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02 | 2019 DAS RITTMEYER KUNDENMAGAZIN Veränderung braucht Begleitung Digitalisierung & Co.: Der Mensch ist gefordert Arbeit im Verborgenen Hohe Verantwortung, kaum wahrgenommen Weit(räumig)er denken Die menschlichen Spuren im Trinkwasser

PERSÖNLICH GESPROCHEN Wohl weit mehr als 50 000 Menschen arbeiten in den rund 700 Schweizer Energieversorgungsunternehmen, den rund 3 000 Wasserversorgungen, den über 750 kommunalen Abwasserreinigungsanlagen sowie jenen Betrieben, zu deren Aufgaben die Beseitigung von Umweltverschmutzungen zählt. Die allermeisten im Hintergrund, kaum wahrgenommen von der Bevölkerung. Wieso auch? Der Strom kommt zuverlässig aus der Steckdose, das Wasser aus dem Hahn. Und um die mehr als 200m3 Abwasser, die wir pro Kopf und Jahr in die Kanalisation schicken, wird sich wohl auch jemand kümmern. Das Aufgabenfeld dieser Menschen wird immer anspruchsvoller und von Jahr zu Jahr fordernder: neue Technologien, strengere Auflagen und Gesetze, Effizienzdruck. Dabei tragen sie eine grosse Verantwortung. Ohne ihr Zutun bliebe das Licht aus, würde die Wasserversorgung zusammenbrechen, wären unsere Gewässer irgendwann eine Kloake. Junge Menschen an eine solche Aufgabe heranzuführen ist allerdings ein anspruchsvolles Unterfangen. Die entsprechenden handwerklichen Grundausbildungen stehen nicht auf der Hitliste der attraktiven Berufslehren. Oftmals bestünden völlig falsche Bilder im Kopf, weiss Berufs- und Laufbahnberater Bruno Ruoss. Im Beitrag ab Seite 20 überlegt er, woran das liegen und wie man diesem Umstand begegnen könnte. Von dieser Herausforderung kann auch Ruedi Moser im Interview ab Seite 6 eine Geschichte erzählen. Er hat 02 | 2019 2 | 3 transfer

15 Jahre lang beim VSA angehende Klärwärterinnen und Klärwärter in der Grundausbildung auf deren vielseitige Aufgabe vorbereitet. Mit der zunehmenden Komplexität der Aufgaben wird auch immer häufiger Fachpersonal gesucht, das interdisziplinäres Wissen mitbringt. Die ZHAW School of Engineering in Winterthur fragte sich deshalb, ob ihre Ausbildungsschwerpunkte und die Bedürfnisse der Energieversorgungsbranche noch zusammenpassen. Prof. Dr. Joachim Borth berichtet ab Seite 10 über die Hintergründe, die zum neu entstandenen Studiengang «Energie- und Umwelttechnik» führten. Neue Technologien ermöglichen Fortschritt, das lässt sich kaum bestreiten. «Digitalisierung» ist heute sicher eines der Zauberworte in diesem Kontext. Aber sie verändern auch unsere Arbeitswelt und die dort beschäftigten Menschen. Wie diese Veränderungen erfolgreicher gelingen können, zeigt Prof. Dr. Gudela Grote, ordentliche Professorin für Arbeits- und Organisationspsychologie an der ETH Zürich, im Interview ab Seite 22 auf. Dass man zuallererst mit den Menschen an den entsprechenden Lösungen arbeiten muss und Technologie nicht das Allheilmittel ist, dessen ist sich Eugen Pfiffner bewusst. Der CEO der IBB Energie AG erzählt ab Seite 30, welche Wege er dazu einschlägt. Die mancherorts fehlende Wertschätzung für unsere Umwelt und die Arbeit der Menschen, die sich um deren Erhalt bemühen, ist auch der Schtifti-Foundation ein Dorn im Auge. Mit dem Programm ‹Gorilla› begeistert sie Kinder und Jugendliche mit Freestyle-Sport für Bewegung, weckt Freude an gesunder Ernährung und sensibilisiert sie für einen nachhaltigen Lebensstil. Zum wertvollsten aller Lebensmittel, dem Trinkwasser, schafft sie einen ganz anderen Zugang. Wie das gelingt, erfahren sie ab Seite 36. Was wir nicht vergessen dürfen ist, welchen Anteil wir alle am Erhalt sauberen Wassers haben. Das lässt sich nicht einfach auf die Schultern jener überlasten, die in Abwasserreinigung und Trinkwasserversorgung versuchen, die Schadstoffe zu entfernen, die wir selbst in unsere Umwelt eingetragen haben. Über die Wichtigkeit, das Thema Trinkwasserqualität ganzheitlich zu betrachten, berichtet Prof. Dr. Urs von Gunten, Leiter der Gruppe ‹Trinkwasserchemie› bei der Eawag, ab Seite 26. Mit diesen und weiteren Beiträgen im ‹transfer› wollen wir einen Blick in den Alltag und das Umfeld unserer Branchen werfen. Und damit auch Danke sagen für das Engagement an allen Ecken und Enden, damit wir auch morgen sauberes Wasser haben und der Strom weiterhin aus den Steckdosen kommt. Es sind Aufgaben, die unseren Respekt verdienen. Herzlichst, Ihr Thomas Wirz CFO, Rittmeyer AG PS: Und sollte diese Ausgabe zu Diskussionen anregen, dann ist das durchaus gewollt. Greifen Sie das Gespräch auf! Wir freuen uns darauf. Es ist der Mensch, der’s macht. Eine Tatsache, der wir (wieder) mehr Aufmerksamkeit schenken sollten. PERSÖNLICH GESPROCHEN

6 22 INHALT IMPRESSUM transfer ist das Kundenmagazin der Rittmeyer AG und erscheint zweimal im Jahr. Herausgeber Rittmeyer AG Ein Unternehmen der Gruppe BRUGG Inwilerriedstrasse 57, CH - 6341 Baar www.rittmeyer.com Verantwortlich für den Inhalt Andreas Borer (v.i.S.d.P.) Redaktion und Umsetzung up! consulting ag, Ruggell (FL) E-Mail an die Redaktion transfer@rittmeyer.com Bildnachweis Rittmeyer AG, iStock (S. 1, 5, 10–15, 20, 22, 25, 28–30, 32–33, 41–43), Adobe Stock (S. 26–27), AIL SA (S. 34–35), Schtifti-Foundation (S. 36–39), Amt für Umwelt des Fürstentums Liechtenstein (S. 43), Verlag NZZ (S. 43), privat z.V. g Erscheinungstermin 31. Oktober 2019 Falsche Anschrift? Bitte teilen Sie uns mit, sollten Sie eine neue Anschrift haben: www.rittmeyer.com/anschrift Die in den Artikeln veröffentlichten Ansichten, Meinungen und Empfehlungen Dritter müssen nicht mit der Meinung der Rittmeyer AG übereinstimmen. 10 Technik vs. Management: Stimmen Marktanforderungen und Ausbildungsschwerpunkte noch überein? 13 Als man zu ‹Programmieren› noch ‹Löten› sagte: Projektingenieur Josef Stocker über 40 Dienstjahre bei Rittmeyer 16 Ganz im Verborgenen: Über den Arbeits(all)tag im Kraftwerk Bärenburg 20 Was ich nicht kenne … Jugendliche für unbekannte Berufe begeistern 26 Weit(räumig)er denken: Wie Umweltgifte, Klimawandel und auch die Politik Trinkwasserversorger fordern 30 Veränderung braucht Begleitung: Führung im Wandel 34 Blick in die Tiefe: Datenstudie zum Schaltverhalten von Grundwasserpumpen 36 Wie das ‹Gorilla›-Programm der Schtifti-Foundation Trinkwasser cool macht Den Menschen mitnehmen Ein Gespräch mit Prof. Dr. Gudela Grote zur «digitalen Arbeitswelt» Die wichtigen Unbekannten Oder: Die kaum beachtete Arbeit der Klärwerkfachleute 40 Auf Augenhöhe mit den Mitarbeitenden und dem Prozess 41 Enge Zusammenarbeit bei der Betriebsoptimierung schafft ungeahnte Verbesserungen FACHTHEMA & INTERVIEW APPLIKATION ZAHLEN & FAKTEN 02| 2019 4 | 5

