transfer Ausgabe 01 | 2022

Is there anybody out there?

Verbände auf der Suche nach Nachwuchs

Sie haben jetzt Musik in den Ohren? Ja, der Titel des Beitrags stammt von Pink Floyds Lied aus dem Jahr 1979. Der Liedtext hätte jedoch genauso gut von der aktuellen Personalsituation der Schweizer Versorgungsbranche inspiriert sein können. Franziska Meier vom Schweizerischen Brunnenmeister-Verband SBV und Lorenz Bützberger vom Schweizerischen Verein des Gas- und Wasserfachs SVGW wissen ein Lied davon zu singen, wie wichtig es ist, aktiv Kontakt zu suchen und lieber früher als später zu handeln, um Nachwuchs zu finden. Nicht nur in den Betrieben – auch bei den Ausbildnern besteht hoher Bedarf.

Wenn die Bekanntheit fehlt

Die Versorgungsbranche steht vor einer Pensionierungswelle. Gleichzeitig gestaltet es sich schwierig, Nachwuchs bei den Fachkräften zu finden. Es sei deshalb wichtig, die Bekanntheit für diese Berufsbilder in der Schweiz zu steigern, sind sich die Leiterin für Weiterbildung beim SBV, Franziska Meier, und der Leiter Bildung beim SVGW, Lorenz Bützberger, einig.

Vor allem fundiert ausgebildete Handwerker wie Rohrnetzmonteure seien in den Werken dringend gesucht. In absoluten Zahlen gerechnet würde sich jedoch eine eigene Berufslehre für Rohrnetzmonteure schweizweit nicht lohnen, gibt Lorenz Bützberger Aufschluss. Es könne aber helfen, Perspektiven aufzuzeigen, die sich jemandem nach dem Abschluss einer – möglichst artverwandten – Lehre bieten können, beispielsweise als ausgebildeter Sanitärinstallateur. Ausserdem sei es mit einigen Jahren Praxiserfahrung auch möglich, ohne Lehrabschluss die Ausbildung und die eidgenössisch anerkannte Berufsprüfung zum Rohrnetzmonteur zu absolvieren.

«Berufsmessen könnten zum Beispiel dazu genutzt werden, dieser Ausbildung zu mehr Bekanntheit zu verhelfen. Aber auch eine Sensibilisierung im Unterricht der Berufsschulen wäre dabei hilfreich», ist Lorenz Bützberger überzeugt. Franziska Meier würde sogar noch früher ansetzen, um auch den Wert von Wasser in der breiten Bevölkerung sichtbarer zu machen: «Wasser wird bei uns als selbstverständlich angesehen. Man sollte bei uns bereits früh über die Ressource Wasser und deren Wichtigkeit aufklären und das Verständnis fördern – was es damit auf sich hat, woher es kommt.» Dazu solle man bereits in der Grundschule bei der Bildung ansetzen und so die Bekanntheit dieser Berufsbilder erhöhen. Der SVGW machte zudem gute Erfahrungen damit, bei lokalen Veranstaltungen das Verantwortungsbewusstsein für das Lebensmittel Wasser von Gemeinderäten zu thematisieren, welche für die regionale Wasserversorgung zuständig sind. Auch das trage dazu dabei, diesen Berufsbildern eine breitere Aufmerksamkeit und auch Wertschätzung zukommen zu lassen.

Der Faktor Zeit

Um mehr ‹Impact› zu erreichen, müsste die Versorgungsbranche ihre Netzwerke weiter ausbauen, dessen ist sich die Weiterbildungsleiterin des SBV im Klaren. Die nötige Kapazität dafür stünde jedoch meist nicht zur Verfügung: «Unsere Mitglieder sind selbst im eigenen Betrieb gefordert und haben mit den Ausbildungen bereits ein hohes Pensum, das sie nebenher stemmen.» Franziska Meier würde sich deshalb bei der jungen Generation etwas mehr Eigeninitiative wünschen, sich weiterzuentwickeln. «Man ist immer gefordert, selbst etwas beizutragen. Man muss selbst aktiv bleiben.»

Der fehlende Nachwuchs macht sich aber nicht nur bei den Handwerkern bemerkbar, stellt Lorenz Bützberger klar. Auch bei Referentinnen und Referenten bestünde hoher Bedarf. Das sei unter anderem auch ein Grund dafür, dass die Warteliste zum Absolvieren der Brunnenmeister-Ausbildung aktuell sehr lang ist: «Es ist uns ein Anliegen, praxisnahe Ausbildungen anbieten zu können. Wir sind deshalb im Milizsystem organisiert. Unsere Dozenten sind selbst in der Wirtschaft bzw. den Werken tätig», hebt der Bildungsleiter die Kapazitätsgrenzen hervor. Es sei daher äusserst wichtig, dass auch die Arbeitgeber bereit sind, ihren Mitarbeitenden Zeit zur Verfügung zu stellen, damit das Weiterbildungssystem weiterhin funktionieren kann. Gegen 200 Referentinnen und Referenten sind aktuell für die Weiterbildungen und Kurse des SVGW im Einsatz, Tendenz steigend. «Unsere Fachreferenten nehmen teilweise sogar Ferien, um bei uns zu unterrichten. Ein Ausbau der Angebote ist auch abhängig von der Verfügbarkeit der Lehrkräfte», so Bützberger.

