Erfolgreiche Generalsanierung für einen Kraftswerks-Oldtimer

Die WWZ AG modernisiert ihr historisches Kraftwerk Zentrale 3 an der Oberen Lorze im Kanton Zug.

In gerade einmal zehn Monaten gelang es der WWZ AG gemeinsam mit ihren Partnern, eines der ältesten Kleinwasserkraftwerke im Kanton Zug, das Kraftwerk Zentrale 3 an der Oberen Lorze, auf den neuesten Stand der Technik zu bringen. Die Anlage, die 1902 ihren Betrieb aufnahm, wurde einerseits elektromechanisch auf den neuesten Stand gebracht, indem zwei ungleiche Francis-Spiralturbinen des Südtiroler Branchenspezialisten Troyer AG installiert wurden. Und anderseits auch elektro- und leittechnisch: Die renommierten Branchenspezialisten der Rittmeyer AG rüsteten das Kraftwerk mit modernster Leittechnik aus. Seit Dezember letzten Jahres ist der Kraftwerks-Oldtimer mit neuer Technik wieder am Netz.

Das Lorzentobel, jenes schluchtartige Tal zwischen Baar und Neuägeri, gilt als die Wiege der Elektrifizierung im Kanton Zug schlechthin. Bereits 1891 wurde im Bereich der Oberen Lorze Elektrizität erzeugt. Das Kraftwerk war mit fünf Girard-Turbinen ausgestattet, die auf insgesamt 550 PS ausgelegt waren. Ein erster wichtiger Stromabnehmer war die Industrie, wenig später folgte die Stadt Zug, die Strom für die Stadtbeleuchtung benötigte. Wie die Chronisten von damals berichten, nutzte man bei der Verlegung der Stromleitungen eine ganz spezielle Technik: So wurden  Raketen, an denen eine Schnur angebracht war, von einem Masten zum nächsten abgeschossen. Auf diese Weise wurden die Drähte über die Masten gespannt.

Mit dem Bau der ersten Wasserkraftanlage wurde auch die WWZ AG aus der Taufe gehoben, die damals noch Wasserwerke Zug AG hiess und die bis heute jene drei Kleinwasserkraftwerke betreibt, die in der Pionierzeit der Elektrizität, zwischen 1891 und 1902, errichtet worden waren. Das letzte des Kraftwerks-Trios, das Kraftwerk Zentrale 3 an der Oberen Lorze, wurde als Unterlieger von Zentrale 1 angelegt. Sie gehörte ursprünglich der Spinnerei Baar. "Die drei originalen Maschinengruppen aus 1902 wurden in den 1940er Jahren saniert und später um eine vierte Maschinengruppe für die Turbinierung des zusätzlichen Wassers aus dem Edlibach ergänzt. Seither hat die Anlage praktisch ununterbrochen Energie produziert", sagt Philippe Gattiker, Leiter Netzprojekte bei der WWZ und gesamtverantwortlich für die Sanierung des Kraftwerks 3 an der Oberen Lorze.

Baustart in der Warteschleife

Fast 120 Jahre hatten die Maschinen ihren Dienst versehen. Zuletzt schien ihr technisches Ende aber unabwendbar. "Der Hauptgrund für die Gesamtsanierung stellten die alten mechanischen Turbinenregler dar, für die es kaum mehr Ersatzteile gab. Aber auch die Spannungsregler und Schutzgeräte stammten aus der elektromechanischen Ära. Sie machten die letzten Jahre immer wieder Probleme. Hinzu kam, dass das Wartungs-Know-how über die Jahre ‚in Pension gegangen‘ war. Zwar war die Leittechnik um die Jahrtausendwende saniert worden, diese war aber mittlerweile auch am Ende ihres Lebenszyklus angelangt“, erzählt Philippe Gattiker.