Umwelt und Beruf Die Siedlungsflächen der Schweiz haben zwischen 1985 und 2009 um 0,75m2/s zugenommen. ZAHLEN & FAKTEN Quellen: Bundesamt für Statistik BFS, Bundesministerium für Arbeit und Soziales: «Digitalisierung am Arbeitsplatz» Im Zeitraum 1985 bis 2009 nahm die Siedlungsfläche um 23 % oder 584 km2 zu. Im selben Zeitraum ist der Siedlungsflächenbedarf pro Person um etwa 20m² auf 407m² angestiegen. +4,9% 2000 79 891 2017 155 494 Insgesamt hat sich auch der Anteil des Umweltsektors an der Gesamtbeschäftigung von 2,3 % auf 3,9 % erhöht. Zunahme der Beschäftigung im Schweizer Umweltsektor zwischen 2000 und 2017 (in Vollzeitäquivalenten) +95% 3,9% 83% 78% 32% 56% nutzen digitale Technologien im Beruf. Das deutsche Bundesministerium für Arbeit und Soziales führte eine Befragung zur Digitalisierung im Beruf bei 7 109 Beschäftigten in 771 Betrieben durch. Daraus ergaben sich folgende Erkenntnisse: sehen die Notwendigkeit, sich ständig weiterzuentwickeln. erleben einen größeren Entscheidungsspielraum. nehmen eine Steigerung der eigenen Produktivität wahr. 2009 1985 Industrie- und Gewerbeareal Gebäudeareal (z. B. Wohngebäude, öffentliche o. landw. Gebäude) Verkehrsflächen (z. B. Strassen, Bahnareal oder Flugplätze) Besondere Siedlungsflächen (z. B. Deponien, Baustellen) Erholungs- und Grünanlagen 0 3 000 km2

INTERVIEW DIE WICHTIGEN UNBEKANNTEN Oder: Die kaum beachtete Arbeit der Klärwerkfachleute INTERVIEW Ruedi Moser Dipl. Umweltingenieur ETH; Geschäftsbereichsleiter und Partner der Hunziker Betatech AG; langjähriger Kursleiter und Fachlehrer in der Schulung für Klärwerkfachleute VSA 02| 2019 6 | 7

Herr Moser, Sie haben 15 Jahre lang die Grundkurse A1 und A2 zum Klärwärter bzw. zur Klärwärterin beim VSA verantwortet – eine Aufgabe im ‹Nebenamt›. Was hat sie ganz persönlich motiviert? Der Gewässerschutz hat für mich eine zentrale Bedeutung. Damit dieser gelingt, müssen alle Beteiligten ihre Rolle wahrnehmen: Es gilt, Anlagen so bauen, dass das Klärwerkpersonal seine Aufgaben erfüllen kann. Wir brauchen auch eine Automatisierung, die dem Personal eine faire Chance gibt, die Prozesse zu überwachen und einzugreifen. Aber letztlich sind es die Klärwärter und Klärwärterinnen, die die Anlagen betreiben und warten. Sie entscheiden, wie gut Gewässerschutz gelingt. Deshalb lohnt es sich, in diese Ausbildung zu investieren. Ich finde es sehr schade, dass dieser anspruchsvolle und vielseitige Beruf so wenig bekannt ist. Und ich wage zu behaupten, dass die meisten Menschen in der Schweiz nicht einmal genau wissen, wo sich die Kläranlage ihrer Gemeinde oder Stadt befindet. Sie haben ein fast grenzenloses Vertrauen, dass sich schon ‹irgendwer› um das Abwasser kümmert. Und zwar zuverlässig. Sie kommen erst gar nicht auf die Idee, dass das nicht so sein könnte. Und so haben sie auch keinerlei Interesse daran, wer das ist, wo das ist, was die Leute tun. Das ist doch schräg. Kann man angehende Klärwerkfachleute in der Ausbildung auf die zukünftige Verantwortung vorbereiten, und sie in ihrer Aufgabe stärken? Verantwortung ist ein anspruchsvolles Thema. Auch sie zu vermitteln ist schwierig. Aber das ist ein wichtiger Teil der Ausbildung. Gewässerverschmutzung ist letztlich ein O�zialdelikt. Das hat Brisanz. Meine Botschaft ist immer: Es geht um Transparenz und ums Informieren. Ich versuche den Schulungsteilnehmenden die Angst zu nehmen, im Falle des Falles ihrer Erfahrung zu vertrauen und ermutige sie zu handeln, Vorfälle rasch zu melden, nichts unter dem Deckel zu halten. Jüngere können damit eher besser umgehen als die Altgestandenen. Ich denke, da kann man mit der Ausbildung schon etwas bewegen, und Hemmungen nehmen, Fehler zuzugeben. Natürlich ist der Kanton einerseits der Regulator, andererseits kann und will er aber ebenso helfen. Da stehen ausgezeichnete Fachpersonen zur Verfügung. Nur: Das ist ja alles vom Faktor Mensch abhängig, auf beiden Seiten. Letztlich melde ich es nicht dem Kanton, sondern einer Person. Da muss man sich eben mal treffen, persönlich kennenlernen. Und wenn das in guten Zeiten funktioniert, dann funktioniert es auch, wenn es mal eine Panne gibt. Ungut ist, wenn diese gegenseitige Akzeptanz nicht da ist. Das ist gefährlich. Die Arbeit auf einer Kläranlage wird immer anspruchsvoller: Neue Verunreinigungen erfordern neue Verfahren und Prozesse. Aber auch aus Sicht des Gewässerschutzes entstehen immer höhere Anforderungen, die sich in strengeren Auflagen und Gesetzen ausdrücken. Demgegenüber steht die Rolle des Klärmeisters, der die gesamte Verantwortung hierfür trägt – in einem Job, den kaum einer kennt und der mancherorts kein sonderlich hohes Ansehen geniesst. Der Verband Schweizer Abwasser- und Gewässerschutzfachleute (VSA) bildet Menschen für diese Aufgabe aus. Wir haben mit Ruedi Moser über einen Beruf und eine Ausbildung ‹in Bewegung› gesprochen. «In der Vergangenheit unterschätzten Gemeinden häufig die Aufgabe des Klärmeisters und liessen das jemanden noch ‹ mitmachen›. Diese Situation hat sich deutlich verbessert.» →

