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01 | 2022 DAS RITTMEYER KUNDENMAGAZIN Wie gelingt Wissensweitergabe? Mehrere Wege führen zum Ziel Jung und Alt als Team Wie sich beide gegenseitig ergänzen Suche nach Nachwuchs Über fehlende Sichtbarkeit und gezielte Ansprache

Die Herausforderungen der Personalverantwortlichen in unseren Branchen sind überall dieselben: Wer Fachkräfte sucht, tut sich schwer. Mitverantwortlich dafür sind der demografische Wandel und die fortschreitende Digitalisierung mit damit einhergehenden neuen Anforderungsprofilen. Aber auch wenn die Ursachen rasch lokalisiert sind, sind Patentrezepte Mangelware. Tatsache ist, dass seit den ‹Babyboomer-Jahren› die Geburtenrate stetig gesunken ist. Und wenn nun in den kommenden Jahren diese Generation in Pension geht, dann werden mehr Menschen aus dem Berufsleben ausscheiden als eintreten. Dies trifft nicht nur die Schweiz, sondern all unsere Nachbarn gleichermassen. Mancherorts schien die Digitalisierung der Königsweg aus dem Dilemma des Fachkräftemangels zu sein. Aber auch, wenn die eine oder andere Aufgabe ‹automatisiert› werden kann, löst das unser Problem nicht. Was nützt uns die Wasserversorgung, wenn wir keine Menschen mehr haben, die die Zusammenhänge verstehen und den Blick über das grosse Ganze behalten können? Wir benötigen trotzdem oder gerade deswegen Fachpersonal, welches über das entsprechende Wissen für die Aufgaben von morgen verfügt. Dazu müssen wir sie fit machen. Die Deutsche Vereinigung für Wasserwirtschaft, Abwasser und Abfall DWA beispielsweise verfolgt dazu verschiedene Ansätze, die sie mit uns im Gespräch ab Seite 11 teilen. Hinzu kommt, dass sich der Arbeitsmarkt vom Arbeitgeber- zum Arbeitnehmermarkt wandelt. Fachkräfte suchen sich ‹ihr› Unternehmen, nicht umgekehrt. Das heisst aber auch im Umkehrschluss, dass wir als Arbeitgebende gefunden werden müssen. Dabei hat unsere Branche ihre Schwierigkeiten. Was wir tun, geschieht im Hintergrund, und ist hierzulande für die Allermeisten – leider – das Selbstverständlichste auf der Welt: sauberes Wasser; und Energie, die ‹aus der Steckdose kommt›. Einen Mangel kennen wir nicht. Ich denke mir, dass es uns zukünftig gelingen muss, unsere Leistungen und unser gesellschaftlich höchst relevantes Berufsfeld besser zu ‹transportieren›, wenn wir neue Talente finden wollen. Dazu müssen wir aus uns raus, Menschen ansprechen, ihnen von unserer Arbeit erzählen. Und davon, dass wir stolz darauf sind, was wir erreichen. Die Frage nach der Sinnhaftigkeit, eines der wichtigsten Auswahlkriterien junger Menschen für ihr berufliches Wirken, beantwortet sich daraus dann fast von selbst. Vielleicht braucht es dazu eine emotionalere Werbung? Instrumente dazu stünden uns ja zur Verfügung. Beispiel: Soziale Medien. Hier können wir junge Menschen erreichen. Wenn wir ihre Sprache sprechen. Einige Anregungen dürfen wir dazu auch aus dem Gespräch mit jungen Berufsleuten des Verbandes der Schweizer Abwasser und Gewässerschutzfachleute VSA Zeigen, was wir tun. PERSÖNLICH GESPROCHEN PERSÖNLICH GESPROCHEN 01| 2022 2 | 3

mitnehmen. Den Austausch mit ihnen haben wir ab Seite 28 festgehalten. Bei allem Engagement, junge Menschen zu gewinnen, dürfen wir den Schatz, den wir an unseren erfahrenen Mitarbeitenden haben, nicht übersehen. Rund ein Viertel aller Erwerbstätigen gehört der Altersgruppe 55+ an. Diese Arbeitnehmenden bringen viel Erfahrung, Wissen, Kompetenz und Kontinuität in unsere Unternehmen. Wenn wir sie nicht vorzeitig verlieren wollen, sollten wir auf ihre Bedürfnisse schauen. Häufig wollen sie ihre Arbeitslast reduzieren und gleichzeitig ihr Know-how weitergeben. Welches Win-Win! Die Wissensweitergabe ist jedoch nicht immer ganz so einfach. Welche Ansätze es dazu aus der psychologischen Forschung gibt, erklärt uns Prof. Dr. Katrin Fischer der Hochschule für Angewandte Psychologie FHNW in Olten im Interview ab Seite 6. Und ein gutes Beispiel aus der Praxis, wie Know-how-Transfer gelingen kann, schildert uns Daniel Fischlin, CEO der Kraftwerke Oberhasli AG, im Beitrag ab Seite 24. Wir werden umdenken müssen. Die ‹Stelle fürs Leben› sucht heute kaum noch jemand. Die Flexibilität, welche sich die ‹Generation Z› wünscht, müssen auch wir an den Tag legen. Teilzeitarbeit auch in Führungspositionen und Möglichkeiten zur Betreuung der Kinder sind nur zwei der Schlüsselfaktoren, um uns als Arbeitgebende gerade auch für Frauen attraktiv zu machen. Ohne eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf werden wir die Lücke – Studien gehen von mehr als einer Million fehlender Fachkräfte im Jahr 2060 aus – nicht schliessen können. Mit dieser Ausgabe des ‹transfer› wollen wir dieses anspruchsvolle Themenfeld etwas beleuchten. Wir hoffen, Ihnen dabei die eine oder andere Anregung liefern zu können. Ihre Hedy Setz Leiterin Human Resources

6 24 16 20 34 11 28 INHALT IMPRESSUM transfer ist das Kundenmagazin der Rittmeyer AG und erscheint zweimal im Jahr. Herausgeber Rittmeyer AG Ein Unternehmen der BRUGG GROUP Inwilerriedstrasse 57, CH - 6341 Baar www.rittmeyer.com Verantwortlich für den Inhalt Andreas Borer (v. i. S. d. P.) Redaktion und Umsetzung up! consulting ag, Ruggell (FL) E-Mail an die Redaktion transfer@rittmeyer.com Bildnachweis Rittmeyer AG, iStock (CreativaImages: S. 1 | debela: S. 1 | vladwel: S. 1 | adamkhovn: S. 1 | akindo: S. 4, 6–10 | Pict Rider: S. 4, 16–17 | GeorgePeters: S. 4, 20–23 | Ponomariova_Maria: S. 4, 28–29, 33 | Feodora Chiosea: S. 4, 34 | sesame: S. 5 | Jaengpeng: S. 31); Peter Sturn (S. 4, 8); DWA Landesverband BW (S. 4, 11–15); Michael Fuchs Fotografie (S. 12); Paebi, CC BY-SA 3.0 (S. 18); Andre Urech (S. 19); David Birri (S. 4, 24–27); privat z.V. g. Erscheinungstermin Mai 2022 Falsche Anschrift? Bitte teilen Sie uns mit, sollten Sie eine neue Anschrift haben: www.rittmeyer.com/anschrift Die in den Artikeln veröffentlichten Ansichten, Meinungen und Empfehlungen Dritter müssen nicht mit der Meinung der Rittmeyer AG übereinstimmen. Auf die ‹Sprache› kommt es an Wie die Kraftwerke Oberhasli die junge Generation erreichen Implizites explizieren Ansätze zur Wissensweitergabe aus der psychologischen Forschung FACHTHEMA & INTERVIEW INSIGHTS ZAHLEN & FAKTEN Gelungenes Outsourcing: Der Brunnenmeister ist ein externer Dienstleister Jung und Digital: Wie Wasserwirtschaft auch morgen gelingen kann Is there anybody out there? Verbände auf der Suche nach Nachwuchs Raus aus der Deckung: Wie junge Berufsleute ein Dilemma der Wasserwirtschaft lösen wollen Sorgt euch nicht! So erhält Rittmeyer das Anlagenwissen seiner Kunden 01| 2022 4 | 5

