Auf die ‹Sprache› kommt es an
Wie die Kraftwerke Oberhasli die junge Generation erreichen
Die Kraftwerke Oberhasli (KWO) im Berner Oberland (CH) produzieren mit 13 Wasserkraftwerken und acht Speicherseen jährlich 2'200 bis 2'300 GWh Strom aus erneuerbaren Energiequellen. Mit einer eigenen Werkstatt für Revisionen übernehmen sie auch die Entwicklung ganzer Anlagen sowie einzelner Komponenten für andere Kraftwerksbetreiber in der Schweiz. CEO Daniel Fischlin ist bewusst, welche enorme Menge an Wissen sich innerhalb seiner Organisation angesammelt hat. Um dieses für kommende Generationen zu bewahren, braucht es zukunftsfähige Methoden. Und davon hat er einige in petto.
Welt im Wandel
Die KWO haben sich zum Ziel gesetzt, das Kraftwerks-Wissen in der Schweiz zu wahren und mit digitalen Werkzeugen weiterzuentwickeln. Dabei sei sowohl der technologische als auch der gesellschaftliche Wandel eine Herausforderung, so Daniel Fischlin. Die meisten Maschinen der Kraftwerksgruppe sind über 50 Jahre alt und wurden von den KWO modernisiert und digitalisiert. «Bei Generalrevisionen und anderen Instandhaltungsarbeiten sind wir deshalb darauf angewiesen, dass unsere Mitarbeitenden die damalige Konstruktionsphilosophie verstehen», stellt der CEO klar. Die heute oft kürzeren Betriebszugehörigkeiten trügen dazu bei, dass Mitarbeitende eine solche Revision mitunter noch nie durchgeführt haben. Das dafür nötige Wissen muss daher innerhalb der KWO verfügbar gehalten werden. «Damit wir dieses Wissen weiterhin bewahren können, sollten wir eine Sprache sprechen, die die jüngere Generation auch versteht», ist sich Daniel Fischlin bewusst. Dazu müsse man auch dem technologischen Wandel Rechnung tragen und erfahrene Mitarbeitende für den Umgang mit digitalen Tools begeistern.
Brückenbauer Mediation
Aber nicht nur im übertragenen, technischen Sinn könne dieselbe Sprache eine Herausforderung darstellen. Die ‹mittlere› Generation im Alter zwischen 40 und 50 Jahren sei aufgrund von wenig Bautätigkeit in den letzten Jahrzehnten häufig nicht im Betrieb repräsentiert. Deshalb müsse die Erfahrung meist über eine Generation hinweg weitergegeben werden. «Für die teils komplexen Zusammenhänge in einem Kraftwerksverbund wie unserem gibt es keine fertigen Anleitungen, hier sind wir auf diese Erfahrungen angewiesen», zeigt der CEO auf. Bei der Weitergabe derer könne der Altersunterschied jedoch durchaus herausfordernd sein: «Wenn ein Junger kommt, weiss er vielleicht nicht, was er wissen sollte und dementsprechend auch nicht, wonach er fragen muss. Vielleicht traut er sich deshalb auch nicht. Und der Erfahrene weiss eventuell über alles Nötige Bescheid, hat aber Mühe, es zu erklären. Er trifft mitunter auch den falschen Ton.» Selbst, wenn man sein Wissen gerne teile, scheitere es mitunter im direkten Dialog.
Deshalb setzt Fischlin auf einen periodischen Austausch zwischen den Generationen, der von einer externen Mediatorin mit journalistischem Hintergrund moderiert wird. In diesen Gesprächen geben erfahrene Mitarbeitende ihr teils Jahrzehnte umfassendes Wissen an die jungen Teamkolleg:innen weiter. «Eine Vermittlerin mit psychologischem Geschick, die nicht vom Fach ist und die Gespräche mit Charme moderiert, kann helfen, einfache Erklärungen zu finden und die Beteiligten auf eine Wellenlänge zu bringen», so Fischlin. Eine solche Person könne auf erkannte Hemmschwellen der jüngeren Kolleg:innen gezielt eingehen, aber auch die Antworten der Erfahrenen in den richtigen Kontext bringen.
