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01 | 2019 DAS RITTMEYER KUNDENMAGAZIN Klimawandel Trockenheit und Regen – wie wir häufigere Extreme bewältigen. Ressourcenknappheit Wertvollen Rohstoff aus dem Abwasser gewinnen: Phosphor-Recycling. Umweltverschmutzung Biozide, Antibiotika und Co.: Massnahmen an der Quelle wirken.

Noch schlauer wäre es ja, den Eintrag künstlicher Fremdstoffe in unsere Gewässer zu verhindern, oder wenigstens zu reduzieren. «Massnahmen an der Quelle» setzen, hiesse das Stichwort dazu. Prof. Dr. Michael Burkhardt zeigt im Beitrag ab Seite 6 auf, wie sich der Eintrag von Bioziden, die tagtäglich aus Baumaterialien ausgeschwemmt werden, reduzieren liesse. Im Gespräch mit Dr. Helmut Bürgmann haben wir einen anderen, gefährlichen Aspekt kennengelernt: Der übermässige und oft wenig überlegte Gebrauch von Antibiotika erzeugt Resistenzen, die über unsere Gewässer verbreitet eine der grössten biologischen Bedrohungen unserer Zeit darstellen. «Zeitbombe Antibiotika?» lesen Sie ab Seite 10. Neben all dem stellen Klimawandel, volatileres Wetter und zunehmende Siedlungsdichte die Wasserwirtschaft vor grosse Herausforderungen. Belastbare Prognosen fehlen, sodass wir uns heute überlegen müssen, wie die Siedlungsentwässerung der Zukunft geplant werden kann. «Dazu braucht es neue Strategien», sagt Prof. Dr. Max Maurer, Leiter der Abteilung Siedlungswasserwirtschaft an der Eawag, und erklärt ab Seite 19, welche das sein könnten. Ein eindrückliches Beispiel liefert der Wasserverband Ossiacher See in Kärnten, der zum Abwassertransport ein Seedruckleitungsnetz unter den strengen Auflagen des Umweltschutzes betreibt. Wie der Verband den Auswirkungen der zunehmend extremeren Wetterereignisse begegnet, lesen Sie ab Seite 14. Der Wasserkraft ergeht es bei dieser Thematik ähnlich: Einerseits stellt sie in den Alpenländern die wichtigste und umweltfreundlichste Technologie zur Stromerzeugung. GleichDie Schweiz gilt als «Wasserschloss Europas» mit bedeutenden Ressourcen. Noch. Trotz generell guter Qualität enthält unser Wasser inzwischen verbreitet Spuren unerwünschter, von Menschenhand eingebrachter Fremdstoffe. Damit werden Kläranlagen zum Hotspot der heutigen Gesellschaft. Rückstände von Pflanzenschutzmitteln, Medikamenten oder Mikroplastik, um nur einige Beispiele zu nennen, wollen wir nicht in unseren Gewässern. Im Trinkwasser schon gar nicht. Unsere Abwasserreiniger und Wasserversorger stellen sich diesen Herausforderungen. Sie engagieren sich, machen sich modernste Technologien zunutze, versuchen Stoff- und Energiekreisläufe wieder zu schliessen. Nicht immer erfahren sie dabei Wertschätzung, denn ein anständiger Umgang mit unseren Ressourcen ist aufwändig und nicht zum Nulltarif zu erhalten. Das sollte uns zu denken geben. Daniela Decurtins, Direktorin des ‹Verbands der Schweizerischen Gasindustrie› (VSG), kämpft um die Anerkennung von Biogas als erneuerbare Energie bei der Erweiterung der kantonalen Energiegesetze. Dass Gas einen wichtigen Beitrag zur Sicherung der Energieversorgung leistet, geht manchmal vergessen. Wo, das schildert sie im Beitrag ab Seite 28. Ein wertvoller Rohstoff ist auch Phosphor. Lohnt es sich denn nicht, diesen aus unserem Abwasser zurückzugewinnen – auch wenn dies auf den ersten Blick teurer erscheinen mag? Dr. Christian Abegglen vom Verband Schweizer Abwasser- und Gewässerschutzfachleute VSA berichtet ab Seite 24 vom aktuellen Stand der Diskussionen. «Zielkonflikt» Umwelt? Eine Magazinausgabe zum Nachdenken PERSÖNLICH GESPROCHEN PERSÖNLICH GESPROCHEN 01 | 2019 2 | 3

zeitig ist sie aber mit hohen Umweltauflagen konfrontiert: Aufgaben wie Reaktivieren des Geschiebehaushalts, Sicherstellen der Fischwanderung und Reduktion von SchwallSunk fordern die Betreiber. Roger Pfammatter, Geschäftsführer des Schweizerischen Wasserwirtschaftsverbands, appelliert im Interview ab Seite 37, den «energie- und umweltpolitischen Trumpf» der Schweiz nicht zu verspielen. Wenn die Balance aus Versorgungssicherheit, Wirtschaftlichkeit und Nachhaltigkeit gelingen soll, wird es Zielkonflikte geben. Nun müssen wir uns gut überlegen, wofür wir uns entscheiden. Heute schon. Darum ist es mir ein Anliegen, all jenen, die «im Hintergrund» tagtäglich kompetent und motiviert nach Lösungen hierfür suchen, grosses Lob und Dank auszusprechen. Wir meinen, «Umwelt» geht uns alle an. Deshalb haben wir ihr auch die erste Ausgabe unseres neugestalteten Magazins ‹transfer› gewidmet. Ich hoffe, sie gefällt Ihnen, und wünsche Ihnen eine anregende Lektüre. Herzlichst Ihr Andreas Borer CEO, Rittmeyer AG

28 37 INHALT IMPRESSUM transfer ist das Kundenmagazin der Rittmeyer AG und erscheint zweimal im Jahr. Herausgeber Rittmeyer AG Ein Unternehmen der Gruppe BRUGG Inwilerriedstrasse 57, CH - 6341 Baar www.rittmeyer.com Verantwortlich für den Inhalt Andreas Borer (v.i.S.d.P.) Redaktion und Umsetzung up! consulting ag, Ruggell (FL) E-Mail an die Redaktion transfer@rittmeyer.com Bildnachweis Rittmeyer AG, Jens Ellensohn (S. 2), iStock (S. 1, 5–10, 14–19, 22–25, 28–30, 34–36, 44–47), Nathalie Schöbitz, Eawag (S. 12–13), Wasserverband Ossiacher See (S. 14–19), Wasserversorgung Altbüron (S. 42–43), privat z. V. g Erscheinungstermin 3. Mai 2019 Falsche Anschrift? Bitte teilen Sie uns mit, sollten Sie eine neue Anschrift haben: www.rittmeyer.com/anschrift Die in den Artikeln veröffentlichten Ansichten, Meinungen und Empfehlungen Dritter müssen nicht mit der Meinung der Rittmeyer AG übereinstimmen. 6 Sauberer bauen tut Not: Schadstoffeintrag in Gewässer an der Quelle reduzieren 10 Zeitbombe Antibiotika? Resistenzen auf dem Vormarsch 14 Kilometerlange Druckleitungen schlängeln sich durch den Ossiacher See 19 Wasser: Freund oder Feind? Siedlungswasserwirtschaft der Zukunft 24 Verwenden statt verwerfen: Phosphor-Recycling aus Klärschlamm 31 RITUNE® power: Betrieb optimiert, Kosten gespart 34 2100: Zukunft der Wasserkraft: Klimawandel birgt Herausforderungen und Chancen 42 Vom Eisenbahntunnel zum Wasserreservoir Wie (umwelt-)verträglich ist die Wasserkraft? Gewässerschutz stellt hohe Anforderungen Das vergessene (?) Gas Energieträger mit Perspektive 44 Wasser marsch! Robustes Messsystem zur Überprüfung von Hydranten 46 Entwirrt! Mit Messkampagnen den Kanalnetzzustand im Blick FACHTEMA & INTERVIEW APPLIKATION PRODUKT & NEWS ZAHLEN & FAKTEN 01 | 2019 4 5 |