0 % 10 % 20 % 30 % 40 % 30 33 15 37 4 36 mehr Chancen mehr Risiken Personen mit einer ungefähren Vorstellung von Algorithmen Personen mit keiner klaren Vorstellung von Algorithmen Personen, die den Begriff Algorithmus nicht kennen 0 % 20 % 40 % 60 % 80 % 81 / 79 80 / 82 79 / 81 75 / 80 74 / 79 73 / 69 65 / 67 65 / 66 64 / 67 62 / 60 53 / 59 10 6 Durchschnitt Personen, die eine ungefähre Vorstellung haben, wie Algorithmen funktionieren Recht auf zweite Beurteilung Auskunftsrecht Kennzeichnungspflicht bei Entscheidungen durch Algorithmen Algorithmen für unabhängige Experten zugänglich machen Prüforganisation für Algorithmen Verbot autonomer Computer-Entscheidungen Ethikkommission Moralische Verhaltensregeln für Algorithmen-Entwickler Klagerecht für Verbraucherschutzorganisationen Auswahlmöglichkeit zw. Beurteilung durch Mensch oder Algorithmus Mehr Fachleute in Behörden einstellen Vollständiges Verbot des Einsatzes von Algorithmen 0 % 20 % 40 % 60 % 80 % 60 57 67 29 61 53 40 18 24 35 16 8 Genauigkeit Fortschritt Effektivität Faire Entscheidungen Personen mit einer ungefähren Vorstellung von Algorithmen Personen mit keiner klaren Vorstellung von Algorithmen Personen, die den Begriff Algorithmus nicht kennen Hilfreiche Berater ZAHLEN & FAKTEN Algorithmen sind vordefinierte Handlungsanweisungen zur Lösung von komplexen Problemstellungen. Ihre Anwendungsgebiete sind weitreichend: von der Auswahl von Online-Werbeanzeigen über das Erstellen von Handlungsempfehlungen in der ARA oder Wasserversorgung bis hin zur Diagnose von Krankheiten. Entsprechend gross können Zweifel und Ablehnung gegenüber Algorithmen und Digitalisierung sein. Dennoch zeigt sich auch, dass das Vertrauen in die digitalen Helfer gestärkt werden kann, wenn der Kenntnisstand über ihre Funktionsweise verbessert wird. Das gesunde Bewusstsein über ihre Risiken und Grenzen bleibt dabei weiterhin bestehen. Quellen: «Was Deutschland über Algorithmen weiß und denkt» – Bertelsmann Stiftung (2018) Birgt es mehr Chancen oder mehr Risiken, wenn Entscheidungen auf der Grundlage von Algorithmen getro�en werden? Woran denken Sie, wenn Sie den Begri� Algorithmus hören? Welche Maßnahmen zur Kontrolle von Algorithmen würden Sie befürworten? Eine bessere Kenntnis über Algorithmen bedeutet aber nicht, dass Vorsicht über Bord geworfen wird. So stimmen jene Personen mit einer ungefähren Vorstellung über ihre Funktionsweise teilweise sogar häufiger Kontrollmaßnahmen zu als der Durchschnitt:

FACHTHEMA Prof. Dr. Katrin Fischer ist Professorin an der Hochschule für Angewandte Psychologie FHNW. Dort beschäftigt sie sich u. a. mit menschlichem Verhalten in komplexen soziotechnischen Systemen und den Handlungen im Umgang mit technischen Einrichtungen. Wir durften mit ihr darüber sprechen, welche Rahmenbedingungen die Weitergabe von Wissen aus Sicht der Psychologie begünstigen – und welche sie eher behindern. EXPLIZIEREN Ansätze zur Wissensweitergabe aus der psychologischen Forschung FACHTHEMA 01| 2022 6 | 7 transfer

Frau Dr. Fischer, wie nähert man sich in der Forschung der Weitergabe von Wissen an? Dazu unterscheiden wir als erstes die unterschiedlichen Arten des Wissens, für die es auch verschiedene Methoden des Transfers benötigt. Die Arten von Wissen können wir auf einer VierFelderMatrix abbilden: In einer Dimension markieren wir das individuelle Wissen, das eine Person im Kopf hat und daneben das kollektive Wissen der Gruppe. Das ist beispielsweise das Know-how, das alle Operateure in einer bestimmten Abteilung gemein haben. Die zweite Dimension – die psychologisch durchaus interessantere – unterscheidet zwischen implizitem und explizitem Wissen. Das explizite Wissen ist den Leuten bewusst. Man kann es beschreiben. Meist wird es mit Betriebsvorschriften, Checklisten, Wikis oder Prozessbeschrieben gut dokumentiert. Das explizite Wissen kann individuell oder kollektiv sein. Viel schwieriger ist die zweite Ausprägung: das implizite Wissen. Was heisst ‹schwieriger›? Wir nennen das implizite Wissen in der Psychologie auch ‹stilles Wissen›. Hier sehen wir häufig das Problem, dass den Akteuren das unglaubliche Know-how, das sie durch ihre langjährige Berufserfahrung im Kopf haben, gar nicht bewusst ist. Dementsprechend lässt es sich auch viel schwieriger explizieren. Deshalb ist es beispielsweise auch nicht sonderlich sinnvoll, jemanden im letzten halben Jahr vor der Pensionierung ‹alles› aufschreiben zu lassen, was für seinen Job relevant ist. Abgesehen davon, dass er das gar nicht kann, weil es ihm eben nicht bewusst ist, ist es auch nicht gerade motivierend. Implizites Wissen kann ebenfalls kollektiv vorhanden sein. Dieses wird durch gemeinsame Erfahrungen aufgebaut und entsteht erst durch Interaktion. Oft etablieren sich in Jahren der Zusammenarbeit mit den →

FACHTHEMA immer selben Akteuren sehr viele sinnvolle, aber implizite Regeln, die nirgends dokumentiert sind. Sie sind den Beteiligten meist auch gar nicht bewusst. Man merkt häufig erst, dass es sie überhaupt gibt, wenn sie nicht mehr funktionieren. So kann es vorkommen, dass ein bislang sehr gut eingespielter Prozess von heute auf morgen nicht mehr wie geplant verläuft, weil ein Beteiligter in Pension geht und ein Nachfolger ins Team kommt. Welche Ansätze gibt es, um dieses implizite Wissen in Unternehmen zuverlässig weiterzugeben? Wir unterteilen die Prozessschritte bei der Weitergabe in die drei Phasen Explizierung, Dokumentation und Nutzung. Man muss sich über alle drei Schritte Gedanken machen. Aus der Forschung kennen wir diverse Methoden, die sich anbieten, implizites Wissen weiterzugeben. Allen gemein ist, dass sie im Vergleich zum Transfer von explizitem Wissen deutlich personalintensiver sind. «Es gibt keine One-fits-all- Lösung, um Wissen zu explizieren und weiterzugeben. Die Methoden müssen zum Unternehmen und den Menschen passen.» Prof. Dr. Katrin Fischer, Professorin am Institut Mensch in komplexen Systemen an der Hochschule für Angewandte Psychologie FHNW 01| 2022 8 | 9