2016 startete die WWZ AG mit den gegenständlichen Planungen, und gegen Mitte 2017 wurde die definitive Projektausführung beschlossen. Nach der Ausschreibung der Turbinen und Generatoren sowie der Elektround Leittechnik 2018 war der ursprüngliche Baustart für Mitte 2019  vorgesehen. Doch dieser Termin sollte nicht halten. Gattiker: "Zu dieser Zeit herrschte Rechtsunsicherheit im Zusammenhang mit einem Urteil des Schweizer Bundesgerichts zu einer damals ebenfalls im Kanton Zug durch eine andere Eigentümerschaft geplanten Kraftwerkssanierung. Für unser Projekt haben wir daher den Sachvorhalt vor Baubeginn geprüft und erst nach den entsprechenden Abklärungen – und nach der Fischschonzeit, die ebenfalls in diese Zeit fiel – mit den Arbeiten begonnen. "Für die bereits mit der Produktion beauftragte Turbinenbauerin, die Firma Troyer AG, bedeutete dies keinen grossen Zeitverlust. Die Fertigung wurde weitergeführt, die Maschinen ausgeliefert, allerdings wurden sie eingelagert bis zur Montage im Jahr darauf. Im Februar 2020 wurden die alten Maschinengruppen schließlich stillgesetzt – die Arbeiten konnten beginnen.

Von vier Maschinen auf zwei

Ein wichtiger Punkt im Rahmen der Modernisierung sollte die Maschinenwahl betreffen. Gemeinsam mit dem Wasserkraftspezialisten aus Südtirol hatte man sich auf ein neues Turbinenkonzept geeinigt, das sich erheblich vom ursprünglichen unterscheidet: "Wir wollten die Möglichkeit nutzen, die Grössenverhältnisse der beiden neuen Maschinen optimal auf das saisonal stark unterschiedliche Wasserdargebot auszurichten, um eine effizientere Wasserbewirtschaftung als in der Vergangenheit zu erreichen", so Gattiker.

Man setzte auf zwei Francisturbinen im klassischen Grössenverhältnis von Ein-Drittel zu Zwei-Drittel. Zudem weisen die beiden Maschinen zusammen nun ein grösseres Schluckvermögen auf als die alten Maschinengruppen. Sie können die vom kantonalen Regierungsrat 1997 definierte Wassernutzungsmenge von 3,1 m3/s nun effektiv nutzen. Konkret ist die kleinere Francisturbine bei einem Ausbaudurchfluss von 1.100 l/s auf eine Leistung von 772 kW ausgelegt, während die grössere der beiden Maschinen bei einem Schluckvermögen von 2.000 l/s auf 1.362 kW kommt. Die gesamte elektromechanische Ausrüstung inklusive Turbinen, Absperrorganen und der wassergekühlten und mit Ölumlaufschmierung versehenen Generatoren wurde von der Firma Troyer aus Sterzing geliefert. Dabei sollten sich für die erfahrenen Wasserkraftspezialisten vor allem  Herausforderungen im Zuge der Montage ergeben, wie Troyer-Projektleiter Martin Windisch berichtet: "Eine Schwierigkeit für unsere Monteure war, dass die Zuleitungsrohre zu den Turbinen vorgegeben waren und wir die Absperrorgane und die Turbinen an diesen anbauen mussten. Ebenso war die Position der Saugrohre vorgegeben, da aufgrund des Denkmalschutzes keinerlei Veränderungen an der Bausubstanz vorgenommen werden durften. Das machte es nicht einfach."

Eine andere unliebsame Überraschung zog die Anlieferung des Generators von Maschine 1 nach sich: Dieser war zu gross, um durch das Eingangstor zu passen. Allerdings war die Lösung dafür nicht allzu kompliziert: Kurzerhand wurde der Klemmenkasten demontiert, damit war der Generator "schlank" genug.

Altersbedingte Mängel beheben

Deutlich weniger Jahre als die alten Maschinen hatte die bestehende Steuerungs- und Leittechnik auf dem Buckel, die vor rund 20 Jahren zuletzt modernisiert worden war. Dennoch stand für die Verantwortlichen der WWZ AG ausser Zweifel, dass auch diese im Rahmen der Generalsanierung komplett erneuert werden sollte. Der Auftrag ging an das bekannte Branchenunternehmen Rittmeyer AG, deren Unternehmenssitz in Baar nur wenige Autominuten vom traditionsreichen Kraftwerk entfernt ist.