Lernen von den Erfahrenen

Umso wichtiger ist es, dass das vorhandene Wissen in der Branche im Berufsalltag von den Erfahrenen an die nächste Generation weitergegeben wird, damit es für die Zukunft erhalten bleibt. Gerade für den Betrieb kleiner Versorgungen sind die ‹Basics› wichtig, ist Franziska Meier überzeugt, denn das grundsätzliche Bild einer Wasserversorgung habe sich in den letzten Jahrzehnten nicht verändert: «Die Digitalisierung erleichtert vieles, birgt aber auch Gefahren. Die vielen vorhandenen Daten müssen auch sinnvoll verwertet werden. Und dazu müssen die jungen Mitarbeitenden das Handwerk von der Pike lernen. Wissen, wie man eine Wasserversorgung von Hand betreibt, wie die Prozesse zusammenhängen. Das gibt die breite Basis, die es in einer Versorgung braucht.» Sie sieht eine grosse Gefahr darin, dass man dieses Wissen aus den Augen verliert und die Sensibilität, die die heute Erfahrenen haben, nach und nach abhandenkommt.

Mit dem W12-Regelwerk verfüge die Branche über ein gutes Werkzeug, in einem strukturierten und dokumentierten Prozess die gesetzliche Pflicht der Selbstkontrolle der Trinkwasserqualität zu erfüllen, stellt Lorenz Bützberger klar – und hebt dessen Wert für die Wissensweitergabe hervor: «Dadurch werden gleichzeitig das Know-how und die gute Verfahrenspraxis dokumentiert, die dann für die Nachfolge zur Verfügung stehen.» Hierfür gebe es auch verschiedene vom SVGW zertifizierte Softwaretools, welche die Dokumentation unterstützen. Das könne speziell für kleinere Gemeinden sehr hilfreich sein, die besonders oft mit der Herausforderung konfrontiert sind, dass das umfassende Know-how des Brunnenmeisters nicht oder nicht ausreichend dokumentiert ist.

Der Austausch ist zentral

Um die Erfahrungen langjähriger Kolleginnen und Kollegen an die jüngere Generation weiterzugeben, helfe der kontinuierliche Dialog enorm, ist die Bildungsleiterin des SBV überzeugt. Die Jahre oder Jahrzehnte lang beschäftigten Kollegen verfügten über einen unglaublichen Wissensschatz in ihren Köpfen. Dabei seien auch unscheinbare Dinge wie Dorfgespräche mit der Bevölkerung nicht zu unterschätzen. Da es viele Aufgaben gibt, die in einer Versorgung nur jährlich stattfinden, sei es deshalb wünschenswert, wenn die Nachfolgerinnen und Nachfolger mindestens ein Jahr lang parallel im Betrieb mit den Erfahrenen mitarbeiten.

«Zusätzlich zur Ausbildung braucht es den Fachaustausch zwischen Jung und Alt. In unserer sportlichen Arbeitswelt darf dieser nicht abhandenkommen.»

 

Franziska Meier, Leiterin Weiterbildung beim SBV und Brunnenmeisterin mit eidg. Fachausweis

Der SBV setzt auch bei seinen Weiterbildungskursen bewusst auf den Fachaustausch, stellt Franziska Meier klar: «Es geht darum, das grosse Ganze zu sehen, die Gesamtübersicht über alle Vorgänge zu haben. Dafür ist Kommunikation zentral.» Neben Neuigkeiten aus der Branche und Praxisinhalten vor Ort wird in ihren Kursen deshalb auch gelehrt, wie man in gestressten Situationen wertschätzend miteinander umgeht.

Auch für Lorenz Bützberger stellte sich zuletzt immer klarer dar, wie wichtig der direkte Austausch zu Fachthemen für die Branche ist. Der SVGW stellte sein Programm im Zuge der Corona-Pandemie um und bot alle Kurse, bei denen es sinnvoll möglich war, online an. Zwar werde man das Online-Format bei einigen Themen beibehalten – beispielsweise, wenn es wie beim Vorkurs für Brunnenmeister oder Rohrnetzmonteure um den Erwerb gezielter Kompetenzen geht. «Aber abgesehen davon, dass praxisbezogene Kurse mit Hands-on-Übungen vor Ort durchgeführt werden müssen, konnten wir auch beobachten, dass unsere Kursteilnehmer ein grosses Interesse am Austausch und am Netzwerken haben. Online-Formate sind da einfach hemmend.» Zudem seien Berufsgruppen mit starker handwerklicher Ausprägung tendenziell weniger IT-affin.

Kommunikation untereinander ist für den SVGW nicht zuletzt auch deshalb wichtig, um das Bildungsangebot bestmöglich auf zukünftige Anforderungen zuschneiden zu können. «Für die Entwicklung unseres Weiterbildungsangebots sind wir auf den regen Austausch mit unseren Mitgliedern angewiesen. Sie vertreten die Werke und Gemeinden und können die Bedürfnisse der Branche gut beurteilen und mit uns teilen.» Das erhöhe die Chancen, mit den richtigen Themen für die richtigen Berufsgruppen zum richtigen Zeitpunkt – sprich: früh genug – parat zu sein.

«Die Herausforderung ist, die richtigen Angebote zur richtigen Zeit anzubieten. Dazu müssen wir den Dialog mit unseren Mitgliedern fördern.

 

Lorenz Bützberger, Leiter Bildung beim SVGW

Durchhaltevermögen zahlt sich aus

Auch wenn all dies nach ganz schön vielen Herausforderungen für die Branche klingt: Es gebe durchaus auch Lichtblicke, freut sich Franziska Meier. Bei ihrem 100-jährigen Jubiläum im Jahr 2003 hat die Versorgung, in der die Bildungsleiterin tätig war, beispielsweise mit verschiedenen Aktionen sehr aktiv an die Bevölkerung kommuniziert. «Das war sehr nachhaltig, wir bekommen heute noch sehr positive Reaktionen zurückgespielt. Man sieht: Steter Tropfen höhlt den Stein. Das ist schön, und das wird auch immer so bleiben.»

Bildnachweis: iStock/GeorgePeters (Titelbild)