern. Reaktivierungen sind hingegen deutlich einfacher zu realisieren. In der nächsten Zeit stehen einige wichtige Verhandlungen und Entscheidungen für zukünftige Energiestrategien und Förderungsmodelle an. Deshalb gibt es im Moment viele Unsicherheiten. Nächstes Jahr sind die Rahmenbedingungen sicher schon klarer. Bis das alles geklärt ist, raten wir unseren Mitgliedern, ihr jeweiliges Projekt zwar weiterzuentwickeln, aber die Aufwände im Auge zu behalten.

Wasserkraft wird auch in Zukunft eine zentrale Rolle spielen, vermutlich sogar noch stärker als heute. Die Vorteile dieser Technologie sind gross, es könnte aber ein paar Jahre dauern, bis man sich dessen wieder bewusst wird und die Rahmenbedingungen entsprechend auslegt.

»Wasserkraft wird auch in Zukunft eine zentrale Rolle spielen, vermutlich sogar noch stärker als heute.«

Gibt es denn eine ungefähre Regel, um festzustellen, ob sich der Betrieb eines Kleinwasserkraftwerks lohnt?

Es gibt eine Faustformel, die eine erste, grobe Abschätzung der Leistung ermöglicht. Im Trinkwasserbereich sind insbesondere Fallhöhen ab ca. 50 m interessant, mit einer möglichst regelmässigen Schüttung. Dasselbe gilt für die Turbinierung von Abwasser, allerdings gibt es dort weniger Standorte, da sich die Abwasserreinigungsanlagen meistens in tieferen Lagen befinden. Es besteht zudem die Möglichkeit, den Standort und die geplante Anlage von einem Experten in einer Grobanalyse bewerten zu lassen. Das wird sogar unterstützt – vom Förderprogramm des Bundesamts für Energie. 

Gibt es ausser der KEV auch noch andere Möglichkeiten zur Finanzierung?

Das Wichtigste ist sicher der Eigenverbrauch. Im Trinkwasserbereich können so beispielsweise erforderliche Pumpen betrieben werden – mit relativ wenig Aufwand. Viele historische Industriebetriebe wurden nah am Wasser gebaut. Es kann sich durchaus lohnen, in diesen Gebäuden Betriebe mit energieintensiver Nutzung anzusiedeln und mit den KWKWs günstigen Strom zur Verfügung zu stellen. Der Verkauf von Ökostrom bringt zwar einen Mehrertrag, aufgrund der tiefen Strommarktpreise ist der daraus resultierende Einspeisetarif aber insbesondere für Kleinstanlagen zu tief. Ein interessanter Absatzmarkt könnte hingegen die Teilnahme am Regelenergiemarkt sein, wo mehrere Anlagen gemeinsam in einen ›Pool‹ arbeiten. Das Ganze befindet sich aber noch in der Entwicklungsphase.

Wie geht man in den Nachbarländern der Schweiz mit dem Thema Kleinwasserkraft um?

Da bietet sich der Vergleich mit Österreich sehr gut an, da die Bevölkerungszahl vergleichbar und die Topologie ähnlich ist, also die Kombination aus Gebirge und Flachland. Zudem gibt es dort meiner Kenntnis nach auch einige Diskussionen mit den Umweltverbänden. Auffallend ist aber, dass in Österreich eine deutlich grössere Anzahl kleiner Anlagen – unter 300 kW – betrieben wird. Das ist schon interessant, wenn in der Schweiz Kritiker behaupten, dass diese Anlagen nicht rentabel sind und der Nachbarstaat genau das Gegenteil beweist.

Mit welchen Fragen von Mitgliedern und Interessenten sind Sie im Verband denn besonders häufig konfrontiert?

Ein Grossteil bezieht sich auf die generelle Machbarkeit eines Projekts. Beispielsweise, ob ein Bachlauf auf dem Grundstück genutzt werden darf. Vielen ist nicht bewusst, dass man dazu eine Konzession und einen Stromabnehmer benötigt. Es gibt aber auch spezifischere Fragen. Zum Beispiel, welche Möglichkeiten man hat, den produzierten Strom zu verkaufen. Zudem kommen immer wieder Anfragen von Personen, die das Projekt schon sehr weit geplant haben und nun mit den Einsprüchen von Umweltverbänden konfrontiert sind. In derartigen Fällen prüfen wir dann, ob die Einwände berechtigt sind oder ob es sich eher um Verzögerungseinwände handelt. Finanzierungsfragen sind hingegen ganz selten. Wir erhalten sogar eher Anfragen von Investoren, die gerne ein Projekt unterstützen würden und ein solches suchen.

Wie sieht Ihrer Meinung nach die Zukunft für Kleinwasserkraftwerke aus und welche Entwicklungen sind möglich?

Ich bin davon überzeugt, dass der Betrieb von Kleinwasserkraftwerken wieder verstärkt in den Fokus rücken und an Bedeutung gewinnen wird. Wir rechnen damit, dass das neue Energiegesetz 2018 in Kraft tritt. Ein weiterer wichtiger Punkt ist die Atomausstiegsinitiative, deren Abstimmung im November stattfindet. Wenn sie angenommen wird, dann dürfte dies auch den Druck erhöhen, bestehende Potenziale im KWKW-Bereich besser zu nutzen und die beschlossenen Leistungsuntergrenzen der KEV nochmal zu verhandeln.   Die Planungszeit eines Kleinwasserkraftwerks beträgt ja meistens zwischen fünf und zehn Jahren. In diesem Zeitraum kann viel passieren. Schliesslich sind auch die Potenziale anderer erneuerbarer Energien wie Windkraft, Biomasse oder Photovoltaik nicht unlimitiert. Möglicherweise merkt man dann, dass die Energieproduktion aus Kleinwasserkraftwerken doch nicht so schlecht ist.

Herzlichen Dank für das Gespräch.