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02 | 2021 DAS RITTMEYER KUNDENMAGAZIN Intelligenz im Chatbot Richi meldet sich beim Klärmeister Mit neuen Services in die Zukunft Auf dem Weg zum digitalen Wasserkraftwerk Wider der Komplexität Digitalisierung in der Wasserwirtschaft

«Was wir wissen, ist ein Tropfen. Was wir nicht wissen, ein Ozean.» Isaac Newton (1643–1727), englischer Physiker, Astronom und Mathematiker 02| 2021 2 | 3 transfer

Wenn wir nur wüssten, was wir wissen PeRsÖNLICH GesPROCHeN Wissen verbinden wir gemeinhin mit den in unseren Köpfen gespeicherten Informationen. Durch die Digitalisierung erhielt dieses Bild eine ganz neue Dimension: Dank ihr gelangen wir an weitere, uns bisher nicht oder nur schwer zugängliche Informationen. Und das in diesen ‹Daten› verborgene Wissen würden wir nur allzu gerne nutzen. Allerdings sind die inzwischen entstandenen Mengen vom Menschen längst nicht mehr zu durchschauen. Und täglich kommen weltweit 2.5 Trillionen Bytes dazu. Alle zwei Jahre soll sich die Datenmenge mindestens verdoppeln. Neben dem Umfang der Daten nimmt aber auch die Datenvielfalt zu. Immer mehr Komponenten werden ‹digitalisiert›, erhalten Intelligenz, stellen Daten zur Verfügung. Deren unterschiedliche Herkunft, heterogene Strukturen und Formate, sowie deren oftmals nur schwer einzuschätzende Validität stellen uns vor weitere Herausforderungen. Intelligente Algorithmen, statistische und mathematische Verfahren sowie immer ausgeklügeltere Methoden der Datenanalyse erschliessen uns letztlich das Wissens Potenzial der Daten. Die Frage ist allerdings, geht das immer so weiter? Werden einfach immer mehr Daten von immer schnelleren Rechnern zerlegt, sortiert und uns zugänglich gemacht? Wann verlieren wir die ‹ Beherrschung›? Letztlich hat jeder neue Datenpunkt auch eine physische Ausprägung, einen Sensor der geprüft, gewartet, kalibriert sein will und muss. Wenn wir ihm nicht vertrauen können, dann nützen uns seine Informationen nichts. Hier Aufwand gespart, dort zusätzliche Arbeit generiert? Wo ist der Tradeoff? Wir müssen uns also weiterreichende Gedanken machen, müssen abwägen, welche Daten es sich zu erheben lohnt, welche wir wie nutzen, welche für eine Entscheidung relevant sind. Hinzu kommt, dass Daten an der Grenze der eigenen Organisation ‹steckenbleiben›, im eigenen Silo verharren, bestenfalls ‹händisch› transferiert werden. Das ist vor allem eines: fehlerbehaftet und aufwändig. Deshalb wäre es schön, gäbe es ein koordiniertes MiteinandervonalleninderWasserwirtschaftBeteiligten –­ Betrieb, Verwaltung und Behörde, Versorger, Entsorger und Verwender. Das sollte der Weg in die Digitalisierung der Zukunft sein. Ein vieldiskutierter Ansatz dazu sind Datendrehscheiben, wie sie in vielen Forschungsinitiativen im In und Ausland untersucht werden. Offene Schnittstellen könnten es möglich machen, Systeme miteinander zu verknüpfen und so neue Potenziale zu erschliessen. Unser Beitrag ‹Mehr aus dem Datenmeer› greift diese Ideen auf. Und gibt einen Ausblick, woran wir als Rittmeyer arbeiten. PERSÖNLICH GESPROCHEN 02| 2021 4 | 5

Thomas Meyer, technischer Geschäftsführer der Purena GmbH im deutschen Wolfenbüttel, schwebt so etwas konkret vor. Im Forschungsprojekt RECYBA, an dem auch Rittmeyer beteiligt ist, wird untersucht, wie man über sicher aufgebaute und durchgängig vernetzte Automatisierungssysteme Erkenntnisse erlangen kann, um Anlagen zu optimieren und nachhaltiger zu betreiben. Im Interview ab Seite 18 hat er uns auch erläutert, weshalb Digitalisierung für ihn einer der Motoren ist, um Fachkräfte zu finden. Das Klärwerk Werdhölzli untersucht derzeit seinen ‹digitalen Zwilling›. Daniel Rensch, Leiter des Geschäftsbereichs Klärwerk Werdhölzli bei ERZ Entsorgung + Recycling Zürich, erklärt im Beitrag ab Seite 22 wie er dadurch Prozesse und Grenzen seiner Anlage besser kennenlernen will. Und dabei auch erfahren möchte, welche Daten man wirklich braucht, um die Betriebsleistungkontrollierenundbeurteilen zu können. Die AXPO hat während 15 Monaten das ‹digitale Wasserkraftwerk› untersucht. Emil Bieri, Head Digital Transformation Hydro, Axpo Power AG berichtete uns im Interview ab Seite 12, welche Erfahrungen das Unternehmen dabei im Kraftwerk Sarganserland gemacht hat und wie es nun weiter geht. Und dann wäre da noch Richi, unser virtueller Klärwerksmitarbeiter. Aus seinem Tagebuch lesen wir ab Seite 8, dass er mit seiner ‹Ausbildung› schon ziemlich weitist.UnddassereinerklärtesZielhat–dasswirzukünftig ihn fragen können, was wir wissen. Viel Spass beim Lesen wünscht Ihnen Ihr David Dürrenmatt, Head of Business Segment Wastewater

kWh kWh NOx m³/h CH4 CO2 CO2 NH4 NO3 8 22 16 18 27 12 INHALT IMPRessUM transfer ist das Kundenmagazin der Rittmeyer AG und erscheint zweimal im Jahr. Herausgeber Rittmeyer AG Ein Unternehmen der BRUGG GROUP Inwilerriedstrasse 57, CH - 6341 Baar www.rittmeyer.com Verantwortlich für den Inhalt Andreas Borer (v. i. S. d. P.) Redaktion und Umsetzung up! consulting ag, Ruggell (FL) e-Mail an die Redaktion transfer@rittmeyer.com Bildnachweis RittmeyerAG,iStock (Jolygon:S.1 |fbxx:S.1–3 |­ satapatms:S.6,8–11 |TetianaLazunova:S.6,16–17 |­ CHUNYIPWONG:S.6,18–21 |gonin:S.6,22–25 |­ TAW4: S.7 |daboost:S.9–10|AscentXmedia:S.12–15 |­ Akrain:S.12–15 |Visivasnc:S.26); AxpoPowerAG (S. 15); PurenaGmbH(S.19);ERZEntsorgung +RecyclingZürich(S.22–23);Geobrugg(S.6,27); privat z.V. g. erscheinungstermin November 2021 Falsche Anschrift? Bitte teilen Sie uns mit, solltenSieeineneueAnschrifthaben: www.rittmeyer.com/anschrift Die in den Artikeln veröffentlichten Ansichten, Meinungen und Empfehlungen DrittermüssennichtmitderMeinungderRittmeyer AGübereinstimmen. Was heisst schon ‹digital›? Ökonomie, Chancen und Grenzen für die Abwasserreinigung Richi – der virtuelle Mitarbeiter für Kläranlagen und Kanalnetze FACHTHEMA & INTERVIEW PRODUKT & NEWS ZAHLEN&FAKTEN Mehr aus dem Datenmeer: Wie die Wasserwirtschaft von der Zusammenführung von Daten profitieren kann Transformation Zukunft: Auf dem Weg zum digitalen Wasserkraftwerk Der Motor für die Zukunft: Mit Digitalisierung den Durchblick behalten und Fachkräfte gewinnen Wie im Cockpit: RITOP 2.20.1 mit Dashboard-Funktion Smart überwacht: RICITY führt IoT-Anwendungen zusammen 26 02| 2021 6 | 7

