transfer Ausgabe 01 | 2018

Eine unfassbare Datenflut

Betriebsoptimierung mit RITUNE® in einem der grössten Klärwerke Europas

Das Klärwerk Emschermündung, kurz KLEM genannt, ist eine von vier Kläranlagen der Emschergenossenschaft und gelegen an der Stadtgrenze zwischen Dinslaken, Oberhausen und Duisburg im Herzen des Ruhrgebietes in Deutschland. Es ist Teil eines der zurzeit grössten Infrastrukturprojekte Europas: dem ‹Emscher-Umbau› mit der Errichtung des ‹Abwasserkanals Emscher›, dem zukünftig längsten Abwasserkanal in Europa. Ähnliche Superlative birgt auch die Anlage selbst, alleine wenn man auf die Datenflut der umfangreichen Messtechnik einer auf 75 Hektar verteilten Anlage schaut. Mit RITUNE erlangt die Messdaten-Auswertung eine bislang nicht gekannte Übersicht und Transparenz.

Unglaubliche dreissigtausend Liter Wasser pro Sekunde kann das Klärwerk Emschermündung maximal aufnehmen. Damit zählt das KLEM zu den grössten Klärwerken in Europa. An die Anlage sind 2,4 Millionen Einwohnerwerte angeschlossen, jährlich werden über 400 Millionen Kubikmeter Abwasser gereinigt. Diese hohe Menge erklärt sich dadurch, dass das KLEM ein Flussklärwerk ist. Es reinigt das Wasser der Emscher, einem für kurze Zeit noch offenen Schmutzwasserlauf, der sich auf rund 80km durch das Ruhrgebiet schlängelt. Der Fluss sammelt das Ablaufwasser zweier oberhalb des KLEM liegender Kläranlagen, das Grubenwasser der Grubenentwässerung aus dem Steinkohlebergbau, Grundwasser, das Reinwasser der Nebenläufe und klärpflichtiges Abwasser. Rund sieben Kilometer flussabwärts mündet die Emscher, nach der Klärung ihres Wassers im KLEM, bei Dinslaken in den Rhein.

Offener Abwasserlauf

Seit mehr als 100 Jahren ist die Emscher ein offener Abwasserlauf – und für lange Zeit einzige Möglichkeit, die Abwässer der mit dem Steinkohlebergbau rasant wachsenden Region aufzunehmen. An den Bau unterirdisch verlaufender Abwassersysteme war nämlich nicht zu denken: Rohrleitungen unter der Erde wären unter dem Druck der durch den Untertagebau entstehenden Oberflächensenkungen zerborsten. Am Fluss stank es aber damit sprichwörtlich zum Himmel, die Emscher wurde lange Jahre zum Inbegriff der ‹Revierkloake›.

Abwasserkanal Emscher

Mit dem Nordwandern des Bergbaus und dem Abklingen der Bergsenkungen entstand vor mehr als dreissig Jahren eine Vision: Die Emscher soll wieder zu einem sauberen Fluss werden. Anfang der 1990er-Jahre initiierte die Emschergenossenschaft, die auch Betreiberin des KLEM ist, das Generationenprojekt, mit einem Volumen von 5,3 Milliarden Euro eines der derzeit grössten Infrastrukturprojekte Europas. ‹Hauptschlagader› des Emscher-Umbaus ist der Abwasserkanal Emscher: Zug um Zug wird dabei das Abwasser aus der Emscher und ihren Nebenläufen entfernt und über einen im Endausbau 51 Kilometer langen Abwasserkanal zwei Grosskläranlagen, in Bottrop und dem Klärwerk Emschermündung, zugeführt. Bis im Jahr 2020, so der Plan, soll die Emscher wieder ein naturnaher Fluss sein, an dem Pflanzen und Tiere eine neue Heimat finden können.