Unerwünschte Zutaten Unser Grundwasser ist eine lebensnotwendige und äusserst verletzliche Ressource – und das nicht nur in trockenen Sommern wie im vergangenen Jahr. Vor allem in Gebieten mit intensiver Landwirtschaft oder dichter Besiedlung werden jedoch häufig Spuren künstlicher und langlebiger Substanzen wie Pflanzenschutzmittel, Kohlenwasserstoffe oder Arzneimittel gefunden. Wie gut am Ende unser Trinkwasser ist – wir haben es in der Hand. Jahr für Jahr sickern in der Schweiz mehr als 130000 t Nitrat aus der Landwirtschaft ins Grundwasser. Nitratgehalte liegen teilweise deutlich über dem in der Gewässerschutzverordnung vorgeschriebenen Wert. › 25mg/l Fast ein Viertel der Messstellen weisen mehr Rückstände von Pflanzenschutzmitteln auf als erlaubt. ›10 000 Medikamente sind in der Schweiz derzeit im Humanbereich mit etwa 3 000 verschiedenen Wirkstoffen im Einsatz. Im Veterinärbereich sind die Zahlen mit 1 100 Medikamenten und 930 Wirkstoffen etwas kleiner. 48 % Fungizide 29% Herbiziden 13% Insektizide 10% Sonstige Mehr als die Hälfte der im Grundwasser nachgewiesenen Arzneimittel waren Antibiotika. › 50% 2016 verkaufte Pflanzenschutzmittel-Wirkstoffe: 2 157 t › 0,1 µg/l 35 t in der Human medizin 53 t in der Tiermedizin wurden 2013 in der Schweiz zur medizinischen Behandlung von Mensch und Tier gebraucht. 88 t Antibiotika ZAHLEN & FAKTEN Quellen: Bundesamt für Umwelt BAFU, Bundesamt für Statistik BFS, Eawag

FACHTHEMA Schadstoffeintrag in Gewässer an der Quelle reduzieren In Farben und Putzen werden antimikrobielle Mittel eingesetzt, welche die Hausfassade gegen Algen- und Pilzbefall schützen sollen. Die wetterbedingte Auslaugung solcher Stoffe führt jedoch zu einer Belastung von Boden, Grundwasser und Oberflächengewässer. Wir haben mit Prof. Dr. Michael Burkhardt, Leiter des Instituts für Umwelt- und Verfahrenstechnik an der HSR Hochschule für Technik Rapperswil, über Möglichkeiten gesprochen, das Problem «sichtbar» zu machen und gebäudebezogene Belastungen zu reduzieren. SAUBERER BAUEN TUT NOT «Massnahmen an der Quelle, dort wo die Konzentrationen hoch und die Wassermengen noch klein sind, sind für mich die effektivsten.» FACHTHEMA 01 | 2019 6 | 7 transfer

Einige Hundert Tonnen Zusatzmittel werden in der Schweiz pro Jahr in Baumaterialien eingebracht, darunter schätzungsweise 30 bis 50 Tonnen Biozide in Gebäudehüllen. Regen und Witterung waschen diese aus. Wird das Drainagewasser getrennt abgeführt (‹Trennsystem›), dann gelangen sie direkt in Fliessgewässer oder Seen. Bereits 2008 löste ein entsprechender Beitrag von Michael Burkhardt in den Schweizer Medien ein enormes Echo aus. Andere Themen rund um das Bauen stehen aber viel stärker im Fokus: «Es gibt ja keine sichtbaren Schäden, ausser einer verschmutzen Fassade. Und das führt man eher auf andere Ursachen als die ausgewaschene Chemie zurück», bedauert der Wissenschaftler, dessen besonderes Interesse der ökologischen Nachhaltigkeit beim Bauen im urbanen Raum gilt. Die ökologische Verträglichkeit von Baumaterialien erforscht er seit 15 Jahren. Schwarz-Weiss-Denken Gewässermonitoring im urbanen Raum findet zumeist weit entfernt von den Quellen statt. Werden dabei bedenkliche Stoffe entdeckt, weiss man noch immer selten genau, woher sie stammen oder wo sie eingebracht wurden. Der richtige Ansatz wäre, nach Lösungen zu suchen, um bereits an der Quelle, also beispielsweise an der Hausfassade, die Schadstoffbelastung für die Umwelt zu reduzieren. Hier sieht Burkhardt vor allem die Hersteller und Kunden in der Pflicht. Das Dilemma: Den Nutzen, sprich: die Farbe und den Schutz, den will jeder. Und der muss bezahlbar sein. Auf der anderen Seite sollen die Umweltkriterien, für die viele Verbraucher nur ungern etwas bezahlen möchten, erfüllt werden. «Häufig wird von Verbrauchern wie auch Verarbeitern die Frage reduziert auf: Ist die Farbe giftig, oder ist sie es nicht?», stellt Michael Burkhardt fest. «Diese Schwarz-Weiss-Betrachtung ist sehr undifferenziert und hilft kaum. Eine ganzheitliche Sicht, zum Beispiel welche Umweltrisiken durch gewisse Inhaltsstoffe in den jeweiligen Produkten entstehen können, aber auch welchen Nutzen sie haben, fehlt uns.» Genauer hinschauen – und abwägen Der Begriff ‹Biozid› ist meist negativ besetzt. «Produkte mit bioziden Wirkstoffen heissen eigentlich Filmschutz-, Konservierungs- oder Desinfektionsmittel, und das klingt ja schon fast wieder gut», erklärt Burkhardt. Wo Wasser im Spiel ist, muss man diese Stoffe →