INTERVIEW Trotz ihrer grossen Verantwortung für unsere Gewässer und die Umwelt geniessen Klärwerkfachleute nicht wirklich ein hohes Ansehen und es fehlt die gesellschaftliche Anerkennung. Wie lässt es sich damit umgehen? Das sind manchmal schon schwierige, mitunter fast schon ignorante Situationen. Da bin ich schon zuständigen Gemeinderäten begegnet, die nie einen Fuss in ihre ARA gesetzt haben. Das muss man dann vielleicht mal steuern und die nächste Sitzung auf der Kläranlage ansetzen (schmunzelt). Letztlich geht es doch um Wertschätzung. Die finden die Betriebsleute oft zunächst untereinander, bei Berufskollegen in ihrer Region. Ein wichtiges Ziel der Ausbildung ist deshalb die Vernetzung. Ich sage immer, wir Gewässerschutz-Fachleute müssen uns und unsere Erfolge auch mal selbst feiern. Aber es gibt ja auch Anlässe mit Öffentlichkeit. Bei Neu- oder Umbauten beispielsweise wird ein Tag der offenen Tür veranstaltet. Oder wenn ein Regenbecken gebaut wurde, das unterirdisch liegt und das man überhaupt nicht sieht. Da ist man definitiv weiter als noch vor 15 Jahren. Heute geschieht das proaktiver. Genauso kommen Schulklassen auf die Kläranlage. Oft ist das der einzige Anlass, an dem ein Mensch eine ARA von innen sieht. Und dieser Moment muss dann einfach ein Erfolg sein. Solche Schulführungen werden von Klärwerkfachpersonen oft mit viel Herzblut durchgeführt. Öffentlichkeitsarbeit ist demnach wichtig. Ist das auch ein Ausbildungsthema? Das ist durchaus ein Thema, ja. Und es ist eine Aufgabe, aber die ist dem Betrieb und dem Unterhalt natürlich nachgeordnet. Trotzdem muss man das machen. Im Sommerloch einen Journalisten zu ‹einem Tag auf der ARA› bitten. Oder seinen Turnverein einladen, den Arbeitsplatz zeigen, anschliessend einen Apéro spendieren. Es braucht Engagement. Allerdings stellen solche Anlässe für Klärwärter manchmal eine Herausforderung dar. Sie sind oft nicht die Extrovertierten, sie arbeiten im Hintergrund und haben das auch gern so. Das ist ja irgendwie auch kein Wunder: Jahr und Tag sind sie allein oder mit ihrem kleinen Team auf der Anlage, und niemand interessiert sich. Stichwort: Digitalisierung. Sie macht auch vor Kläranlagen nicht halt. Wie gehen die Personen auf den Anlagen und Sie in der Ausbildung damit um? Da trifft man ganz a�ne Typen, für die der Rundgang auf der ARA mit dem Tablet in der Hand Arbeitsalltag ist. Und es gibt eben solche, die doch lieber das Papier haben. Das ist dann auch in der Ausbildung so. Den Laufmeter Schulungsordner könnte man genauso elektronisch haben (schmunzelt). So gibt es Interessierte, die wirklich alles aus ihrem Leitsystem herausholen, die das förmlich zelebrieren. Und man erkennt ja den Nutzen, den beispielsweise die Sensortechnik bringt. Trotzdem: Auf der ARA braucht es auch Gefühl, Gespür, Gehör für die Anlage. Und die Fähigkeit das Equipment warten und z. B. Pumpen zerlegen zu können. Auf der ARA kann man eben nicht alles ‹dem Digitalen› überlassen. Nach dem Motto ‹im Prozessleitsystem ist alles auf Grün, da verzichte ich auf den Rundgang›. Das reicht nicht. Ich muss zum Nachklärbecken gehen, schauen, ob es Schaum hat, ob sich etwas verändert hat. Riecht es anders, sieht es anders aus, tönt es anders? Das ist sehr wichtig, und darauf legen wir auch in der Ausbildung Wert. Kann man dies in einer Ausbildung vermitteln? Das ganze Handwerk 1:1 in der Grundausbildung abzubilden gelingt kaum. Was wir deshalb fordern, ist, dass die Lehrgangsteilnehmenden vorgängig ein halbes Jahr, ein Jahr auf der Kläranlage mitgearbeitet haben. Dann kennen sie den Alltag und waren mit der einen oder anderen Fragestellung schon mal konfrontiert. So leben Schulungen vom Erfahrungsaustausch. Ohnehin basiert vieles auf der Kläranlage auf Erfahrung, deshalb ist der Austausch auch so wichtig. Die Ausbildung wird immer umfangreicher, die Anforderungen im Betrieb der Anlagen werden immer höher. Welches Profil hat der Klärmeister von heute? Basisqualifikationen sind nach wie vor die handwerklichen Berufe: Elektriker, Schlosser, Landmaschinenmechaniker beispielsweise. Daran hat sich nichts geändert. Und: Es sollte eine kommunikative Person sein. Kommunikation ist mit etwas vom Wichtigsten, gegenüber dem Kanton, aber auch in der persönlichen Umgebung, im Verein, am Stammtisch. Die Arbeit präsentieren können, Wertschätzung erreichen. Obschon das Recruiting anspruchsvoll ist und ein Arbeitgeber nicht immer von Bewerbungen überschwemmt wird: Er sollte sich nicht nur aufs Fachliche, aufs Formale konzentrieren. In der Vergangenheit kam es schon vor, dass man seitens der Gemeinde unterschätzte, welche Aufgabe hinter der des Klärmeisters steht, was seine Arbeit bedeutet. Und dann jemanden suchte, der das eben noch ‹mitmacht›. Diese Situation hat sich stark verbessert. Last but not least: Die Ausbildung ist aufwändig, sie ist kostspielig. Das wird mitunter kritisiert. Die Ausbildung zum Klärwerkfachmann bzw. zur Klärwerkfachfrau mit eidgenössischem Fachausweis dau02| 2019 8 | 9

‹Fachgerechter Betrieb› – nur mit Fachpersonal In der ‹Vollzugshilfe für zentrale Abwasserreinigungsanlagen› des Bundesamts für Umwelt steht in Kapitel 2 zum Thema ‹Fachgerechter Betrieb›: «(…) Die für den Betrieb verantwortlichen Personen müssen über die erforderlichen Fachkenntnisse verfügen und in der Lage sein, Unregelmässigkeiten im Betrieb rasch zu erkennen und die geeigneten Massnahmen einzuleiten. (…) Die Verantwortlichen für den Betrieb von ARA und deren Stellvertreter müssen über den eidgenössischen Fachausweis verfügen. Für kleinere und wenig komplexe Anlagen können in Absprache mit der Behörde auch weniger strenge Anforderungen an die Ausbildung des Personals gestellt werden (z. B. Fachausweis VSA/FES). (…) (Auch) Aushilfs- und Pikettpersonal, das regelmässig eingesetzt wird, muss in der Lage sein, seine Aufgaben fachgerecht zu erfüllen. (…)» Der Verband Schweizer Abwasser- und Gewässerschutzfachleute (VSA) und die Groupe romand pour la formation des exploitants de station d’épuration (FES) bieten Blockkurse für die Grund- und Fachausbildung sowie die Weiterbildung des Klärwerkpersonals an. Weitere Informationen auf www.vsa.ch/schulungen-und-veranstaltungen/ schulung-fuer-klaerwerkfachleute ert in der Regel vier Jahre. Aber das ist kaum anders zu machen, denn die Ausbildung ist ja Teil des Jobs. Und mehr als zwei oder drei Abwesenheiten des Klärwerkmitarbeiters von jeweils einer Woche zum Besuch der Ausbildungsmodule sind für die Betreiber kleiner und mittlerer Anlagen kaum zu verkraften. Damit sind auch erkennbare Kosten verbunden, das ist richtig. Doch die Gemeinden und Verbände sind als Betreiber in der Pflicht. Um einen sogenannten ‹fachgerechten Betrieb› ihrer Kläranlagen sicherstellen zu können, braucht es ausgebildetes Fachpersonal. Für die ganz kleinen Anlagen reicht mitunter aber die Grundausbildung zum Klärwärter bzw. zur Klärwärterin VSA. Das ist von Fall zu Fall mit der Aufsichtsbehörde zu klären. Die Ausbildung der Klärwerkfachleute durch den VSA erfolgt durch Berufsleute im ‹Nebenamt›. Sehen Sie, auch zurückblickend, darin eher Vor- oder Nachteile? Das Milizsystem wird mit dieser Ausbildung ziemlich stark strapaziert. Immer wieder braucht es Fachleute, die einen Teil darin übernehmen. Es ist für die Lehrpersonen eine mitunter grosse Herausforderung, dies neben ihrer eigentlichen Berufsaufgabe unterzubringen. Dazu kommt, dass eine solche Ausbildung auch organisatorisch aufwändig ist. Dafür gibt es glücklicherweise seitens der VSA-Geschäftsstelle professionelle Unterstützung. Natürlich versuchen wir, die Themen und Aufgaben auf möglichst viele Schultern zu verteilen und so das Ausbildungskonzept etwas ‹milizverträglicher› zu gestalten. Das macht die Ausbildung allerdings nicht günstiger. Zudem müssen wir ja davon ausgehen, dass in den kommenden Jahren eher mehr Personen die Ausbildung besuchen. Und dass die Ausbildung noch anspruchsvoller werden wird. Aus meiner Sicht hat diese Form jedoch einen immensen Vorteil: Die angehenden Klärwerkfachleute begegnen den verschiedensten Referenten, jede und jeder ein Spezialist in seinem Bereich, die dazu die ganz aktuellen Fragestellungen aus ihrem Berufsalltag einbringen. Das ist eine grosse Chance. Herr Moser, herzlichen Dank für das Gespräch. «Es sind die Klärwerkfachpersonen, die entscheidend sind, wie gut Gewässerschutz gelingt.»