Eine gute Methode ist das ‹Götti- Prinzip› – eine Patenschaft von erfahrenen Mitarbeitenden auf Zeit. Die neue Mitarbeiterin oder der neue Mitarbeiter geht im Alltag mit dem Götti mit, schaut sich viele Dinge ab und kann im Moment des Tuns nachhaken. Eine andere Methode, die gut funktioniert, ist das Story Telling. Man nimmt ein positives oder negatives Ereignis, das vorfiel. Dann setzt man sich mit den Beteiligten zusammen und lässt sie zunächst einmal relativ unstrukturiert erzählen. Mit gezielten Warum-Fragen versucht man dann, anhand dieser Story an das spezifische Wissen zu kommen. Diese Methode ist zwar viel schwächer strukturiert als ein Regelwerk oder eine Checkliste, aber man kommt fallbezogen an sehr viel tieferes Detailwissen heran. Dazu kann es auch hilfreich sein, eine externe Person einzusetzen. Ein Unbeteiligter von aussen stellt vermutlich Fragen, die einem Werksleiter nie einfallen würden. Eine weitere Möglichkeit, um kollektives implizites Wissen zu explizieren, ist das Pre-Job- und DeBriefing. Diese Methode wird in Werken häufig angewendet. Beim PreJobBriefing geht man vorab den Prozess gemeinsam mental durch und versucht herauszufinden, welche Spezifika berücksichtigt werden müssen. Beim DeBriefing danach sieht man sich an, was gut war, was nicht, worauf beim nächsten Mal geachtet werden muss, und was man beispielsweise den Kolleginnen und Kollegen aus der nächsten Schicht weitergeben sollte. Wieso fällt es dennoch vielen Unternehmen so schwer, das Wissen der Erfahrenen an die Jüngeren weiterzugeben? Bei allen drei angesprochenen Phasen des Wissenstransfers gibt es begünstigende und hinderliche Faktoren. Diese können sich auf verschiedenen Ebenen manifestieren: bei einzelnen Individuen, in Teams, auf technischer Ebene und in der Organisation bzw. im System. Auf individueller Ebene ist es beispielsweise förderlich, wenn die Mitarbeitenden eine Sinnhaftigkeit im Wissensmanagement bzw. dem Wissenstransfer sehen. Durch den für sie erlebbaren Nutzen entsteht Motivation. Dieser Nutzen kann auch darin bestehen, dass sie sich wertgeschätzt fühlen, weil sie ihr Wissen teilen können. Auf der anderen Seite kann es aber auch hinderlich sein, dass jemand Angst vor einer Wissensenteignung hat – und davor, überflüssig zu werden, weil man sein Spezialistenwissen «absaugt». Aber auch der potenzielle Status bzw. Machtverlust im Unternehmen kann einen hemmenden Faktor auf individueller Ebene darstellen. Auf technischer Ebene können schlecht benutzbare Instrumente zur Dokumentation von Wissen die Weitergabe dessen erschweren. Sharepoint ist zum Beispiel in vielen Unternehmen das Bermuda-Dreieck für Daten. Mitarbeitende speisen etwas ein, finden es aber nie wieder. Das ist extrem demotivierend. Auf der Ebene der Organisation ist eine offene, wissensorientierte Kultur mit einem partizipativen Wissensmanagement-Prozess sehr hilfreich. Auch eine gewisse Stabilität ist wichtig, um die Weitergabe von Wissen zu fördern. Für Unternehmen, die sich hingegen permanent in Reorganisation befinden, ist Wissensmanagement sehr schwierig zu bewältigen. Das immer wieder beobachtbare Konkurrenzdenken zwischen einzelnen Organisationseinheiten beeinflusst das Wissensmanagement ebenfalls negativ. Und mit am wichtigsten: Es braucht vom Top-Management ein klares Bekenntnis zum Wissenstransfer. Dazu gehören die zeitlichen und personellen Ressourcen, die bereitgestellt werden müssen. Aber auch eine entsprechende Fehlerkultur, um nachhaltiges Wissensmanagement zu ermöglichen. Wenn diese Ebene nicht mit gutem Beispiel vorangeht und das Thema mitträgt, ist das Wissensmanagement im Unternehmen tot. Inwieweit ist die Fehlerkultur so wichtig? Fehlerkultur und Wissensmanagement hängen sehr eng zusammen und profitieren wechselseitig voneinander. Um Wissen nachhaltig zu sichern, dürfen wir beispielsweise im Falle eines Fehlers nicht den Schuldigen suchen und nur fragen, wer ihn begangen hat. Wir müssen ein Auge darauf werfen, was systemisch geschehen ist. Identifizieren, welche Faktoren dazu beigetragen haben, dass der Fehler passiert ist und versuchen, diese nachhaltig auszuräumen. Auf der anderen Seite: Mit einer schlechten Fehlerkultur werden schlimmstenfalls Fehler verheimlicht. Mitarbeitende →

FACHTHEMA teilen vor allen Dingen auch keine Unklarheiten oder Unsicherheiten. So können Wissen, aber auch Wissensdefizite nicht an die Oberfläche gelangen. Eine solche Kultur kann man aber nicht von heute auf morgen verordnen. Das ist ein Entwicklungsprozess, der sich über Jahrzehnte erstreckt. Oft führen Ereignisse dazu, dass in diesem Bereich etwas vorangeht. Deshalb sind Branchen, die im öffentlichen Fokus stehen, dort oft schon etwas weiter als jene, die von der Öffentlichkeit weniger beachtet werden. In den Schweizer Kernkraftwerken oder auch in der Luftfahrtbranche haben wir beispielsweise eine ausgesprochen gute Fehlerkultur beobachtet. Hier waren es zwar in der Vergangenheit tragische negative Ereignisse, die diese Entwicklungen getrieben haben. Dennoch muss man sagen, sie haben die Kultur vorangebracht. Unabhängig von solchen Ereignissen haben wir – wie beim Wissensmanagement allgemein – auch bei der Fehlerkultur die Erfahrung gemacht, dass man diese nur dann nachhaltig in Gang bekommt, wenn das Bewusstsein in der Management- Ebene dafür vorhanden ist. Das heisst also, schlussendlich hängt alles an den Führungskräften? Vielleicht nicht alles, aber sehr viel. Als Chef oder Chefin muss ich mir früh genug Gedanken über die Nachfolgeplanung und eine gut entwickelte Fehlerkultur machen. Und auch die passenden Methoden für die Wissensweitergabe in meinem Unternehmen finden. Ich glaube, das geht in dem Alltagsstress, der heute in den Unternehmen oft herrscht, gerne verloren. Man tut sich aber keinen Gefallen damit, wenn man die Themen nicht angeht. Es gibt auch nicht die eine Lösung, die für alle gleichermassen passt, um Wissen zu explizieren und weiterzugeben. Die Methoden müssen zum Unternehmen und den Menschen passen. Vielleicht besteht die Lösung darin, einfach kurze Videos der einzelnen Arbeitsprozesse zu machen und diese gleichzeitig zu kommentieren. Das ist viel einfacher als alles aufzuschreiben. In Kraftwerksstollen, in denen man keine Internetverbindung hat, könnte es hingegen sinnvoll sein, scheckkartengrosse Anleitungen mit Fotos zu gestalten, anstatt auf einen Sharepoint Server zu setzen. Oder man könnte eine SeniorAcademy ins Leben rufen, für die erfahrene Mitarbeitende zehn Prozent ihrer Zeit investieren, um gezielt ihr Wissen weiterzugeben. Mit welcher Methode haben Sie gute Erfahrungen gemacht? Wir haben mit der StoryTelling Methode sehr gute Ergebnisse erzielt. In einem Kernkraftwerk moderierten wir beispielsweise Workshops, in denen wir uns gemeinsam den Prozess des Abtransports der nuklearen Brennelemente angesehen haben. Die Beteiligten waren total überrascht, welche unglaubliche Menge an implizitem Wissen aus diesen Abstimmungen hervorkam. Und dabei wollten sie eigentlich erst einen anderen Prozess thematisieren, weil sie dachten, beim Abtransport der Brennelemente wäre alles dokumentiert und vollkommen klar. Die Ergebnisse hielten wir auf Formblättern fest, die das Kraftwerk bei den Dokumentationen des jeweiligen Prozesses abgelegt hat. So kann das Wissen beim nächsten Mal genutzt werden, wenn der Prozess ansteht. Ich habe zudem die Erfahrung gemacht, dass sich Mitarbeitende in einem Unternehmen eigentlich immer freuen, wenn man ihnen zuhört und sie ausführlich über ihre Arbeit berichten lässt. Sie fühlen sich wertgeschätzt, weil ihre Expertise und ihr Wissen für das Unternehmen wichtig sind. Oft erzählen sie zu Beginn darüber, wie es nach Betriebshandbuch laufen sollte, und nach einiger Zeit heisst es dann: «Ach weisst du – ich sag dir mal, wie’s wirklich läuft.» Und genau das ist das wichtige Wissen, das es zu bewahren gilt. Herzlichen Dank für das Gespräch. «Es ist nicht verboten, Fehler zu machen. Aber es ist verboten, nicht daraus zu lernen.» 01| 2022 10 | 11