www.stiftungfarbe.org zerti ziert durch certi é par Schweizer Stiftung Farbe • Fondation Suisse Couleur FACHTHEMA e n Umweltetikette der ‹ Schweizer Stiftung Farbe›: Sieben für den Verbraucher leicht unterscheidbare Klassen stufen die Umweltverträglichkeit des Produkts ein. Weitere Infos: www.stiftungfarbe.org einsetzen: Zum Beispiel im Schwimmbad, in Flüssigseife, bei Bootsanstrichen, im Holzschutz oder in der Stallhygiene. Früher konservierten Lösungsmittel Farben. Als diese verbannt und durch Wasser ersetzt wurden, musste man Biozide einsetzen. Es gibt auch Hersteller, welche als Alternative Farben mit hohen alkalischen pH-Werten produzieren, was gesundheitsgefährdend für den Verarbeiter sein kann. «Wichtig ist, dass wir einen gesellschaftlichen Konsens zu einem möglichst optimalen Weg finden», wünscht Burkhardt. «Wir können nicht immer das Maximum erwarten – lange Haltbarkeit, bester Schutz, einfachste Verarbeitung, tiefer Preis, null Schadstoffe. Viele kleine Verbesserungsschritte sind meiner Meinung nach das Erfolgversprechende. Ich bin auch davon überzeugt, dass 80% Wirkungsgrad, schnell umgesetzt, besser sind als 99%, die ich niemals erreiche.» Grün? Oder Rot? Der Verband der Schweizerischen Lack- und Farbenindustrie (VSLF) hat gemeinsam mit dem Bundesamt für Umwelt und weiteren Stakeholdern eine Umweltetikette entwickelt, welche einen bewussten Entscheid für oder gegen ein bestimmtes Produkt erleichtern soll. Vergleichbar dem Ampelsystem des «Kühlschrankrasters» gibt es sieben Kategorien. Fassadenfarben der Klasse C beispielsweise enthalten verkapselte Biozide, um eine lange Schutzwirkung zu erzielen, und der ausgewaschene Stoffanteil ist in der Umwelt schnell abbaubar. Die Inhaltsstoffe sind damit länger im Material nutzbringend gebunden und werden über einen längeren Zeitraum gelöst als ohne Verkapselung. Rot, die schlechteste Klasse, umfasst Produkte, welche langlebige und nicht verkapselte Biozide aufweisen, und damit das grösste Risiko für die Umwelt darstellen. Es gibt noch weitere Kriterien, die dem Verbraucher Anhaltspunkte zu anderen bedenklichen Inhaltsstoffen liefern. Belohnung bewirkt Veränderung Verbote helfen aus Burkhardts Sicht wenig. Deshalb erscheint ihm das Belohnungsprinzip für die Hersteller wichtig. Die grünen Kategorien A bis C werden beispielsweise im Vorgabenkatalog des Reglements ‹ Minergie-Eco› als Empfehlung genannt. Sie haben den geringsten Umwelteinfluss bei der Herstellung, in der Nutzungsphase und bei der Entsorgung: «Jeder Hersteller sollte bestrebt sein, solche Produkte zu entwickeln und bekommt durch entsprechende Nachfrage im Rahmen einer Ausschreibung den wirtschaftlichen Anreiz.» Systemübersicht zur Auslaugung von Stoffen aus horizontal und vertikal beregneten Bauteilen bzw. Bauprodukten und den Eintragswegen in Boden und Gewässer. Schätzungsweise 30–50 Tonnen Biozide werden in der Schweiz pro Jahr in Gebäudehüllen eingebracht. Boden Oberflächengewässer Ablaufwasser Sickerwasser Grundwasser 01 | 2019 8 | 9 transfer

Eine grundsätzliche Problematik sieht Burkhardt darin, dass bis heute kein verbindliches Konzept existiert, nach dem die Auswirkungen von Bauprodukten auf Boden und Grundwasser beurteilt werden müssen. Damit fehle ein verbindliches Entwicklungsziel. Zwar entwerfe seine Gruppe gegenwärtig eine derartige Methodik. Um ein solches Ziel festzulegen, brauche es jedoch mehr Anstrengungen, meint er. Eine vereinfachte Bewertungsmethodik, wie die Umweltetikette, sei deshalb nur ein erster Schritt. Massnahmen an der Quelle nützen Kläranlagen werden das Problem aus zweierlei Gründen nicht lösen können, ist Burkhardt überzeugt. «Auch wenn die vierte Reinigungsstufe in den Hundert grössten Abwasserreinigungsanlagen der Schweiz eingebaut wird, bleiben über 600 weitere, die umweltproblematische Stoffe weiterleiten. Zudem versickert Regenwasser von Gebäuden überwiegend oder wird diffus ins Oberflächengewässer abgeleitet», hält er fest. Zunehmende Starkregenereignisse werden ausserdem mehr Entlastungen verursachen, die an der ARA vorbei direkt ins Gewässer münden. «Deshalb halte ich Massnahmen an der Quelle, dort wo die Konzentrationen hoch und die Wassermengen noch klein sind, für sehr effektiv», fasst Burkhardt zusammen. «Der Aktivkohlefilter, durch den der Malereibetrieb seine Abwässer führt, ist hochwirksam und wirtschaftlich. Und die Verwendung von Produkten für die Fassade, deren Inhaltsstoffe weniger stark ausgewaschen werden, die viel bessere Idee, als das einer nachgeschalteten Reinigung überlassen zu müssen.» Für die Entwicklung auswaschreduzierter Bauprodukte brauche es aber ein Konzept mit Zielgrössen, an denen sich Hersteller ausrichten können. Und es brauche eine stärkere Marktnachfrage. Massnahmen an der Quelle sind für den Wissenschaftler auch längst vergessene Details der Architektur. Konstruktiver Witterungsschutz in Form von weiten Dachüberständen sei heute nicht mehr gefragt. «Die Norm verlangt nur wenige Zentimeter», stellt Burkhardt fest. Dem Witterungsschutz diene das nicht mehr, ganz im Gegenteil: Die Fassaden sind damit nicht nur der Auswaschung, sondern ebenso der Sonneneinstrahlung, Hagel, wirklich allen physikalischen Einflüssen stark ausgesetzt. «Die Konsequenz davon ist, dass die Materialien schneller altern und man immer häufiger renovieren muss. Und wo ist das dann ökologisch nachhaltig?» Fehlende Lobby Eine Herausforderung sieht der Institutsleiter vor allem für unsere Gesellschaft: Die fehlende Lobby der Umwelt. «Den Schaden, den wir durch unseren ökologischen Fussabdruck hinterlassen, spüren wir nicht immer direkt. Die Stoffe sind im Wasser, aber wir sehen sie nicht. Und die Wasserqualität unserer Seen und Flüsse ist gut, da schwimmen ja keine toten Fische oben auf», gibt Burkhardt zu bedenken. Gäbe es regelmässig grosse Schadenfälle, dann wäre die Lobby für die Umwelt seiner Meinung nach stärker: «Diese schleichende Veränderung, und das vergleiche ich gerne mit der Diskussion um den Klimawandel, führt dazu, dass wir eigentlich kaum unser Verhalten ändern.» Auf Dauer könne das Ökosystem jedoch nicht alles kompensieren, irgendwann wird nach Burkhardts Überzeugung das Puffervermögen erschöpft sein und Mensch und Umwelt die Leidtragenden sein. Sein Appell ist deshalb eindringlich: «Wir müssen relevante Emissionen noch stärker reduzieren. Alles, was nicht in die Umwelt geht, das ist Vorsorge. Egal, welches System man betrachtet.» «80% Wirkungsgrad, schnell umgesetzt, sind besser als 99%, die man niemals erreicht.»

FACHTHEMA «Typischerweise ist die Konzentration von antibiotikaresistenten Bakterien im gereinigten Abwasser um einen Faktor zwischen 10 und 1 000 mal höher als die Hintergrundkonzentration in der Umwelt.» ZEITBOMBE ANTIBIOTIKA? Resistenzen auf dem Vormarsch FACHTHEMA 01 | 2019 10 | 11