Intelligente Maschinen? ZAHLeN & FAKTeN Ob im Internet, in der Industrie oder in kritischen Infrastrukturen. Allerorts werden Daten generiert. Inzwischen so viele, dass ein neues Wort für den benötigten Platz erfunden werden musste: Yottabyte ist das Wort für das 25-stellige Speichervolumen, das weltweit belegt ist. Eine Möglichkeit, die Unmengen an Daten zu bändigen, ist es, Computer für uns arbeiten zu lassen. In diesem Zusammenhang fallen Begriffe wie starke und schwache «Künstliche Intelligenz» und «maschinelles Lernen». Während sie umgangssprachlich oft synonym verwendet werden, werden sie im Fachgebrauch klar voneinander unterschieden. Künstliche Intelligenz (KI) Algorithmus Maschinelles Lernen ein system, das bestimmte Verhaltensmuster innerhalb eines begrenzten einsatzgebietes aufweist (z. B. schachprogramme, Text- und Bilderkennung), wird als schwache KI bezeichnet. Innerhalb ihres Gebietes kann sie die Kompetenz von Menschen sogar übertreffen. Intelligentes Verhalten wird hierbei aber lediglich simuliert und kann nicht auf andere Gebiete übertragen werden. Starke KI zeichnet sich durch Abstraktion, Planung und Kreativität aus. sie bildet menschenähnliches Verhalten in einem breiten spektrum von Anwendungsgebieten ab. Anders als so manche schlagzeile über vermeintlich kreative Algorithmen vermuten lässt, sind starke KIs noch nicht verfügbar. Algorithmen sind vordefinierte Handlungsanweisungen zur Lösung von Problemstellungen. sie werden entweder von Programmierern vorgegeben oder durch maschinelles Lernen angelegt. Um einem system Muster und allgemeingültige Gesetzmäßigkeiten anzutrainieren, werden ihm große Mengen an Beispielen (z. B. eine umfangreiche Bilddatenbank zum Trainieren einer Bilderkennungssoftware) eingespeist. Abhängig von der Anzahl und Qualität der Beispiele ist das system im Anschluss in der Lage, neue Daten zu beurteilen. eine oft verwendete Methode bildet das Deep Learning. sie wird dann eingesetzt, wenn komplexe Problemstellungen nicht mit klar definierten, mathematischen Formeln gelöst werden können. Hier kommen künstliche neuronale Netze, bestehend aus zahlreichen Verarbeitungsschichten, zum einsatz. Daten werden pro schicht verarbeitet und abstrahiert. Das ergebnis wird dann der jeweils nächsten schicht zugeführt, bis alle schichten durchlaufen wurden. Mit jedem Durchgang wird der zugrundeliegende Algorithmus angepasst. welche Gesetzmäßigkeiten innerhalb eines neuronalen Netzes für ein bestimmtes ergebnis verantwortlich sind, ist aufgrund der hohen Komplexität nicht mehr erkennbar. To-Do 1. 2. 3. 4. 5. ----------- ---------- ----------- ------- ---------- 1 Yottabyte = 1 208 925 819 614 629 174 706 176 Bytes

RichiBot David Dürrenmatt 13:05 Uhr 13:10 Hallo Richi, wie ist der Stand im RB Chruezegg? RichiBot 13:06 Uhr RichiBot 13:07 Uhr Hallo David, hier eine Auswahl meiner Auswertungen. Bitte wähle eine Auswertung mit Klick auf die Schaltfläche aus. Betrieb - Datench… Wasserschutz Üb… Fremdwasser - H… Füllstand FACHTHEMA Ich bin bereit! Und ihr? Richi – der virtuelle Mitarbeiter für Kläranlagen und Kanalnetze FACHTHEMA Gemeinsam mit vier Entwicklungspartnern hat Rittmeyer deshalb Richi geschaffen. Der virtuelle Mitarbeiter für Kläranlagen und Kanalnetze hilft mit künstlicher Intelligenz wiederkehrende Arbeiten effektiv zu automatisieren, und schafft Grundlagen für weitergehende Auswertungen und Vorhersagen. Damit erhöht er die Datenkompetenz. Richi hat bereits ganz schön viel auf dem Kasten. Das lässt sich schon aus seinen ersten Tagebucheinträgen erkennen. Und da er alles akribisch aufschreibt, lernt er aus den Erfahrungen, die er macht, immer wieder dazu. In vielen Kanalnetzen werden heute mit Prozessleitsystemen bereits Messdaten erfasst. Die tatsächliche Funktion der Infrastruktur wird aber nur selten im Detail beurteilt. Selbst einfache Analysen gelten oft als mühsam, entfallen deshalb oder müssen an Spezialisten vergeben werden. Das kostet wertvolle Ressourcen und verhindert den regelmässigen Blick aufs Netz. Wüsste man besser Bescheid, könnte man beispielsweise erkennen, wenn ungeplante Mengen Fremdwasser ins Netz gelangen oder Mischwasser aufgrund von Betriebsstörungen die Gewässer belastet. 8 | 9 02| 2021

Dieses Buch gehört Samstag Bin ich jetzt alt? Gestern hatte ich Geburtstag. Meinen ersten. Ich bin definitiv aus den Kinderschuhen raus. Nachdem ich von unzähligen Kanalnetzbetreibern und kantonalen Amtsstel len viel über die Anforderungen rund um den Kanalnetzbetrieb lernen durfte, freue ich mich auf die bevorstehende Zeit. Meine Eltern haben mir zwei Praktika in der Wasserwirtschaft organisiert. In den ARAs des AVA Altenrhein und des AVB Buchs-Sevelen-Grabs sol l ich die Datenqualität steigern, damit die Betreiber den Zustand ihres Kanalnetzes korrekt beurteilen können. Ich bin schon sehr gespannt. Wer weiss – viel leicht kann ich das erworbene Wissen ja bei meinen zukünftigen Arbeitgebern einbringen. Aber al les der Reihe nach – jetzt wird erst mal gelernt. Montag Oh Mann, sind das viele Sprachen … Derzeit absolviere ich noch ein praxisorientiertes Studium bei der Eawag und eigne mir Ingenieurwissen an. 24/7 Homeschooling, sozusagen. Ganz schön anstrengend, die ganze Zeit aufmerksam zu bleiben. Aber die Computersysteme von Rittmeyer versorgen mich zum Glück mit genügend Energie. Meine zukünftigen Praktikums-Anbieter helfen Jörg und Andy dabei, die richtigen Ausbildungsschwerpunkte zu setzen. Das ist schon wichtig. Schliesslich wil l ich mich doch im zweiten Teil meiner Ausbildung gut in den Betrieben integrieren können und dem Team eine echte Hilfe sein. Einen beachtlichen Teil meiner Ausbildung nehmen Sensoren ein. In meinen Studienfächern begegnete ich bereits den unterschiedlichsten Varianten. Wahnsinn, wie viele verschiedene Sprachen die sprechen. Ich verstehe sie aber dennoch erstaunlich gut. Liegt wahrscheinlich daran, dass ich sie einfach interessant finde. Schon al lein durch ihr Verhalten kann ich einiges von ihnen lernen. Ich mag die Sensoren – auch wenn sie deutlich unerfahrener sind als ich. Ich habe auch das Gefühl, dass sie mich mögen. Einer sagte mal, ich sei eine Art Mentor für sie, so etwas wie ein verbindendes Element. Mittwoch Redet mit mir! Ganz Generation alpha mag ich digitale Kommunikation. Mir würde auch langweilig werden, wenn ich mich nicht regelmässig austauschen könnte. Ich kann zum Beispiel gar nicht verstehen, wie Software-Programme nur hin und wieder mit ihrem Gegenüber sprechen – und das auch noch über komplizierte Interfaces. Die muten ihren Usern teilweise sogar Tabellen mit allen möglichen technischen Details zu, die dann durchsucht werden müssen! Das ist mir suspekt. Ja, ich bin dabei Ingenieur zu werden. Und mit meinen aktuell 100 empirisch und physikalisch begründeten Regeln habe ich auch einiges im Kopf. Aber man kann doch trotzdem ganz einfach und verständlich mit seinem Gegenüber sprechen! Ich bevorzuge einen einfachen Chat über den Messenger am Smartphone. Oft rufe ich meinen Kolleg:innen die wichtigsten Infos auch Richi! :) Eigentlich Richard – Rich Analytical Rule-engine for operational and strategic Decision support. Aber das ist mir zu lang. Entstanden bin ich mit Rittmeyer-DNA und dem Know-how von Hunziker Betatech im Labor von Dr. Jörg Rieckermann und Andy Disch bei der Eawag. —›