Die Digitalisierung kann für die Ver- und Entsorgungs-Branche eine riesige Chance darstellen – vor allem wenn es gelingt, junge, digitalaffine Fachkräfte einzubinden. Dessen sind sich André Hildebrand, Geschäftsführer, und Boris Diehm, Vorsitzender des Landesverbands Baden-Württemberg der Deutschen Vereinigung für Wasserwirtschaft, Abwasser und Abfall DWA, sicher. Unternehmen müssten sich dafür jedoch ernsthaft mit der Digitalisierung beschäftigen und bereit sein, ihr Wissen zu teilen. Überdies werde dafür Fachpersonal benötigt, das sich die Technologie zu Nutze macht und über das entsprechende Wissen für die Aufgaben von morgen verfügt. In Baden-Württemberg verfolgt man dazu verschiedene Ansätze. → JUNG UND DIGITAL Wie Wasserwirtschaft auch morgen gelingen kann FACHTHEMA

FACHTHEMA und kommunikationstechnischen Systemen in den kritischen Infrastrukturen eine verstärkte Aufmerksamkeit zu schenken. Vor allem aber benötige man dafür dringend mehr Fachkräfte in der Branche. «Wir sehen in Baden-Württemberg, dass wir auf eine grosse Lücke zulaufen. Viele Fachkräfte aus allen Hierarchien gehen in den nächsten Jahren in den Ruhestand, und wir werden das weder in der Ausbildung noch in der Einstellung kompensieren können», ist Boris Diehm überzeugt. Zudem erweitere sich das Leistungsportfolio von Betreibern aufgrund strengerer Umweltgesetzgebungen. Deshalb müssten Bildung, Unternehmen, Behörden, aber auch die Mitarbeitenden selbst reagieren, um diesen Entwicklungen Rechnung zu tragen. Ausbildung anpassen Das Thema lebenslanges Lernen propagiert die DWA in Baden-Württemberg seit langem. Der Ausbildung messen die beiden DWA- Kollegen zukünftig jedoch noch eine deutlich höhere Bedeutung bei als bisher: «Die Digitalisierung fordert eine Anpassung der Ausbildungsstandards. Das Personal muss mit neuen Bildungskonzepten dazu befähigt werden, in vernetzten Strukturen zu denken. Daher sollte man ein besonderes Augenmerk auf Inhalte legen, die das systemische Denken fördern», stellt Boris Diehm klar. Erst kürzlich veröffentlichten Kienbaum und Stepstone eine Studie, die sich damit beschäftigt, wie das Lernen in und für die Zukunft aussieht. Diese zeige zudem auf, dass der Förderung der ‹digitalen Kompetenz› bei künftigen Fach- und Führungsaufgaben in allen Institutionen und Disziplinen eine ganz besondere Bedeutung zukommt, ergänzt André Hildebrand. Passend dazu befindet sich der Ausbildungsrahmenplan für umwelttechnische Berufe in Deutschland aktuell in Überarbeitung. Problematischer als die Ausbildungsinhalte ist aus Sicht der Experten jedoch der grundsätzliche «Wir haben auf der einen Seite das nachhaltige Produkt Wasser, und auf der anderen digitalaffine junge Leute, die eine sinnstiftende Aufgabe suchen. Das ist eine Riesen-Chance!» Boris Diehm, Vorsitzender des DWA-Landesverbands Baden-Württemberg Die DWA vereint die Fach- und Führungskräfte der Wasser- und Abfallwirtschaft in Deutschland unter ihrem Dach. Die unabhängige Vereinigung zählt rund 14 000 Mitglieder und setzt sich für eine nachhaltige Wasserwirtschaft sowie die Förderung von Forschung und Entwicklung ein. Dabei bieten die Digitalisierung und die schnellen Fortschritte bei Software, Hardware, Vernetzung und künstlicher Intelligenz massives Optimierungspotenzial bei Anlagen, insbesondere bei ganzheitlichen Ansätzen, so André Hildebrand. Umwelt und Menschen profitierten davon gleichermassen. Zudem könnten damit Ressourcen und Zeit eingespart werden. Um dieses Potenzial zu nutzen, sei es einerseits nötig, technische Rahmenbedingungen zu etablieren – Stichwort Breitbandausbau und Mobilfunkabdeckung – und der Sicherheit von informations 01| 2022 12 | 13

Mangel am Interesse für die Branche bei potenziellen Fachkräften. Interesse wecken In den letzten Jahren stelle man einen Trend fest, dass sich weniger Fachkräfte ausbilden lassen. «Dadurch können wir auch nicht mehr genügend Meisterpersonal akquirieren», sorgt sich Boris Diehm. Der Vorsitzende des Landesverbands sieht das jedoch als Anlass: «Wir müssen besser werden in der Aussendarstellung unserer Aufgaben. Junge Menschen möchten heute einen Sinn in ihrer Aufgabe sehen. Da haben wir doch einen idealen Stand: Was gibt es denn Schöneres als zu sagen ‹Ich bin für sauberes Wasser zuständig in einem hochmodernen Arbeitsumfeld!›?» Man müsse deshalb klar aufzeigen, welche Möglichkeiten die Wasserwirtschaft mit innovativen Arbeitsmethoden mit sich bringt und das heute oft noch verstaubte Bild der Branche korrigieren. Das helfe ebenso dabei, die Selbstwahrnehmung der Branche zu ändern und den Stolz auf die eigene Aufgabe zu erhöhen. Mit seiner Nachwuchskräfte-­ Initiative ‹Wasser alles klar› möchte Baden-Württemberg das Berufsbild deshalb attraktiver machen. Die Beteiligung ist grossartig: Über 400 der 600 Kläranlagen in Baden-­ Württemberg sind Teil der Initiative und machen gemeinsam die Wasserwirtschaft besser sichtbar. «Unser Ziel ist es, das Fremd- und Selbstbild der Branche stetig zu entwickeln – in der Fläche, und nicht nur an einzelnen Punkten. Diese Anzahl an Betreibern erzeugt eine Aufmerksamkeit, die kaum eine andere Branche erreichen kann. Gepaart mit starken Aussagen zu den Themen Wasser und Nachhaltigkeit können wir damit viel bewirken», ist André Hildebrand überzeugt. Fortschritt fördern Die Betriebe seien jedoch auch selbst gefordert, in ihre Mitarbeitenden zu investieren, um das Thema Digitalisierung voranzubringen. Gerade für kleine Betriebe sei es wichtig, die Weiterbildung ihrer Mitarbeitenden selbst in die Hand zu nehmen und ihnen neue Fähigkeiten für den Umgang mit digitalen Werkzeugen beizubringen, weiss der Geschäftsführer: «IT-Experten landen nur selten in der Ver- und Entsorgungsbranche, und wenn dann eher bei grösseren Unternehmen als bei den kleinen.» Man müsse sich dabei genau überlegen, welche Kompetenzen das eigene Personal zukünftig benötigt, um die digitale Transformation zu →