Mammutprojekt ‹Umbau›

Seit 2015 wird deshalb zugleich am KLEM gebaut, «damit es fit ist, wenn das Abwasser aus dem Fluss geholt und über den Kanal zugeführt wird», wie Stefan Stegemann, Betriebsleiter des KLEM, die Aufgabe umreisst. Was so knapp formuliert klingt, ist jedoch ein äusserst aufwändiges Millionenprojekt: 700 bis maximal 16500 Liter klärpflichtiges Abwasser werden später im Betrieb pro Sekunde über ‹das neue KLEM› geführt, nur noch rund ein Zehntel dessen, was es als Flusskläranlage heute im ‹Normalbetrieb› reinigen muss. Natürlich impliziert dies auch völlig neue Konzentrationsverhältnisse im Abwasser: «Das erfordert nicht nur Anpassungen der Verfahrenstechnik, sondern auch den Aufbau einer komplett neuen mechanischen Reinigung», erklärt Stefan Stegemann.

Der gesamte Umbau geschieht im laufenden Betrieb und ist somit «eigentlich eine OP am offenen Herzen», wie es Stefan Stegemann nennt. Die Umrüstung der Belebungs- und Nachklärbecken muss vorbereitet sein. Sie müssen leer gepumpt, der Schlamm entsorgt werden – und dies unter dem ständigen Druck, dass die hydraulischen Bedingungen passen müssen. Denn im Extremfall muss das KLEM heute noch bis zu 30m3 klärpflichtiges Abwasser pro Sekunde aufnehmen können. «Auch wenn wir mit der Bezirksregierung eine Reduzierung dieser Verpflichtung vereinbaren konnten, müssen wir uns ständig abstimmen und es war so manche Verschiebung in der Bauplanung notwendig», erinnert sich der Betriebsleiter. Die 18 in Pfropfenströmung nebeneinander geschalteten Belebungsbecken sind bereits umgerüstet, von den sechs Nachklärbeckenstrassen mit jeweils sechs Doppelbecken sind fünf bereits geschafft.

Bis der komplette Umschluss an den Abwasserkanal Emscher vollzogen ist, dauert es noch ein paar Jahre. Erst dann wird die Pumpstation, die das KLEM mit Abwasser versorgt, fertig gestellt sein. Mit Abschluss des KLEM-Umbaus wird der Fluss jedoch bereits über die neue Anlage geführt. Eigens hierfür wurde ein Überleitungskanal gebaut, der den heutigen Zulauf mit der neuen Anlage verbindet. Mit der Inbetriebnahme der einzelnen Abschnitte des neuen Abwasserkanals wird sich dann die Menge des im KLEM behandelten Abwassers zusehends verringern, bis die Anlage im End­ausbau nur noch über den Kanal beschickt wird. Der Zulauf über die Emscher wird dann endgültig verschlossen.

RITUNE schafft Übersicht

Auf rund 75 Hektar ist die Anlage ausgedehnt, die Wege zwischen den Anlagenteilen lang – und die Wartung schon alleine deshalb sehr zeitaufwändig. «Je gezielter wir unsere Servicemannschaft zu einem konkreten Objekt schicken können, umso rascher, und damit letztlich auch kostengünstiger lassen sich Fehler beheben», sagt Karsten Alfes, Betriebsingenieur im Klärwerk Emschermündung. Die auf der Anlage verbaute Sensorik ist deshalb sehr umfangreich und liefert eine enorme Menge an Daten, welche auf dem Prozessleitsystem (PLS) aufläuft. «Ein Problem in der biologischen Stufe kann sich beispielsweise über unsere 18 Belebungsbecken mit jeweils vier Tauchsonden abbilden. Doch wo genau entsteht die Abweichung? Da kann man sich natürlich durch 18 Bilder der Belebungsbecken im PLS klicken und hat nach dem fünften Bild bereits die Übersicht verloren – oder man hat RITUNE», schmunzelt Karsten Alfes. «Mit dem Dashboard haben wir uns mit Unterstützung von Rittmeyer wunderbare dreidimensionale Ansichten erstellt. Damit kann ich aus der Masse der Daten genau das herauslesen, was ich benötige – wo der Prozess gestört ist und wo man eingreifen muss», bestätigt der Ingenieur.

«Mit den dreidimensionalen Ansichten in RITUNE kann ich aus der Masse der Daten genau das herauslesen, was ich benötige.»