FACHTHEMA & INTERVIEW Berufsbilder ändern sich. Die globale Umstellung auf regenerative Energien steigert den Bedarf an qualifiziertem Fachpersonal mit interdisziplinärem Profil. Die Anzahl der Studierenden in den technischen Studiengängen wächst jedoch nicht im gleichen Mass. Die Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW) hat sich deshalb die Frage gestellt, ob Marktanforderungen und Ausbildungsschwerpunkte noch übereinstimmen. Eine Antwort gibt der Bachelorstudiengang «Energie- und Umwelttechnik». TECHNIK VS. MANAGEMENT? Ein Studiengang, der verbindet FACHTHEMA & INTERVIEW 02| 2019 10 | 11

Bedürfnisse von Klein- und Mittelunternehmen Unternehmen sind zunehmend an der gesamtenergetischen Optimierung von Anlagen und Gebäuden interessiert. Umwelt- und sozialverträgliche Lösungen bekommen dabei einen immer höheren Stellenwert. Fachkräfte im Maschinenbau und der Elektrotechnik müssen sich deshalb heute mit Fragen der Wirtschaftlichkeit, Nachhaltigkeit und Umwelt auseinandersetzen. Der Fokus auf die « reine Technik» reicht nicht mehr aus. Disziplinen verbinden Das Bachelorstudium «Energie- und Umwelttechnik» der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW) in Winterthur deckt diese Themenfelder ab. Die Schwerpunkte des Studiums: thermische Energietechnik, elektrische erneuerbare Energien, Nachhaltigkeit und Technologie. Studierende erwerben Fachkenntnisse und Methoden, um energietechnische Anlagen zu entwickeln, zu planen, zu bewerten und zu betreiben. Wesentlich ist für die ZHAW dabei die ganzheitliche und praxisrelevante Betrachtung von nachhaltigen Energiekonzepten. Neben den fachlichen Schwerpunkten vermittelt der Lehrgang deshalb auch allgemeine Kompetenzen im Kontext von Gesellschaft, Wirtschaft und Umwelt. Diese Verbindung ist einzigartig. Das Studium dauert sechs Semester und schliesst mit einem ‹Bachelor of Science ZFH› in Energie- und Umwelttechnik ab. Im Anschluss besteht die Möglichkeit, ein weiterführendes Studium zum ‹Master of Science in Engineering› (MSE) zu absolvieren. Beide Studiengänge können auch berufsbegleitend absolviert werden. Nahe an der Praxis Die ZHAW arbeitet sehr eng mit der Industrie zusammen. Studentinnen und Studenten haben so die Chance, ihr Wissen in interdisziplinären Forschungs- und Entwicklungsprojekten einzubringen und zu vertiefen. Projekt- und Abschlussarbeiten sollen anwendungsorientierte Lösungen schaffen, um die anstehenden Aufgaben in der Industrie, in Ingenieurbüros oder der Verwaltung zu bewältigen. Die grosse Praxisnähe des Studiengangs eröffnet den Studierenden im Anschluss viele verschiedene Möglichkeiten, um in der Berufswelt Fuss zu fassen. Für Gymnasialmaturanden auch ohne Praxisjahr Der Bachelorstudiengang wird als Vollzeitstudium mit einer Dauer von drei Jahren absolviert und richtet sich grundsätzlich an Berufsleute mit Berufsmaturität. Interessierte mit einer gymnasialen Matura haben die Möglichkeit, auch ohne vorhergehendes Praxisjahr das Studium zu absolvieren. Die ZHAW bietet hierzu ein sogenanntes ‹praxisintegriertes Bachelorstudium› an. Die Studiendauer erhöht sich zwar auf vier Jahre. Allerdings verlassen dann praxiserprobte junge Talente den Lehrgang, der mit der Verbindung von Studium und insgesamt 12 Monaten begleitenden Praktika in Partnerunternehmen ziemlich einzigartig ist. Ein optionales Austauschsemester im Ausland verbessert die beruflichen Perspektiven zusätzlich und erweitert gleichzeitig den kulturellen Horizont. Lesen Sie dazu auch unser Interview mit dem Studiengangleiter Prof. Dr. Joachim Borth, in dem er über die Beweggründe für den Studiengang spricht, und welche aktuellen Herausforderungen er generell in der schweizerischen Bildungslandschaft sieht. (nächste Seite) «Ohne Verständnis der Umwelttechnik kann man heute keine Anlage zur Energieversorgung mehr betreuen.» → Der Studiengang wird an der ZHAW School of Engineering angeboten, die zur Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW) gehört. Weitere Informationen unter: www.zhaw.ch/de/engineering/studium/bachelorstudium/ energie-und-umwelttechnik Weitere Informationen Prof. Dr. Joachim Borth, Studiengangleiter «Energie- und Umwelttechnik»

INTERVIEW «Unternehmen suchen den 30-Jährigen mit 10 Jahren Berufserfahrung als Ingenieur. Das erschwert Absolventen den Einstieg.» Herr Prof. Dr. Borth, welche Erfahrungen haben Sie inzwischen mit dem noch jungen Studiengang gemacht? Stimmt die Richtung? Ja, das Feedback aus der Industrie und von Absolventen gibt uns recht. Gerade in der Energie- und Anlagentechnik sind die Disziplinen heute oft noch stark voneinander abgegrenzt. Die Branche braucht hingegen dringend Fachkräfte, die über interdisziplinäre Fähigkeiten verfügen. Mit dem Studiengang versuchen wir, die Trennung der Gewerke aufzulösen. Natürlich wäre es auch geschickt, diese Grenzen könnten bereits in den gewerblichen Ausbildungen aufgehoben werden. Aber ein Heizungsmonteur darf nun mal keine Elektrotechnik installieren – auch wenn er die Grundlagen kennt. Die Gesetzgebung trennt das klar voneinander. Das Verstehen von Zusammenhängen wird immer wichtiger. Wie kann es gelingen, die Bildungslandschaft entsprechend zu verändern? Indem wir ständig davon reden. Und uns vor allem auch stärker in den Schulen engagieren. Schüler werden meist nicht für MINT-Berufe begeistert. Das fängt schon in der Primarschule an. Das Auseinandersetzen mit Technik oder Naturwissenschaften ist nicht Teil des «Pflichtprogramms». Die Sekundarschule bereitet ihrerseits gut auf die Berufswahl vor. Sie vermittelt bislang jedoch eher wenig Informationen zu den weiterführenden Ausbildungen, die auf eine berufliche Ausbildung aufbauen. Deshalb entwickelte sich in der Vergangenheit oft erst während der Berufslehre der Wunsch, eine Berufsmaturität zu erwerben. Ich denke, die Weiterbildungsmöglichkeiten in den technischen Berufen müssten deshalb schon in der Sekundarstufe stärker propagiert werden. Ganz generell sollten wir versuchen, die Technik allgemein spannend zu machen. Und es sollte auch besser gelingen, Frauen für eine technische Ausbildung zu begeistern. Wie schaffen Sie es, die Inhalte auch für junge Erwachsene ohne technische Ausbildung verständlich zu vermitteln, und gleichzeitig die Attraktivität als akademische Ausbildung zu wahren? Die Ausbildung findet sehr praxisnah statt. Dadurch tun sich die Studierenden deutlich leichter, die Inhalte zu begreifen. Unsere Absolventen verkabeln bei Forschungsprojekten selbst die Schaltschränke. Aber sie konzipieren auch Messwerterfassungen, kümmern sich um die Auswertung und programmieren das User Interface. Programmieren sollten die Studierenden also können? In Gesprächen mit Unternehmen fiel auf, dass dringend auch Umweltingenieure mit Programmierskills benötigt werden. Je weniger Schnittstellen es innerhalb der Entwicklung von Lösungen gibt, umso zielgerichteter und effizienter wird sie gelingen. Deshalb ist die Programmierung mit ‹Python› auch Teil unserer Ausbildung. Damit ausgestattet verlassen wirklich berufsfähige Leute unseren Studiengang. Wie leicht gelingt der Berufseinstieg? Wie wichtig ist der Faktor ‹Berufserfahrung›? Berufserfahrung ist erwünscht wie eh und je. Vor allem unser praxisorientiertes Studium ist aber ein guter Ansatz, um bereits einen prall gefüllten ‹Wissensrucksack› mitzubringen. Die meisten unserer Studierenden bringen Berufserfahrung aus ihrer Lehre mit, die sie im Studium mit theoretischem Wissen erweitert haben. So starten sie als Absolventen direkt in der Wirtschaft und machen einen super Job. Aber natürlich gilt es auch weiterhin, junge Berufsleute im Unternehmen auf die spezifischen Tätigkeiten vorzubereiten. Herzlichen Dank für das Gespräch. 02| 2019 12 | 13