Weltweit passen sich immer mehr Bakterien an die Wirkung von Antibiotika an. Dafür gibt es verschiedene Gründe, aber entscheidend ist der häufige Einsatz der Antibiotika. Dadurch hat der Mensch selbst die Resistenzentwicklung entsprechend stark vorangetrieben. Bei jeder Einnahme erhöht sich nämlich die Wahrscheinlichkeit, dass die Anzahl antibiotikaresistenter Bakterien im Körper zunimmt. Resistente Bakterien überleben und vermehren sich, weil sie den Platz der beseitigten anfälligen Bakterien einnehmen können. «Ausserdem handelt es sich zunehmend um Mehrfachresistenzen, die eine Behandlung noch schwerer machen. Gleichzeitig werden immer weniger neue Antibiotika auf den Markt gebracht. Das ist ein besorgniserregendes Phänomen», sagt Dr. Helmut Bürgmann, Leiter der Forschungsgruppe Mikrobielle Ökologie bei der Eawag. Die Folgen: Bakterielle Infektionen sind schwierig bis gar nicht behandelbar, Spitalaufenthalte werden länger, die Kosten im Gesundheitswesen höher. Zahlreiche Quellen Antibiotikaresistente Bakterien sowie Rückstände von Antibiotika gelangen über Ausscheidungen, konventionelle Tierproduktion und die Landwirtschaft in Gewässer, Trinkwasser und Grundwasser – und wieder zurück zum Menschen. Auch die Abwässer aus pharmazeutischer Industrie und Spitälern tragen zur Belastung bei. Um eine Ausbreitung der resistenten Bakterien zu verhindern, spielt die Abwasserreinigung eine wichtige Rolle: «Was der Mensch einnimmt, kommt letztlich wieder bei den Kläranlagen an», klärt Dr. Bürgmann auf, «dazu gehören neben den Antibiotika auch die resistenten Bakterien, die sich bei uns im Darm entwickeln.» Die Nachklärung in konventionellen Abwasserreinigungsanlagen (ARA) reduziert die bakterielle Fracht zwar meist um über 95%. Resistente Bakterien werden jedoch nicht vollständig eliminiert. → Antibiotika sind aus der modernen Medizin nicht mehr wegzudenken. Sie erlauben die Behandlung bakterieller Infektionen. Sie sorgen für sichere chirurgische Eingriffe und ermöglichen Organtransplantationen. Und sie sind lebenswichtig für Patienten mit einem krankheitsbedingt geschwächten Immunsystem. Was also tun, wenn immer mehr Bakterien Antibiotika widerstehen? Dr. Helmut Bürgmann, Leiter der Forschungsgruppe Mikrobielle Ökologie, Abteilung Oberflächengewässer bei der Eawag.

FACHTHEMA Bakterien haben die Fähigkeit, Resistenzen durch Gentransfer untereinander weiterzugeben. So können sich Resistenzen in Gewässern weiter anreichern. Selbst an sich harmlose Umweltbakterien haben dadurch das Potenzial, zur Vermehrung und Verbreitung der Resistenzen beizutragen. «Antibiotikaresistenzen verändern sich auch schon innerhalb von Kläranlagen sehr stark. Wir vermuten, dass es aufgrund der Lebensbedingungen in der Abwasserreinigung Anreicherungsmechanismen gibt, sprich: dass resistente Bakterien einen Überlebensvorteil haben. Die absolute Zahl an Bakterien nimmt zwar bei der Abwasserreinigung ab. Im Auslauf trägt jedoch ein eher höherer Prozentsatz einer Bakterienpopulation eine bestimmte Resistenz als im Einlauf», erläutert Dr. Bürgmann bisherige Untersuchungsergebnisse. Besonders bei ARAs, die Industrie- oder Spitalabwasser reinigen, ist dieser Effekt auffällig. «Bei solchen Anlagen sollten wir weitere Untersuchungen durchführen, um eine Risikobewertung vornehmen zu können und eventuell entsprechende Massnahmen vorschlagen zu können», gibt Dr. Bürgmann zu bedenken. Ein weiterer Grund für die Ausbreitung neuer antibiotikaresistenter Bakterienstämme ist die Einschleppung aus anderen Ländern – speziell nach Behandlungen in ausländischen Spitälern. Diese gelangen ebenfalls über Ausscheidungen in das Abwasser. Wo ansetzen? Seit 2016 schreibt das Gewässerschutzgesetz Massnahmen vor, um den Eintrag von Mikroschadstoffen, einschliesslich Antibiotika, zu vermeiden bzw. die Gesamtbelastung nachhaltig zu reduzieren. Ausgewählte Kläranlagen an belasteten Gewässern müssen bis spätestens zum Jahr 2035 die vierte Reinigungsstufe zur Beseitigung von Spurenstoffen bzw. Mikroverunreinigungen installieren. Diese ARAs klären rund 50% des Abwassers in der Schweiz. Ziel ist es, die Fracht dieser Stoffe um mindestens 80% zu reduzieren. «Der Einbau zusätzlicher Barrieresysteme ist eine sinnvolle Vorsorgemassnahme, um die Verfügbarkeit von Resistenzen insgesamt zu reduzieren. Dafür eignen sich zwei unterschiedliche Verfahren: die Membrantechnologie und die Ozonung», fasst Dr. Bürgmann zusammen. Mit Membrantechnologie – Pulveraktivkohle in Kombination mit einer Ultrafiltration – kann eine nahezu vollständige Entkeimung des AbAntibiotikaresistente Bakterien und Rückstände von Antibiotika gelangen über zahlreiche Wege in die Umwelt – und wieder zurück zum Menschen. Resistenzen können sich so weiterverbreiten und evolutionär verändern. 01 | 2019 12 | 13

wassers erreicht werden. Kleine Filterporen halten Partikel sogar bis zur Grösse von Viren zurück. «Die Membrantechnologie ist perfekt für dieses Problem. Pilotanlagen in Lausanne und Ürikon haben gezeigt, dass fast keine resistenten Bakterien aus dem Auslauf kommen», zeigt sich Dr. Bürgmann von der Wirkung überzeugt, gibt jedoch zu bedenken, dass diese Lösung energetische und ökonomische Nachteile hat. Die Behandlung mit Ozon hingegen hat den Vorteil, dass neben der effizienten und ökonomischen Beseitigung von Mikroverunreinigungen im Abwasser auch Bakterien abgetötet werden können. «Wir sehen aber nie eine perfekte Desinfektion. Es gibt immer geringe Konzentrationen von Bakterien, die unter diesen Bedingungen überleben. Ausserdem zeigte sich, dass die Resistenzgene in der DNA der Bakterien durch das Ozon nicht zerstört werden. Wenn die DNA noch intakt ist, ist weiterhin ein Gentransfer möglich. Und schliesslich beobachteten wir, dass gelegentlich während der biologischen Nachbehandlung des ozonierten Abwassers zum Teil auch wieder resistente Bakterien wachsen», zeigt der Forschungsleiter noch bestehende Schwierigkeiten mit der Methode auf. Einsatz überdenken Für Dr. Bürgmann besteht das grösste Schutz-Potenzial an der Quelle: «Wir sollten versuchen, den Einsatz in der Landwirtschaft weiter zu reduzieren. Aber vor allem sollten wir hinterfragen, wie wir in der Medizin damit umgehen – und den sinnlosen Einsatz gegen virale Infektionen wie Grippe oder vielen Magen-Darm-Beschwerden vermeiden. In der ‹Strategie Antibiotikaresistenzen› (StAR) der Schweiz (www.star.admin.ch) werden viele sinnvolle Massnahmen gebündelt.» Keine Panik Im Gegensatz zu Regionen der Welt mit schlechteren hygienischen Verhältnissen und geringeren Anforderungen an die Ableitung industrieller und klinischer Abwässer ist in der Schweiz kein unmittelbarer Handlungsbedarf gegeben: «Eine akute Gefährdung der Bevölkerung in der Schweiz sehen wir nicht. Die Investitionen in die hygienischen Standards im letzten Jahrhundert haben sich gelohnt. Die Hotspots der Problematik liegen unserer Einschätzung nach in Ländern wie Indien, China oder Bangladesch.» In Untersuchungen des Schweizer Bade- und Trinkwassers wurden resistente Bakterien deutlich unterhalb der infektiösen Dosis nachgewiesen. Ein Infektionsrisiko mit resistenten Keimen ist somit unwahrscheinlich. Dennoch sollten die Risiken und langfristigen Entwicklungen nicht übersehen werden. «Nulltoleranz macht im Bezug aufs Wasser sicher keinen Sinn. Aber man sollte tun, was man kann, um die Belastungen weiter zu reduzieren. Und so die hohe Qualität unseres Wassers aufrechterhalten oder sogar noch weiter steigern», fasst Dr. Bürgmann abschliessend zusammen. «Antibiotikaresistenz ist ursprünglich ein medizinisches Problem. Aber es hört nicht an der Kliniktür auf.» Illustration: Nathalie Schöbitz, Eawag