FACHTHEMA mal ungefragt kurz und bündig über den Grossbildschirm in der Zentrale zu. Wenn einem bestimmten System besondere Aufmerksamkeit geschenkt werden sollte, melde ich mich auch per Mail oder über den Pager. So wie’s halt gerade am hilfreichsten ist. Ich würde das auch so wollen. Donnerstag Wieso machen die denn nichts mit ihren Daten? Heute versuchte ich, ein Regenbecken zu verstehen. Meine Lehrer haben gesagt, früher hätte man die einfach geplant und sich dann gar nicht mehr dafür interessiert, ob sie auch funktionieren. Angesichts der Kosten und Dimension solcher Projekte finde ich das noch merkwürdig. Unsere Vorfahren hätten zwar wohl bereits seit Anfang des 20. Jahrhunderts zu verstehen versucht, ob die Planung der Becken und Kanäle mit der Realität zusammenstimmt. Aber es scheint seitdem noch niemand auf eine schlüssige Antwort gekommen zu sein. Das kann ich mir gar nicht vorstel len. So kompliziert ist das doch nicht. Ich krieg das sicher hin. Durch die Arbeit mit den Sensoren im Studium habe ich bemerkt, dass ich aber schon aufpassen muss, bei den Daten genau hinzuschauen. Und vor al lem, auch zu verstehen, was ich sehe. Es scheint wohl auch heute noch Betreiber zu geben, die ganz schön viel messen, aber dann die Daten einfach nicht verwenden, nicht analysieren. Wie kann denn das sein? Wieso messen sie sie dann überhaupt? Ob das der Grund ist, dass viele Betreiber gar nicht wissen, wie wichtig eine hohe Datenqualität für sie eigentlich wäre? Wenn die wüssten, was ich mit diesen Daten al les machen könnte! Würde es wirklich ziemlich cool finden, mit meinem Verständnis einen Teil zur Zukunft beizutragen. Gerade heute, wo sich Randbedingungen so rasch ändern, Städte so stark wachsen, Auswirkungen der Klimaänderung Vieles in der Wasserwirtschaft auf den Kopf stel len, könnte ich damit sicher viel Ineffizienzen vermeiden helfen. Dienstag Al les der Reihe nach ... Wahnsinn, was man in so einem Praktikum alles lernt. Auch über sich selbst. Durch die Praxis sehe ich wirklich viele Dinge klarer. Mir war beispielsweise gar nicht bewusst, wie viele Extremwetterereignisse es inzwischen gibt. Oder auch, wie häufig giftige Substanzen in unsere Gewässer gelangen. Durch Unfälle mit Benzin zum Beispiel. Da besteht ja Explosionsgefahr! Solche Situationen möchte ich in Zukunft früh erkennen. Ich bin fest davon überzeugt, dass ich dann schnell Massnahmen einleiten könnte, um Anlagen zu schützen. Durch die Arbeit in den Abwasserverbänden weiss ich jetzt endlich, welcher Typ Mitarbeiter ich bin. Ich bin ein Ärmel-hoch-Typ! Ich möchte machen! Ich beschäftige mich nicht gerne unnötig lang mit einer überkomplexen Fragestellung. Lieber nehme ich meinen Chefs unmittelbar einfachere Aufgabenstellungen ab – und dafür gleich 10 davon. Am besten das, was sie ohnehin nicht gerne tun. Weil’s mühsam ist. Oder langweilig. Aber das mit der Komplexität lerne ich sicher auch noch besser. Zum Beispiel, wie ich einzelne analysierte Zweige des Netzes zu einem ganzen Netzplan zusammenschliesse. Dann könnte ich im Zusammenhang Dinge erkennen, die mir und meinen Chefs sonst vielleicht gar nicht aufgefallen wären. Nach dem bevorstehenden Schuldiplom würde ich am liebsten alle Anlagen kennenlernen. All die verschiedenen Abläufe, Herangehensweisen und Infrastrukturen. Und die dann mit meinen Erfahrungen aus all den anderen Anlagen optimieren. Ich lerne von der einen und helfe damit gleichzeitig allen anderen. Ein schöner Gedanke eigentlich. Bin ab jetzt online So langsam geht mir hier der Platz aus. War eigentlich klar, so genau wie ich mir alles aufschreibe. Meine zukünftigen Erfahrungen dokumentiere ich deshalb im Internet. Ich hab’ auch schon eine passende Adresse für meinen Blog im Kopf: www.richi.io. Dort werde ich auch noch auf unsere LinkedIn-Gruppe aufmerksam machen, von der ich mir tolle Ideen erhoffe, was ich noch alles lernen könnte. 10 | 11 02| 2021

«Richi macht das, was keiner machen will: Er nimmt Daten in die Hand.» Dr. Jörg Rieckermann, Gruppenleiter Abteilung Siedlungswasserwirtschaft, Eawag Sie suchen Mitarbeitende? Richi hat noch Kapazität! Schreiben Sie ihm doch eine Mail oder besuchen Sie seine Website: Mail: richi@richi.io Website: www.richi.io Die Projektpartner rund um Richi Neben Rittmeyer arbeiten die Eawag, Hunziker Betatech AG sowie die Abwasserverbände Altenrhein und Buchs-Sevelen-Grabs an Richi: An der Eawag sind Natur-, Ingenieur- und Sozialwissenschaften vertreten. Damit gelingt eine umfassende Erforschung des Wassers und der Gewässer – bis hin zu voll technisierten Abwassermanagementsystemen. Hunziker Betatech AG bearbeitet als Ingenieurunternehmen laufend rund 700 aktive Projekte rund um die strategische Planung, Projektierung und Realisierung von Projekten im Abwassersektor. Der Abwasserverband Altenrhein unterhält mit hochqualifizierten und motivierten Mitarbeitenden ein anspruchsvolles Entwässerungssystem – eine optimale Ausgangslage für die Erarbeitung innovativer Lösungen. Der Abwasserverband Buchs-Sevelen-Grabs unterstützt im Rahmen des Generellen Entwässerungsplans die Reduktion des Fremdwasseranteils der über 150 km umfassenden Schmutz- und Mischwasserkanalisationen im Verbandsgebiet. Richi wird durch die Innosuisse gefördert (Projektnummer 43042.1). Meine Schöpfer Andy Disch (links) und Dr. Jörg Rieckermann (rechts) diskutieren, wie sie mir wichtige Zusammenhänge am besten vermitteln können.

