transfer Ausgabe 02 | 2014

Abwasser­reinigung von morgen

Herausforderungen für Kläranlagenbetreiber

Die Abwasserreinigung in der Schweiz befindet sich auf einem hohen Niveau. Dennoch stellen immer höherwertigere Abwasserreinigungsverfahren die Kläranlagenbetreiber vor neue Herausforderungen. Denn einige dieser Verfahren erfordern einen höheren Energieeintrag, was wiederum den Anstrengungen zur Einsparung von Ressourcen entgegensteht. Im Experteninterview erklärt Prof. Dr. Eberhard Morgenroth, welchen Anforderungen sich die Branche in den kommenden Jahren stellen muss und weshalb das nur mit einer optimierten Betriebsstrategie und innovativer Mess-, Steuer- und Regelungstechnik gelingen kann.

Prof. Dr. Eberhard Morgenroth ist Professor für Verfahrenstechnik der Siedlungswasserwirtschaft am Institut für Umweltingenieurwissenschaften der ETH Zürich und Leiter der Abteilung Verfahrenstechnik an der Eawag, dem Wasserforschungs-Institut der ETH.

Herr Prof. Morgenroth, wohin wird sich, ganz generell, die Abwasserreinigung entwickeln – oder gar entwickeln müssen?

Wenn wir uns die Entwicklung der Abwasserbehandlung in den vergangenen 100 Jahren anschauen, dann gab es praktisch immer ein Mehr an Reinigungsstufen. Insgesamt ein relativ linearer Prozess. Ich denke nicht, dass dies einfach so weitergehen wird – und nach der dritten Reinigungsstufe die vierte oder fünfte hinzukommt. Der Fokus liegt aus meiner Sicht in der Zukunft vermehrt darin, die Nachhaltigkeit des Gesamtprozesses sicherzustellen. Dabei wird es auch weiterhin in erster Linie um den Gewässerschutz gehen, aber es gibt auch neue Themen, die es in diesem Kontext zu bewältigen gilt: Der Energieeintrag in die Abwasserreinigung, die Ressourcenschonung ganz generell oder beispielsweise die Nährstoffrückgewinnung.

Das klingt nach «Entweder-oder»?

In der Tat ist es so, dass sich dies alles nicht einfach additiv lösen lässt. Diese Anforderungen wird man mit mehr Abstand betrachten und dann entscheiden müssen: Nach was optimieren wir? Ist es der Gewässerschutz, der Energieeintrag oder die Emission von Treibhausgasen? Die Frage, die sich stellt, ist: Wie können wir diese unterschiedlichen Ansprüche miteinander vereinen? Man wird nicht alles gleichzeitig perfektionieren können, sondern muss nach einem Kompromiss suchen. Wollte man beispielsweise schlicht nur Energie sparen, würde heute manche Entscheidung anders getroffen. Aber so einfach ist es eben nicht.

«Es braucht einen klaren Betreiberwillen, um in die Optimierung der Verfahrenstechnik zu investieren.»

Welche Optimierungskriterien werden es sein, entlang derer man entscheiden wird?

Der Gewässerschutz ist und bleibt die Nummer 1. Bei der Abwasserreinigung Strom zu sparen oder Nährstoffe zurück zu gewinnen, ist auch nicht neu. Gerade letztere Aspekte gewinnen jedoch an Bedeutung, was auch gut ist. Aber eine einheitliche Regelung oder Lösung dafür wird es sicher nicht geben. Letztlich ist das stark von der jeweiligen Anlage abhängig, von den zu erwartenden Verunreinigungen und auch, in welche Gewässer das gereinigte Wasser eingeleitet bzw. wie es weiterverwendet wird – in der Industrie, in der Landwirtschaft oder gar als Trinkwasser.

Wenn wir den Blick auf die Schweiz richten: Mit was sind die Anlagenbetreiber konkret konfrontiert?

Eindeutig sind dies der Gewässerschutz und damit aktuell die Frage, wie gehen wir mit Mikroverunreinigungen um. Das ist sicher die Aufgabe der nächsten Jahre. Daran arbeiten wir bereits, das wird umgesetzt. Aber das ist sicher nicht das Ende, das haben die Erfahrungen der vergangenen Jahrzehnte gezeigt. Vielleicht werden wir in Zukunft mehr auf antibiotikaresistente Keime, die wir ins Gewässer eintragen, und auf die Hygiene achten wollen. Wie auch immer, die Ansprüche an die Qualität des Wassers werden weiter steigen.

Es steigen aber wie bereits gesagt auch die Ansprüche an die Nachhaltigkeit des Prozesses. Damit verbunden ist immer die Frage nach den Kosten. Also: Was ist uns sauberes Wasser wert? Ein Beispiel: Damit die Mikroverunreinigungen aus dem gereinigten Abwasser in die Gewässer halbiert werden können, müssen in der Schweiz in einhundert Abwasserreinigungsanlagen zusammen rund 1,2 Mrd. Franken investiert werden. Mikroverunreinigungen wollen wir nicht, also ist es uns diese Investition wert. Nur: Geht das immer so weiter? Was ist der Bürger letztlich bereit, für sauberes Wasser zu bezahlen? In der Schweiz ist dies vielleicht leichter zu beantworten als in anderen Regionen der Welt, denn die Wasserkosten gehen hierzulande im Budget eines Haushalts im Grunde immer noch unter. Dennoch stellen sich diese Fragen auch hier.