Karsten Alfes, Betriebsingenieur, Klärwerk Emschermündung

RITUNE ist Alltag

RITUNE ist als Live-Monitoring in der Leitstelle Teil des Arbeitsalltags des Betriebspersonals geworden. «Selbstverständlich kann man Messwerte genauso über eine Tabellenkalkulations-Software auswerten. Aber RITUNE ist einfacher, die Darstellung ansehnlicher, die Plots genau so, wie wir sie benötigen – und dazu noch online», freut sich Karsten Alfes, und bekräftigt: «Ich spare nicht nur Zeit, sondern es macht einfach auch mehr Spass – Spass zu sehen, was man aus Daten alles herausholen kann.»

RITUNE ist als Live-Monitoring in der Leitstelle Teil des Arbeitsalltags des Betriebspersonals geworden. «Selbstverständlich kann man Messwerte genauso über eine Tabellenkalkulations-Software auswerten. Aber RITUNE ist einfacher, die Darstellung ansehnlicher, die Plots genau so, wie wir sie benötigen – und dazu noch online», freut sich Karsten Alfes, und bekräftigt: «Ich spare nicht nur Zeit, sondern es macht einfach auch mehr Spass – Spass zu sehen, was man aus Daten alles herausholen kann.»

Vision: ‹Ampel›

«Schon bevor wir RITUNE einsetzten, hatten wir die Vision, den Betriebszustand unserer Anlage auf ‹Ampeln› zu verdichten – ‹Grün›: alles läuft, ‹Gelb›: Interaktion notwendig, ‹Rot›: gesetzliche Anforderung gefährdet», erzählt Stefan Stegemann. Dies hat das KLEM nun auf entsprechenden Dashboards von RITUNE umgesetzt. «Fehler lassen sich sehr schnell entdecken, dadurch ­werden Entscheide schneller und ein zielgerichtetes Abarbeiten ermöglicht», erläutert Karsten Alfes. Und deshalb hat das Erreichen der ursprünglichen Vision bereits zur nächsten geführt: «Wir stellen uns vor, dass wir unser ­System so ausfeilen, dass uns RITUNE mit ‹Wenn-Dann›-Entscheiden gleich zu jenem Dashboard führt, auf welchem der konkrete Fehlerfall ersichtlich ist.»

Auch in punkto Prognosen entwickelt sich das KLEM weiter: Seit kurzem sind die Vorhersagedaten zur Hydrologie aus der Abteilung Wasserwirtschaft der Emschergenossenschaft in RITUNE aufgeschaltet. «Damit sehen wir schon einiges Potenzial. Wir könnten zum Beispiel bei Regenprognosen gezielt das Fällmittel eindosieren», skizziert Karsten Alfes eine mögliche Anwendung, und erwägt: «Wenn wir dann noch die Charakteristik der Niederschlagsereignisse geschickt in Bezug setzen, liessen sich mit Sicherheit noch weitere Einsparungen erzielen.»

«Man kann sich natürlich durch unzählige Bilder im Prozess­leitsystem klicken und hat nach kurzer Zeit bereits die Übersicht verloren – oder man hat RITUNE»

Karsten Alfes

Und weitere Ausbauten …

Darüber hinaus stehen in der Schlammbehandlung Investitionen an, sie ist am Ende des Lebenszyklus angelangt. Eine Modernisierung ist ebenfalls für das Blockheizkraftwerk geplant, mit dem das Klärwerk rund zwei Drittel seiner benötigten Leistung selbst erzeugt. Da überlegen sich die beiden Ingenieure schon, wie sich ein Energiemanagement realisieren liesse – und damit ungeplante Lastspitzen und der in Folge teure Energiebezug vermieden werden könnten. «Einerseits wollen wir die Eigenstromerzeugung optimieren, d.h. möglichst viel Vorklärschlamm in die Faulung bringen. Andererseits wollen wir jedoch nicht zulasten der optimierten Gasausbeute aus dem Vorklärschlamm in die Situation geraten, dem Belebungsbecken zusätzlichen Kohlenstoff zuführen zu müssen», erklärt Stefan Stegemann das Dilemma. «Ich denke, das wird noch ein spannendes Thema, das man dann von aussagekräftigeren Parametern als dem Bauchgefühl abhängig machen sollte», sagt Stefan Stegemann, und blickt in die Zukunft: «Ich denke, es gibt noch viele Gelegenheiten, bei denen RITUNE zeigen kann, wie flexibel es ist.»