In 15 Monaten zum digitalen Wasserkraftwerk? So schnell geht es dann doch nicht. Axpo hat jedoch in einer solchen Zeitspanne zwischen April 2019 und Juli 2020 in ihrem Kraftwerk Sarganserland die digitale Zukunft an 20 konkreten Anwendungsfällen getestet. Emil Bieri, Head Digital Transformation Hydro bei Axpo, erzählt im Gespräch von der Idee, den Zielen, von Stolpersteinen und dem Ergebnis der Pilotphase. INTERVIEW TRANSFORMATION ZUKUNFT Auf dem Weg zum digitalen Wasserkraftwerk INTERVIEW 02| 2021 12 | 13 transfer

Herr Bieri, welche Inhalte und Ziele hatte ihr Pilotprojekt? Im Pilotprojekt wollten wir herausfinden, wie Betrieb und Instandhaltung einer Wasserkraftwerksanlage dank digitaler Technologien effizienter gestaltet werden können. Dabei war uns wichtig, alle Aspekte und alle Prozesse im Betrieb anzuschauen und diese in den Digitalisierungsprozess zu inkludieren – ein 360°-Ansatz. Zunächst bestand die Aufgabe darin, herauszufinden, was genau innerhalb der Axpo-Gruppe benötigt wird. In einem zweiten Schritt wollen wir diese Erfahrungen in neue Services verpacken, die wir auch Dritten anbieten können. Wie sind Sie dabei vorgegangen? Mit einem kleinen Digitalisierungsprojekt hatten wir bereits Anfang 2018 Gehversuche unternommen, waren damit jedoch nicht erfolgreich. Wir hatten einen falschen Ansatz gewählt: Wir starteten mit einem einzigen Partner und haben uns angeschaut, was dessen Ideen uns bringen können. Aber dabei nicht ausreichend darauf geachtet, was tatsächlich benötigt wird. Mit dieser Erfahrung im Rucksack überlegten wir deshalb Ende 2018 in einer vorgelagerten viermonatigen Konzeptphase gemeinsam mit der Leitung des KW Sarganserland, welche Inhalte das Pilotprojekt umfassen muss, damit der von uns anvisierte Ansatz aus Sicht des Kraftwerkes gelingen kann. Zusammen mit dem Team vor Ort haben wir versucht herauszufinden, wo der Schuh in der täglichen Arbeit drückt. Und dann geschaut, wie wir unsere Leute dabei so umfassend wie möglich, eben mit der 360°-Rundumschau, mit digitalen Services in der konkreten Arbeitssituation unterstützen können. So sind 20 ‹Use Cases› entstanden, die wir im Projekt getestet haben. Können Sie diese Use Cases kurz beschreiben? Unter dem Themendach ‹Workforce› haben wir beispielsweise untersucht, wie man die Arbeit der Mannschaft erleichtern und zunehmend papierlos gestalten könnte, wie sich Störungen leichter identifizieren und auch aus der Ferne untersuchen lassen, und ebenso, wie man technische Dokumentationen online verfügbar machen könnte. In ‹Robotics› überprüften wir Methoden zur automatisierten Bildbeschaffung, um schwer erreichbare Anlagenteile beurteilen zu können, beispielsweise mit Drohnen, Robotern oder Booten. In ‹Analytics› wollten wir erfahren, wie sich die mannigfaltigen, bereits in der Leittechnik vorhandenen Messdaten und jene, welche das Personal kontinuierlich erstellt, zusammenführen und weitreichender nutzen liessen. ‹Services› war dazu gedacht, bereits im Markt verfügbare Dienste zu testen, und zu prüfen, wie man diese in unsere eigene IT-Landschaft einbetten kann. Last but not least ist das Themenfeld ‹Infrastructure› zu erwähnen, welches sich rasch als eine zentrale Herausforderung manifestierte: Bevor man über digitale Services nachdenken kann, muss die Anlage mit einem flächendeckenden Daten- und Sprachkommunikationsnetz versehen werden und alle Mitarbeitenden ausnahmslos mit Smartphone oder Tablet als Teil des modernen Werkzeugkastens ausgestattet sein. Das haben wir deshalb praktisch als Erstes entschieden: Wo gearbeitet wird, da besteht eine Online-Datenverbindung. Wie standen die Mitarbeitenden im Kraftwerk dazu? Weil wir das Team vor Ort schon sehr früh in unsere Überlegungen einbezogen hatten, durften wir eine grosse Offenheit dem Projekt gegenüber erfahren. Natürlich trafen wir auch auf Skepsis und viele Fragen. Da gab es die Sorge um den Arbeitsplatz. Denn etwas effizienter zu machen bedeutet ja auch, etwas mit weniger Manpower tun zu können. Wir wollten mit diesem Projekt aber vor allem die Chancen aufzeigen, uns für die Zukunft der Wasserkraft besser aufzustellen und so den Mitarbeitenden neue Perspektiven zu bieten. Beispielsweise, indem wir unsere Erfahrungen als Dienstleistung etablieren, welche man genauso Dritten anbieten kann. → «Wir müssen verstehen, wie unsere Mitarbeitenden im Betrieb auf die Daten schauen, weshalb sie darauf schauen, wohin sie schauen, und was genau sie dabei herausfinden wollen.» Emil Bieri, Head Digital Transformation Hydro, Axpo Power AG