FACHTHEMA daten und -zustände vergleichbarer Situationen. An den moderierten Events mit Workshop-Charakter nehmen jeweils 15–20 Personen nahegelegener Kläranlagen teil. Mit Fachbeiträgen wird zusätzlich neues Wissen eingebracht. «Das ist ein ganz wichtiges Instrument für generationsübergreifendes Wissensmanagement, und wird auch in den nächsten Jahrzehnten eine wichtige Daseinsberechtigung haben», ist André Hildebrand überzeugt. Aber auch aus Kooperationen zwischen Betreibern können sich den Experten zufolge zukünftig Chancen eröffnen: «Zusammenschlüsse waren in den vergangenen Jahren oft ein heikles Thema. Durch eine junge Generation politischer Entscheider:innen könnte sich dieses Bewusstsein meiner Meinung nach ändern», sagt der Geschäftsführer. Sie sähen die umwelt und haftungsrechtliche Verantwortung stärker und stünden deshalb dem Thema Zusammenschluss oft offener gegenüber. Bereitschaft vorhanden Nicht nur deshalb blickt Boris Diehm trotz aller Herausforderungen zuversichtlich in die Zukunft: «Digitalisierung und nachhaltige Wasserwirtschaft – das sind tolle «Einfach ein digitales Tool zu installieren wird nicht ausreichen, um eine Optimierung zu erreichen. Man darf die Menschen und Prozesse nicht vergessen.» André Hildebrand, Geschäftsführer des DWA-Landesverbands Baden-Württemberg und Vorstandsmitglied im Digital Water Institute meistern. Eine individuelle Digitalisierungsstrategie im eigenen Unternehmen könne hierfür sehr hilfreich sein. André Hildebrand: «Die benötigten Kompetenzen für den Betrieb muss man sich immer wieder vor Augen führen, bevor man eine grössere Investition in digitale Tools tätigt. Das Werkzeug selbst macht nur einen kleinen Teil aus. Man wird nur einen bedingten Fortschritt erzielen, wenn man digitale Tools einfach nur installiert.» Darum sei es nötig, dass auf der einen Seite auch die Mitarbeitenden für die Mühen einer Weiterbildung bereit sind – und dazu, sich in ihrer Persönlichkeit und ihren Fertigkeiten weiterzuentwickeln, so der Geschäftsführer. Unternehmen sollten ihr Personal deshalb proaktiv auf die Reise mitnehmen; es motivieren, sich diesen Lernprozessen zu stellen. «Auf der anderen Seite sollten sich aber auch die Unternehmen selbst durch ein zielorientiertes Change- Management begleiten lassen, das den gesamten Veränderungsprozess berücksichtigt – auf individueller wie auch auf organisatorischer Ebene», stellt André Hildebrand klar. Das helfe gleichzeitig dabei, den Projekterfolg zu sichern und dass alle Mitarbeitenden langfristig in ihrer Tätigkeit zufrieden bleiben. Zusammenarbeit leben Eine besondere Herausforderung sieht Boris Diehm indes in der Vielzahl an unterschiedlichen Betreibern von Abwasserreinigungsanlagen in Baden-Württemberg. Insbesondere die kleineren Betriebe seien durch ihr Tagesgeschäft oft vollends ausgelastet. Dadurch sei es noch schwieriger, herauszufinden, welche Ideen man mit der Digitalisierung verbindet, in welche Technik man für die Zukunft investieren soll. Deshalb brauche es dringend den Austausch zwischen den einzelnen Betrieben, um den zukünftigen Aufgaben noch gerecht werden zu können. «Um Wissen weiterzugeben, ist meines Erachtens ein Mix optimal: Einerseits Junge und Erfahrene eine Zeit lang parallel an Aufgaben arbeiten zu lassen und andererseits den Fachaustausch mit anderen Betrieben zu fördern», so Boris Diehm. In Deutschland und speziell in Baden-Württemberg verfolgt man zur Know-how-Weitergabe bereits seit mehr als 50 Jahren ein Modell der ‹Nachbarschaften›. Rund 60 davon gibt es in Baden-Württemberg. Dabei tauschen insgesamt etwa 4 000 Facharbeiter:innen und Betriebsleiter:innen zwei Mal jährlich ihre Erfahrungen aus und bewerten gemeinsam Betriebs01| 2022 14 | 15

Mit seiner Nachwuchskräfte-Initiative ‹Wasser alles klar› möchte Baden-Württemberg die Wasserwirtschaft attraktiver machen. Mehr Informationen unter www.wasser-allesklar.de Themen, die aus meiner Sicht sogar bei den ‹Fridays for Future› bei jungen Menschen Anklang finden werden. Das stimmt mich positiv, dass wir auch in Zukunft junge Talente finden.» Und auch die Bereitschaft für die Arbeit mit digitalen Tools, für den Veränderungsprozess, sei vorhanden. Das sehe man beispielsweise an der CloudSoftware ‹DWA BETRIEB›, in der die Betriebsdaten aller Kläranlagen in Baden-Württemberg zusammengeführt werden, ist André Hildebrand stolz: «Alle Anlagen haben ihre Schnittstellen gebaut und ihre Daten einfliessen lassen. Weil die Betriebe ein Stück weit hungrig danach sind, effizienter zu arbeiten, und weil sie den Mehrwert sehen: einfach Betriebsergebnisse dokumentieren und visualisieren, Abweichungen lokalisieren und direkt aus dem System einen Energie– und Umweltinformationsbericht erzeugen und an die zuständige Behörde senden. Natürlich ist die Einführungsphase erst einmal mit Aufwand verbunden – doch mittelfristig nehmen uns gute digitale Systeme Arbeit ab.» Es sei ein wichtiger Schlüssel für die Akzeptanz der Digitalisierung, «funktionierende» Best-Practice-Lösungen wie diese zu zeigen, so Boris Diehm: «Wenn wir es schaffen, als Branche gemeinsam an einer Gesamtarchitektur zu arbeiten, können wir das Thema wirklich voranbringen. Das ist nicht einfach. Das wird sogar sehr aufwändig. Und wir müssen uns im Klaren sein, dass diese Branchen-Architektur nicht fertig sein wird, wenn wir daran gearbeitet haben. Nichtsdestotrotz müssen wir jetzt beginnen. Dann kann das funktionieren.»

FACHTHEMA GELUNGENES OUTSOURCING Der Brunnenmeister ist ein externer Dienstleister Gebenstorf im Kanton Aargau ist eine Gemeinde mit rund 5 600 Einwohnerinnen und Einwohnern. Da der Brunnenmeister das Pensionsalter erreichte, stellte sich die Frage nach seiner Nachfolge. Die Gemeinde wählte schliesslich eine andere Option: Sie hat die Aufgabe an einen externen Dienstleister ausgelagert. Anderthalb Jahre blieben der Gemeinde, um eine geeignete Nachfolge für ihren langjährigen Brunnenmeister zu finden: Dann wollte dieser seine verdiente Pension antreten. «Uns war bewusst, dass es sehr schwierig werden würde, die Stelle nachzubesetzen. In unserer Region besteht ein grosser Fachkräftemangel. Selbst deutlich grössere Gemeinden suchten in der Vergangenheit erfolglos», erinnert sich Dominic Suter, Leiter Bau und Planung der Gemeinde Gebenstorf, zu dessen Abteilung auch die Wasserversorgung zählt. Bei einer kleinen Gemeinde wie Gebenstorf stünden kaum einmal 100 Stellenprozente für die Aufgaben des Brunnenmeisters zur Verfügung, wie Suter weiter erwähnt. Damit verbunden seien betriebliche Herausforderungen, wie die Abdeckung von Stellvertretung und Pikettdienst. Hinzu kämen die steigenden Anforderungen an die Wasseraufbereitung sowie die zunehmenden gesetzlich vorgeschriebenen Kontrollen und Sicherheitsbestimmungen. «Benötigt wird dazu ein immer grösseres Fachwissen, was eine permanente Weiterbildung erfordert, sowie der sichere 24/7Betrieb, was mit einem solch knappen Stellenplan nicht zu bewältigen ist», bekräftigt Dominic Suter. Denken in Varianten In der Geschäftsleitung der Gemeindeverwaltung wurden deshalb weitere Optionen betrachtet: die Erweiterung der zwar im FACHTHEMA 01| 2022 16 | 17 transfer