APPLIKATION Kilometerlange Druckleitungen schlängeln sich durch den Ossiacher See Wenn abwasserführende Leitungen quer durch einen See verlegt sind, dann stellt dies hohe Anforderungen an die Sicherheit. Der Wasserverband Ossiacher See in Kärnten (Österreich) verbindet unter Wasser neun Abwasserpumpwerke mit einer zentralen Kläranlage in Villach. Der Bau der Leitungen ist zwar deutlich günstiger als an Land, der Betrieb jedoch technisch höchst anspruchsvoll. ‹Nessie› würde sich wundern Sattendorf Annenheim Heiligen Gestade Lido Anlandungsschacht APPLIKATION 01 | 2019 14 | 15 transfer

Als der Wasserverband Ossiacher See (WVO) 1964 gegründet wurde, war die Lage dramatisch: Fäkalabwässer wurden praktisch ungeklärt in den See geleitet und der See drohte zu kippen. «Unmittelbares Handeln war gefragt – und Ideen gesucht, wie man möglichst wirtschaftlich und vor allem schnell die rund um den See entstehenden Abwässer einer zentralen Kläranlage zuführen kann», erzählt Norbert Schwarz, Geschäftsführer des WVO. Als Lösung drängte sich eine Seedruckleitung auf: Damit lassen sich verglichen mit einer am Land verlegten Verrohrung zu geringen Kosten rasch grosse Distanzen überbrücken. Sicherheitsaspekt 1: Dichtheit Aufwändig sind hingegen der Betrieb und der Unterhalt: Die Dichtheit der Leitungen muss zu jedem Zeitpunkt garantiert sein, ein entstandenes Leck rasch identifiziert und abgedichtet werden können. «Das ist eine der grossen Herausforderungen», erläutert Norbert Schwarz, «denn man kann nicht einfach die Leitung aus dem Wasser heben. Mit grossen Kompressoren muss man dazu Luft einblasen, sodass die Leitung aufschwimmen kann. Je nach Grösse des Lecks kann die eingepumpte Luft aber dort bereits entweichen und verhindert so den Druckaufbau. Dann ist eine Reparatur unter Wasser notwendig, was bei entsprechender Seetiefe sehr aufwändig ist.» Herausforderung Messgenauigkeit Die Dichtheit der Rohre wird durch den Vergleich der Mengenmessungen bei den Pumpstationen und dem Anlandungsschacht ständig überwacht. Ganz so einfach ist dies jedoch nicht. «Das Abwasser hat drei Aggregatzustände: Eine Phase mit fester Fracht, eine flüssige als Wasser und eine gasförmige, vor allem in Form von Schwefelwasserstoff», erklärt Norbert Schwarz. Die exakte volumetrische Messung ist deshalb schwierig, denn die Durchflussmesser sind auf ein Medium kalibriert, idealerweise bei einem gefüllten Rohr. Neben dieser Messungenauigkeit entsteht in der Bilanz zwischen Ein und Ausgang der Leitung ein weiterer Fehler: Es gibt Fliesszeiten, das Abwasser hat aber auch Stehzeiten in der Leitung. Dabei laufen biologische Prozesse ab. Insgesamt dauert es rund drei Stunden, bis das gesamte Volumen der Seedruckleitung gepumpt und ausgetauscht ist. «Dazu kommt, dass die Leitung nicht ideal flach auf dem Seegrund liegt, sondern in Hügeln und Tälern verläuft», beschreibt der Ingenieur eine weitere Problematik. In den lokalen Höhenmaxima gibt es Gasansammlungen, und die einzelnen Phasen des heterogenen Gemisches haben unterschiedliche Fliessgeschwindigkeiten. → Steindorf Stiegl Bodensdorf Ossiach Tschöran Tiebel Am Nordufer des Ossiacher Sees sind zwei Pumpketten mit Doppelleitungen für sechs Hauptpumpstationen installiert. Die Station Ossiach am Südufer pumpt über eine Doppelleitung zum Nordufer. Zur hydraulischen Entlastung führt von Ossiach eine dritte Leitung in die Pumpkette im Süden, in der zwei Stationen ebenfalls über Doppelleitungen zum Anlandungsschacht im Westen pumpen. Insgesamt 36 km Seedruckleitungen sind im See verlegt. Die ersten Rohre wurden bereits 1970 eingebaut.

APPLIKATION Allein mit Durchflussmessungen kann man also nicht feststellen, ob die Menge des in die Leitung eingepumpten Abwassers exakt dieselbe ist, welche am Anlandungsschacht ankommt. Deshalb werden im RITOPLeitsystem zusätzlich die Ergebnisse einer Vielzahl von Druckmessungen mit den volumetrischen Messungen intelligent kombiniert. Bei einem Leck verändert sich der Eingangsdruck in die Leitung und damit der Betriebspunkt der Pumpe: «Ein Leck wirkt wie ein Bypass, Wasser tritt ‹unterwegs› aus. Die Pumpe muss damit nicht mehr das gesamte Abwasser durch das Rohr schieben, braucht also weniger Druck», erklärt Dipl.Ing. Schwarz das Prinzip. Abhängig vom Ort des Lecks sind die zu detektierenden Druckunterschiede jedoch sehr klein. «Dies erfordert ausgeklügelte Algorithmen in der Datenauswertung», schmunzelt Norbert Schwarz. Robustes Material Die Rohre sind aus hochdichtem Polyethylen (PEHD), einem äusserst langzeitstabilen Material, gefertigt. Das zeigten Untersuchungen, die in den vergangenen Jahren vom Hersteller der Rohre und einem unabhängigen Ingenieurbüro im Auftrag des WVO durchgeführt wurden: «Wir waren erstaunt, in welch gutem Zustand die Kunststoffe, die bereits über 40 Jahre im See liegen, noch waren. Inzwischen gehen wir von einer praktischen Nutzungsdauer von mindestens 100 Jahren aus», sagt Norbert Schwarz. Landverlegte Kanäle werden in der Regel nach längstens 50 Jahren saniert. Anfälliger sind die Rohre hingegen auf mechanische Belastungen von aussen. «Beim Verlegen kann man die exakte Position der Rohre praktisch nicht voraussagen», erklärt Norbert Schwarz. «Kommen die Leitungen auf Findlingen am Seegrund zu liegen, ist das kritisch. Denn beim Einschalten der Pumpen erhält die in der Leitung befindliche Wassersäule immer einen kleinen Stoss, das Rohr bewegt sich – und kann scheuern.» Mit dem Ausbau 2017 wurden Kunststoffe der neuesten Generation PEHD ‹RC› (Resistive Crack) verbaut. Dadurch werden die Rohre gegenüber Scheuerstellen mechanisch noch robuster. Sicherheitsaspekt 2: Hydraulisches Management Die zweite grosse Herausforderung besteht im hydraulischen Management des Seeleitungssystems, denn insgesamt werden rund 1,1 Mio. Kubikmeter Abwasser pro Jahr durch die Seeleitungen befördert. Mit dem Zubau im Jahr 2017 sind nun alle Teilstrecken doppelt geführt, und eine zusätzliche Leitung am Südufer entlastet das «hydraulische Nadel01 | 2019 16 | 17 transfer