Dass man sich – ebenso wie die Turbinenbauer – mit der Verschiebung des Baustarts konfrontiert sah, kommentiert Rittmeyer-Projektleiter Marc Rothenfluh gelassen: "Ursprünglich wäre der Zeitplan nach Auftragserteilung 2019 durchaus eng gewesen. Das hat sich danach etwas entspannt. Deshalb haben wir uns zu Beginn auf die Erstellung des Pflichtenhefts beschränkt. Und erst als es endgültig grünes Licht für das Projekt gab, gingen wir weiter in die Detailarbeiten. Konkret: Wir begannen mit der Software-Erstellung und mit der Fertigung. "Was vor allem  steuerungstechnisch beim Altbestand nicht mehr wunschgemäss funktionierte, sei das Synchronisieren der alten Maschinen gewesen, die noch mit 3-Punkt-Ventilen ausgerüstet waren. Auch das Kühlsystem, das früher gemeinsam für alle Maschinen ausgelegt war, funktionierte nicht mehr einwandfrei. Zwar stammten die alten Steuerungsmodule ebenfalls von der Firma Rittmeyer, doch das erleichterte die Arbeiten für das Team von Marc Rothenfluh nicht: "Wir konnten in diesem Fall sehr wenig von der alten Software übernehmen, es musste fast alles neu geschrieben werden."

Knacknüsse für die Programmierer

Dabei sollte sich gerade die Erstellung der Software als eine der Knacknüsse für die Steuerungsspezialisten erweisen: "Das Knifflige daran war, dass WWZ eine sehr spezifische Form der Signalbenennung vorgab: und zwar die nicht allzu gängige RDS-PP-Variante. In den meisten Fällen wird die KKS-Norm verwendet. Daher galt es eine Betriebsmittelliste zu erstellen, die letztlich vom Auftraggeber abgesegnet werden musste. Das war eine wichtige Aufgabe im Vorfeld. Die Programmierung der Software ging dann zügig", erinnert sich Marc Rothenfluh.

Pro Maschinengruppe wurde eine eigene Steuerung in Form der bewährten RIFLEX vorgesehen, in welcher auch die Turbinenregler integriert sind. Zudem gibt es eine Steuerung für den allgemeinen Teil und die Ankopplung der Schaltanlage. Das Bediensystem RITOP ist auf einem virtuellen Server von WWZ aufgesetzt. Das Benutzermanagement ist ebenfalls mit dem Active Directory von WWZ gekoppelt. "Geplant ist, dass in Zukunft auch die anderen Kraftwerke der Oberen Lorze dazugeschaltet werden", so der Projektleiter. Aussserdem wurden die bestehenden Steuerungen im Wasserschloss und in der Wasserfassung in die neue Leittechnik eingebunden.

Die alten Sensoren der Durchflussmessung, sowie einige Stellungsgeber an der Wasserfassung mussten ausgetauscht werden. Der Spannungsregler, ein Unitrol von ABB, wurde vom Bauherrn beigestellt. Er wurde vom Team Rittmeyer programmiert und fachgerecht installiert. Für den elektrischen Schutz wurden Siemens-Schutzgeräte eingebaut.

Betrieb regeltechnisch optimiert

Eine programmiertechnische Herausforderung brachte vor allem die dynamische Pegelregelung der Anlage mit sich. Rothenfluh: "Das liegt primär am sehr langen Oberwasserkanal vom Oberlieger bis zum Wasserschloss. Bei der Fassung befindet sich ein Überlauf, an dem überschüssiges Wasser abfliessen kann. Natürlich lag es in der Intention der Betreiber, diesen Überlauf möglichst gering und somit die Nutzung des Konzessionswassers möglichst hoch zu halten. Aus diesem Grund wird der Pegel nicht an der Fassung, sondern im Wasserschloss geregelt. Um diesen  dynamischen Pegel optimal einzustellen, braucht es auch ein wenig Anpassungszeit im Betrieb. Aber mittlerweile funktioniert das sehr gut."

Aufwändiger als gedacht gestaltete sich auch der Anschluss der Schmiermittelpumpen. Zu diesem Zweck waren eine AC- sowie eine redundante DC-Pumpe fälschlicherweise mit einer Spannung von 110 V vorgesehen. "Während der Ausführung musste die DC Pumpe getauscht und durch eine 48 VDC Pumpe ersetzt werden. Gerade im Hinblick auf die Entstehung massiver Ströme und die vorhandenen Kabeldurchmesser wurde dieser Punkt durchaus komplex", erinnert sich Marc Rothenfluh.