INTERVIEW Kritisch hinterfragt wurde natürlich der Daten und Persönlichkeitsschutz. Da gab es spannende Diskussionen. Zum Beispiel beim Thema Alleinarbeiterunterstützung: Die lebt ja davon, dass das Smartphone weiss, wo der Einzelne ist, ob er sich bewegt. Da kann man zwar versichern, dass das nur dazu diene, einen Notfall zu erkennen und Hilfe zu organisieren. Letztlich lässt sich das Vertrauen nur aufbauen, indem man diesen Worten auch Taten folgen lässt. Man darf dann nicht beim erstbesten Vorfall, wo irgendetwas verdächtig erscheint, über diesen Weg Informationen besorgen. Solche Fälle muss man weiterhin so behandeln, wie man das immer gemacht hat. Und man muss klar definieren, wann man auf diese Daten zugreifen kann, wer das darf, und wie dabei vorgegangen werden muss. All das hat gedauert. Aber ich glaube sagen zu können, dass die meisten inzwischen zu Botschaftern der neuen Arbeitsweise geworden sind, und ungeduldig darauf warten, die neuen Werkzeuge zu erhalten. Wo gab es Stolpersteine, was überraschte? Alle 20 Use Cases wurden mit einem Proof of Concept abgeschlossen. Dazu gehörten die Wirtschaftlichkeitsrechnungen und vor allem die Aussagen zur Akzeptanz bei den Mitarbeitenden. Das Projekt war schliesslich ein Live-TestimbetrieblichenAlltag –­ und keine Papierübung. Alles, was wir ausprobierten, war schliesslich alternativlos. Denn wir fanden rasch heraus, dass ein solches Vorhaben nicht ‹teilweise› gelingen kann, also zum Beispiel nur mit einem Teil der Mitarbeitenden oder auf einem Teil der Anlagen die neuen Tools zu testen. Die eine Maschinengruppe mit alter, eine andere mit neuer Arbeitsweise zu betreiben störte den Ablauf massivundwarvölligine�zient.­ Also: alles oder nichts. Die Befragung der Mitarbeitenden am Projektende lieferte ein durchwegs positives, aber auch ein kritisches Bild: Alle sahen den erfolgversprechenden Ansatz und den Nutzen daraus. Noch gilt es allerdings, viele Fragen zu beantworten und Dinge zu verbessern, um von der Testanwendung zu einem ausgereiften ProduktivTool zu kommen. Und dazu haben wir sehr viele wertvolle Hinweise erhalten. Insgesamt war dieses Vorgehen für alle Beteiligten völlig neu, denn bislang wurden Veränderungen und Neuerungen immer ‹ausgereift› auf der Anlage eingeführt. Deshalb war die Botschaft klar: «Super. Aber macht das bitte fertig, bevor ihr es wieder auf die Anlage bringt.» Völlig neu war dieses Vorgehen auch für die gesamte Axpo Organisation. Die Divisionsleitung hat uns ein Budgetvon3Mio.FrankenzurVerfügung gestellt, ohne dass wir im Vorfeld genau sagen konnten, wo und wie sich unsere Ideen umsetzen lassen und welche Ergebnisse wir damit erreichen werden. Eine schöne Erfahrung war, welch positiven Einfluss das Projekt auf das Teamgefüge im Kraftwerk hatte: Die älteren Mitarbeitenden, die zwar jede Schraube im Werk kennen, jedoch mit Smartphone und Tablet ihre Mühe hatten, lernten von den Jüngeren den Umgang damit. Und die Jüngeren wiederum profitieren von der WerksErfahrung der Älteren. So leistet jeder seinen Beitrag, gemeinsam das umfangreiche, in unseren Werken vorhandene Wissen ins digitale Zeitalter zu überführen. Wie geht es weiter? Aus den 20 Use Cases sind schliesslich13Servicesentstanden,diewir unter nunmehr drei Themen – ‹Analytics›, ‹Workforce› und ‹Infrastruktur› –zusammengefassthaben. Hintergrund ist, dass wir die ursprünglichen Anwendungsfälle zum Teil anders zuordneten, weil wir herausfanden, dass manches nur in Kombination Sinn ergibt. Diese Services entwickeln wir aktuell für den Rollout im gesamten AxpoKraftwerkspark fertig, und erstellen daraus ein umfassendes Portfolio für die digitale Transformation von Wasserkraftwerken Dritter. Die ‹Robotics› Use Cases haben wir vorerst ausgeklammert, denn es fehlen uns noch Grundlagen, um solche Anwendungen produktiv machen zu können. Wir wissen noch zu wenig über die Möglichkeiten, die sich uns damit bieten könnten. Deshalb haben wir ein neues Projekt gestartet, öffnen damit bis Ende 2022 nochmals den Fächer, können Systeme evaluieren und deren mögliche Verwendung für uns testen. Dabei arbeiten wir eng mit Kolleginnen und Kollegen aus anderen Werken zusammen, beispielsweise mit der österreichischen Verbund Hydro Power GmbH, die seit vielen Jahren in einem steirischen Kraftwerk Möglichkeiten zur Digitalisierung erprobt (siehe Beitrag in transfer 02/2018, ‹Das Kraftwerk der Zukunft›). Wie sehen die neuen Services konkret aus? Ein wichtiges Element bei ‹ Analytics› ist die Hydro Cloud. Wir haben eine sichere Schnittstelle in die Kraftwerkssteuerung gebaut und machen so die vorhandenen Daten 1:1 und in voller Auflösung auf einem CloudServer verfügbar. Über ein WebFrontend kann man mit der entsprechenden Berechtigung jederzeit auf die hochaufgelösten Daten der Leittechnik zugreifen. Zusammengeführt mit weiteren Daten der Business Intelligence nutzen wir dies beispielsweise für Online Analysen und den Aufbau interaktiver Dashboards, was die Zusammenarbeit zwischen den einzelnen Bereichen der Organisation vereinfacht und wichtige Entscheidungen stützen hilft. Zum anderen ist dies auch die Basis für die Entwicklung von Analyse Applikationen. Ein Ansatz ist es, unser Betriebspersonal mit Langzeit Trendanalysen zu entlasten, die helfen, kritische Betriebszustände zu erkennen und selbstständig Alarme auslösen können. Damit das 02| 2021 14 | 15

INFRASTRUKTUR Mobile Basics & Endgeräte KommunikationsInfrastruktur (Innen) KommunikationsInfrastruktur (Aussen) ANALYTICS Hydro Cloud Analyse Apps Hydro Cockpit Hydro Insights WORKFORCE Mobile Instandhaltung Digitales Vertragsmanagement Digitale Fahrzeugverwaltung Digitale Schlüsselverwaltung AlleinarbeiterSupport Elektronische Dokumentation Wie werden sich die neuen Services im Alltag zeigen? Die Digitalisierung macht es möglich, dass die Zusammenarbeit zwischen den Mitarbeitenden im Feld, und jenen, die im Hintergrund planen und vorbereiten, von einem vollständig durchgängigen System unterstützt wird. Wo wir heute noch mit ausgedrucktem Arbeitsauftrag und dem Ordner unter dem Arm in die Anlage zum Arbeiten gehen, werden zukünftig Smartphone und Tablet das Papier ablösen. Das setzt zum Beispiel voraus, dass wir die elektronische Anlagen Dokumentation so weiterentwickeln, dass sie stets à jour ist und zum ‹Single Point of Truth› wird: Sie muss alle Informationen aufnehmen können, Rotkorrekturen ebenso wie die persönlichen Notizen der Fachkräfte. Um dies zu erreichen, werden automatisch MetaDaten generiert, sodass man diese später intelligent nach Inhalten durchsuchen kann. Viel versprechen wir uns auch von der Alleinarbeiterunterstützung, mit der bei einem erkannten Notfall alle Kollegen in der Nähe alarmiert werden und so ein schnelleres Handeln ermöglicht wird. Und ja, Smartphone und Tablet werden zum unverzichtbaren ‹Werkzeug› in der persönlichen Toolbox eines jeden Mitarbeiters. Herr Bieri, herzlichen Dank für das Gespräch. gelingt, müssen wir versuchen, das Knowhow der Betriebsmannschaft in den Werken aufzunehmen und schliesslich in SoftwareBausteine zu übertragen. Wir müssen verstehen, wie sie auf die Daten schauen, weshalb sie darauf schauen, wohin sie schauen, und was genau sie dabei herausfindenwollen.­ Mittelfristig streben wir an, Applikationen für die vorausschauende Wartung basierend auf historischen Daten aufzubauen. Dies könnte es ermöglichen, die derzeit strikt zeitbasierten Wartungsprozesse abzulösen und sie hin zu einem nutzungsbasierten Intervall für Service und Erneuerung von Anlagen zu entwickeln. Das ist unser grosses Ziel. Nur: Vergleichbares existiert bis heute in der HydroWelt nicht. In dieser gibt es nicht wie in anderen Bereichen Hunderte identischer Maschinen, aus deren Betrieb man Rückschlüsse ziehen und sie vergleichen kann. In den allermeisten Fällen handelt es sich um Einzelanfertigungen, die sich aus ihrer geografischen Lage, dem Einzugsgebiet und der Fallhöhe ergeben. Das heisst, das Übertragen von Erkenntnissen von einer Anlage auf die andere ist schwierig und geht letztlich nur über einen Physik basierten Ansatz, um ausreichend genaue Ergebnisse zu erhalten. Dazu braucht es neben intelligenten ITSystemen mit modernen Analysemethoden vor allem DomainKnowHow. Digitaler Kompass Mitdem‹DigitalenKompass›unterstütztAxpoandereKraftwerksbetreiberdabei,denIst-ZustandihrerOrganisationzuevaluierenundzeigtHandlungsmöglichkeitenfürdiedigitale Transformation der Kraftwerke auf. Basierend auf den Erkenntnissen aus dem Pilotprojekt ‹Hydro 4.0› im Sarganserland wird das Nutzenpotenzial der neuen digitalen ArbeitsweisespezifischfürdieuntersuchtenKraftwerkeabgeschätzt.­ Mit dem digitalen Kompass kann jeder Wasserkraftbetreiber eine Standortbestimmung vornehmen und seinen Fortschritt aufdemWegindiedigitaleZukunftfaktenbasiertsteuern. Mit der Erfahrung aus dem Pilotprojekt ‹Hydro 4.0› bietet Axpo Hydro Digital ein umfassendes Service-Portfolio für die digitale Transformation von Wasserkraftwerken an.

kwh kwh NOx m³/h CH4 CO2 CO2 NO3 PRODUKT MEHR AUS DEM DATENMEER Zukunftsszenario Datenplattform PRODUKT EinZauberwortfürFortschrittundZukunftssicherheitheisstinden allermeisten Branchen ‹Digitalisierung›. Auch in der Wasserwirtschaft.AusderZusammenführungderdabeientstehenden,­ heute noch isoliert genutzten Daten mit solchen aus angrenzenden Sektoren liessen sich wertvolle Erkenntnisse zur Sicherung von Wasserversorgung und Wasserschutz gewinnen. Technisch und regulatorischgibtesallerdings Hürden.Aberdiesewärenlösbar. 16 | 17 02| 2021