Begleitung bei Projekten
Hat sich ein Vertrauensverhältnis zwischen den Beteiligten etabliert, kann die Know-how-Weitergabe später ohne Führung stattfinden. Im ‹Board Kraftwerkstechnik› sind erfahrene Kraftwerks- und Bereichsleiter bei Projekten als Ansprechpartner für die jüngeren Kolleg:innen verfügbar. Letztere können ungefragt auf erstere zugehen und um Support bitten. Das sei eine Art Sicherheitsnetz für die jüngere Generation: «Neue Teammitglieder kommen heute oft aus branchenfernen Bereichen. Es ist wichtig, dass wir ihnen von Beginn an die Angst nehmen, beispielsweise wenn sie einen 100-Tonnen-Rotor, der nur 10 Millimeter Luftspalt aufweist, mit dem Kran herausziehen sollen.» Erfahrene Mitarbeitende hätten weniger Angst davor, Probleme zu lösen, bei denen zu Beginn nicht klar ist, wie man sie angeht. Sie könnten die dafür benötigte Ruhe bei den Jungen verbreiten.
Der CEO hat dabei die Erfahrung gemacht, dass erfahrene Angestellte ihr Wissen durchaus gerne teilen – wenn man es schaffe, ihnen bewusst zu machen, dass ihre Erfahrung ein unbezahlbarer Schatz für die Firma ist, und man diesen nicht verlieren möchte. «Unsere Mitarbeitenden haben dieses Bewusstsein. Sie sind überzeugt, dass dieser Weg ein guter ist. Es melden sich immer mehr Personen, die ihr Wissen teilen möchten», freut sich Daniel Fischlin.
«Schaffen wir es, Mitarbeitenden zu vermitteln, dass ihre Erfahrung ein unbezahlbarer Schatz ist, den man als Firma nicht verlieren möchte, teilen sie ihr Wissen erfahrungsgemäss gerne.»
Daniel Fischlin, CEO, Kraftwerke Oberhasli AG
Generation YouTube
Neben persönlichen Gesprächen fand Fischlin im Bewegtbild eine ausgezeichnete Möglichkeit, das Wissen der langjährigen Mitarbeitenden nachhaltig zu dokumentieren. Auch damit sprechen die KWO die Sprache der jungen Generation: «Wir haben Kollegen, die ihre Arbeitsschritte selbst filmen und kommentieren, und dann einzelne Videosequenzen schneiden.» Ein Video anzusehen sei deutlich einfacher, als eine Betriebsanleitung zu lesen, so der CEO. Die Einzelsequenzen möchten die KWO auf einer internen Plattform verfügbar machen und sie direkt mit ihrem Kraftwerkskennzeichnungssystem verknüpfen.
Die Videos seien auch hilfreich, um Mitarbeitende anzuwerben. «Social Media ist meines Erachtens die beste Möglichkeit, die wir haben, um Interesse an unserem Arbeitsumfeld zu generieren.» Die KWO riefen deshalb einen eigenen Bereitschaftsdienst für Social Media ins Leben. Dafür liess Daniel Fischlin zwei Mitarbeiterinnen im Bereich der Mediakommunikation an der Fachhochschule weiterbilden. «Posten unsere Kolleg:innen ihre Videos, transportieren sie ihren Berufsstolz. Und die jüngeren Personen sehen, wie ‹cool› diese Jobs sein können.»
Parallel dazu bilden die KWO Praktikant:innen in der Ökologie aus und stellt zeitweise Cybersoldaten der Schweizer Armee an. Damit baut sich Daniel Fischlin ein Netzwerk auf, um bei potenziellen Arbeitskräften sichtbarer zu werden. Zudem begann er bereits vor der Corona-Pandemie damit, verstärkt auf Teilarbeitszeit in Verbindung mit Homeoffice zu setzen: «Mit dieser Massnahme sehe ich grosses Potenzial für erfahrene Mitarbeiterinnen mit Kindern, die einen Wiedereinstieg suchen, aber nicht Vollzeit arbeiten möchten.»
Wissen für die Branche
Um das Kraftwerks-Know-how in der Schweiz zu wahren und weiterzuentwickeln, tätigt Daniel Fischlin viele Investitionen. «Vor allem IT-technisch investieren wir viel. Aber das wird sich auszahlen in Zukunft – davon bin ich überzeugt.» Später möchte er auf Basis des freigelegten und dokumentierten Wissens Kraftwerksausbildungslehrgänge anbieten: «Wir haben die Erfahrung, die Kraftwerke und eine Werkstatt. Und irgendwo muss ja immer etwas repariert werden an einer Maschine. Mit den entsprechenden Schulungsunterlagen ist das eine ideale Kombination, um unser Wissen zu teilen.» Und dank der nahegelegenen Hotels könnten die Interessierten problemlos einen Monat beim Kraftwerk verbringen – inmitten einer wunderschönen Umgebung.
Bildnachweis: David Birri