Gemeindebesitz befindlichen, aber eigenständigen Elektrizitätsversorgung Gebenstorf AG mit der Wasserversorgung, oder als Alternative die Auslagerung der Aufgaben des Brunnenmeisters an externe Dienstleister. «In der Zusammenlegung der Wasserversorgung mit derjenigen einer Nachbargemeinde gäbe es grundsätzlich ja noch eine weitere Variante», erwähnt Dominic Suter. «Dies hatten wir jedoch bereits vor Jahren geprüft und schon damals aus Kostengründen ausgeschlossen.» «Mit einem erfahrenen Partner erreichen wir eine hohe Professionalisierung des Betriebs, und haben Stellvertretung und Pikett abgedeckt.» Dominic Suter, Leiter Bau und Planung, Gemeinde Gebenstorf →

Zukunftsfähige Wasserversorgung Gebenstorf stellte sich damit zunächst die Frage, wie zukünftig die «richtige» Organisation aussehen müsste, damit die Aufgaben der Wasserversorgung sicher zu erfüllen sind und diese gleichzeitig mit attraktiven Arbeitsplätzen verbunden werden können. «Wir stellten dabei rasch fest, dass wir zur Beantwortung zunächst Begriffe und Rahmenbedingungen klären mussten», resümiert Suter. Dazu holte sich die Gemeinde Unterstützung bei einem externen Beratungsunternehmen. In einer vorgelagerten Analyse untersuchte man gemeinsam in einer eigens geschaffenen Projektgruppe die verschiedenen Organisations- und Zusammenarbeitsformen im Hinblick auf eine nachhaltige Wasserversorgung. Die Erkenntnisse wurden so strukturiert, dass Vor und Nachteile sowie der Nutzen für die Gemeinde sichtbar wurden. «In Folge konnten wir mit dem Gemeinderat sehr gezielt darüber befinden, in welchen Teilen wir zukünftig als Eigentümer unsere Verantwortung wahren, und wo wir die Aufgaben des Betreibers zuordnen wollen», so Suter weiter. Getrennte Rolle von Eigentümer und Betreiber Bislang war die Gemeinde gleichzeitig Eigentümer und Betreiber der Anlagen. Nur einzelne Aufgaben, wie etwa der Pikettdienst oder wenn besondere Gerätschaften oder Spezialwissen erforderlich waren, wurden an Dritte ausgelagert. Klar war indes, dass ein Übertrag des Eigentums an einen Dritten kaum mehrheitsfähig wäre und deshalb nur Lösungen weiterverfolgt werden konnten, welche dies nicht erforderlich machten. Den Transfer der Anlagen der Wasserversorgung in die gemeindeeigene Aktiengesellschaft erachtete man überdies nur dann als sinnvoll, wenn dabei eine übergreifende Betriebsorganisation entstehen würde. Zudem würde es bedeuten, dass man das benötigte Spezialwissen erst aufbauen und in der Zukunft auch beständig weiterentwickeln müsste. Stärken, Schwächen, Chancen und Risiken der verschiedenen Varianten wurden einander gegenübergestellt und bewertet, verschiedene Gemeinden nach ihren Erfahrungen Gemeinde Gebenstorf im Aargau: Am Wasserschloss fliesst das Wasser in Aare, Reuss und Limmat aus 40 Prozent der Gesamtfläche der Schweiz zusammen. FACHTHEMA 01| 2022 18 | 19

im Zusammenhang mit der ausgelagerten Funktion des Brunnenmeisters befragt. «Die Vorteile, den Betrieb unserer Primäranlagen sowie des Verteilnetzes an eine einzige Organisation auszulagern, lagen schliesslich für uns auf der Hand und überzeugten als konsequenteste Umsetzung unserer Vorstellungen», fasst Dominic Suter den Entscheidungsprozess zusammen. Die Gemeinde bleibt damit im Besitz der Anlagen und verantwortlich für Inhalte und Termine von Instandhaltung und Ausbau. Und sie behält die Autonomie in der Festsetzung der Wassergebühren. Ausschreibung der Dienstleistung Schliesslich kamen hierfür zwei Betriebsorganisationen mit einem bestehenden Dienstleistungsangebot in Frage. Um einen endgültigen Entscheid treffen zu können, wurde ein detaillierter Anforderungskatalog mit den vom externen Dienstleister zu erfüllenden Aufgaben erstellt und den beiden Unternehmen im Rahmen einer Ausschreibung dargelegt. «Wir standen vor, während und nach unserer Entscheidung in persönlichem Kontakt mit den beiden angefragten Organisationen», beschreibt Suter ein wohl eher ungewöhnliches Vorgehen im Bieterprozess. «Uns war Offenheit und Transparenz unseres Beschlusses wichtig, und das wurde sehr gut aufgenommen. Auch vom letztlich unterlegenen Anbieter.» Suter ist wichtig zu erwähnen, dass beim Vergabeentscheid nicht nur die betriebswirtschaftlichen Fakten zählten: «Wir wollten von den Bietern beispielsweise ebenso erfahren, wie sie ihre zukünftige Rolle wahrnehmen wollen, wie sie die Bevölkerung einbinden, und vor allem, wie sie den Kontakt pflegen.» Keine Ressentiments, reibungsloser Übergang Mit 1. Januar 2022 haben nun die Industriellen Betriebe Brugg (IBB) die Betriebsaufgabe der Wasserversorgung Gebenstorf und die Aufgaben des Brunnenmeisters übernommen. «Der Übergang war wirklich reibungslos», attestiert Dominic Suter. «Und natürlich sind wir sehr dankbar dafür, dass uns Erich Wittwer, unser ehemaliger und nun frisch pensionierter Brunnenmeister, bei der Übergabe und Einführung beratend zur Seite stand und so all das schwer dokumentierbare Wissen weitergeben konnte.» Gebenstorf ist sich sicher, dass in der gewählten Organisationsform die weitere Professionalisierung ihrer Wasserversorgung gelingt. Mit der IBB als anerkannt erfahrenem Partner wird man den zukünftigen Herausforderungen mit einer umfassenden fachlichen Kompetenz begegnen und die geforderten Pikettdienste mit einer grösseren Anzahl von zur Verfügung stehenden Fachkräften bestens erfüllen können. Die Entscheidung von Projektgruppe und Gemeinderat fand deshalb uneingeschränkte Zustimmung in der Gemeindeversammlung, der man die neue Organisation und die damit verbundenen Budgets präsentierte. «Im Grunde hat sich nahezu nichts verändert: die Infrastruktur ist weiterhin im Besitz der Gemeinde und der Brunnenmeister bleibt in seiner beratenden Funktion für uns erster Ansprechpartner, wenn auch als Externer. Und dabei weichen die nun entstehenden Kosten nicht einmal gravierend von jenen der bisherigen Vollzeitstelle ab», ist Suter mit dem Verlauf des Prozesses und der getroffenen Entscheidung mehr als zufrieden. «In unserer Branche ist es allgemein schwierig, Fachkräfte zu finden. Ausser man wirbt ab. Und das kam für uns nicht in Frage.» Dominic Suter, Leiter Bau und Planung, Gemeinde Gebenstorf

FACHTHEMA FACHTHEMA Is there anybody out there? Verbände auf der Suche nach Nachwuchs 01| 2022 21 20 |