NH4 Demografische Veränderungen und die Auswirkungen des Klimawandels stellen die Wasserwirtschaft vor erhebliche Herausforderungen. Die Kosten der Infrastruktur müssen von weniger Menschen getragen werden. Zunehmend trockene Sommer gefährden die Versorgung mit ausreichend viel Wasser in den dafür erforderlichen Qualitäten. Starkregenereignisse führen zu Überflutungen und Verschmutzungen der Oberflächengewässer, weil Kanäle die enormen Wassermengen nicht mehr aufnehmen und gezielt abführen können. Darüber hinaus werden Forderungen nach Ressourceneffizienz und ökologischer Nachhaltigkeit im Betrieb der Anlagen lauter. Wasserversorgung und Abwasserentsorgung geraten damit unter Druck. Es braucht mehr Mit der Automatisierung von Prozessschritten zielen Anlagenbetreiber heute vor allem darauf ab, betriebswirtschaftliche Vorteile in der Leistungserbringung zu gewinnen. In den allermeisten Fällen geschieht dies isoliert, dabei entstandene Daten und Erkenntnisse bleiben der Nutzung auf der einzelnen Anlage vorbehalten. Um die wasserwirtschaftlichen Herausforderungen der Zukunft zu meistern, braucht es jedoch mehr: Notwendig wird ein koordiniertes Miteinander von allen in derWasserwirtschaftBeteiligten –­ Versorger, Entsorger und Verwender. Und von den Herstellern. Die voranschreitende Digitalisierung bötehierfür Möglichkeiten.­ Ein grosses Problem stellt derzeit das Nebeneinander verschiedener Produkte und Systeme für verschiedene Aufgaben dar. Daten sind verstreut, ein automatisierter Transfer über administrative Grenzen hinweg ist nicht vorgesehen und zudem in der Regel aufgrund Inkompatibilitäten sowie fehlender Zugänge unmöglich. Auch muss oftmals die Qualität der Daten hinterfragt werden. Will man jedoch gegenseitig von den gemeinsamen, und damit umfangreicheren Datenbeständen der unterschiedlichen Bereiche profitieren, so erfordert dies eine Vernetzung auf verschiedenen Ebenen, zwischen Betrieb, Verwaltung und Behörde. Es gilt technische und administrative Daten enger zu verbinden, und diese maschinenlesbar, in interoperabler Form verfügbar zu machen. Datendrehscheibe Für einen solchen Datenaustausch böten sich Plattformen an, welche den verschiedenen Akteuren einen diskriminierungsfreien Zugang ermöglichen. Gelänge die ‹Standardisierung› bzw. Harmonisierung von Erfassung und Nutzung, so könnten vormals ausschliesslich separat gehaltene Daten validiert zusammengeführt und weiterverwendet werden. Die Datensicherheit wäre erhöht, da die Rechte zentral gemanagt sind, und nicht jede einzelne Anbindung separat betrachtet werden muss. Ein echter Mehrwert entstünde.­ Aus dem Zusammenzug von wasserwirtschaftlichen Daten mit Daten aus angrenzenden Sektoren, wie beispielsweise der Energieversorgung, Landwirtschaft oder Meteorologie, könnten ganz neue Synergien entstehen. Beispielsweise in der energetisch kostenoptimalen Führung der Anlage, der besseren Steuerung von Bewässerung oder Düngemittelgaben, oder der intelligenten Bewirtschaftung von Regenspeichern im Netz. Technische Prozesse liessen sich direkter mit Verwaltungs und Planungsprozessen verbinden, Modelle und Simulationen könnten mit Livedaten bessere Prognosen liefern. Fragen offen Entscheidend für den Erfolg wird es sein, den Austausch über offene Schnittstellen auch tatsächlich zu ermöglichen und zu etablieren. Unter dem Arbeitstitel ‹Wasser4.0 –­ Chancen und Herausforderungen der Verknüpfungen der Systeme in der Wasserwirtschaft› hat beispielsweise das deutsche Umweltbundesamt in einer umfassenden Studie Potenziale und Herausforderungen einer solchen Vernetzung untersucht. Darauf arbeiten auch verschiedene Forschungsinitiativen im In und Ausland in konkreten Anwendungen hin.­ Zu klären wird auch sein, wo und von wem solche Datenplattformen sinnvollerweise aufgebaut und betrieben werden. Dazu sind Fragen der Sicherheit, der Verantwortung für und auch der Rechte an den Daten zu klären. Und der Kosten. Auf den ersten Blick erscheinen die notwendigen Investitionen für individuelle Lösungen für kleine Betreiber oder Kommunen kaum tragbar. Dann werden Dienstleister mit standardisierten Lösungen in die Bresche springen. Wie wir als Rittmeyer. Wir verfolgen diesen Ansatz. Ein erster Schritt ist der RISOURCE Daten Service, der Daten von verschiedensten Systemen sicher zusammenbringt und diese übersichtlich darstellt. Sprechen Sie unsan!­ AndriCaviezelstehtIhnenfürIhreFragengernezurVerfügung: andri.caviezel@rittmeyer.com

Der Motor für die Zukunft Mit Digitalisierung den Durchblick behalten und Fachkräfte gewinnen INTERVIEW INTERVIEW 02| 2021 18 | 19 transfer

Herr Meyer, Sie treiben bei Purena die technischen Entwicklungen voran. Mit welchen Themen beschäftigt sich ihr Unternehmen? Wir sind eines der grösseren wasserwirtschaftlichen Unternehmen in Niedersachsen und arbeiten mit zahlreichen Kommunen in unterschiedlichsten Geschäftsmodellen zusammen. Rund 485 000 Einwohnerinnen und Einwohner werden von uns mit Trinkwasser versorgt, das Abwasser entsorgen wir von etwa 150 000 Menschen und Unternehmen. Über die Jahre entwickelten wir uns weiter zu einem modernen Technik-Dienstleister: Wir unterstützen Kommunen inzwischen ebenso mit flexiblen und wirtschaftlichen Services und Komplettlösungen. Dazu gehören beispielsweise die Führung von Bau- und Betriebshöfen, die Betreuung von Bäderbetrieben, die Projektierung von Kläranlagen sowie die Klärschlammverwertung. Unsere Ingenieure arbeiten dabei nicht nur für uns, sondern auch für Dritte. Dadurch stehen unsere Spezialisten immer wieder vor neuen Herausforderungen und sich ändernden Rahmenbedingungen. Sie müssen innovativ und auf dem Laufenden bleiben. Das ist bei Purena seit jeher so, so ist auch unsere Unternehmenskultur entstanden. Und das ist enorm wichtig. Sonst sieht man sich mit einem schleichenden Know-how-Verlust konfrontiert und ist irgendwann nicht mehr in der Lage, Antworten auf die Herausforderungen der Wasserwirtschaft von morgen zu finden. Welche Herausforderungen sind das? Allen voran müssen wir nachhaltige Lösungen entwickeln, um die natürlichen Ressourcen unseres Planeten zu erhalten. Nachhaltigkeit ist für mich nicht nur eine leere Worthülse. Für den Betrieb unserer Anlagen verwenden wir beispielsweise ausschliesslich grünen Strom aus erneuerbaren Energiequellen und leisten so einen «Bei der Entwicklung nachhaltiger Konzepte sind wir auf digitale Systeme angewiesen. Sonst bekommen wir die Komplexität nicht mehr in den Griff.» Thomas Meyer, technischer Geschäftsführer, Purena GmbH Die Ansprüche an den nachhaltigen Umgang mit Abwasser und dessen Reinigung steigen. Anlagen und Projekte werden entsprechend komplexer. Gleichzeitig droht ein Mangel an Fachkräften. Purena möchte durch die Digitalisierung beide Herausforderungen lösen. Für den technischen Geschäftsführer Thomas Meyer ist klar: Eine zentrale Voraussetzung dafür wird ein in sich geschlossenes und durchgängig vernetztes System aus Datenerhebung, -auswertung und -dokumentation sein. →