0100011011100011101100001 00110110010010101111010111 0110110001010110110101110 Was sich in vier Jahrzehnten so alles (nicht) ändert INTERVIEW Vierzig Jahre sind es inzwischen. So lange arbeitet Josef Stocker bereits für Rittmeyer. Und für die Wasserkraft. Was hat den Projektingenieur bewegt, Unternehmen und Branche die Treue zu halten? Und was hat sich in dieser Zeit verändert? Bei einem Kaffee hat er uns davon erzählt. Als man zu ‹Programmieren› noch ‹Löten› sagte Baar, Inwilerriedstrasse 57, das Rittmeyer-Hauptgebäude. Josef Stocker holt uns am Empfang ab. Fröhlich begrüsst er uns. Wir gehen Richtung Besprechungszimmer im ersten Stock. Vorbei an einem grossen, offen gestalteten Raum mit vielen bunten Stühlen. Gemütliche Sitzgruppen, ein Tischfussballspiel. Da und dort trinkt eine kleine Gruppe Kaffee, lacht, bespricht bestimmt eine neue Projektidee. Man sieht, hier darf man kreativ sein. Fast ein bisschen wie im Silicon Valley fühlt man sich. Oben angekommen dann doch etwas klassischer. Tastaturgeräusche werden lauter, Ingenieure diskutieren an ihren Schreibtischen über ihre Projekte. Daneben nehmen wir im ruhigen Besprechungszimmer Platz. Kurze Pause, sein Hemd in hellem Türkis →

INTERVIEW Für Alt und Jung Seine Augen glänzen, als er davon erzählt, wie fasziniert er damals wie heute von den Dimensionen der Kraftwerkstechnik ist: davon, die Grösse der Maschinen zu ‹spüren› oder das Rauschen des Wassers zu erleben, wenn bei einem Hochwasser einige Hundert Kubikmeter Wasser pro Sekunde über ein Wehr fliessen. «Da wird dir rasch klar, dass du eine grosse Verantwortung hast und dir im Klaren sein musst, was du tust.» Das müsse man einfach mal gesehen haben, meint er. Junge Menschen in die Kraftwerke mitzunehmen und so deren Begeisterung zu wecken, würde seiner Ansicht nach vielleicht auch das Nachwuchsproblem lösen helfen. Dazu komme, dass man sich mit verschiedenen Kraftwerkstypen, Messprinzipien, Druckleitungen, usw. beschäftige. So etwas, sagt Stocker überzeugt, sei ausgesprochen reizvoll und vor allem abwechslungsreich. Aber gewissenhaft sein, Durchhaltevermögen haben und auch mal Druck standhalten können, das wäre eine wichtige Voraussetzung. Viel Neues Heute ist das Ziel der Wasserkraft noch genau dasselbe wie vor 40 Jahren: das Turbinieren von Wasser. Die Digitalisierung macht jedoch vor der Wasserkraft nicht Halt, musste der Techniker lernen. Relaissteuerungen wichen programmierbaren Speicherbausteinen und schliesslich volldigitalen und automatisierten Systemen. Ebenso hat sich das Erstellen von Schemata stark verändert, die Reissbretter verschwanden und machten Platz für Simulations- und Zeichnungssoftware auf dem Computer. «Anspruchsvolle Regelungsaufgaben lösten wir früher durch händisches Zusammenlöten von Funktionsbaugruppen», lacht er. «Programmieren würde man das heute wohl eher nicht mehr nennen. Aber früher wurden Maschinen ja auch noch von Hand gestartet und gestoppt, synchronisiert, ans Netz gebracht. Und Tag und Nacht betreut.» D W w l C g b fällt auf – passend zur Unternehmensfarbe, könnte man meinen. Eines spürt man jedenfalls sofort: Josef Stocker macht das gerne, was er macht. Los geht’s, am besten fangen wir beim Anfang seiner Laufbahn an, sagen wir. Der 62-jährige Projektingenieur ist erstaunt über das Interesse an seiner Person, dachte wir sprechen über Technik. Den Zettel in der Hand – darauf ein technisches Schema – legt er dann erstmal beiseite. Quereinsteiger Auf die Frage, wie man zu so einem Beruf kommt erzählt uns Josef Stocker über seine Lehre als Elektriker beim ehemaligen Elektrizitätswerk Baar, und dass ihn Elektronik schon immer interessiert hat. Nach der Lehre kam er als Elektroschemazeichner zu Rittmeyer. «Die Pläne zeichneten wir damals noch von Hand mit Tusche, an riesigen Reissbrettern», erinnert er sich an seine Anfänge zurück. Einige Jahre später wechselte er in eine der neu gebildeten Projektgruppen. Und seither beschäftigt er sich mit der Projektierung und Inbetriebnahme von Wasserkraftwerk-Leittechnik. Hoher Puls Als wäre es gestern gewesen erzählt er von seiner ersten Inbetriebnahme: «Das war in Interlaken. Ich nahm eine Pegelregelung in Betrieb, die unter anderem dafür sorgen sollte, dass bei einem Störungsfall das Maschinenhaus nicht überflutet wird.» Die Verantwortung seiner Tätigkeit war dem jungen Techniker damals so bewusst, dass er vor dem Schlafengehen nochmal die ordnungsgemässe Funktion des Reglers kontrollieren wollte. «Ich ging hinüber zum Kraftwerk, und da rutschte mir das Herz fast in die Hose: Blaulicht, Feuerwehr und eine hell beleuchtete Wehrbrücke.» Solche Situationen vergesse man nicht so schnell, muss er lachend gestehen. Grund für den Aufruhr war aber ‹nur› ein kaputter Hydraulikschlauch. Der konfigurierte Regler verrichtete seinen Dienst ordnungsgemäss. «Jede Anlage ist anders, jeder Kunde hat andere Anforderungen und Ideen. Das ist wirklich spannend.» 02 | 2019 14 | 15 transfer