Wenn die Bekanntheit fehlt Die Versorgungsbranche steht vor einer Pensionierungswelle. Gleichzeitig gestaltet es sich schwierig, Nachwuchs bei den Fachkräften zu finden. Es sei deshalb wichtig, die Bekanntheit für diese Berufsbilder in der Schweiz zu steigern, sind sich die Leiterin für Weiterbildung beim SBV, Franziska Meier, und der Leiter Bildung beim SVGW, Lorenz Bützberger, einig. Vor allem fundiert ausgebildete Handwerker wie Rohrnetzmonteure seien in den Werken dringend gesucht. In absoluten Zahlen gerechnet würde sich jedoch eine eigene Berufslehre für Rohrnetzmonteure schweizweit nicht lohnen, gibt Lorenz Bützberger Aufschluss. Es könne aber helfen, Perspektiven aufzuzeigen, die sich jemandem nach dem Abschluss einer – möglichst artverwandten – Lehre bieten können, beispielsweise als ausgebildeter Sanitärinstallateur. Ausserdem sei es mit einigen Jahren Praxiserfahrung auch möglich, ohne Lehrabschluss die Ausbildung und die eidgenössisch anerkannte Berufsprüfung zum Rohrnetzmonteur zu absolvieren. «Berufsmessen könnten zum Beispiel dazu genutzt werden, dieser Ausbildung zu mehr Bekanntheit zu verhelfen. Aber auch eine Sensibilisierung im Unterricht der Berufsschulen wäre dabei hilfreich», ist Lorenz Bützberger überzeugt. Franziska Meier würde sogar noch früher ansetzen, um auch den Wert von Wasser in der breiten Bevölkerung sichtbarer zu machen: «Wasser wird bei uns als selbstverständlich angesehen. Man sollte bei uns bereits früh über die Ressource Wasser und deren Wichtigkeit aufklären und das Verständnis fördern – was es damit auf sich hat, woher es kommt.» Dazu solle man bereits in der Grundschule bei der Bildung ansetzen und so die Bekanntheit dieser Berufsbilder erhöhen. Der SVGW machte zudem gute Erfahrungen damit, bei lokalen Veranstaltungen das Verantwortungsbewusstsein für das Lebensmittel Wasser von Gemeinderäten zu Sie haben jetzt Musik in den Ohren? Ja, der Titel des Beitrags stammt von Pink Floyds Lied aus dem Jahr 1979. Der Liedtext hätte jedoch genauso gut von der aktuellen Personalsituation der Schweizer Versorgungsbranche inspiriert sein können. Franziska Meier vom Schweizerischen Brunnenmeister-Verband SBV und Lorenz Bützberger vom Schweizerischen Verein des Gas- und Wasserfachs SVGW wissen ein Lied davon zu singen, wie wichtig es ist, aktiv Kontakt zu suchen und lieber früher als später zu handeln, um Nachwuchs zu finden. Nicht nur in den Betrieben – auch bei den Ausbildnern besteht hoher Bedarf. → «Zusätzlich zur Ausbildung braucht es den Fachaustausch zwischen Jung und Alt. In unserer sportlichen Arbeitswelt darf dieser nicht abhandenkommen.» Franziska Meier, Leiterin Weiterbildung beim SBV und Brunnenmeisterin mit eidg. Fachausweis

FACHTHEMA thematisieren, welche für die regionale Wasserversorgung zuständig sind. Auch das trage dazu dabei, diesen Berufsbildern eine breitere Aufmerksamkeit und auch Wertschätzung zukommen zu lassen. Der Faktor Zeit Um mehr ‹Impact› zu erreichen, müsste die Versorgungsbranche ihre Netzwerke weiter ausbauen, dessen ist sich die Weiterbildungsleiterin des SBV im Klaren. Die nötige Kapazität dafür stünde jedoch meist nicht zur Verfügung: «Unsere Mitglieder sind selbst im eigenen Betrieb gefordert und haben mit den Ausbildungen bereits ein hohes Pensum, das sie nebenher stemmen.» Franziska Meier würde sich deshalb bei der jungen Generation etwas mehr Eigeninitiative wünschen, sich weiterzuentwickeln. «Man ist immer gefordert, selbst etwas beizutragen. Man muss selbst aktiv bleiben.» Der fehlende Nachwuchs macht sich aber nicht nur bei den Handwerkern bemerkbar, stellt Lorenz Bützberger klar. Auch bei Referentinnen und Referenten bestünde hoher Bedarf. Das sei unter anderem auch ein Grund dafür, dass die Warteliste zum Absolvieren der Brunnenmeister-Ausbildung aktuell sehr lang ist: «Es ist uns ein Anliegen, praxisnahe Ausbildungen anbieten zu können. Wir sind deshalb im Milizsystem organisiert. Unsere Dozenten sind selbst in der Wirtschaft bzw. den Werken tätig», hebt der Bildungsleiter die Kapazitätsgrenzen hervor. Es sei daher äusserst wichtig, dass auch die Arbeitgeber bereit sind, ihren Mitarbeitenden Zeit zur Verfügung zu stellen, damit das Weiterbildungssystem weiterhin funktionieren kann. Gegen 200 Referentinnen und Referenten sind aktuell für die Weiterbildungen und Kurse des SVGW im Einsatz, Tendenz steigend. «Unsere Fachreferenten nehmen teilweise sogar Ferien, um bei uns zu unterrichten. Ein Ausbau der Angebote ist auch abhängig von der Verfügbarkeit der Lehrkräfte», so Bützberger. Lernen von den Erfahrenen Umso wichtiger ist es, dass das vorhandene Wissen in der Branche im Berufsalltag von den Erfahrenen an die nächste Generation weitergegeben wird, damit es für die Zukunft erhalten bleibt. Gerade für den Betrieb kleiner Versorgungen sind die ‹Basics› wichtig, ist Franziska Meier überzeugt, denn das grundsätzliche Bild einer Wasserversorgung habe sich in den letzten Jahrzehnten nicht verändert: «Die Digitalisierung erleichtert vieles, birgt aber auch Gefahren. Die vielen vorhandenen Daten müssen auch sinnvoll verwertet werden. Und dazu müssen die jungen Mitarbeitenden das Handwerk von der Pike lernen. Wissen, wie man eine Wasserversorgung von Hand betreibt, wie die Prozesse zusammenhängen. Das gibt die breite Basis, die es in einer Versorgung braucht.» Sie sieht eine grosse Gefahr darin, dass man dieses Wissen aus den Augen verliert und die Sensibilität, die die heute Erfahrenen haben, nach und nach abhandenkommt. Mit dem W12Regelwerk verfüge die Branche über ein gutes Werkzeug, in einem strukturierten und dokumentierten Prozess die gesetzliche Pflicht der Selbstkontrolle der Trinkwasserqualität zu erfüllen, stellt Lorenz Bützberger klar – und hebt dessen Wert für die Wissensweitergabe hervor: «Dadurch werden gleichzeitig das Knowhow und die gute Verfahrenspraxis dokumentiert, die dann für die Nachfolge zur Verfügung stehen.» Hierfür gebe es auch verschiedene vom SVGW zertifizierte Softwaretools, welche die Dokumentation unterstützen. Das könne speziell für klei01| 2022 22 | 23