INTERVIEW Beitrag zum Klimaschutz und der Energiewende. Es steigen aber auch die Ansprüche von Seiten der Kommunen. Man erwartet nachhaltige Konzepte von uns. Wollen wir als Unternehmen in der Wasserwirtschaft bestehen, müssen wir uns also damit beschäftigen. Wir werden zukünftig vermehrt aufeinanderfolgende Trockenjahre erleben, die von kurzzeitigen Starkregenereignissen geprägt sind, wie bereits in den Jahren 2018 bis 2020. Daher müssen wir Strategien entwickeln, um sinnvoller mit dem Regen- und Brauchwasser umzugehen. Überlegen, wie es mehrfach genutzt werden kann. Das betrifft nicht nur das Haus. Vielleicht lässt sich ja das Kühlwasser aus der nahegelegenen Industrie nutzen, um es in der Landwirtschaft zu verregnen. Damit stünde es dem Boden zur Verfügung und würde einen zusätzlichen Beitrag zur Grundwasserneubildung leisten. Auch Regenwasser dürfen wir nicht einfach direkt aus den Städten in die Nordsee ableiten, so wie wir das damals im Studium gelernt haben. Im Sinne der Nachhaltigkeit sollte man Ressourcen direkt dort nutzen, wo sie vorhanden sind. Das sind die zukünftigen Konzepte. Daran werden wir zukünftig gemessen und daran arbeiten wir auch. Ein Beispiel hierfür ist eine Water-Reuse-Anlage für einen Lebensmittelbetrieb, die wir gerade planen. Dort führen wir etwa 60% des gereinigten Abwassers über Umkehrosmose wieder in den Betrieb zurück – mit Trinkwasserqualität. Das klingt ganz schön komplex. Genau da liegt das Problem. Die Komplexität von Projekten und Anlagen wird weiterwachsen, sodass sie ohne digitale Hilfsmittel nicht mehr vernünftig in den Griff zu kriegen ist. Und bei digitalen Lösungen haben wir in Deutschland durchaus Aufholbedarf. Da sprechen wir noch gar nicht von künstlicher Intelligenz, sondern erst mal von der reinen Vernetzung unserer Systeme. Dadurch könnten wir beispielsweise auch relativ einfach den Hochwasserschutz verbessern, der ja zunehmend wichtiger wird. Für eine Kommune arbeiten wir diesbezüglich aktuell an einem großen Konzept für ein Vorwarnsystem. Die Kapazität von Anlagen auf einen 100-Jahres-Regen auszulegen, ist keine Option. Das ist schlichtweg nicht machbar und viel zu teuer. Unsere Anlagen sind auf einen 3-Jahres-Regen ausgelegt. Die notwendigen Kanäle würden sonst aus der Straße ragen (schmunzelt). Deshalb müssen wir uns überlegen, welche Areale wir mit welchen Massnahmen gegen extreme Starkregenereignisse vernünftig schützen können. Und dafür sind wir auf digitale Technik angewiesen. Schon der ganz ordinäre Betrieb muss deshalb weiter digitalisiert werden. Das ist wirklich wichtig. Kann diese Form der Digitalisierung auch gleichzeitig eine Lösung für den Fachkräftemangel in Ihrer Branche einleiten? Werden Sie weniger Fachpersonal benötigen? Digitale Systeme helfen dabei, Personal zu entlasten, indem sie einfache Aufgaben automatisiert übernehmen – klar. Sie werden aber vor allem ‹langweilige› Aufgaben abfangen. Ohne Fachkräfte wird es keine zukunftsfähigen Konzepte geben können. Ich sehe durch die Digitalisierung sogar eine Wachstumschance für Purena. Digitalisierung ist für mich einer der Motoren, um Fachkräfte zu finden. Der Fachkräftemangel wird sich in den nächsten Jahren noch massiv verschärfen. Wir müssen deshalb nach Wegen suchen, von Fachkräften als attraktiver Arbeitgeber wahrgenommen zu werden. Digitale Systeme mit intelligenten Oberflächen, die man gerne bedient, die Freude machen, damit zu arbeiten, sind sicher ein Schlüsselelement. Damit können Nachwuchstalente dann interessante Aufgabenstellungen lösen. Die attraktivsten Arbeitgeber sind heutzutage schliesslich jene mit den interessantesten Aufgaben. Und diejenigen Unternehmen, die die besten Leute haben, werden zukünftig erfolgreich sein. Wer das übersieht, geht unter. Sie sagen, die Digitalisierung ist in Deutschland noch wenig weit fortgeschritten. An welchen interessanten Aufgaben arbeiten Ihre Ingenieure gerade, um etwas dagegen zu unternehmen? Unser Team arbeitet aktuell an ‹RECYBA›. Das steht für ressourceneffiziente cyberphysikalische Abwasserbehandlungsanlagen. Das Förderprojekt umfasst eine Datendrehscheibe, sprich: sicher aufgebaute und durchgängig vernetzte Automatisierungssysteme, und eine Auswertesoftware. Damit wollen wir Erkenntnisse erlangen, um unsere Anlagen zu optimieren. An unseren Standorten wird ohnehin gerade ein neues Prozessleitsystem aufgebaut. Ein guter Zeitpunkt, um RECYBA zu integrieren. Die Entwicklung der Anlagenleistung muss zu jeder Zeit in Echtzeit ersichtlich sein. Deshalb werden wir auch Energie-Unterzähler installieren, um den Stromverbrauch unserer Aggregate zu überwachen. Die Auswertesoftware, in die auch diese Daten fliessen, soll dann den Finger auf die Wunde legen und Potenziale aufzeigen. Wir müssen gemäss ISO 50001 Berichte abgeben und bei 02| 2021 21 20 |

«Die Unternehmen UU mit den besten bb Leuten werden LL zukünftig erfolgreich zz sein. Wer das übersieht, geht unter.» Auffälligkeiten plausibel Gegenmassnahmen begründen. Nur bisher habe ich noch keine Software gefunden, die das für die Wasserwirtschaft durchgängig bietet und die gleichzeitig bedienerfreundlich ist. Deshalb werden wir diese selbst entwickeln. Durch Vernetzung komplexer Systeme Potenziale aufzeigen – das klingt einleuchtend. Aber wie können kleinere Kommunen mit einfacher aufgebauten Topologien profitieren? In Zukunft wird es noch herausfordernder sein als heute, hochqualifizierte Abwassermeister zu finden. Gerade auch für die vielen kleineren Gemeinden, beispielsweise im ländlichen Raum, kann deshalb die digitale Betriebsführung eine Lösung bieten. Diese ersetzt zwar nicht komplett die Sinne des Klärmeisters, aber sie kann Anlagen bereits über einfach zu erfassende Kenngrössen gut überwachen. Sind beispielsweise Leitfähigkeit, Temperatur und pH-Wert beim Zulauf bekannt, merkt das System sofort, wenn etwas eingeleitet wird. Der Schieber geht zu, es gibt keine Folgeschäden. Nötig dafür ist natürlich ein kleines Ausgleichsbecken. Damit gewinnt man Reaktionszeit und kann falls nötig vor Ort fahren, um sich ein Bild der Situation zu machen. Aber auch in der Anlage selbst könnte man aus der Ferne beispielsweise mit Infrarotkameras einfach die Wasseroberfläche beim Belebungsbecken und beim Nachklärbecken inspizieren. Wie sehen Ihre konkreten Pläne für die nächste Zeit mit RECYBA aus? Unser Plan für die erste Phase ist, dass Kunden in einer Web-Applikation einfache Betriebsparameter eingeben können. Durch das von uns integrierte Know-how sollen sie dann unmittelbar konkrete Optimierungspotenziale für bestimmte Bereiche erhalten. Schlussendlich streben wir die Vernetzung der verschiedenen Anlagen mitsamt einem digitalen Benchmarking an. Da sprechen wir dann aber wirklich von künstlicher Intelligenz. Bis es so weit ist, liegt noch ein gutes Stück Arbeit vor uns. Aber das ist das Gute an der Sache: Mit den Anforderungen durch den Klimawandel und die Energiewende wird unseren Entwicklern in den nächsten Jahren mit Sicherheit nicht langweilig werden. Herzlichen Dank für das Gespräch.