Neben der Soft- und Hardware für die Steuerung zeichnete Rittmeyer auch für die Bereitstellung von Schaltanlage, Batterieanlage und Transformator verantwortlich. Wobei gerade die Anlieferung und das Einbringen dieser Anlagenteile in die Zentrale sich als schwierig erwiesen. Vor allem die Transformatoren aus dem Hause Siemens stellten die Monteure vor Herausforderungen, wie Marc Rothenfluh berichtet: "Wir organisierten einen Schwenkkran, der über eine lange Kette die Trafos entlang der Hausmauer bis zur Öffnung hievte. Entlang von Schienen haben wir unter Mithilfe einer Montagetruppe von WWZ die beiden Trafos mit 3,3 t und 4,2 t dann in den Trafo-Raum schieben können. Keine alltägliche Aufgabe für uns."

Rosen für Projekpartner

"Wie bei Projekten dieser Art ist die Koordination der verschiedenen Lose und Gewerke nicht unerheblich", merkt Philippe Gattiker an, der aber zugleich die gute Zusammenarbeit aller Beteiligten betont. Dies können Marc Rothenfluh und Martin Windisch nur bestätigen. Viele Dinge, so beide Projektleiter unisono, konnten auf kurzem Weg, manchmal sogar vom Home-Office aus geklärt werden. Natürlich spielten in dem Projekt auch die coronabedingten Reiseeinschränkungen eine Rolle, die vor allem die Montage und Inbetriebsetzung in 2020, aber auch die Schlussabnahme in  2021 betrafen. Dennoch konnten die Arbeiten im Wesentlichen ohne Zeitverlust abgewickelt werden.

Für Marcel Gross, der bei der WWZ AG dem Bereich Betrieb, Gas, Wasser und Energieproduktion vorsteht, ist es noch ein wenig zu früh, um ein endgültiges Fazit zu ziehen. Schliesslich wurde das Kraftwerk erst Ende Dezember wieder in den Probebetrieb übernommen. "Mein erster Eindruck ist vielversprechend, fundierte Aussagen werden wir aber erst in rund einem Jahr machen können. Dann werden wir Erfahrungen mit dem Zusammenspiel der beiden Turbinen bei saisonal verschiedenen Abflüssen gemacht und einen ersten Sommerbetrieb hinter uns haben – bisher waren ja der Generator respektive die Schmierölversorgung luftgekühlt, was in der Sommerhitze teilweise zu Ausfällen geführt hatte. Hier versprechen wir uns mit der neuen Wasserkühlung einen wesentlich zuverlässigeren Betrieb."

Bereit für die nächsten Jahrzehnte

Und auch was die neue Steuerungs- und Leittechnik anbelangt, zeigt sich Marcel Gross sehr zufrieden: "Das neue System ist äusserst übersichtlich und bedienungsfreundlich. Dank virtualisierter Server und Web-Clients ist das System höher verfügbar und kann von mehreren Personen gleichzeitig bedient werden. Wir haben die komplette Steuerung wiederum in unser Netzleitsystem eingebunden, was eine Rund-um-die-Uhr-Fernüberwachung gewährleistet." 

Das 120-jährige Kraftwerk ist damit wieder bereit, ein neues Kapitel in seiner langen Geschichte zu schreiben.

Zahlen und Fakten

  • Kraftwerkstyp: Laufwasserkraftwerk
  • Gewässer: Obere Lorze
  • Betreiber: WWZ AG
  • Ausbauwassermenge: 3,1 m3/s
  • Turbinenzahl: 2 Stück
  • Turbinentyp: Francis-Spiralturbinen
  • Fabrikat: Troyer AG
  • M1: Qmax: 2,0 m3/s I Fallhöhe: 75,4 m
  • Drehzahl: 1.000 Upm I Leistung: 1362 kW
  • M2: Qmax: 1,1 m3/s I Fallhöhe: 77,7 m
  • Drehzahl: 1.000 Upm I Leistung: 772 kW
  • Generator: Synchron mit Wasserkühlung
  • Fabrikat: Marelli
  • E-Technik & Leittechnik: Rittmeyer AG
  • Planung: AFRY
  • Transformator & Schaltanlage: Siemens
  • Baujahr: 1902 (ursprünglich) & 2020
  • Wiederinbetriebnahme: November 2020

Dieser Beitrag ist erschienen in zek Hydro, Ausgabe April 2021.
Bildnachweis: Rittmeyer AG