Verschiedene Weiterbildungen hielten den Projektingenieur auf dem Laufenden. «Die meisten fanden intern statt. Entwicklungsspezialisten haben wir im Haus – und dazu ein super Betriebsklima.» Entsprechend gerne habe man die Kollegen gefragt, erinnert er sich. Am Ball zu bleiben werde genauso für den Nachwuchs zentral sein. Da ist er sich ganz sicher. Immer dasselbe? Das Umsetzen von Kundenwünschen war für Josef Stocker stets der grösste Anreiz bei seiner Arbeit. «Das Vertrauen, das man dir dabei entgegenbringt», sagt er zufrieden, «das ist herausfordernd aber einfach auch ein gutes Gefühl.» Und eine solche Aufgabe werde selbst in vier Jahrzehnten nicht eintönig: «Jede Anlage ist in gewisser Weise ein Einzelstück. Keine ist wie die andere, jeder Kunde hat andere Anforderungen und Ideen. Das ist wirklich spannend. So gesehen habe ich 40 Jahre dasselbe und doch nie dasselbe gemacht.» An was er heute konkret arbeite, fragen wir. Das erzählt er uns nach einem kurzen Gang zu seinem Schreibtisch. Darauf zwei Bildschirme für die grossen Pläne, die Maus in der linken Hand. Die körperlich oft anstrengende Inbetriebnahme vor Ort darf er heute seinen Kollegen überlassen, erzählt er uns, während er uns ein aktuelles Kraftwerksprojekt zeigt. Auffallend der Desktophintergrund auf seinem PC: eine Biene. Und so erfahren wir, dass er in seiner Freizeit Hobby- Imker ist. Würde er seine Berufswahl erneut treffen? «Die Entscheidung für die Wasserkraft war mit Sicherheit die richtige», bestätigt er, ohne eine Sekunde zu überlegen. «Sie ist ökologisch und sinnvoll. Deshalb ging ich auch 40 Jahre lang immer gerne zur Arbeit.» Und muss dabei etwas schmunzeln, denn der Weg bis zur Pensionierung ist nicht mehr sehr weit: «Aber auf die zusätzliche Zeit mit meinem Enkelkind und meinen Bienen freue ich mich doch sehr.» «Die Grösse der Maschinen – das musst du einfach mal spüren.» Josef Stocker, Projektingenieur Wasserkraftwerke, Rittmeyer

INTERVIEW «Das Schöne ist, dass wir sowohl drinnen als auch draussen arbeiten: Wir erledigen die für die Instandhaltung der Anlage notwendigen Aufgaben selbst.» Romano Baptista bei der Wartung einer Turbine. 02| 2019 16 | 17

Turbinen zerlegen, Pumpen schmieren, die Seilbahn warten, Bäume fällen, Geländer bauen und noch vieles mehr. Was die Instandhaltungsfachleute der Kraftwerke Hinterrhein so alles leisten, damit der Strom auch morgen noch aus der Steckdose kommt, zeigen uns Johannes Tscharner und Romano Baptista. Ganz im Verborgenen VV Über den Arbeits(all)tag im Kraftwerk Bärenburg INTERVIEW 8:30 Uhr morgens, Ankunft beim Kraftwerk Bärenburg. Wir sind überrascht, dass hier ein Kraftwerk steht. Jetzt sind wir die Strecke doch schon x-Mal auf dem Weg nach Italien gefahren, aber davon wussten wir nichts. Beim Aussteigen empfängt uns das Sirren der Schaltanlage. Mit 12 Grad ist es noch etwas kühl in Bärenburg im Kanton Graubünden. Wir wechseln unsere Schuhe – im Kraftwerk trägt man Sicherheitsschuhe – und melden uns telefonisch an. Nach ein paar Minuten öffnet Johannes Tscharner die Türe und begrüsst uns. Sein Arbeitskollege, Romano Baptista stösst dazu. Unser Weg ins Gebäude führt uns durch den Maschinenraum. Es ist laut und warm. Im Aufenthaltsraum ist es zwar ruhiger, aber das Brummen der Generatoren ist auch dort deutlich zu hören. Wie alles begann «Wie seid ihr denn zu eurem Job bei den Kraftwerken Hinterrhein gekommen», fragen wir die beiden als Erstes. Johannes Tscharner lacht. Obwohl er ganz in der Nähe aufgewachsen ist, wusste er von Bärenburg praktisch nichts: «Und schon gar nichts vom Betrieb eines Kraftwerks.» Nach seiner Ausbildung als Anlagen- und Apparatebauer war er lange in der Textilbranche bei einem Hersteller für Färbemaschinen tätig. Die Inbetriebnahme dieser Anlagen war oft verbunden mit langen Auslandsaufenthalten. Mit der Familie war das nicht so gut zu vereinbaren. Deshalb hat er wieder einen Job in der Nähe gesucht. Das war vor 11 Jahren. Jetzt kümmert er sich um den Unterhalt von übermannshohen Maschinen und Anlagen im Kraftwerk – und ist Talsperrenverantwortlicher. «Bei mir war das anders», erzählt uns Romano Baptista. Schon sein Vater hat im Kraftwerk Bärenburg gearbeitet. Als Bub hat er ihn während seiner Wochenendschichten öfter mal besucht – damit er nicht so allein ist. Bereits damals haben ihn die grossen Maschinen fasziniert, sagt er. Die Lehre zum Polymechaniker hat er dann auch bei den Kraftwerken Hinterrhein gemacht. Erste Berufserfahrungen sammelte er im Anschluss bei einem Hersteller von Gasturbinen und war ebenfalls viele Jahre im Ausland mit deren Montage und Instandhaltung beschäftigt. Auch ihn zog schliesslich die Familie zurück in die Heimat. Und die Maschinen im Kraftwerk. Seit drei Jahren ist er wieder in seinem Lehrbetrieb angestellt, inzwischen als Instandhaltungsfachmann. «‹Back to the roots› sozusagen», wie er schmunzelnd erwähnt. Faszination Kraftwerk Die Arbeit im Kraftwerk ist ziemlich abwechslungsreich und verlangt eine grosse Verantwortungsbereitschaft, wie uns die beiden erzählen. Nicht nur, dass das Kraftwerk einen wesentlichen Beitrag zur Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien liefert, es erfüllt auch eine zentrale Aufgabe im Hochwasserschutz: «Wenn die dazu notwendigen Systeme bei einem entsprechenden Ereignis nicht funktionieren, dann würde unsere gesamte Anlage überspült werden, und sicher auch die nahegelegene →