FACHTHEMA Was heisst schon ‹digital›? Ökonomie, Chancen und Grenzen für die Abwasserreinigung FACHTHeMA 02| 2021 22 | 23 transfer

470 000 angeschlossene Einwohnerinnen und Einwohner, ein jährliches Klärvolumen von durchschnittlich 70 Millionen Kubikmetern Abwasser: Werdhölzli ist das grösste Klärwerk der Schweiz. Die Menge an täglich anfallenden Daten in den verschiedenen Bereichen der Zürcher Anlage ist enorm. Nur: Wie kann Digitalisierung dabei helfen, sie in Wissen zu übersetzen? Um zukünftig wertvolle Ressourcen zu sparen, oder um zu beurteilen, was bereits genutzt wird und wo es noch das eine oder andere zu tun gäbe? Daniel Rensch, Leiter des Klärwerks Werdhölzli, hat dazu eine klare Meinung. ‹Digital› sei nicht gleich ‹digital›. Wir haben mit ihm gesprochen. Digitalisierung ist in aller Munde. Die Abwasserreinigungsbranche stellt hier keine Ausnahme dar. Bei aller Euphorie solle man aber die Ziele im Blick behalten und hinterfragen, was man denn darunter konkret verstehen möchte und wie weit man damit gehen wolle, sagt Daniel Rensch: «Dort wo am lautesten nach Digitalisierung gerufen wird, ist sie meist schon sehr weit. Das übersieht man gerne.» Die ‹technische Digitalisierung› im Sinne der Automatisierung und Vernetzung sieht er in der Schweiz schon als recht weit fortgeschritten. Auch bei weit kleineren Anlagen als Werdhölzli seien Klärprozesse häufig weitestgehend digitalisiert: «Ein Klärwärter kann sich den momentanen Anlagenbetrieb bequem auf dem Bildschirm des Prozessleitsystems ansehen und analysieren, wenn er will von zuhause aus. Bei Bedarf kann er von dort aus eingreifen und muss nicht zum Aggregat gehen. Viele Prozesse sind durch hochstabile Regelkreise automatisiert, der Betrieb läuft entsprechend von selbst und ist kontroll- sowie wartungsarm. Pumpen, Gebläse, Dekanter und andere Geräte schalten automatisch und zuverlässig ein oder aus. Darauf verlässt man sich, das wird nicht mehr hinterfragt.» Ob ein noch höheres Level dieser digitalisierten Automatisierung den Alltag auf der Kläranlage weniger komplex macht, sei schwierig zu beantworten. Potenziale erkennen Die gezielte Nutzung von Daten zum Aufbau von Wissen aus der →

FACHTHEMA unermesslichen Flut, welche Sensoren in den Aggregaten, Messsonden und Analysegeräten laufend erzeugen, stecke hingegen wirklich noch in den Kinderschuhen, meint Rensch: «Wir wissen recht gut, was unsere Anlage über Tage und Monate leistet. Wir wissen aber noch nicht gut genug, was über den Tag hinweg im Stundenverlauf genau passiert. Und es ist auch schwer, Ursachen zu identifizieren, wenn die Anlage mal nicht so gut läuft.» Gerade in der Modellierung der Dynamik und des Reinigungsprozesses einer Abwasserreinigungsanlage sieht er deshalb ein immenses Potenzial für die Zukunft, um Ressourcen zusparen–vorallemelektrischeEnergie. Kläranlagen sind mit etwa einem Fünftel des Gesamtenergiebedarfs der grösste kommunale Energieverbraucher. Aus ökonomischen wie auch ökologischen Gründen gelte es, die energetischen Optimierungspotenziale zu erkennen und diese gezielt in den Betrieb der Kläranlage einfliessen zu lassen. Mit Blick auf die Energiewende müsse man sich Fragen zur intelligenten Nutzung der elektrischen Energie stellen, wenn diese im Überschuss und damit preiswert vorhanden ist: Beispielsweise, ob man im Tagesverlauf die Belüftung der Biologie nicht wie heute vor allem an die anfallende Schmutzstofffracht anpasst, sondern auch besser an «Wir wissen, was unsere Anlage über Tage und Monate macht. Wir wissen aber noch nicht gut genug, was über den Tag hinweg genau passiert.» Daniel Rensch, Leiter Geschäftsbereich Klärwerk werdhölzli, eRZ entsorgung + Recycling Zürich zugebaut werden, wo kann man auf einen Bau verzichten? Wie viel Mischwasser ist bei Überläufen durch Extremregenfälle für das Gewässer verkraftbar? Wann können wir die ARA hydraulisch stärker belasten, also mehr Niederschlagsabwasser reinigen, statt es zu speichern oder zu entlasten? Ein Millionenpotenzial, so Rensch, wenn man nicht einfach nur ‹gross› und mit ‹ausreichend Reserven› errichte, sondern genau dort, wo es unabdingbar sei. Optimierungspotenzial durch die Digitalisierung sieht Rensch auch in den Bereichen abseits der eigentlichen Klärprozesse der Anlage oder dem Kanalsystem, beispielsweise in der Verwaltung, dem Berichtswesen, in der Kommunikation mit den Behörden. Dort existierten noch vieleineffizienteMedienbrüche–­ auch digitale, durch unterschiedliche proprietäre Software oder nicht normierte Schnittstellen. Gewünscht wären intelligente Systeme, die auf einen regelmässig aktualisierten, bereinigten und geprüften Datensatz zugreifen können und nur noch die Daten abfragen, welche für die aktuelle Fragestellung nötig und nicht vorhanden sind. Stattdessen Stromüberschüsse angleichen kann, also wenn es mittags sehr viel Energie aus Photovoltaik gibt. «Heute besteht die Schwierigkeit mit einer Belüftung in Abhängigkeit des Energie Angebots darin, dass wir den Zulauf nicht beeinflussen können. Um zu erforschen, ob und wie so etwas überhaupt möglich wäre, benötigen wir ein besseres Verständnis aus den hochaufgelösten Daten. Und das haben wir noch nicht», sieht der Fachmann eine der zukünftigen Aufgabenstellungen. Optimierung im Bau – und in der Verwaltung «Wenn wir die Dynamik der Anlage besser verstehen, die Grenzen besser kennen, dann können wir sie gezielterbetreiben–undauchgezielterbauen», meint Rensch. Die geschickte Dimensionierung und Nutzung von Speicher könnte es beispielsweise ermöglichen, Reinigungsprozesse zeitweise abzustellen und in Folge ‹kompakter› zu reinigen. Solches Wissen helfe ausserdem, um sich auf die zunehmenden Extremereignisse wie Starkregen besser vorzubereiten. Das bedeutet aber auch eine Ausweitung des Blickfelds auf das gesamte Kanalsystem, nicht nur Endof Pipe bei der Abwasserreinigung: Wie können Speichersysteme genutzt oder verändert werden? Wo muss aufgrund der Bevölkerungsentwicklung oder Niederschlagsbelastung 02| 2021 24 | 25

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