öhr» bei der Pumpstation Tschöran etwas östlich der Mitte des Sees. Diese Station dient als Puffer für die Transportmengen, welche von der Ostseite des Sees zur Westseite in Richtung Kläranlage Villach über mehrere Stufen kaskadiert geleitet werden. «Trotzdem sind die hydraulischen Kapazitäten begrenzt und wir müssen besorgt sein, Fehleinleitungen ins Abwassernetz zu vermeiden», so Schwarz. Mit Kameraüberwachungen und regelmässigen Berauchungen des Kanalsystems versucht die WVO, Leckstellen rasch zu entdecken und so das Einfliessen von Grund oder Oberflächenwasser ins Kanalsystem zu verhindern. Das ist besonders bei lokalen Starkregenereignissen wichtig, denn diese haben an Intensität und Häufigkeit zugenommen. Neben der doppelten Leitungsführung wurde deshalb auch technisch aufgerüstet: Die bisherigen Pumpen wurden alle durch umrichtergesteuerte ersetzt, sodass im Notfall durch einen überfrequenten Betrieb die Fördermengen nochmals gesteigert werden können. «Und natürlich gibt es Havariekapazitäten. Aber die sind, wenn man sie nicht geschickt nutzt, rasch aufgebraucht», sagt der Geschäftsführer. «Eine intelligente Überwachung und Anlagensteuerung ist deshalb das A und O.» → 36,2km verlegte Druckleitung 1,1 Mio.m3 Abwasser jährlich 1,5m/s Fliessgeschwindigkeit im Rohr 18 m lange PE-Rohre wurden an Land zu ca. 700 m langen Rohrsträngen verschweisst und dann über einen Fluss in den See eingeschwommen. Erst bei der Durchströmung mit Abwasser senken sie sich auf den Seegrund ab. «Ein entstandenes Leck rasch zu identifizieren und abzudichten ist eine der grossen Herausforderungen.» Dipl.-Ing. Norbert Schwarz, MBA Geschäftsführer des Wasserverbandes Ossiacher See (WVO)

APPLIKATION | INTERVIEW Video der Verlegung Das österreichische Unternehmen Felbermayr verlegte die Leitungen. Die eindrückliche Ingenieurleistung wurde in einem kurzen Video festgehalten: Kapazitäten geschickt nutzen Die neun Hauptpumpstationen der Seedruckleitungen werden von rund 230 weiteren, in den Ortsnetzen verteilten Pumpstationen beschickt. Die RIFLEXSteuerungen der Hauptstationen sind alle über Digitalfunk mit exklusiven Funkfrequenzen an das RITOPLeitsystem in der Zentrale angebunden. Hier wird entschieden, welche Station pumpen muss, und welche warten kann, weil es noch Reserven gibt. Und wie man geschickt die in der Anlage vorhandenen Pufferspeicher beschickt. «Zukünftig wollen wir im Leitsystem auch Wetterprognosen berücksichtigen. Wenn sich Gewitterzellen der Region nähern und eine hohe Niederschlagswahrscheinlichkeit besteht, könnten wir so automatisiert aus den Anlagen abpumpen und präventiv Speichervolumen an den Pumpstationen schaffen», gibt Norbert Schwarz einen Ausblick. Die richtige Wahl Die Entscheidung im Jahr 1970, eine Seeleitung zu verlegen, ist für den Geschäftsführer auch heute noch die richtige: «Trotz den Schattenseiten, die es gibt und den durch die klimatischen Änderungen nochmals massiv gestiegenen Anforderungen.» Diese betreffen insbesondere die Überwachung, und damit die Messtechnik und eine immer grössere Datenflut. «Um diese zu beherrschen, benötigen wir noch komplexere mathematische Modelle», ist sich Norbert Schwarz sicher. «Da bin ich froh, mit Rittmeyer einen langjährigen Partner an der Seite zu haben, der uns, unser System und unsere Anforderungen kennt – und der in der Lage ist, diese auch umzusetzen.» Die Rohrstränge werden in regelmässigen Abständen mit Betongewichten ballastiert, um sie gegen unkontrolliertes Aufschwimmen zu sichern. www.youtube.com/ watch?v=QptjYejacmw 01 | 2019 18 | 19 transfer

Der Klimawandel stellt auch die Siedlungswasserwirtschaft vor grosse Herausforderungen. Hitzesommer, trockene Winter und vor allem zunehmende Starkregenereignisse bringen unsere vorhandenen Entwässerungssysteme an die Grenzen. Überflutungen nehmen zu. Wie bekommen wir diese Herausforderungen in den Griff, wenn Bemessungsgrundlagen fehlen? «Wir brauchen neue Planungsstrategien», sagt Prof. Dr. Max Maurer, Leiter der Abteilung Siedlungswasserwirtschaft (SWW) an der Eawag. → Siedlungswasserwirtschaft der Zukunft WASSER: FREUND ODER FEIND? INTERVIEW

INTERVIEW Herr Prof. Dr. Maurer, Sie sagen, mit dem Klimawandel wird sich auch die Siedlungswasserwirtschaft verändern müssen. Weshalb? Ändern müssen wir vorderhand die Art und Weise wie wir planen, und ebenso, wie wir unsere Anlagen betreiben. Diese Prozesse müssen wir anpassen, das muss dynamischer werden. Wir müssen uns viel mehr über mögliche Risiken, beispielsweise von Starkregen, im Klaren werden, und dann schauen, dass wir im Bau und Betrieb der Infrastruktur flexibler bleiben. Wir bauen zwar für Generationen, aber wir dürfen nicht mehr für die Ewigkeit planen. Das heisst für mich, wir müssen der Flexibilität auch einen monetären Wert einräumen. Das machen wir heute zu wenig. Was meinen Sie damit konkret? Der Klimawandel findet statt. Das ist unbestritten. Wir wissen aber nicht genau, welche Auswirkungen der Klimawandel konkret auf die Siedlungsentwässerung haben wird. Dazu fehlen uns die Werkzeuge und quantitative Informationen. Klimamodellierungen werden im Tagesbereich, in sehr grossen Rastern gerechnet. In der Siedlungsentwässerung interessieren uns jedoch viel kleinere Abschnitte, 10-Minuten- oder 3-Minuten-Werte. Diese Diskrepanz ist in der Wissenschaft heute noch nicht ausgeglichen. Sprich: Wir können es nicht rechnen. Und damit können wir nicht einfach einen «Faktor Klimawandel» für die Dimensionierung unserer Infrastrukturen definieren. Das heisst, wir müssen uns sehr viel mehr an Methoden orientieren, anhand derer sich risikobasierte Entscheidungen treffen lassen. Also die Frage beantworten: «Was tun wir wenn?» Wie kann denn das gelingen? Aus meiner Sicht muss man die Art und Weise, wie wir planen und dimensionieren, anpassen. Ein erster Aspekt dabei sind die Planungsgrundlagen. Diese basieren heute meiner Auffassung nach auf ganz wenigen und dazu ganz schlechten Daten. Es gibt zwar gute Werkzeuge und Modelle – doch niemand verifiziert diese Modelle. Wir nutzen ein Modell, simulieren damit, machen eine Vorhersage, treffen Massnahmen, bauen Regenbecken. Aber niemand misst, ob das, was man vorhergesagt hat, auch tatsächlich eintrifft. Die wenigen vorhandenen Daten sind dann oftmals auch falsch oder ungenau. Trotzdem treffen wir auf einer solchen Basis in der Schweiz Investitionsentscheide in Milliardenhöhe. Das muss man durchbrechen. Das heisst, wir bauen viel, aber wir betreiben es nicht. Und wir bauen nicht bedarfsgerecht, weil wir den Bedarf gar nicht genau kennen. Wir bauen einfach «gross». Solange man Geld hat, mag das vielleicht funktionieren. Wir brauchen also belastbarere Datengrundlagen? Das ist nur das eine. Wollen wir die Auswirkungen des Klimawandels in der Siedlungswasserwirtschaft beherrschen, gibt es einen zweiten, nicht minder wichtigen Aspekt: die Stadtplanung. Denn die fortschreitende Innenverdichtung führt zu immer grösseren versiegelten Flächen in den Innenstädten. Dem muss die Siedlungsentwässerung, und allem voran die Regenwasserentsorgung, Rechnung tragen. Natürlich kann man Retentionsbecken bauen und einzäunen. Geschickt ist das eher nicht: Sie benötigen Platz und sind die meiste Zeit ungenutzt. Ich bin ein Verfechter von Multifunktionalität. Denn es gibt durchaus Möglichkeiten, die Flächen attraktiv zu gestalten – nicht nur um das Regenwasser zu verzögern «Wir bauen nicht bedarfsgerecht, weil wir den Bedarf gar nicht genau kennen. Wir bauen einfach gross.» Prof. Dr. Max Maurer, Leiter der Abteilung Siedlungswasserwirtschaft (SWW), Eawag 01 | 2019 21 20 |