nere Gemeinden sehr hilfreich sein, die besonders oft mit der Herausforderung konfrontiert sind, dass das umfassende Know-how des Brunnenmeisters nicht oder nicht ausreichend dokumentiert ist. Der Austausch ist zentral Um die Erfahrungen langjähriger Kolleginnen und Kollegen an die jüngere Generation weiterzugeben, helfe der kontinuierliche Dialog enorm, ist die Bildungsleiterin des SBV überzeugt. Die Jahre oder Jahrzehnte lang beschäftigten Kollegen verfügten über einen unglaublichen Wissensschatz in ihren Köpfen. Dabei seien auch unscheinbare Dinge wie Dorfgespräche mit der Bevölkerung nicht zu unterschätzen. Da es viele Aufgaben gibt, die in einer Versorgung nur jährlich stattfinden, sei es deshalb wünschenswert, wenn die Nachfolgerinnen und Nachfolger mindestens ein Jahr lang parallel im Betrieb mit den Erfahrenen mitarbeiten. Der SBV setzt auch bei seinen Weiterbildungskursen bewusst auf den Fachaustausch, stellt Franziska Meier klar: «Es geht darum, das grosse Ganze zu sehen, die Gesamtübersicht über alle Vorgänge zu haben. Dafür ist Kommunikation zentral.» Neben Neuigkeiten aus der Branche und Praxisinhalten vor Ort wird in ihren Kursen deshalb auch gelehrt, wie man in gestressten Situationen wertschätzend miteinander umgeht. Auch für Lorenz Bützberger stellte sich zuletzt immer klarer dar, wie wichtig der direkte Austausch zu Fachthemen für die Branche ist. Der SVGW stellte sein Programm im Zuge der Corona-Pandemie um und bot alle Kurse, bei denen es sinnvoll möglich war, online an. Zwar werde man das Online-Format bei einigen Themen beibehalten – beispielsweise, wenn es wie beim Vorkurs für Brunnenmeister oder Rohrnetzmonteure um den Erwerb gezielter Kompetenzen geht. «Aber abgesehen davon, dass praxisbezogene Kurse mit Hands-onÜbungen vor Ort durchgeführt werden müssen, konnten wir auch beobachten, dass unsere Kursteilnehmer ein grosses Interesse am Austausch und am Netzwerken haben. Online-Formate sind da einfach hemmend.» Zudem seien Berufsgruppen mit starker handwerklicher Ausprägung tendenziell weniger IT-affin. Kommunikation untereinander ist für den SVGW nicht zuletzt auch deshalb wichtig, um das Bildungsangebot bestmöglich auf zukünftige Anforderungen zuschneiden zu können. «Für die Entwicklung unseres Weiterbildungsangebots sind wir auf den regen Austausch mit unseren Mitgliedern angewiesen. Sie vertreten die Werke und Gemeinden und können die Bedürfnisse der Branche gut beurteilen und mit uns teilen.» Das erhöhe die Chancen, mit den richtigen Themen für die richtigen Berufsgruppen zum richtigen Zeitpunkt – sprich: früh genug – parat zu sein. Durchhaltevermögen zahlt sich aus Auch wenn all dies nach ganz schön vielen Herausforderungen für die Branche klingt: Es gebe durchaus auch Lichtblicke, freut sich Franziska Meier. Bei ihrem 100jährigen Jubiläum im Jahr 2003 hat die Versorgung, in der die Bildungsleiterin tätig war, beispielsweise mit verschiedenen Aktionen sehr aktiv an die Bevölkerung kommuniziert. «Das war sehr nachhaltig, wir bekommen heute noch sehr positive Reaktionen zurückgespielt. Man sieht: Steter Tropfen höhlt den Stein. Das ist schön, und das wird auch immer so bleiben.» «Die Herausforderung ist, die richtigen Angebote zur richtigen Zeit anzubieten. Dazu müssen wir den Dialog mit unseren Mitgliedern fördern.» Lorenz Bützberger, Leiter Bildung beim SVGW

FACHTHEMA 01| 2022 24 | 25 transfer

Die Kraftwerke Oberhasli (KWO) im Berner Oberland (CH) produzieren mit 13 Wasserkraftwerken und acht Speicherseen jährlich 2 200 bis 2 300 GWh Strom aus erneuerbaren Energiequellen. Mit einer eigenen Werkstatt für Revisionen übernehmen sie auch die Entwicklung ganzer Anlagen sowie einzelner Komponenten für andere Kraftwerksbetreiber in der Schweiz. CEO Daniel Fischlin ist bewusst, welche enorme Menge an Wissen sich innerhalb seiner Organisation angesammelt hat. Um dieses für kommende Generationen zu bewahren, braucht es zukunftsfähige Methoden. Und davon hat er einige in petto. → Auf die ‹Sprache› kommt es an Wie die Kraftwerke Oberhasli die junge Generation erreichen FACHTHEMA Der Grimselsee (1 909 m. ü. M.) fasst 94 Millionen Kubikmeter Wasser, das im Kraftwerk Grimsel 2 und den darunterliegenden Werken zur Stromproduktion genutzt wird. Die Staumauer Spitallamm wird von 2019 bis 2025 ersetzt.

FACHTHEMA Welt im Wandel Die KWO haben sich zum Ziel gesetzt, das Kraftwerks-Wissen in der Schweiz zu wahren und mit digitalen Werkzeugen weiterzuentwickeln. Dabei sei sowohl der technologische als auch der gesellschaftliche Wandel eine Herausforderung, so Daniel Fischlin. Die meisten Maschinen der Kraftwerksgruppe sind über 50 Jahre alt und wurden von den KWO modernisiert und digitalisiert. «Bei Generalrevisionen und anderen Instandhaltungsarbeiten sind wir deshalb darauf angewiesen, dass unsere Mitarbeitenden die damalige Konstruktionsphilosophie verstehen», stellt der CEO klar. Die heute oft kürzeren Betriebszugehörigkeiten trügen dazu bei, dass Mitarbeitende eine solche Revision mitunter noch nie durchgeführt haben. Das dafür nötige Wissen muss daher innerhalb der KWO verfügbar gehalten werden. «Damit wir dieses Wissen weiterhin bewahren können, sollten wir eine Sprache sprechen, die die jüngere Generation auch versteht», ist sich Daniel Fischlin bewusst. Dazu müsse man auch dem technologischen Wandel Rechnung tragen und erfahrene Mitarbeitende für den Umgang mit digitalen Tools begeistern. Brückenbauer Mediation Aber nicht nur im übertragenen, technischen Sinn könne dieselbe Sprache eine Herausforderung darstellen. Die ‹mittlere› Generation im Alter zwischen 40 und 50 Jahren sei aufgrund von wenig Bautätigkeit in den letzten Jahrzehnten häufig nicht im Betrieb repräsentiert. Deshalb müsse die Erfahrung meist über eine Generation hinweg weitergegeben werden. «Für die teils komplexen Zusammenhänge in einem Kraftwerksverbund wie unserem gibt es keine fertigen Anleitungen, hier sind wir auf diese Erfahrungen angewiesen», zeigt der CEO auf. Bei der Weitergabe derer könne der Altersunterschied jedoch durchaus herausfordernd sein: «Wenn ein Junger kommt, weiss er vielleicht nicht, was er wissen sollte und dementsprechend auch nicht, wonach er fragen muss. Vielleicht traut er sich deshalb auch nicht. Und der Erfahrene weiss eventuell über alles Nötige Bescheid, hat aber Mühe, es zu erklären. Er trifft mitunter auch den falschen Ton.» Selbst, wenn man sein Wissen gerne teile, scheitere es mitunter im direkten Dialog. Deshalb setzt Fischlin auf einen periodischen Austausch zwischen den Generationen, der von einer externen Mediatorin mit journalistischem Hintergrund moderiert wird. In diesen Gesprächen geben erfahrene Mitarbeitende ihr teils Jahrzehnte umfassendes Wissen an die jungen Teamkolleg:innen weiter. «Eine Vermittlerin mit psychologischem Geschick, die nicht vom Fach ist und die Gespräche mit Charme moderiert, kann helfen, einfache Erklärungen zu finden und die Beteiligten auf eine Wellenlänge zu bringen», so Fischlin. Eine solche Person könne auf erkannte Hemmschwellen der jüngeren Kolleg:innen gezielt eingehen, aber auch die Antworten der Erfahrenen in den richtigen Kontext bringen. Begleitung bei Projekten Hat sich ein Vertrauensverhältnis zwischen den Beteiligten etabliert, kann die Know-how-Weitergabe später ohne Führung stattfinden. Im ‹Board Kraftwerkstechnik› sind erfahrene Kraftwerks- und «Schaffen wir es, Mitarbeitenden zu vermitteln, dass ihre Erfahrung ein unbezahlbarer Schatz ist, den man als Firma nicht verlieren möchte, teilen sie ihr Wissen erfahrungsgemäss gerne.» Daniel Fischlin, CEO, Kraftwerke Oberhasli AG 01| 2022 26 | 27

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