INTERVIEW Autobahn», unterstreicht Johannes Tscharner die Wichtigkeit. Priorität Hochwasserschutz Was dies bedeutet erfahren wir, als uns die beiden rund 50m tiefer in die Anlage führen. Hier befindet sich die Schieberkammer mit den Grundablässen. 500 000 l Wasser pro Sekunde können bei Hochwasser entlastet werden. Die Funktion der Plattenschieber und der zugehörigen Hydraulikpumpen wird regelmässig überprüft, wie uns die beiden versichern. Bei Hochwasser muss wirklich alles funktionieren. Johannes Tscharner hebt einen grossen Deckel aus dem Boden der Kammer. Eine Leiter führt senkrecht weitere 9m in die Tiefe. Es ist stockdunkel, kalt und nass da unten, fast am Grund der Staumauer. Er leuchtet in den Schlund, etwas Wasser rinnt durch die Plattenführungen. «Das muss man immer mal wieder abdichten», erklärt Tscharner. Dann heisst es «ab in den Schacht und nach dem Rechten sehen.» Gesichert mit Helm und Klettergurt, ein zweiter Mann steht am Einstieg. Das ist wichtig für die Sicherheit und wird im Rahmen von Höhentrainings und Sicherheitsschulungen auch immer wieder geübt. Frische Luft Der weitere Weg führt zu einer gigantischen Lüftungsanlage. Auch für deren Wartung sind die beiden in Bärenburg verantwortlich. Die Anlage ist für die Belüftung und Entfeuchtung der Staumauer wichtig. «Für uns ist sie lebensnotwendig, denn sie sorgt für Frischluft für die Menschen, die in der Mauer arbeiten», erklärt uns Romano Baptista. Dabei erfahren wir, dass Bärenburg eine von nur zwei Anlagen in der Schweiz ist, bei der das gesamte Kraftwerk in der Staumauer verbaut ist. Die 64m hohe Gewichtsstaumauer trägt auch die gesamte Freiluftschaltanlage. 55 000m3 Beton wurden bei deren Bau 1960 gebraucht. Ohne Lüftung wäre es hier drinnen wohl ziemlich kalt und stickig. Sicher, auf den Mikrometer genau Über verwinkelte Gänge und Treppen gelangen wir in Stollen, die die gesamte Staumauer durchziehen. Wir kommen an dutzenden von Messpunkten vorbei. Als Talsperrenverantwortlicher kontrolliert und dokumentiert Johannes Tscharner in vorgeschriebenen Intervallen verschiedene Parameter wie Auftriebs- und Sickerwassermengen, er misst die Fugenspalte und eventuelle Bewegungen der Staumauer. In Bärenburg liegen diese im Millimeterbereich. Wir werden beruhigt: «Alles völlig in Ordnung.» Da draussen drücken mehr als eine Million Kubikmeter Wasser gegen die Mauer. Irgendwie doch ein eigenartiges Gefühl hier unten. Mächtige Turbinen Später werfen wir einen Blick in die Dotieranlage. Um die vielfältigen Funktionen des Fliessgewässers für Flora und Fauna zu erhalten, wird von Stauseen stets eine vorgeschriebene Wassermenge abgelassen – das sogenannte Dotierwasser. Auch dieses wird in Bärenburg turbiniert. Mit dem Lift nach oben, einige Gänge weiter kommen wir im eigentlichen Turbinenraum an. Auf dem Weg fragen wir uns, wie man sich in diesem Dickicht von Stockwerken, Treppen, Gängen und Stollen überhaupt je zurechtfinden kann. Bei den Turbinen ist es ziemlich laut. Vier riesige, leuchtendgrün gestrichene Francis-Turbinen leisten hier ihre Arbeit. Sie treiben zwei Stockwerke über uns Generatoren mit einer Gesamtleistung von 220MW an. Viele Instandhaltungsarbeiten müssen neben dem Lärm der laufenden Maschinen durchgeführt werden. Dabei kann man sich nur schwer verständigen. Deshalb ist es absolut notwendig, dass das Team gut eingespielt ist und jeder auf den anderen achtet. Auch das ist eine wichtige Sicherheitsregel. Digitalisierung auch hier Wir kommen am Kommandoraum vorbei. Der ist längst nicht mehr besetzt, denn die Anlage in Bärenburg wird mittlerweile von der Zentrale in Sils überwacht, der Turbineneinsatz direkt entsprechend dem Bedarf am Strommarkt von AXPO in Baden ferngesteuert. Das hat auch den Arbeitsalltag von Johannes Tscharner und Romano Baptista verändert. Bärenburg ist nicht mehr rund um die Uhr besetzt. Den klassischen Schichtbetrieb, wie zu Zeiten von Baptistas Vater, gibt es nicht mehr. Überhaupt hat sich in den letzten Jahren vieles verändert. So werden wohl Zug um Zug auch die Klemmbretter der Wartungsmannschaft durch Tablets ersetzt, Arbeitsaufträge und Wartungsintervalle sind inzwischen digital erfasst und den Mitarbeitern zugeteilt. Die durchgeführten Arbeiten werden online dokumentiert und ins System übertragen. «Das ist auf den ersten Blick einigermassen aufwändig, aber absolut notwendig, um den Betrieb der Anlage auf höchstem Sicherheitsniveau zu gewährleisten», bestätigt Romano Baptista. Wir werfen gemeinsam einen Blick auf Checklisten und ins System. Da kommt schon ganz schön was zusammen. Traumjob für Allrounder «Zu tun haben wir genug», sagt Johannes Tscharner am Ende unseres Rundgangs und schmunzelt. Gemeinsam gehen wir hinaus ins Freie und geniessen den Ausblick. Da entdecken wir eine Seilbahn. Sie führt ins knapp 300m höher gelegene Wasserschloss. Auch die Bahn «Ab in den Schacht und nach dem Rechten sehen.» 02| 2019 18 | 19

Auf den tausendstel Millimeter genau: Johannes Tscharner misst die Fugenspalte der Staumauer. gehört zur Anlage in Bärenburg und fällt in den Verantwortungsbereich der beiden: «Das Schöne ist, dass wir sowohl drinnen als auch draussen arbeiten, denn wir erledigen eigentlich alle für die Instandhaltung der Anlage notwendigen Aufgaben selbst.» Dazu gehört auch mal Bäume zu fällen und Stauden zurückzuschneiden, das Schwemmholz aus dem See zu fischen, den Rasen zu mähen und im Winter die Schneeräumung. Und was an Handwerk innerhalb der Anlage anfällt sowieso. Arbeit für echte Allrounder eben. Respekt Als wir uns auf den Heimweg machen scheint die Sonne in Bärenburg. In der Schaltanlage sirrt es immer noch, aber anders. Oder ist es das Dröhnen der Turbinen, das wir im Ohr haben? Schwer zu sagen, aber wir sind uns einig: So ein Wasserkraftwerk ist wirklich faszinierend. Wir haben viel gelernt und grossen Respekt vor der verantwortungsvollen Arbeit, die hier geleistet wird.

FACHTHEMA WAS ICH NICHT KENNE … Jugendliche für unbekannte Berufe begeistern FACHTHEMA Jobs bei Wasser- und Energieversorgungen stehen nicht zuoberst auf der Hitliste der Ausbildungsberufe. Die Suche nach Erklärungen ist schwierig. Wie wählen junge Menschen überhaupt ihre Ausbildung? Wo finden sie Antworten auf ihre Fragen? Bruno Ruoss kennt die Anliegen der Jugendlichen. Er ist Berufs- und Laufbahnberater beim Berufsinformationszentrum (BIZ) in Zug und unterstützt bei der Berufswahl. 02 | 2019 20 | 21 transfer