und versickern zu lassen, sondern auch, um die Stadtökologie aufzuwerten, attraktive Grünräume zu schaffen und die Lebensqualität zu verbessern. Eine solche Planung muss allerdings früh stattfinden. Und sie muss bewusster stattfinden. Haben Sie Beispiele? Ein sehr gutes Beispiel ist der erste Regenwasser- Spielplatz Deutschlands in Hamburg: Hier wurde gezielt ein Platz geschaffen, den man überschwemmen kann. Auf diesem Platz wird Regenwasser vorübergehend gespeichert und nach dem Regen langsam der Drainage, dem Oberflächenwasser oder dem Grundwasser zugeführt. Das Schöne daran: Das Regenwasser, das man dort zwischengepuffert hat, ist zu einem zentralen Element für den Spielplatz geworden. Eine andere Idee setzt Rotterdam um: Ein grosser Teil der Dachflächen wird begrünt. Damit wurden aktive Speicherelemente geschaffen, die man bewirtschaften kann. Vermarktet wurde diese Idee aber nicht als Regenrückhaltebecken, sondern als Stadtacker (‹city-farming›) – als Schrebergärten auf dem Dach, um die Lebensqualität zu verbessern. Das ist es, was ich mit Multifunktionalität meine: Nicht nur ein Becken bauen, um Wasser zurückzuhalten. Sondern Mehrwert schaffen. Regenwasser als bewusster Teil der Stadtökologie – also: Freund statt Feind? Ja, genau. Wasser ist bei einer zunehmenden Verdichtung tatsächlich lebenswichtig. Die Bebauungsdichte hat ja ihre Grenzen, man muss Luftkorridore in der Stadt erhalten. Sonst wird das Leben schwierig. Kombiniert man nun diese Korridore gezielt mit Grünflächen und nutzt sie gleichzeitig zur Regenwasserbewirtschaftung, dann hat das viele Vorteile. In den Luftkorridoren verdunstet das gepufferte Regenwasser und verschafft gleichzeitig Kühlung. Das ist wichtig, denn die Hitzeperioden im Sommer nehmen zu. Sie werden nicht nur länger andauern, sie werden auch häufiger auftreten. Organisatorisch klingt das eher schwierig ... Aus meiner Sicht wird man in Zukunft sehr viel mehr dezentrale Infrastrukturen haben. Und die muss man betreiben, managen. Dazu wird Messtechnik benötigt, ja. Vor allem jedoch sind Lösungen gesucht, wie man die gewonnenen Daten →

INTERVIEW bewirtschaften, wie man mit Tausenden von Messsignalen umgehen kann. Das ist die Herausforderung der dezentralen Strukturen: Sie müssen intelligent verwaltet werden. Im Grunde ist das die ‹Smart City›. Aber die kann man nicht aus dem Ärmel herausschütteln. Wer sich allerdings dafür verantwortlich fühlt oder fühlen sollte, ist ungeklärt. Doch selbst wenn dies alles gelöst wäre: Es wird weiterhin Unsicherheiten geben, wie beispielsweise die Regendaten. Aber es gibt Möglichkeiten, Unsicherheiten sichtbar und damit auch quantifizierbar zu machen. Das Problem der Unsicherheiten ist nicht, dass wir nicht wissen, wie wir damit umgehen könnten. Das Problem ist eher der Diskurs, wer bestimmt, mit welcher Sicherheit wir was erreichen wollen. Ingenieure scheuen die Risikodiskussion. Sie gehen lieber mit einer bestimmten Dimensionierung in die Planung. Hier braucht es neue Wege. Braucht es dann einen ganz anderen Planungsansatz? Ja, meiner Meinung nach schon. Vor allem einer Frage schenken wir heute zu wenig Bedeutung: Wie bewerten wir die Sicherheit gegenüber der Flexibilität im Bau und Betrieb? Beispiel: Eine Anlage wird auf 30 Jahre ausgelegt. Die Frage ist nun, dimensioniert man basierend auf einer Prognose einer Zielgrösse in 30 Jahren? Mit allen Unsicherheiten? Oder dimensioniert man zunächst nur auf die nächsten 10 Jahre, deren Entwicklung man relativ gut vorhersagen kann. Und «investiert» in Freiräume, in denen man später erweitern oder anpassen kann. Methodisch liesse sich ein solcher Entscheid beispielsweise mit einer Realoptionsanalyse treffen. Sie berücksichtigt, dass sich während der Betriebsdauer einer Investition die Bedürfnisse verändern können und bewertet die Zusatzinvestitionen, um darauf reagieren zu können. In Kombination mit der Eintrittswahrscheinlichkeit jeder dieser Optionen lässt sich der Investition ein Wert zuweisen. Ich möchte anregen, die Flexibilität als ein zentrales Bewertungskriterium mit in die Planung aufzunehmen. Und zwar nicht nur qualitativ, sondern auch quantitativ. Dass man Szenarien beschreibt, die sich quantifizieren lassen und die damit letztlich eine Bandbreite vorgeben – eine Bandbreite innerhalb derer der Bauherr entscheiden kann, wieviel er bereit ist, in die Flexibilität zu investieren. Diese Betrachtung gibt es heute kaum. Aber das erfordert ein Umdenken. Entscheidungsträger müssen sich von der Idee lösen, heute eine Kläranlage zu bauen und dann 30 Jahre Ruhe zu haben. Will man die Auswirkungen von Unsicherheiten eingrenzen, dann muss man sehr viel enger, hochfrequenter planen und damit sicher häufiger als bislang «Ein grosser Teil der Dachflächen in Rotterdam wird begrünt – und als Stadtacker (‹cityfarming›) vermarktet. Gleichzeitig wurden damit aktive Speicherelemente für das Regenwasser geschaffen, die man bewirtschaften kann.» 01 | 2019 22 | 23