Welche Antworten darauf gibt es für Kläranlagenbetreiber?

Wie bereits erwähnt: Es gibt eine Vielzahl von Anforderungen, die alle miteinander gelöst werden sollen. Um hierbei das Optimum zu finden, benötigen Betreiber Know-how, vor allem ein sehr detailliertes Prozessverständnis – gerade dann, wenn es um den Umbau oder die Erweiterung von Anlagen geht, die im Grunde alle Unikate sind. Gleichzeitig benötigt er eine robuste Anlage, die hoch ausfallsicher ist.

Wer hilft dem Betreiber dabei, die Komplexität zu bewältigen?

Mehr und mehr bedarf es intelligenter Systeme, welche dem Betreiber helfen, die vielen, komplex miteinander vernetzten Einzelprozesse zu beherrschen – und in weiterer Folge die Betriebsstrategie zu optimieren. Ich denke da an eine hoch innovative Mess-, Steuer- und Regelungstechnik, mit welcher es gelingen kann, aus einer Anlage «mehr» herauszuholen. Allerdings stellt sich dabei die Frage der Akzeptanz.

Weshalb zweifeln Sie daran?

Die heutigen Verfahren zur Abwasserreinigung beruhen auf Konzepten, die 50 Jahre alt sind. Die Grundidee dabei ist, dass die Anlagen robust sind, unter allen Umgebungsbedingungen ein sicheres Ergebnis liefern – und dies ohne Mess-, Steuer- und Regelungstechnik, und auch wenn man nur alle paar Tage eine Probe zieht. Wenn man nun diese Verfahrenstechnik nimmt, das System mit weiteren Sensoren ausrüstet, mit intelligentem Prozessverständnis und einer entsprechenden Datenanalyse ergänzt, dann kann man die Prozesse besser verstehen. Und man kann Regelstrategien einführen. Aber wenn man ganz ehrlich ist, dann ist das Potenzial mit den bestehenden Verfahren beschränkt – sie funktionieren mit und ohne komplexe Regelung heute ganz gut. Die Verfahrenstechnik ist darauf ausgelegt, robust zu sein – mit erstaunlich wenigen Informationen. Eine anspruchsvollere Regelung bietet jedoch durchaus Chancen. Doch dafür müssen neue Verfahren entwickelt werden, welche flexibel sind und die Möglichkeiten der Regelung auch wirklich ausnützen können. Es braucht also schon einen klaren Betreiberwillen, in diese Optimierung zu investieren. Dazu muss sie ein für den Betreiber erkennbar besseres Ergebnis liefern.

Was oder wer kann dazu den Anreiz schaffen?

Ein Punkt ist: Man kann Geld sparen. Beispielsweise in der gemeinsamen Betrachtung von Kanalisation, Abwasserreinigung und Gewässer. Dabei gibt es Potenziale in der heutigen Verfahrenstechnik, wenn wir mehr Informationen aus dem Prozess haben. Über die vorherige Kenntnis meteorologischer Daten beispielsweise können Schwankungen im Zulauf vorhergesagt und berücksichtigt werden und so Kanal und Abwasserreinigungsanlage vernetzt geregelt werden.

Generell gilt jedoch, dass alles, was gut funktioniert, nicht ersetzt werden wird. Wozu auch? Im Rahmen von Anlagenerneuerungen oder Neubauten allerdings stellen sich solche Fragen immer, denn mit modernen Systemen lassen sich Verfahren realisieren, die vor 10 oder 20 Jahren noch nicht möglich waren. Aber dann gilt es eben sicherzustellen, dass Sensoren zuverlässig arbeiten, Hardware und Software stabil und die Prozesse robust sind. Daran arbeitet die Industrie, daran arbeitet die Eawag.

Ganz grundsätzlich erwarten die Betreiber einfach eine gute Verfahrenstechnik. Sie erwarten aber auch Beratung, um sinnvolle Entscheidungen treffen zu können. Zum Beispiel in der Balance der Anforderungen nach Kostensenkung, der Verminderung des Ressourceneinsatzes, der zukünftig geplanten Nährstoffrückgewinnung oder der Reduktion der Mikroverunreinigungen. Ein sichtbares Zeichen davon sind die vermehrt erstellten Ökobilanzen. Sie zeigen, dass das Ganze vernetzt gedacht werden muss und ein grosses Systemverständnis erfordert – beim Betreiber, aber auch beim Berater und Planer, bei den Herstellern und den Anlagenbauern.

Herzlichen Dank für das Gespräch.