Wenn Jugendliche den Weg ins BIZ finden, dann interessieren sie sich doch meist für die klassischen « Hitberufe»: Kaufmann und Informatiker bei den Jungs und Kauffrau oder Fachfrau Gesundheit bei den Mädchen. Die Frage ‹Wie werde ich Profi-Gamer?› ist die Ausnahme, kommt aber auch vor. Interessant sei, so Bruno Ruoss, dass Mädchen aus den bekanntesten zehn Berufen wählen, Jungs eher breiter, differenzierter suchen. (Wenig) Mut zum Unbekannten Der Umstand, dass die Schülerinnen und Schüler meist nur wenige der mehr als 250 Lehrberufe kennen, bezeichnet der Berufsberater als eine seiner täglichen Herausforderungen. Den Sanitärinstallateur hat man daheim vielleicht schon mal gesehen, kaum jedoch den Haustechniker oder den Entwässerungstechnologen. «Es gibt diverse Berufe, die ein erbärmliches Dasein fristen, schlicht weil sie nicht bekannt sind», bedauert Bruno Ruoss. Manchmal hätten die Jugendlichen einen ganz kleinen Ausschnitt eines Berufs gesehen und daraus dann das gesamte Berufsbild projiziert. Mit solchen Bildern im Kopf ist es dann aufwändig, sie für etwas anderes zu begeistern, dort eine Schnupperlehre zu machen, etwas in die Hand zu nehmen. «Das ist aber auch die grosse Chance», so Ruoss. «Sobald die Jugendlichen etwas gesehen haben, es erlebt haben, passiert etwas. Plötzlich hat der Beruf ein ganz anderes Image. Und man schaut das nicht mehr nur nach dem Ranking an.» Menschen entscheiden Nicht immer klappt das. So seien manche Jugendliche wieder in seine Beratung gekommen, die nach drei Tagen auf der Baustelle ‹ kaputt› waren. Man muss anpacken, es ist anstrengend. Treppen rauf, Treppen runter. «Das ist ja normal, dass man da müde ist», versucht sie Ruoss dann zu besänftigen. «Aber sie meinen natürlich auch: Das ist der Beruf.» Bruno Ruoss ist sich bewusst, dass Schnupperlehren für die Firmen aufwändig sind. Deshalb empfiehlt er immer, zunächst Infoveranstaltungen zu besuchen, an denen Firmen ihren Betrieb und die Lehrberufe vorstellen. Die eigentliche Schnupperlehre ist für ihn bereits etwas deutlich Verbindlicheres. Bei diesen ersten Begegnungen mit den potenziellen Lernenden wittert Ruoss jedoch bei den Firmen mitunter noch Optimierungspotenzial: «Oft versuchen sie gar alles zu zeigen. Aber das ist zu viel, überfordert eher. Es muss ja nicht die ganze Lehre sein.» Der weit entscheidendere Aspekt seien die Menschen dort: Sind sie nett, habe ich ‹etwas Lässiges› gemacht? Das bleibe hängen. Eltern haben den grössten Einfluss Grösster Einflussfaktor bei der Berufswahl seien und blieben die Eltern. Die Peers wären schon auch wichtig, aber was die Eltern sagen, sei noch viel wichtiger, so Ruoss. Ein Konflikt dabei sei oft, dass Eltern noch auf dem Kenntnisstand von vor 20 Jahren ‹beraten›. Berufe verschwinden jedoch, Inhalte verschmelzen mit anderen, neue entstehen. Tut dann eher Elternbildung Not? Bruno Ruoss schmunzelt: «Wenn man sich bewusst ist, dass die Eltern den grössten Einfluss auf die Berufswahl haben, dann sollten sie tatsächlich top informiert sein, um mitzuwirken und kompetent beraten zu können.» Ver- und Entsorgung: Vorbilder fehlen Umwelt- und Energietechnik, die Themen der Versorgungsbranchen, beschäftigen Jugendliche sehr selten und es gibt wenig Nachfrage dazu im BIZ. Bruno Ruoss meint, da fehlten vielleicht auch die konkreten Vorbilder. Es gäbe schlicht zu wenig Berührungspunkte und Begegnungen mit diesen Berufsleuten. Ruoss empfiehlt diesen Unternehmen, sich zu öffnen, die Berufe als Ganzes zu präsentieren und aufzuzeigen, wie wichtig sie sind: «Eine Kläranlage beispielsweise ist doch High-Tech. Da braucht es viel Erfahrung, da gibt es ein Labor, die Menschen haben Verantwortung. Ich denke mir, das reizt Jugendliche. Da kann man sie packen.» Arbeit mit Menschen Und was reizt ihn, den Berufsberater, an seiner Aufgabe? Sein Job sei vor allem die Arbeit mit Menschen. Das schätze er sehr. Menschen in Veränderungsprozessen zu begleiten und ihnen mit Information, Mut und Zuversicht zu begegnen sei ein Privileg. Beratungsgespräche seien für ihn deshalb auch immer wieder Abenteuer. «Eine Berufsberatung ist für mich ähnlich wie ein Tanz. Nur wenn beide Beteiligten sich aufeinander einlassen und sich bewegen wird ein schöner Tanz daraus, dann geht es weiter», sagt Ruoss. Ein schönes Schlusswort. «Es gibt diverse Berufe, die ein erbärmliches Dasein fristen, schlicht weil sie nicht bekannt sind.» Bruno Ruoss, Berufs- und Laufbahnberater, Berufsinformationszentrum (BIZ) Zug

INTERVIEW Auch in den Versorgungsbranchen verändert sich die Arbeitswelt. Die Geschwindigkeit nimmt zu, es gilt, immer strengere Gesetze und Auflagen einzuhalten. Neue Technologien sollen vieles möglich machen, das lange undenkbar schien. Ein Zauberwort dabei heisst ‹Digitalisierung›. Führt sie zukünftig den Menschen? Oder ersetzt sie ihn gar? Wie kann eine gute Entwicklung gelingen? Wir konnten mit Frau Prof. Dr. Gudela Grote, ordentliche Professorin für Arbeits- und Organisationspsychologie im Departement ‹Management, Technology, and Economics› an der ETH in Zürich, über ihre Einschätzung sprechen. Den Menschen mitnehmen Ein Gespräch mit Prof. Dr. Gudela Grote zur «digitalen Arbeitswelt» INTERVIEW 02| 2019 22 | 23

Frau Prof. Grote, wie digital ist denn unsere Welt seit Neuestem tatsächlich? (Schmunzelt) Wir ‹digitalisieren› ja schon lange, das ist doch ein kontinuierlicher Prozess. Piloten fliegen mit Autopilot, Prozessautomatisierung gibt es seit Jahrzehnten. Neu ist vielleicht, dass wir inzwischen versuchen, auch kognitive, bisher dem Menschen vorbehaltene Prozesse vollautomatisch abzubilden. Das führt zur Debatte um Künstliche Intelligenz (KI), und zur Frage, ob denn die Maschinen nun tatsächlich klüger sind als wir. Oder dazu, dass selbst die Entwickler nicht mehr genau wissen, was die Maschinen eigentlich machen, weil sie selbstgesteuert irgendwas lernen, man aber nicht genau weiss, was sie gelernt haben und wie und weshalb sie das gelernt haben. Das macht Angst. In der Realität sieht das aber bisher weit weniger dramatisch aus. Es gibt in der Arbeitswelt nach wie vor mehr Anekdoten und Pläne als tatsächliche Anwendungen. Gleichzeitig muss man aber auch sagen, dass Künstliche Intelligenz in vielen Bereichen Einzug gehalten hat, die uns gar nicht bewusst sind. Nehmen wir das Beispiel der Spracherkennung: Jedes moderne Smartphone kann das zumindest ein bisschen. Da steckt viel KI dahinter. Wir sollten uns wohl derzeit weniger als Beschäftigte, sondern eher als Privatpersonen Gedanken über unseren Umgang mit Digitalisierung machen. Dazu gehört auch, uns bewusst zu machen, wo wir überall KI begegnen, und mehr darüber zu lernen. Viele merken an, dass mit der Digitalisierung viel Fachwissen verloren ginge. Man beschäftige sich nicht mehr mit dem Prozess und verliere die Zusammenhänge, weil ja ‹die Maschine› steuert. Stimmt das? Diese Frage wird schon lange diskutiert, besonders im Hinblick auf Erfahrungswissen, das nicht aus Büchern gelernt, sondern nur im direkten Umgang mit einer Aufgabe erworben werden kann. Man sollte aber auch überlegen, ob der Mensch nicht neue Arten von Erfahrungswissen erwirbt, auf einer abstrakteren Ebene – in der Aktion mit dem System anstelle mit dem realen manuellen Prozess. Klar ist, je vernetzter Prozesse sind, umso schwieriger wird es, alles darüber zu wissen. Und natürlich sollte der Mensch möglichst gut verstehen, was er tut. Aber im Laufe technologischer Entwicklungen muss man immer wieder neu definieren, welche Art von Wissen nötig ist. → Prof. Dr. Gudela Grote Ordentliche Professorin für Arbeits- und Organisationspsychologie im Departement ‹Management, Technology, and Economics› an der ETH Zürich Prof. Dr. Gudela Grote forscht seit mehr als 30 Jahren an psychologisch basierten Grundlagen und Methoden für eine integrative Arbeits- und Organisationsgestaltung unter Berücksichtigung der sich wandelnden technologischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Möglichkeiten und Anforderungen. «Veränderungen werden besser und Technologieentwicklung nützlicher, wenn die betroffenen Menschen in Entscheide einbezogen werden.»

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