Investitionsentscheide treffen. Wenn man «30 Jahre Ruhe» will, dann führt das dazu, dass man Anlagen völlig überdimensioniert. Das ist heutzutage einfach falsch. Richtig wäre? Richtig in diesem Kontext wäre, dass Entscheidungsträger zukünftig mehr «das Weiterdenken» in der Planung einfordern und selbstverständlich dafür zu zahlen bereit sind. Damit will ich sagen, dass sorgfältig durchdachte Szenarien und eine darauf aufgebaute Planung etwas wert sind. Dies impliziert jedoch, dass Planung und die vom Planer zu erbringenden Leistungen sehr viel sorgfältiger als heute üblich ausgeschrieben werden müssen. Zusammengefasst: Wohin geht die Reise? Oder: Wohin sollte sie gehen? Wir werden vorhandene Strukturen aufbrechen müssen. Siedlungsentwässerung der Zukunft kann nicht einfach heissen: Die Massnahmen des generellen Entwässerungsplans sind umgesetzt – erledigt! Wir müssen Diskussionen führen, interdisziplinär, frühzeitig. Es sind viele Themen und Ansatzpunkte, bei denen wir eingreifen können – und sollen. Noch tun wir uns schwer damit. Umso mehr lohnt es sich, auf das zu fokussieren, was bereits geschieht. Es gibt immer einen kleinen Prozentsatz einflussreicher Betreiber, die durchaus Willens sind, «den nächsten Schritt» zu gehen. Das sind die Vorreiter, die sehr viel bewegen können. Die auch erkennen, welche Möglichkeiten entstehen. Die den Mut haben, neue Ansätze zu testen. Beispielsweise, die Kanalisation und Kläranlage als integrales Gesamtsystem zu betrachten und sie entsprechend integriert zu planen und zu bewirtschaften. Betreiber, die aufzeigen, dass es besser geht als bisher. Diese Leuchttürme sind mein wichtigstes Argument: Schaut her, es funktioniert bereits! Es ist gar kein so grosser Aufwand! Und man gewinnt etwas daraus! Diese Erfolgsgeschichten sind ganz zentral für die Veränderung. Herr Prof. Dr. Maurer, herzlichen Dank für das Gespräch. «Um Unsicherheiten in der Planung zu begegnen, müssen wir bereit sein, die Risiken zu diskutieren.»

FACHTHEMA 1. Januar 2026 – ein Datum, bei dem Abwasserreinigungsanlagen (ARA) und Klärschlammverwertungsanlagen hellhörig werden dürften. Ab diesem Zeitpunkt ist die Phosphorrückgewinnung aus Klärschlamm und Abwasser Pflicht. Das wirft viele Fragen auf: Wie viel muss rückgewonnen werden? Wie ist das technisch lösbar? Und: Wer bezahlt das überhaupt? VERWENDEN STATT VERWERFEN PhosphorRecycling aus Klärschlamm FACHTHEMA 01 | 2019 24 25 |

4 200 Tonnen in die Schweiz importierter Phosphor in phosphorhaltigen Düngeprodukten (2015) 8 300 Tonnen in die Schweiz importierter Phosphor in Nahrungs- und Futtermitteln (2015) 6 500 Tonnen Phosphor gelangen über Ausscheidungen ins Abwasser 6 000 Tonnen Phosphor aus Klärschlamm gehen heute in Schlackedeponien und Zementwerken verloren Sichere Versorgung mit reinem Rohstoff Die Schweiz importiert jährlich tausende Tonnen phosphorhaltige Düngeprodukte für die Landwirtschaft, aus Ländern mit teilweise fragwürdigen ökologischen und sozialen Bedingungen. «Wir sind vom Ausland abhängig. Zudem sind in einem Teil der Dünger problematische Anteile an schädlichem Uran und Cadmium enthalten», fasst Dr. Christian Abegglen die heutigen Herausforderungen zusammen. Er ist Leiter des ‹Centre de Compétences Abwasserreinigung› beim Verband Schweizer Abwasser- und Gewässerschutzfachleute (VSA). Die Schweiz könnte ihren Bedarf an Phosphor selbst decken, indem sie den Stoffkreislauf schliesst. Die Verordnung über die Vermeidung und Entsorgung von Abfällen (VVEA) schreibt deshalb vor, ab dem 1. Januar 2026 Phosphor aus Abwasser und Klärschlamm zurückzugewinnen. Aus den so gewonnenen Nährstoffen kann Recycling-Dünger produziert werden – ohne schädliche Schwermetalle und unabhängig von unsicheren Preisentwicklungen im Ausland. Heute wird Klärschlamm thermisch entsorgt. Ein grosser Teil des wertvollen Phosphors landet nach der thermischen Behandlung des Schlamms auf Aschedeponien, ein weiterer Teil wird in Zement gebunden und in Gebäuden verbaut. Weiter Weg, klares Ziel Derzeit gibt es weltweit nur wenige grosstechnische Anlagen zur Rückgewinnung von Phosphor aus Klärschlamm. Eine Ergänzung der Entsorgungsinfrastruktur ist nötig. «Mache ich das als Kläranlage alleine oder suche ich mir Partner für den Bau einer möglichst grossen Rückgewinnungsanlage? Muss Reserve «Das Ziel der Reise ist klar, aber der Wegweiser steht noch nicht.» Dr. Christian Abegglen, Leiter des ‹Centre de Compétences Abwasserreinigung›, Verband Schweizer Abwasser- und Gewässerschutzfachleute (VSA) → Quelle: Positionspapier des Verband Schweizer Abwasser- und Gewässerschutzfachleute VSA (November 2018)

FACHTHEMA einkalkuliert werden für weitere Anlagenbetreiber, die später dazukommen? Wer gibt den Auftrag zum Bau, wer baut die Anlage? Da stellen sich einige Fragen», so Dr. Abegglen. Kläranlagenbetreiber sind daran interessiert, ihren Klärschlamm weiterhin sicher und möglichst günstig entsorgen zu können. Die Phosphorgewinnung darf den Verwertungsprozess also nicht verzögern. Weiteres Ziel des VSA ist es, dass ausschliesslich erprobte, umweltfreundliche und wirtschaftliche Technologien für die Rückgewinnung genutzt werden, die sich auch in bestehende Entsorgungsinfrastrukturen integrieren lassen: «Falls die Hindernisse für den koordinierten Bau solcher Anlagen zu gross sein sollten, müssten meiner Meinung nach die gesetzlichen Fristen überprüft werden. Wir wollen auf gute Lösungen hinarbeiten, auch wenn es ein bisschen länger dauern sollte.» Möglichkeiten der Gewinnung Es existieren weltweit verschiedene verfahrenstechnische Ansätze, in unterschiedlichen Entwicklungsstadien. Einige Pilotanlagen in der Schweiz und Umgebung erproben deshalb unterschiedliche Technologien zur Phosphorrückgewinnung, die auch den Vorstellungen des VSA genügen. Sie unterscheiden sich sowohl im Aufwand als auch dem möglichen Rückgewinnungsgrad. Aus Faulschlamm lassen sich – nach heutigem Wissen – zwischen 30 und 50% des Phosphors zurückgewinnen. Der Schlamm wird dafür unter hohem Druck chemisch- physikalisch behandelt. «Der eher tiefe Wirkungsgrad ist im Moment noch der Nachteil dieses Verfahrens, das die ARA Bern gerade testet – dafür ist der Klärschlamm weiterhin für die Zementindustrie und Klärschlammverwertungsanlagen nutzbar.» Die ARA Altenrhein hingegen gewinnt in ihrem Pilotprojekt den Phosphor durch eine pyrolytische Zersetzung aus getrocknetem Klärschlamm. Dadurch lässt sich phosphorhaltiger Dünger ohne weitere Reststoffe herausholen. «Die Rückgewinnungsquote liegt hier etwa bei 90%», so Dr. Abegglen über den Wirkungsgrad. Eine dritte Möglichkeit besteht in der Gewinnung aus der Klärschlammasche, die bis 50% aus Faulschlamm 90 % aus getrocknetem Klärschlamm 90 % aus Klär schlamm asche Phosphorrückgewinnungsgrade verschiedener Verfahren 01 | 2019 26 27 |

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